Innovation war immer schon die wichtigste treibende Kraft der taiwanischen Computerfirma Acer, und im Aspire-Park ist Innovation eine Lebensweise.
Ein Besuch beim Produktwert-Laboratorium von Acer im 172 Hektar großen Aspire-Park in Lungtan 龍潭(Landkreis Taoyuan) ist wie der Besuch in einem Feriendorf auf dem Land. Komplett mit einem Schwimmbad, Sportzentrum, Café, Geschäften und Wohngebieten besitzt das Gelände nicht nur viele Grünflächen und ein Naturschutzgebiet, sondern sogar ein eigenes Krankenhaus und eine Feuerwache. “Wer sagt denn, dass ein Laboratorium unbedingt in einem dicht bevölkerten Stadtgebiet oder in der Ecke einer lauten Fabrik stehen muss?” meint R. C. Chang, Cheftechnologe des Labors. “Und wer sagt, dass es nicht in einer parkähnlichen Umgebung liegen darf, wo es von der Wohnung zur Arbeit nur ein paar Minuten zu Fuß in frischer Luft sind?”
Der Aspire-Park (Anm. d. Übers.: Das englische Wort “aspire” bedeutet auf Deutsch etwa streben, trachten, verlangen) ist Taiwans erster multifunktionaler Industriepark, der im Alleingang vom privaten Sektor entwickelt wurde. Er wurde im Jahr 2002 in Betrieb genommen und war ursprünglich ein Wohnungsbauprojekt für Acer-Angestellte, das vor 15 Jahren begonnen und dann Mitte der neunziger Jahre in seiner jetzigen Form neu geplant worden war. Während der Planung forderte Acer Fachleute aus der Computerindustrie und auch von außerhalb der Branche sowie Menschen aus dem künstlerischen Bereich auf, sich über Entwurf und Anlage des Aspire-Parks Gedanken zu machen und ein Lebensumfeld zu schaffen, das die Gedanken und die Kreativität der dort Lebenden anregt. Der endgültige Entwurf des Parks umfasste nicht nur die Ausstattung aller Häuser mit ADSL und Glasfaserkabeln, sondern auch einen Forschungskomplex, eine Industriezone sowie ein Schulungs- und Konferenzzentrum.
Die Entwicklung des Parks soll in drei Jahren abgeschlossen sein, und man rechnet mit Gesamtinvestitionen in Höhe von 200 Milliarden NT$ (4,76 Millarden Euro). Trotz der umfangreichen Investitionen von Acer in dieses Projekt besteht das Ziel nicht einfach nur in der Steigerung der Firmengewinne, sondern auch in der Schaffung eines Umfeldes, das allen künftigen Generationen von Forschern und Erneuerern Taiwans zu Gute kommt. Neben Acer haben auch andere Forschungsteams die Arbeit im Forschungskomplex des Aspire-Parks aufgenommen, darunter K-Best Technology Inc., ein Hersteller von Mikrowellensendern, -empfängern und kombinierten Sende- und Empfangsgeräten; Canons Halbleiter-Geschäftsgruppe und das Entwicklungszentrum der Digital-Kreativindustrie der National Chiao Tung University. Hersteller wie AU Optronics Corp., der drittgrößte Hersteller von TFT-LCDs der Welt, sind ebenfalls in der Industriezone des Parks tätig geworden. Bei der offiziellen Grundsteinlegung des Parks sagte Acers Vorsitzender und Generaldirektor Stan Shih(施振榮), Acer sei nur ein Gärtner, die Früchte müssten von allen geteilt werden.
Shih päppelt das Pflänzchen der Innovation, seit er und ein paar Freunde im Jahre 1976 eine Million NT$ (nach heutigem Umtauschkurs 23 800 Euro) zusammenlegten und eine Firma namens Multitech International Corp. gründeten, um Taiwans Mikrocomputer- und Mikroprozessor-gestützte Technologie nutzbar zu machen. Mit elf Mitarbeitern war Multitech innerhalb der Branche ein winziger Betrieb, verfügte jedoch durch den technischen Hintergrund seiner Gründer über ein starkes Forschungs- und Entwicklungsteam. Innerhalb von drei Jahren nach der Gründung entwarf die Firma Taiwans ersten in Massenproduktion für den Export hergestellten Computer. Nach weiteren drei Jahren trumpfte Multitech mit dem MicroProfessor-II auf, Taiwans erstem 8-bit-Computer, und noch einmal vier Jahre später wurde IBM mit 32-bit-PCs überholt.
Mit der finanziellen Unterstützung eines örtlichen Unternehmers eröffnete Multitech im Jahre 1981 seinen Fertigungsbetrieb im Wissenschaftspark Hsinchu. Mehrere Jahre lang arbeitete Multitech als ODM-Auftragsnehmer, dessen selbst entwickelte Produkte unter anderen Markennamen verkauft wurden. Erst 1987, als Multitech zu Acer wurde, begann der Vertrieb der Erzeugnisse unter eigenem Markennamen, und nach Jahren exzessiven Wachstums ist daraus die achtgrößte PC-Marke der Welt geworden.
