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Mehr Möglichkeiten als je zuvor

28.06.2005
Kao Chia-chuen, Universitätsprofessor: "Deutsche Studierende können in Taiwan auf Englisch promovieren."

Taiwanische und deutsche Bildungsorganisationen wollen den ohnehin schon regen akademischen Austausch miteinander weiter intensivieren.

Bei internationalen Beziehungen und besonders bei der Zukunft von Beziehungen zwischen Ländern spielt Bildungsaustausch seit jeher eine bedeutende Rolle. Jungen Taiwanern und Deutschen bieten sich heute vielfältige Möglichkeiten, sich im anderen Land weiterzubilden und das Land und seine Kultur dabei kennen zu lernen.

Während junge Taiwaner bereits seit Jahrzehnten nach Deutschland gehen, um dort in Fächern wie Jura, Musik, Kunst, Maschinenbau, Architektur, Medizin und anderen ein Studium zu absolvieren, ist in Taiwan das Angebot für Deutsche seit den neunziger Jahren beständig erweitert worden. Vorher kamen überwiegend junge Sinologen auf die Insel, angelockt vom guten Ruf der Sprachkurse für Mandarin-Chinesisch auf Taiwan, doch für Studierende anderer Disziplinen stellte die Sprachbarriere eine nur schwer überwindliche Hürde dar. Heute können deutsche Studierende aber auch ohne Chinesischkenntnisse zahlreiche Studienangebote auf Taiwan nutzen.

Ein guter Einstieg ist dabei das 2000 zwischen dem Nationalen Wissenschaftsrat (National Science Council, NSC) und dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) vereinbarte Sommerinstitut-Programm, das im Sommer 2001 anlief und bei dem jedes Jahr in den Semesterferien zehn taiwanische und zehn deutsche Studenten für zwei Monate mit Kurzstipendien ausgetauscht werden. "Seit 2004 versucht der DAAD die Studierenden nicht nur in die Institute an den Unis zu schicken, sondern auch in die Industrie", berichtet Kao Chia-chuen, Professor an der Abteilung für Hydraulik und Ozeanbau der staatlichen Cheng Kung University in Tainan (Südtaiwan). "Die in die Industrie gehen, machen anstatt 2 Monaten Studium 3 Monate Praktikum." Kao, der nach seiner Promotion an der Universität Hannover im Jahre 1983 nach Taiwan zurückkehrte, war vom NSC mit der Ausführung des Programms beauftragt worden.

Das Programm wendet sich auf deutscher Seite an Studierende der Fachbereiche Informatik, Elektro- und Kommunikationstechnik sowie Maschinenbau mit abgeschlossenem Grundstudium und bei den Taiwanern an Doktoranden aller technischer Fachrichtungen, die vom DAAD u. a. ans Max-Planck-Institut, das Fraunhofer-Institut oder ähnliche Einrichtungen vermittelt werden. "Es ist ein wirklich gutes Programm, um das andere Land kennen zu lernen", lobt Dr. Stefan Rummel, Direktor des DAAD-Informationszentrums in Taipeh. "Die Deutschen, die in Taiwan waren, waren restlos begeistert und wollten alle mal wiederkommen in irgendeiner Form."

Die Resonanz auf das Programm war auf deutscher Seite so gut, dass der Direktor der Wissenschaftsabteilung der Taipeh-Vertretung in der Bundesrepublik Deutschland, Dr. Hu Chang-tze, vorschlug, mehr deutsche Studenten anzunehmen. Der NSC und der DAAD einigten sich daraufhin auf eine Erweiterung des Programms von 10 Personen im Jahr auf 20.

Während das Sommerinstitut-Programm hervorragend dazu geeignet ist, einen ersten Eindruck vom Partnerland zu vermitteln, stehen denjenigen, welche die Eindrücke vertiefen möchten, auf höherer Ebene weitere Programme offen. Eines dieser weiteren Angebote ist das so genannte "Sandwich-Programm", bei dem jedes Jahr bis zu 30 taiwanische Doktoranden, die bereits mit der Forschung für ihre Doktorarbeit begonnen haben, 6 bis 18 Monate lang an einer deutschen Forschungsinstitution des betreffenden Bereichs forschen können und dann zur Vollendung ihrer Promotion nach Taiwan zurückkehren. Der DAAD übernimmt dabei die Finanzierung der zweimonatigen Sprachausbildung am Goethe-Institut, die am Beginn des Forschungsaufenthaltes in Deutschland steht.

