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Zunehmend biologisch

28.08.2006
Immer mehr einheimische Bauern nehmen an der Bewegung für biologische Ernährung teil. (Courtesy Cotton Fields-Sun Organism)

In den letzten 15 Jahren haben biologische Nahrungsmittel zunehmend die Herzen der Verbraucher in Taiwan erobert.

Das Leben als erfolgreiche Geschäftsfrau ging an Wong Siang-chun nicht spurlos vorbei. Wegen ihrer hohen Arbeitsbelastung litt sie an Leber- und Nierenfunktionsstörungen, an Osteoporose und Anämie. Schließlich hatte sie keine Kraft mehr zum Arbeiten. Da Behandlungen sowohl mit westlicher Medizin als auch mit chinesischer Heilkunde keine Linderung der Symptome brachten, versuchte Wong es mit der Idee der biologischen Ernährung. Seitdem hat sich ihre Gesundheit erheblich verbessert, und Wong machte ein biologisches Restaurant- und Supermarkt-Franchisegeschäft mit dem Namen "Cotton Fields-Sun Organism" auf.

Wong gehört zu den Menschen, die sich für die Idee der "lebenden Ernährung" interessierten, die vor 15 Jahren von Lai Chiu-nan in Taiwan eingeführt worden war. Lai hatte zehn Jahre lang am System Cancer Center der University of Texas Behandlungsforschung durchgeführt. Dort begann sie auch für die lebende Ernährung zu werben, eine Lebensweise, die Körper, Geist und Seele ganzheitlich behandelt. Schlüssel zu der Ernährung sind biologische Nahrungsmittel, die auf Boden angebaut werden, der reich an Mikroorganismen und Mineralien ist, aber ohne Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln, Pilzbekämpfungsmitteln, Dünger und Antibiotika.

In der Anfangsphase waren diejenigen, die es mit der lebenden Ernährung versuchten, meist chronisch krank und von westlicher und chinesischer Medizin gleichermaßen enttäuscht. Damals waren biologische Nahrungsmittel wegen ihres schlichten Geschmacks und Aussehens unbeliebt, doch nun ändert sich das Bild. "Wer sich heutzutage biologisch ernährt, ist viel besser dran", frohlockt Wong. "Vor fünfzehn Jahren war das wie Gras fressen. Heute gibt es eine riesige Auswahl." Anders als bei den allgegenwärtigen Energiegetränken haben die Jünger biologischer Ernährung Rezepte entwickelt, die besser zu den taiwanischen Ernährungsgewohnheiten passen. Ein altes chinesisches Sprichwort behauptet: "Medizin und Essen haben den gleichen Ursprung". Kein Wunder, dass biologische Ernährung in Taiwan heute von chinesischen medizinischen Theorien beeinflusst ist.

Wong und Lai haben ähnliche Ansichten über die lebende Ernährung. Für Wong ist die lebende Ernährung eine ganzheitliche Lebensweise, bei der die Nahrung das Medium ist, durch das Harmonie zwischen Körper und Geist erreicht wird. Sheng-ji(生機) -- das chinesische Wort für biologisch -- umfasst mehr als nur Essen. " Sheng-ji beschreibt eine Zuneigung für die Erde und eine Entscheidung für das, was vorteilhaft fürs Leben ist, darunter Nahrung, Kleidung, Wohnen und so weiter", zählt Wong auf. "Wer eine einfache und gesunde Ernährung annimmt, kann natürlich klarer sehen und denken."

Jhan Yi-cing, Gründer der Green Village Organic Stores, weist darauf hin, dass sheng-ji auch künstliche Verarbeitung verbietet. Nach seiner Überzeugung ist mit sheng-ji eine Lebensweise gemeint, welche der menschlichen Gesundheit, dem Boden und dem Ökosystem zuträglich ist. "Ironischerweise ist den meisten Verbrauchern das Wohlergehen unserer natürlichen Umgebung relativ egal", schnaubt er. "Sie sehen nur, dass eine biologische Ernährung die menschliche Gesundheit verbessert." Angesichts der zunehmenden Kommerzialisierung biologischer Produkte findet Jhan, dass solche Ware immer öfter exzessiv und extravagant verpackt wird, was seiner Ansicht nach der Grundidee des Umweltschutzes widerspricht. "Die Zerstörung der natürlichen Umwelt geschah in Taiwan sehr schnell, weil unsere Wirtschaft in nur 50 Jahren abhob", doziert Jhan. "Nun wird den Menschen allmählich klar, dass die Lebensweise unserer Ahnen weise war."

