Das taiwanische Kuo-Kuang-Musiktheater bezauberte das Publikum in Starnberg mit klassischer chinesischer Honan-Oper.
Farbenpracht, Akrobatik, chinesische Musikalität und hohe Schauspielkunst -- all das zauberte die taiwanische Honan-Operntruppe in Lothar-Günther Buchheims "Museum der Phantasie" am Starnberger See. Der 88-jährige berühmte Museumsgründer, Zeichner, Kunstsammler und Buchautor ("Das Boot") war über den Auftritt hocherfreut. Die phantasievollen Kostüme und grellbunt geschminkten Gesichter der Schauspieler, die exotischen Klänge und Instrumente der Musiker passten nicht nur ideal zur Aura der Buchheimschen Kunstherberge, bei dem Weitgereisten riefen sie auch alte Erinnerungen wach. "Ich habe eine enge Beziehung zu Taiwan", erklärte Buchheim. "Schon 1972 habe ich dort gemalt". Der erste Besuch sei wunderschön gewesen, wenig später hätten dann aber schon "tüchtige Tourismusleute" viele Omnibusse zu früher ruhigen Plätzen dirigiert. "Da ist vieles verloren gegangen", sagte er.
Beim Besuch der Taiwaner in seinem Museum gab der Meister noch einen kurzen Exkurs in Kalligrafie. "Kalligrafie", erklärte Buchheim, "ist gleichzeitig Malerei, Symbolik und Schreibkunst etwas ganz Wunderbares." Wie man mit Kalligrafie auch bei hübschen Frauen etwas erreichen kann, zeigten die taiwanischen Opernkünstler im Stück "Tang Bo-hu wählt Chiu-hsiang". Tang Bo-hu (唐伯虎,1470-1523), ein berühmter Dichter und charmanter Frauenheld der Ming-Zeit (1368-1644), wurde vom weiblichen Bühnenstar des Ensembles, Wang Hailin(王海玲), gespielt. Blitzschnell pinselte "er" auf der Bühne mit roter und schwarzer Tusche Blüten und kunstvolle Schriftzeichen auf einen großen Zeichenblock. Die Gunst Chiu-hsiangs (gespielt von der großäugigen Schönheit Hsieh Wen-chi) waren Tang Bo-hu damit ebenso sicher wie ein Sonderapplaus des Publikums.
In einem zweiten Stück ("Chong Kui verheiratet seine Schwester") konnte die mimische Ausdrucksfähigkeit Wang Hailins, die vom Lincoln Center in New York als "beste asiatische Künstlerin" geehrt worden war, noch mehr genossen werden. Unvergesslich die virtuos gespielte Szene, wie sie als Schwester des grimmigen Geisterschrecks Chong Kui in einer Sänfte pantomimisch über Stock und Stein zu ihrer Hochzeit getragen wird.
Beide genannten Stücke wurden im Bürgerhaus Haar bei München von den über dreißig Bühnenkünstlern vollständig aufgeführt, auf der Bundesgartenschau in München-Riem gab es außerdem "Der schöne Affenkönig". Mit kühnen Sprüngen, Saltos und Flickflacks wirbelten die Schauspieler wie Zirkusakrobaten über die Bühnen. Der grimme Chong Kui (gespielt von Yin Ching-chin) sprang selbst mit dicken Holzpantoletten und einem ausladenden Kostüm noch einen Salto rückwärts.
Die chinesische Oper ist eine der großen Theatertraditionen der Welt. Dabei zählt die Holzklapper-Oper aus der Provinz Honan (nach einem alten Namen der Region auch Yu-Oper豫劇 genannt) zu den vier wichtigsten Formen. Sie wurde von dem Ensemble des Staatlichen Kuo-Kuang Musiktheaters aus Kaohsiung erstmals in Bayern aufgeführt. Wie Irene Wegner vom mitveranstaltenden Verein "Asia Intercultura" erläuterte, haben sich neben der erst im 18. und 19. Jahrhundert entstandenen Peking-Oper bis heute bodenständige Lokalopern erhalten. Von der Peking-Oper unterschieden sie sich vor allem durch die andersartigen Melodien, die auf dem Volksliedgut der jeweiligen Regionen basierten, und durch die verschiedenen Dialekte.
Die Klapperopern hatten sich bereits in der Ming-Zeit in Nordchina entwickelt. Ihren Namen verdanken sie den ursprünglich aus Dattelhölzern gefertigten Klanghölzern (bangzi梆子), mit denen die Aufführungen rhythmisch unterlegt werden. "Der chinesische Norden war wegen seiner Nähe zu den angrenzenden 'Barbarenstaaten' an kämpferische Auseinandersetzungen gewöhnt", erklärte Wegner. "Daher sind auch die dortigen Theatertraditionen martialischer angelegt als die lieblicheren Süd-Opern." Häufig sehr wild und ungestüm agierende Bühnengeneräle werden mit bunten Schminkmasken ausgestattet, die ihr Naturell hervorheben. Wegen der vielen Kampfszenen wartet die Honan-Oper mit zahlreichen akrobatischen Einlagen auf.
Bemerkenswert ist, wie sich auf Taiwan alte chinesische Traditionen erhalten haben und weiter entwickelt werden. Der erste Bericht über eine auf Taiwan aufgeführte Oper stammt aus dem Jahr 1624. Schon die frühen Einwanderer aus den südlichen Festlandprovinzen Guangdong und Fujian hatten ihre Musik- und Theatertraditionen mitgebracht. Als eigene Gattung hat sich die "traditionelle Taiwanoper"(歌仔戲) herausgebildet, die im taiwanischen Dialekt aufgeführt wird.
Mit den Opernkünstlern waren auch die Fan-Mei Tanzgruppe, das städtische Ballett von Kaohsiung sowie das Kultur-, Musik- und Tanzensemble Zuyun aus der zweitgrößten Stadt Taiwans nach Deutschland gereist, wo sie zunächst in Duisburg bei der Abschlussfeier der World Games auftraten. Zum Debüt der taiwanischen Bühnenkünstler in Bayern gehörte auch ein Auftritt der anmutigen Tänzerinnen im Starnberger Landratsamt, wo die "Tänze vom Lotussee" vorzüglich zum Gestade des Starnberger Sees passten. "Herz des Ozeans", der Titel einer weiteren Darbietung des Kaohsiunger Balletts, erinnerte freilich daran, dass der Pazifik noch ein bisschen größer ist.
Michael Leh, Jahrgang 1956, studierte
Geschichte, Germanistik und Politologie,
absolvierte in den achtziger Jahren ein
Volontariat beim Deutschlandmagazin
und arbeitet seitdem als Journalist,
etwa für den "Deutschen Ostdienst"
und die "Sudetendeutsche Zeitung".
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