Die rasante Ausdehnung auf globale Märkte bremste nicht Acers Bemühungen bei Innovation, Forschung und Entwicklung. Im Jahre 1991 beispielsweise wurde die “chip up”-Technologie eingeführt -- die erste 386 zu 486-Einzelchiplösung der Welt, die eine bequeme Aufrüstung des CPU mit einem schnelleren Prozessor gestattete, und in der Folgezeit wurde die Technologie in Lizenz an Dutzende andere Firmen vergeben, unter ihnen Intel. 1994 lancierte das Unternehmen dann den weltweit ersten dualen Intel-Pentium-PC. Diese innovativen Produkte wurden ebenso wie die Marke Acer auf dem internationalen Markt bekannt und brachten der Firma viele Preise aus dem In- und Ausland ein. So wurde Acer etwa seit 1999 sechs Mal in Folge von Reader's Digest zur Gold-Computer-Supermarke in Asien gekürt.
All die Jahre beschränkten sich Acers Innovationen nicht nur auf Produkte, sondern deckten auch andere Aspekte wie die Organisation der Verkaufskanäle ab. 1985 wurde zum Beispiel Acer-Land gegründet, Taiwans erste und größte Franchise-Computerverkaufskette. Im Unternehmen ergaben sich jedoch Konflikte zwischen den Geschäftszweigen Herstellung und Markenförderung, als Acers eigene Produkte mit denen konkurrierten, die im Auftrag für andere Firmen wie IBM oder Dell gefertigt wurden. Die Lösung wurde in der Aufteilung in zwei Unternehmen gefunden -- Acer, eine Markenfirma, die sich auf die globale Vermarktung ihrer Markenprodukte und e-Businesslösungen konzentriert; und Wistron Corp., eine unabhängige Design- und Herstellungsfirma für Informationstechnologie, die ursprünglich die Design- und Fabrikations-Geschäftseinheit von Acer war. Während Wistron auf diese Weise immer noch viele Acer-Geräte herstellt, kann Acer ungebunden Hardware bei Wistrons Konkurrenten bestellen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Acer-Produkte noch zu erhöhen.
Es stellte sich heraus, dass die Umstrukturierung einen tiefgreifenden Einfluss auf das Forschungs- und Entwicklungserbe des Unternehmens hatte, das seit der Gründung von Multitech herangereift war. “Man war sich damals einig, dass Wistron für Design und Herstellung die Unterstützung eines starken Forschungs- und Entwicklungsteams benötigen würde, aber eine Markengestaltungsfirma würde wahrscheinlich ohne so ein Team auskommen können”, erläutert R. C. Chang. “Es wurde also beschlossen, dass Wistron das gesamte ursprüngliche Forschungs- und Entwicklungspersonal von Acer bekäme und Acer gar nichts.” Als Folge davon hatte Acer nach der Trennung im Jahre 2001 über ein Jahr keine Mitarbeiter für Innovation oder Forschung und Entwicklung.
Der Nachteil dieses Schrittes wurde schnell erkennbar. “Ohne eine eigene Innovationskapazität könnte es passieren, dass wir letzten Endes nur verkaufen, was unsere Zulieferer bieten können, und nicht die Produkte, die nach unserer Überzeugung den besten Wert für die Kunden haben”, sinniert Chang. “Noch riskanter dabei ist, dass wir ohne unsere eigene Forschung und Entwicklung den Zulieferern noch nicht einmal klarmachen können, wie Produkte mit dem besten Wert aussehen sollten.”
Chang fügt hinzu, dass die von einer Markenfirma angestrebten Innovationen anders sind als die Innovationen, die ein Hersteller will. Bei einem Hersteller wären Innovationen eher “technologiezentriert”, man baut also kleinere, leichtere und leistungsfähigere Maschinen oder verbessert die “Nahrungskette” für den Aufbau einer effizienteren Montage, Verwaltung und eines effizienteren Marketingsystems, was die Gewinne steigert. Doch als Markenfirma müssen Acers Innovationen mehr auf den Verbraucher ausgerichtet sein, daher rief Acer Anfang 2002 im Aspire-Park ein neues Innovationsteam ins Leben.
Kapital war kein Problem -- Acer stattete das neue Team mit einem Fünfjahresetat in Höhe von einer Milliarde NT$ (23,8 Millionen Euro) aus. Schwieriger war es da schon, das “menschliche” Kapital aufzutreiben, besonders Forscher auf Einstiegsniveau. In den Augen von Acer war das Personal für Innovationen immer eine Angelegenheit von großer Bedeutung. Selbst als Acer noch Multitech war, gründete Shih ein Mikroprozessor-Schulungszentrum, wo etwa 3000 Ingenieure in den Grundlagen von mikroprozessorgestütztem Design ausgebildet wurden, und legte damit das Fundament für das Informationstechnologie-Gewerbe der Insel. Offenbar haben sich die Dinge aber ein wenig geändert. “Den hochrangigen Forschern bieten wir die Vision unserer Firma, und sie sind bereit, ein Stück weit Opfer zu bringen und bei der Realisierung dieser Vision zu helfen”, lobt Chang, der das Team organisierte. “Doch jungen Forschungseinsteigern ist es in der Regel wichtiger, eine Stelle in der Nähe ihres Wohnortes zu finden, als zu einer Vision beizutragen.”