Im Februar 1997 unterzeichneten der NSC und der DAAD ein Abkommen über das "Programm für projektbezogenen Personenaustausch" (PPP), das den Austausch von Personal zwischen taiwanischen und deutschen Laboratorien und anderen Forschungseinrichtungen fördern soll. Im Rahmen dieses Austausches sollen die ausländischen Gäste bei ihren Besuchen von 2 bis 12 Wochen Dauer gemeinsam mit den Fachleuten des Gastgeberlandes arbeiten und im gelehrten Diskurs Erfahrungen mit ihnen austauschen. Das Programm steht auch Jungforschern offen, die ihre Promotion noch nicht abgeschlossen haben und so Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Forschungsteams des anderen Landes sammeln können. Die vom PPP gebotenen Finanzhilfen beschränken sich allerdings auf die Reise- und Lebenserhaltungskosten und schließen die Projektkosten nicht mit ein. Langfristig besteht das Ziel in der Entstehung dauerhafter Zusammenarbeit zwischen taiwanischen und deutschen Forschungsinstitutionen.

Ein wichtiger Meilenstein beim Bildungsaustausch zwischen Taiwan und Deutschland war die Unterzeichnung eines bilateralen Bildungsabkommens zwischen der deutschen Hochschulrektorenkonferenz und drei taiwanischen Hochschulverbänden am 17. März dieses Jahres in Taipeh. Ein zentraler Punkt des Abkommens ist die gegenseitige Anerkennung von Studienabschlüssen und Diplomen. "Die Anerkennung von Abschlüssen war zwischen Taiwan und Deutschland früher immer problematisch", berichtet Prof. Kao. "Das war das Haupthindernis beim Bildungsaustausch."

Neben der Beseitigung dieses Hindernisses eröffnet das Abkommen taiwanischen Interessenten außerdem neue Möglichkeiten: "Beim Hochschulabkommen ist der Doktor der Musik interessant, der vorher in Deutschland nicht möglich war", bemerkt Dr. Rummel. Auf diese Weise sind deutsche Musikhochschulen für Taiwaner attraktiver geworden, denn früher konnten Taiwaner nach einem Musikstudium in Deutschland keinen Doktor vorweisen und hatten dadurch bei der Bewerbung für Professuren an taiwanischen Unis schlechte Karten.

Dieses Abkommen könnte wegen der Erleichterung des Bildungsaustausches vielleicht auch dem Trend entgegenwirken, dass der Anteil von Taiwanern, die ein Auslandsstudium anstreben, seit Jahren sinkt. Für diesen Rückgang gibt es mehrere Gründe. An erster Stelle ist die immer höhere Qualität der Ausbildung in Taiwan zu nennen. Auf der ganzen Insel gibt es heute laut Statistiken des Bildungsministeriums über 140 Universitäten und Colleges, und für junge Taiwaner, die eine gute Ausbildung wollen, ist der Gang ins Ausland jetzt nicht mehr die einzige Option. Zugleich hat sich auch gezeigt, dass eine Promotion im Ausland anders als früher heute nicht mehr eine Garantie für eine Professur im Inland ist. Nicht zu unterschätzen ist zudem der Faktor Bequemlichkeit, da aufgrund der Sprachbarriere zumindest die Anfangsphase eines Studienaufenthaltes im fremdsprachigen Ausland kein Zuckerschlecken ist. "Die taiwanischen Studenten sind heute nicht mehr so belastbar wie früher", interpretiert Prof. Kao.

Dabei sind die Bedingungen für ein Studium im Ausland durch vielfältige Fördermöglichkeiten heute so günstig wie nie zuvor. "Vor 20 Jahren gab es nur Stipendien für ein Vollstudium", erinnert sich Prof. Kao. Aufgrund des Angebots verschiedener Kurzstipendien wie Sommerinstitut-Programm, Sandwich-Programm oder PPP haben Taiwaner bei der Planung ihrer Ausbildung größere Flexibilität.