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Biologische Getränke sind eine wertvolle Ernährungsergänzung, und Energiegetränke enthalten viele Vitamine.

Nach den Worten von Chiang Shou-shan, dem Gründer von Dr. Fish, wo unbelastete Fische verkauft werden, sind sich die meisten taiwanischen Verbraucher nicht bewusst, dass unscheinbar aussehende Nahrungsmittel eher weniger belastet sind. "Sie wollen Fisch mit blutroten Kiemen oder rosa-weiße Garnelen", weiß er. "Das kriegt man aber nur mit künstlichen Färbemitteln."

Entgegen landläufiger Irrtümer bedeutet die lebende Ernährung nicht eine vollkommen rohe, vegetarische Ernährung. Weil das chinesische Schriftzeichen für lebend (sheng生) auch "Leben" und "roh" bedeutet, wird der Begriff oft so missverstanden, dass die Anhänger dieser Lebensweise rohes Gemüse essen müssen. Tatsächlich besteht eine wichtige Proteinquelle einer biologischen Ernährung in Sojabohnen, und die kann man zweifellos nicht roh verzehren. "Eine biologische Ernährung ist grundsätzlich vegetarisch, aber im wirklichen Leben ist es für die Taiwaner schwer, sich daran zu halten", erläutert Ouyang Ying, dessen Familie vor 25 Jahren das erste biologische Gesundheitszentrum Taiwans gründete. "Da die körperliche Konstitution des Asiaten an sich anders ist als die der Menschen im Westen, wäre es unangemessen, westliche biologische Ernährungskonzepte ohne Anpassungen auf Taiwan zu übertragen." Ouyangs Gesundheitszentrum konnte Krebspatienten mit Erfolg dabei helfen, ihre Gesundheit wiederherzustellen, indem für jeden Patienten eine eigene Diät entworfen wurde und man ihnen beibrachte, ihre Lebensweise umzustellen.

Eine von Ouyangs Schwestern, Ouyang Jing, studierte am von Ann Wigmore gegründeten Hippocrates Health Institute in West Palm Beach (Florida, USA). Mit der Aufnahme westlicher und japanischer biologischer Ernährung, chinesischer medizinischer Theorien und 25 Jahren praktischer Erfahrung bei Ernährungsberatung ist Ouyang Ying in Südostasien als führende Kapazität im Bereich biologische Ernährung anerkannt. Er betont jedoch, dass eine biologische Ernährung nur ein Hilfsmittel für die konventionelle medizinische Behandlung sein kann.

Biologische Ernährung ist in Taiwan sehr auf die einzelne Person ausgerichtet. Die Kombination von gekochter und roher biologischer Kost kann je nach der körperlichen Konstitution einer Person sehr unterschiedlich sein. "Krebspatienten sollten zum Beispiel nicht ausschließlich rohes Gemüse essen, denn dann fehlt ihnen möglicherweise durch Eiweißmangel die nötige Energie bei einer Chemotherapie", warnt Wong. In Ouyangs Zentrum für lebende Ernährung untersucht er immer die Blutzellen der Kunden, damit er die richtige Ernährung für sie zusammenstellen kann, und nie erhalten zwei Kunden die gleiche Diät.

Obwohl die meisten Menschen, die sich biologisch ernähren, Vegetarier sind, unterscheidet sich diese Art vegetarischer Kost außerordentlich vom durch den Buddhismus festgelegten Vegetarismus in Taiwan. Buddhistische vegetarische Gerichte sind oft frittiert und enthalten künstliche Färbemittel, was den Grundsätzen biologischer Ernährung widerspricht -- chemische Zusätze und Frittieren sind tabu. Frittierte Speisen sind schlecht für die Gesundheit, weil Fett das Blut klebrig macht, die roten Blutkörperchen einhüllt und ihre Fähigkeit zum Sauerstofftransport vermindert. Wenn normale Zellen zu wenig Sauerstoff bekommen, besteht die Gefahr, dass sie sich in Krebszellen verwandeln.