Das Standortproblem des Aspire-Parks, der 50 Autominuten von Taipeh entfernt liegt, konnte dank des Nationalen Wehrersatzdienst-Systems gelöst werden, das Wehrpflichtigen gestattet, anstelle des regulären Wehrdienstes vier Jahre lang gemäß ihren Interessen oder ihrem Fachbereich in Privatunternehmen dafür vorgesehener Branchen “Ersatzdienst” zu leisten. Acer machte in den Universitäten Werbung und konnte mit Erfolg ausreichend Leute rekrutieren.
Das neue Innovationsteam besteht aus rund 60 Forschern. Aus der Überzeugung heraus, dass der Wettbewerbsvorteil der Firma in Service und Innovation liegt, hat das Team zwei Einheiten für die Arbeit an Produkten und Dienstleistungen. “Unsere Mission hier besteht darin, die Hindernisse zwischen Menschen und Technologie zu überwinden, indem wir Produkte und Dienstleistungen entwickeln, die wirklich den Bedürfnissen und Wünschen der Kunden gerecht werden”, teilt Chang mit. “Und während wir für unsere Kunden einen höheren Wert schaffen, wollen wir die zusätzlichen Kosten so gering wie möglich halten.”
Unterdessen ist die Dienstleistungs-Innovationseinheit mit “MegaMicro e-Enabling Services” auf den Plan getreten, was auf Stan Shihs Idee einer Mega-e-Infrastruktur und Mikro-e-Dienstleistungen aufbaut. “Wir haben festgestellt, dass viele der kleinen und mittleren Unternehmen in Taiwan Geld in Server investiert haben, sich aber keinen MIA (Mobile Information Agent) leisten können, um den Server zu verwalten”, enthüllt Chang. “Es ist eine Schande, dass diese Server als PCs benutzt werden, daher bietet Acer den erforderlichen Service an, damit sie das tun können, wozu sie gebaut wurden.”
Acers MegaMicro e-Enabling Services entsprechen denen, mit denen IBM Neuland erschloss, aber Acers Konzept unterscheidet sich von IBM insofern, als es eine komplette e-Business-Infrastruktur in seinem “e-Enabling Data Center” im Aspire-Park einrichtet und beliebte Anwendungen wie Fern-Email, Web-Hosting und gesicherten Internetzugang für eine geringe Monatsgebühr verkauft. Und während sich IBM auf den Verkauf maßgeschneiderter Lösungen an große Unternehmen konzentriert, sind Acers Zielgruppe kleine und mittlere Unternehmen und außerdem einige Heimanwender.
Die Produktinnovations-Einheit kann ebenfalls gute Ergebnisse vorweisen. Die jüngsten Acer-Laptops zum Beispiel sind mit einem “e-Schlüssel” ausgestattet, mit dem der Benutzer bequem auf häufig gebrauchte Funktionen zugreifen kann. Das Team hat zudem eine Lösung entwickelt, durch welche sich die Betriebsdauer eines Laptops um 20 bis 25 Prozent verlängern lässt. Laut Chang möchte jeder Hersteller eine längere Betriebsdauer für seine Produkte, und der Schlüssel dazu liegt in der Hardware -- entweder stärkere Batterien oder schwächere Prozessoren. Acer schrieb dagegen für eine effizientere Stromnutzung die Software um. “Stärkere Batterien erhöhen die Kosten, schwächere Prozessoren sind für die Kunden unannehmbar”, weiß Chang. “Mit einer neuen Software kann man auch ohne die Nachteile das Ziel erreichen.” Diese neue Software -- von Acer “ePower Management” genannt -- wird bei Acers neuesten Laptopmodellen eingesetzt.
Acer machte seine ersten Schritte als ein von Ingenieuren gegründetes Unternehmen und wurde dann Taiwans erste Markenfirma im Informationstechnologie-Gewerbe. Acer hat immer anerkannt, dass auch eine kleine Innovation ein Geschäft hervorbringen kann. Viele denken, dass der erfolgreichste Teil von Acers Philosophie darin bestand, nicht an den Profit zu denken. In erster Linie war Acers Triebfeder Innovation und das Bestreben, Taiwan zu einem Markennamen zu machen, der nicht für billige OEM-Herstellung bekannt ist, sondern für innovative und begehrenswerte Produkte.
“Der Aufbau einer Marke ist eine Herausforderung, und der Schlüssel dazu sind Innovation plus Talent”, versicherte Shih in diesem Jahr gegenüber ausländischen Medien. “Die Gesellschaft braucht mich nicht, um bereits Verfügbares zu vervielfältigen. Wenn die Leute ein neues Radio haben wollen, sollte man ihnen etwas geben, was sie nicht schon haben.” So hat Shih sich schon mehrmals geäußert, am denkwürdigsten vielleicht mit dem Titel seines 1996 erschienenen Bestsellers “Ich-auch ist nicht mein Stil”.
(Deutsch von Tilman Aretz)