Auf der anderen Seite leistet Deutschland nach Prof. Kaos Ansicht allerdings auch nicht genug Werbearbeit. "Verglichen mit den Deutschen machen die Franzosen und Engländer sehr viel Werbung", enthüllt er. "In den letzten Jahren haben auch die Australier sehr stark Werbung gemacht, deswegen fahren heutzutage sehr viele Studenten nach Australien." Die deutschen Unis haben gegenüber den Schulen in anderen Ländern den wertvollen Vorteil fehlender Studiengebühren, der von Deutschland laut Kao jedoch nicht ausgenutzt werde. Rückkehrer wie Prof. Kao können natürlich in ihrem Umfeld mit dem positiven Beispiel ihrer persönlichen Erfahrung für Studienaufenthalte in Deutschland werben und werden damit quasi zu Multiplikatoren, doch insgesamt können damit nur begrenzte Erfolge erzielt werden.

Eines der Werkzeuge für verstärkte Werbung ist die europäische Bildungsmesse EHEF (European Higher Education Fair), die seit 2002 jedes Jahr in Taipeh stattfindet. "Die Besucherzahlen bei der Messe steigen stetig, beim letzten Mal waren 6000 Besucher da", sagt Dr. Rummel und ergänzt: "Der wichtigste Inhalt der Bildungsmesse ist, das Studium in Europa vorzustellen und die Möglichkeiten für taiwanische Studenten zu vermitteln." Als Repräsentant des DAAD in Taiwan setzt Dr. Rummel sich bei der EHEF natürlich besonders für die Vertretung des Studienstandortes Deutschland ein und fördert bevorzugt Bereiche, in denen Deutschland Bedarf hat, etwa Naturwissenschaften.

Die Wirkung der EHEF wird indes dadurch beeinträchtigt, dass das Interesse von Deutschlands Universitäten an der Bildungsmesse laut Dr. Rummel nicht optimal sei. "Der Grund dafür ist, dass die meisten Unis sagen, 'wir haben schon direkte Kontakte mit Unis hier geschlossen', daher lohnt es sich für sie nicht, einen Stand auf der Messe aufzumachen", meint Dr. Rummel. Gerade im Sprachbereich (taiwanische Germanisten, deutsche Sinologen) gibt es mehrere Beispiele für Kooperation zwischen Universitäten beider Seiten -- so arbeiten etwa die Tamkang-Universität im Landkreis Taipeh und die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn zusammen, und ähnliche Verbindungen bestehen zwischen der Fu Jen Catholic University im Landkreis Taipeh und der Philipps-Universität Marburg. Laut Dr. Rummel besteht an taiwanischen Hochschulen ein großes Interesse an Kooperation mit deutschen Universitäten.

Ein nicht zu unterschätzendes praktisches Problem beim Bildungsaustausch stellt die Beschaffung einer bezahlbaren Unterkunft in Taipeh dar. "Im Sommerinstitut-Programm bekommen die Studenten ein Stipendium in Höhe von 920 Euro im Monat, aber bei der Academia Sinica zahlen die Studenten allein für die Unterkunft schon die Hälfte", seufzt Prof. Kao. Wegen der Unterkunftsprobleme kann Prof. Kao seit letztem Jahr keine deutschen Studenten zur renommierten National Taiwan University (NTU) in Taipeh mehr schicken. Glücklicherweise ist die Lage in anderen taiwanischen Städten weniger prekär, und dass Prof. Kao Gaststudierende an Hochschulen in Tainan, Hsinchu, Chiayi, Chungli und anderen Unis der Insel unterbringen kann, kommt seinem Wunsch entgegen, den deutschen Gästen eine vielfarbige Unilandschaft zu bieten.

Übrigens macht die Suche nach Unterkünften auch den deutschen Gastgebern zu schaffen. Besonders schwierig ist es, wenn die Stipendiaten wie etwa die Teilnehmer am Sommerinstitut-Programm nur wenige Monate in Deutschland bleiben. "Der DAAD hat sich sehr viel Mühe gegeben, nicht nur bei der Platzierung in Instituten, sondern auch bei der Unterkunft", lobt Prof. Kao.

Mehr Möglichkeiten als je zuvor

Dr. Stefan Rummel, Direktor des DAAD-Informationszentrums in Taipeh, über das Sommerinstitut-Programm: "Es ist ein wirklich gutes Programm, um das andere Land kennen zu lernen."