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Für Freunde biologischer Ernährung ist die Auswahl heute viel größer als vor zehn Jahren.

Die steigende Krebsrate bei Kindern -- besonders Leukämie -- macht Ouyang Sorgen. Seit 24 Jahren ist Krebs die Todesursache Nummer eins in Taiwan, und die allgemeine Angst vor Krebs nimmt zu. Das trägt mit dazu bei, dass mehr Menschen biologische Nahrung zu sich nehmen wollen. "Heutzutage fangen Kinder sehr jung an, Hamburger und Brathuhn zu essen", tadelt Ouyang. "Der Sinn eines Umsteigens auf vegetarische Ernährung besteht darin, eine übermäßige Säuerung des Organismus zu vermindern, indem die Enzyme von Gemüse absorbiert werden."

Zwar ist biologische Ernährung meist vegetarisch, doch Chiang Shou-shan, der auch die Urologie im Shin Kong Wu Ho-su Memorial Hospital in Taipeh leitet, wirbt außerdem für eine andere Methode, durch die seine Patienten wieder gesünder werden sollen -- den Verzehr von unbelastetem Fisch. Die Zahl der Dialysepatienten in Taiwan ist die zweithöchste der Welt, und Chiang möchte die enormen sozialen Kosten von Nierenkrankheiten mit einem vorbeugenden Ansatz senken. Er hat beobachtet, dass der regelmäßige Verzehr von Fisch das Befinden seiner Nieren- und Diabetes-Patienten stabilisieren und verbessern hilft. "Wenn man Fisch isst, kann man das Risiko von Brustkrebs, Herzinfarkt und Schlaganfall vermindern", behauptet er. "Die natürlichen Säuren in Fisch sind auch gut für die Sehkraft und Hirnentwicklung, besonders bei Kindern."

Laut Chiang sind die handelsüblichen Fische jedoch meist mit Schwermetallen, polychlorierten Biphenylen (PCB) und Dioxin belastet, und aus China eingeschmuggelter Fisch enthält normalerweise Formalin. Er beschloss, Fische zu verkaufen, die auf verschiedene Giftstoffe getestet und für schadstofffrei erklärt wurden. Chiang arbeitet mit Fischereibetrieben zusammen, die ein Zertifikat für HACCP (Hazard Analysis Critical Control Point, zu Deutsch "Kritischer Kontrollpunkt Schadstoffanalyse", ein nationaler Hygienestandard in Taiwan) besitzen, und mit den besten Kühlfirmen, um für die Qualität der Fische mit dem Gütesiegel "Healthy Fish ID" bürgen zu können. 80 Prozent von Chiangs Kunden bestellen den Fisch übers Internet und lassen ihn sich frisch ins Haus liefern.

Ouyang wiederum wirbt für Lotuswurzelsuppe als preiswerte Methode für gesunde Menschen, für ihre Nieren zu sorgen. Zur Verbreitung der biologischen Botschaft hat sein Forschungszentrum seit 1985 über 63 "Ernährungslager" veranstaltet, auf denen die Teilnehmer lernen, wie sie ihre körperliche Konstitution mit einer Kombination aus guter Ernährung, Yoga und Qigong verbessern können. Für diejenigen, die zu viel zu tun haben, um an einem solchen Lager teilzunehmen, hat das Zentrum für lebende Ernährung die erste interaktive biologische Ernährungssoftware der Welt entwickelt, welche den Menschen beibringt, wie sie ihre eigene Diät entwerfen können, und Ladeninhaber können mit der Software die Daten ihrer Kunden festhalten. "In einer biologischen Saftbar könnte etwa ein Kunde ein Getränk gegen Schlaflosigkeit bestellen", meint Ouyang. "Der Inhaber kann dann die Software zu Rate ziehen, den Saft zubereiten und die Vorlieben des Kunden speichern."

In dem Maß, in dem die Bewegung für biologische Ernährung in Taiwan blüht, entfernt sie sich weiter von ihrem amerikanischen Vorbild und erzeugt etwas, das es nur in diesem Land gibt. "Die Idee der gesunden Ernährung hat nicht mit Taiwans wirtschaftlicher Entwicklung Schritt gehalten", bemerkt Chiang. Doch wie es die Natur der Sache ist, ändern sich die Dinge.

(Deutsch von Tilman Aretz)

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