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Veränderungen im Hörsaal

28.06.2005
An der NCCU absolvieren rund 250 Ausländer diplomierte Studiengänge.

Eine taiwanische Universität geht auf internationale Studierende zu.

Weil Englisch nach wie vor seinen Status als lingua franca in der Welt behauptet und immer mehr Menschen Reisemöglichkeiten nutzen, haben mehrere taiwanische Universitäten die Initiative ergriffen und starteten speziell auf die Bedürfnisse ausländischer Studierender zugeschnittene Programme. Auf der internationalen Bühne steht die National Chengchi University (NCCU) in direktem Wettbewerb mit Bildungseinrichtungen aus der ganzen Welt.

"Mit Harvard oder so können wir zwar wohl nicht konkurrieren, aber wir kennen unsere Position und haben unsere Vorteile", behauptet Carol Lin, Direktorin des Zentrums für internationale Bildung und Austausch (Center of International Education and Exchange, CIEE) der NCCU. "Wir bieten etwas, was es an Unis anderswo nicht gibt."

Die Diversifizierung höherer Bildung in Taiwan ist Bestandteil einer breiteren Strategie zur Erhöhung des Niveaus im ganzen Land. Die Regierung ermuntert die Studierenden nicht nur zu einem Auslandsstudium, sondern unterstützt auch lokale Hochschulen, um ein internationaleres Studienumfeld aufzubauen. Größere Kooperation und Austausch, allgemein verbesserte Fremdsprachenkenntnisse und mehr ausländische Studierende nach Taiwan holen gelten als die besten Methoden, dieses Ziel zu erreichen.

Die NCCU war eine der ersten Universitäten Taiwans, welche die Herausforderung annahm und entsprechend handelte. Im Jahre 2000 initiierte das Handels-College der NCCU ein in englischer Sprache unterrichtetes Programm, bei dem eine Klasse mit vierzig Studierenden im ersten Studienjahr zusätzlich zum regulären Unterrichtspensum ein Jahr intensiven Englisch-Sprachunterricht erhielt. Die Studierenden mussten für ihr Diplom 42 Semesterwochenstunden von mit Leistungsscheinen bewerteten Kursen, die auf Englisch unterrichtet worden waren, nachweisen. "Der Zweck des Programms besteht darin, sie zum Lernen und zur Kommunikation in einer Fremdsprache zu drillen, damit sie für weiterführende Studien oder auf dem Arbeitsmarkt besser qualifiziert sind", erläutert Lin. Zwar bekamen die Studierenden nicht mehr als ein Zertifikat, doch das Programm erwies sich als so beliebt, dass sich die Zahl der daran teilnehmenden Studenten verdoppelt hat.

Im Herbst 2001 initiierte die NCCU ein Magisterprogramm für internationale Geschäftsverwaltung (International Master of Business Administration, IMBA), das einheimischen Studierenden durch den Kontakt mit ausländischen Kommilitonen nützen soll. Es war Taiwans erstes Programm, in dem alle Kurse auf Englisch unterrichtet wurden und die 20 einheimischen und 20 ausländischen Studierenden die volle Anerkennung mit Diplomen erhielten.

2003 bot die Uni mit ihrem internationalen Magisterprogramm in Taiwanstudien eine Weltneuheit. Im Herbst dieses Jahres soll ein Programm für Chinastudien beginnen, und ein internationales Kommunikationsprogramm ist für 2006 vorgesehen.

Anders als Wirtschaftsprogramme haben Taiwanstudien zweifellos einen deutlichen Wettbewerbsvorteil hier. Die NCCU untersucht Taiwans kompliziertes gesellschaftliches Milieu auf eine breitgefächerte interdisziplinäre Weise, wie man sie woanders kaum finden würde. Das Chinastudien-Programm, das sich auf Chinas ökonomische, kulturelle, politische und soziale Entwicklung konzentriert, betont die internationalen Einflüsse auf Chinas Aufstieg zur Großmacht. Die Stärke des IMBA-Programms beruht in seiner Grundlage asiatischer Inhalte und Taiwans einzigartiger Erfahrung mit kleinen und mittleren Unternehmen sowie der Hightech-Industrie.

Während die Graduiertenprogramme aus unterschiedlichen Gründen gestartet wurden, laufen sie alle nach dem gleichen Prinzip -- die teilnehmenden Studierenden sind jeweils zur Hälfte Einheimische und Ausländer, um die Studierenden voll zu integrieren. Die Einheimischen müssen sich schriftlichen Prüfungen und mündlichen Interviews unterziehen, während die Ausländer ihren Antrag lediglich von einem Zulassungskomitee prüfen lassen müssen.

Zusätzlich zu den Postgraduiertenprogrammen bietet die NCCU internationalen Studierenden auch ein Bachelorprogramm, das sich überwiegend an Empfänger des Taiwan-Stipendiums wendet -- ein fünfjähriges Stipendium für Bürger aus den diplomatischen Partnerländern Taiwans, gemeinsam finanziert vom Bildungsministerium und Außenministerium. Da die Stipendienempfänger aus wirtschaftlich weniger entwickelten Ländern kommen, empfiehlt die NCCU den Teilnehmern praktischere Hauptfächer wie Kommunikationswissenschaften oder Betriebswirtschaft.

Veränderungen im Hörsaal

Da geht's lang. Die NCCU bietet ein ausländerfreundliches Umfeld.