Übrigens wird sowohl in Taiwan als auch in Deutschland energisch daran gearbeitet, die Zahl englischsprachiger Studienprogramme zu erhöhen, damit Taiwaner nicht erst Deutsch und Deutsche nicht Chinesisch lernen müssen, um im Partnerland studieren zu können. "In den Ländern der EU sind beim Bildungssystem viele Änderungen im Gange", weiß Prof. Kao. "Über 200 Programme werden auf Englisch gegeben." Innerhalb der EU ist außerdem heute eine beispiellose Mobilität möglich, da über das europäische Scheinübertragungssystem (European Credit Transfer System, ECTS) Studiennachweise aus EU-Ländern anerkannt werden. "Ein Student kann ein Semester in Italien studieren und bekommt seine Punkte angerechnet", wirbt Dr. Rummel.

In Taiwan geht der Trend ebenfalls in Richtung mehr englischsprachige Programme. Obwohl das Angebot oft noch nicht ausreicht, um ein komplettes Studium auf Englisch zu absolvieren, können nach Taiwan kommende Deutsche immerhin an zahlreichen englischsprachigen Programmen teilnehmen. "Deutsche Studierende können in Taiwan auf Englisch promovieren", lockt Prof. Kao. "Mehr als die Hälfte der Professoren kann heute gut Englisch."

Die Zukunft des Bildungsaustausches zwischen Taiwan und Deutschland soll mit neuen Programmen bereichert werden, die teilweise über den bilateralen Rahmen hinausgehen. Besonders spannend ist dabei die Erweiterung bilateraler Seminare, die 1997 und 1999 stattfanden, auf trilaterale Seminare, an denen auch festlandchinesische Wissenschaftler beteiligt sind und die vom NSC und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt werden. Die erste Runde der trilateralen Seminare fand 2002 in Rostock statt, die zweite Runde 2004 in Nanjing (Provinz Jiangsu, VR China), und 2006 erwartet Prof. Kao 15 Deutsche und 15 Festlandchinesen in Tainan.

Im internationalen Rahmen bewegt sich ein vom Rat für Wirtschaftsplanung und entwicklung (Council for Economic Planning and Development, CEPD) koordiniertes Eliteprogramm, mit dem in den kommenden drei Jahren rund eintausend Taiwaner mit Stipendien zum Studium ins Ausland geschickt werden sollen, unter anderem auch nach Deutschland. 2005 hat das Programm ein Budget von 450 Millionen NT$ (11,25 Millionen Euro), der Schwerpunkt liegt auf naturwissenschaftlichen Fächern wie Nanotechnologie, Optoelektronik, Biotechnologie und anderen, doch wie Bildungsminister Tu Cheng-sheng(杜正勝) betonte, sollten Geisteswissenschaften dabei nicht vernachlässigt werden.

Dank der vielfältigen Austauschprogramme und der zunehmenden Zahl englischsprachiger Angebote werden Taiwans Universitäten für deutsche Studierende immer attraktiver. Studienaufenthalte im Ausland hält Prof. Kao aber nicht nur wegen der dabei vermittelten fachlichen Ausbildung für unersetzbar, sondern vor allem aufgrund der Chance, im Ausland neue Ideen, Kulturen und Lebensarten, Arbeitsweisen und Forschungsarten kennen zu lernen. "Das Wort 'Erziehung' beschränkt sich nicht auf Ausbildung in bestimmten Techniken", definiert er. "Meinungen und Lebensart gehören auch dazu." Taiwan hat da für Deutsche eine Menge zu bieten. "Taiwan ist ein freies Land, und man kann gut die chinesische Kultur kennen lernen", findet Kao.

Prof. Dr. Max G. Huber, Physikprofessor an der Universität Bonn und seit 1996 Vizepräsident des DAAD, lobt die exzellente Zusammenarbeit zwischen beiden Seiten, aber auch er möchte den Wert des Bildungsaustausches nicht auf bestimmte Fächer einengen. "Die Zusammenarbeit wird immer wichtiger, weil wir immer stärker global vernetzt sind", erklärt Prof. Huber. "Wir haben gleiche Probleme, Umweltschutz, Gesundheit, Nahrung. Wenn wir da zusammen arbeiten, können wir diese Probleme besser und schneller lösen."

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