Am 13. und 14. Mai fand in Göttingen die 38. Jahreshauptversammlung der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) statt. Die Versammlung, die auf eine Verschlechterung der Menschenrechtssituation in vielen Ländern und Regionen wie Sudan/Darfur, Irak, China/Tibet und anderen hinwies, verabschiedete auch eigens eine Resolution über China, Tibet und Taiwan. In der Resolution hieß es, ein von der Bundesregierung seit Jahren vorausgesagter demokratischer Wandel in der VR China sei ausgeblieben, Menschenrechte von Tibetern, Christen, Demokratiebewegung usw. würden mehr denn je zuvor verletzt; und Taiwans Sicherheit werde massiv bedroht. An Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde vor ihrer Chinareise am 21. Mai appelliert, die Aufhebung des EU-Waffenembargos gegen die VR China weiterhin konsequent abzulehnen und Menschenrechte zur Leitlinie der deutschen Chinapolitik zu machen.
Als Gastredner auf der Versammlung erklärte Taiwans Vertreter in Berlin Prof. Shieh Jhy-wey(謝志偉), dass Wirtschaftsaufstieg und Demokratisierung sein Land nicht vor der militärischen Bedrohung durch die VR China und dem Ausschluss aus der internationalen Gemeinschaft bewahren konnten. Prof. Shieh betonte, dass die Zukunft der Demokratie in Taiwan nur mit Unterstützung von außen gesichert werden könne.
Die militärische Bedrohung Taiwans durch die VR China und das Thema Waffenembargo waren auch Gegenstände eines Schreibens, das der Präsident von GfbV International und Generalsekretär von GfbV-Deutschland Tilman Zülch Ende März an Taiwans Staatspräsidenten Chen Shui-bian(陳水扁) geschickt hatte. Der 1939 im Sudetenland geborene Menschenrechtler begründete das energische Engagement der GfbV gegen eine Aufhebung des Waffenembargos damit, dass eine Aufhebung Taiwan durch Erhöhung der Spannungen in der Taiwanstraße gefährden würde. Zülch wies in seinem Brief außerdem dankend auf die Unterstützung von Taiwans Vertretungsbüros in Berlin und Hamburg für GfbV-Initiativen hinsichtlich Waffenembargo und das Anti-Abspaltungsgesetz der VR China hin.
In einem Glückwunschtelegramm zur Jahreshauptversammlung dankte Präsident Chen der GfbV für die Unterstützung von Taiwans Standpunkt. "Im Vorfeld des Beginns der Weltgesundheitsversammlung (WHA) hoffe ich, dass Ihre Gesellschaft auch weiterhin wie seit vielen Jahren ihre Aufmerksamkeit den Menschenrechten widmet und mit aller Kraft die Förderung der Aufnahme Taiwans in die WHO unterstützt", schrieb Chen. Taiwans Antrag auf Beobachterstatus in der WHA wurde trotz Unterstützung aus aller Welt auf Druck des kommunistischen Regimes in Beijing am 22. Mai zum zehnten Mal in Folge abgelehnt.
Die GfbV war 1970 aus der von Tilman Zülch und Klaus Guercke gegründeten Bürgerinitiative "Aktion Biafra-Hilfe" hervorgegangen und ist heute die zweitgrößte Menschenrechtsorganisation Europas. Die nichtstaatliche Organisation wird von der UN anerkannt -- sie hat Beraterstatus im Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) der UN und besitzt Rederecht vor UN-Gremien. 8000 Mitglieder und 20 000 Unterstützer leisten ideologisch und parteipolitisch unabhängige Menschenrechtsarbeit. Die düstere Menschenrechtssituation auf dem chinesischen Festland und die wachsende militärische Bedrohung Taiwans durch die VR China, die über 700 Raketen auf das demokratische Land auf der anderen Seite der Taiwanstraße gerichtet hat, verdeutlichen, dass kritisches Engagement und Öffentlichkeitsarbeit wie durch die GfbV nichts von ihrer Notwendigkeit verloren haben.