Die Verfügbarkeit von Lehrern, die auf Englisch unterrichten können, ist eine wesentliche Voraussetzung zum Anlocken von Studierenden. In diesem Bereich hat die NCCU relativ wenig Probleme. Viele Professoren an der NCCU haben Lehrerfahrung im Ausland und erhalten zudem finanzielle Anreize, um auf Englisch zu unterrichten.

Für die meisten Lehrer, die sich die Mühe zu machen bereit sind, spielt Geld indes keine Rolle -- weiterhin fließend zu zweisprachigem Unterrichten in der Lage zu sein, ist eine lohnende Investition in die Karriere. Eine Ergänzung für das Kontingent engagierter einheimischer Lehrer ist der stetige Zustrom von Austauschprofessoren und Gastgelehrten von befreundeten Unis aus der ganzen Welt. Zur Zeit werden über 100 Kurse auf Englisch unterrichtet, und innerhalb von drei bis fünf Jahren rechnet man mit einer Verdopplung dieser Zahl.

Allerdings braucht man zur Schaffung eines ausländerfreundlichen Umfeldes mehr als nur gewandte und umfassende Sprachkenntnisse. Zum Beispiel müssen die gesamte Beschilderung und die Bekanntmachungen auf dem Uni-Gelände zweisprachig sein. Um die internationale Zusammenarbeit zu verbessern, internationale Studierende anzuwerben und ihnen bei der Anreise nach Taiwan zu helfen, richtete die Uni vergangenes Jahr das CIEE ein. Das Bildungsministerium wählte die NCCU als Institution mit dem ausländerfreundlichsten Umfeld aus. "Die Leute sind überrascht, dass hier sogar das Personal, das die Post bearbeitet, Englisch spricht", prahlt Lin.

Neben engagierten Lehrern und unterstützenden politischen Maßnahmen spielte bei der Förderung internationaler Programme Geld immer eine große Rolle. Das CIEE ist zuständig für Förderbudgets, und das Handels-College bezahlt Lehrer der Englischabteilung extra für Englisch-Intensivkurse. Die Mittel für diese Zusatzausgaben werden gewöhnlich außerhalb der Schule aufgetrieben. Zu den Hauptsponsoren der internationalen Programme gehören Privatunternehmen wie der Kultur- und Bildungsfonds des Halbleiterriesen TSMC (Taiwan Semiconductor Manufacturing Co.) und der Acer-Konzern, außerdem halbstaatliche Organisationen wie das Taiwan-Börsenunternehmen TSE (Taiwan Stock Exchange Corp.) und der Internationale Kooperations- und Entwicklungsfonds (International Cooperation and Development Fund, ICDF).

Geld spielt nicht nur für die Institutionen eine Rolle, die solche Programme unterhalten, sondern auch im hohen Maße für die beteiligten Studierenden. Die jährlichen Ausgaben eines ausländischen Studierenden für Studium und Lebenserhaltung in Taiwan werden auf 350 000 bis 450 000 NT$ (8750 bis 11 250 Euro) geschätzt. Um finanzielle Schwierigkeiten zu lindern und die Studierenden zu motivieren, kann man sich neben dem Taiwan-Stipendium auch für andere Stipendien bewerben. Alle Postgraduiertenprogramme akzeptieren außerdem Teilzeitstudenten, so dass diese ihre Arbeitsstellen behalten und dann abends oder an Wochenenden am Unterricht teilnehmen können.

Die Kosten einer taiwanischen Ausbildung sind zwar geringer als an den meisten westlichen Institutionen, dafür aber höher als an einer chinesischen Universität. Worin besteht denn neben dem linguistischen und akademischen Umfeld nun der Vorteil der NCCU gegenüber einer chinesischen Uni? Lin glaubt, dass aufgrund der unterschiedlichen wirtschaftlichen und politischen Systeme auf dem chinesischen Festland arbeitende oder studierende Ausländer mit der totalitären chinesischen Kultur schwer zurechtkommen. Taiwan hat dagegen eine kapitalistische, demokratische und vielfältige Gesellschaft, in der die Lebensweisen und Einstellungen denen im Westen ähneln, während die Sprachen und der historische Hintergrund viel mit China gemein haben. Taiwan stellt für ausländische Studierende also das Beste aus beiden Welten dar.

An der NCCU ergeben sich für ausländische Studierende wenige akademische Schwierigkeiten, doch bei der Anpassung ans tägliche Leben brauchen sie Hilfe. Die Suche nach einer passenden Unterkunft kann frisch eingetroffenen ausländischen Studierenden große Probleme bereiten. Wohnheime auf dem Unigelände stehen nur begrenzt zur Verfügung und sind von Vollzeitstudenten nach einem Semester zu räumen, daher müssen die meisten Studis außerhalb des Campus leben. Die NCCU baut nun neue Wohnheime, doch wahrscheinlich werden sie nicht für alle reichen.

Rund 250 ausländische Studierende aus über 40 Ländern sind an der NCCU für diplomierte Studiengänge eingeschrieben. Lin hofft, dass die ausländischen Studierenden eine Zuneigung für die Kultur und die Menschen Taiwans entwickeln. "Viele von uns, die in den USA studiert und gearbeitet haben, fühlen sich dem Land sehr verbunden", vergleicht sie. "Ich würde mich freuen, wenn die ausländischen Studierenden genauso über Taiwan denken."

(Deutsch von Tilman Aretz)

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