Reisforschung in Taiwan wurde von den Japanern begonnen und wetteifert heute mit Sorten von der ganzen Erde.
Geduckt zwischen Zypressen befindet sich ein Betondenkmal, von dem Farbe abblättert und das ein Paar Reissammler mit spitzen Hüten in einem schlammigen Relief darstellt. Darunter steht in goldenen chinesischen Schriftzeichen der Titel des Werkes, "Reiche Ernte", eingefasst von englischen und chinesischen Texten mit den Überschriften "Taichung Native 1" und "Taichung 65". Dabei handelt es sich aber nicht um ein Denkmal für einen lange ausgestorbenen Stamm, in den Texten geht es vielmehr um zwei Reissorten.
Das Denkmal steht auf dem Gelände der Landwirtschaftlichen Forschungs- und Erweiterungsstation Bezirk Taichung, einer von sieben Reisforschungszentren des Landwirtschaftsrates (Council of Agriculture, COA). "Die Vorstellung von Taichung Native 1 (TN1) im Jahre 1956 war ein globaler Durchbruch", verkündet Sheu Chih-sheng, Wissenschaftler an der Station. "Sein halb-zwergenartiges Wesen ist aber heute nicht mehr einzigartig."
Mit einer Höhe von nur einem Meter war TN1 berühmt dafür, einen halben Meter kürzer zu sein als die meisten anderen Reispflanzen, deswegen konnte TN1 leichter maschinell geerntet werden und war nicht so anfällig dagegen, unter der Last reifer Körner umzuknicken und auf dem Reisfeld zu verfaulen. TN1 diente als Inspiration und Orientierungspunkt für das Internationale Reisforschungsinstitut (International Rice Research Institute, IRRI), einem 1960 in den Philippinen gegründeten gemeinnützigen internationalen Reisforschungszentrum, das eine noch kürzere Variante namens IR8 entwickelte.
Zwar ist sich die taiwanische Öffentlichkeit im Großen und Ganzen nicht bewusst, welche Reissorte sie speist, aber es werden laufend neue Sorten mit verbesserten und unterschiedlichen Eigenschaften produziert. Diese neuen Reiskulturen -- durch Züchtung entstandene Reisvarianten -- sind auch das Verdienst des Landwirtschaftlichen Forschungsinstituts Taiwan (Taiwan Agricultural Research Institute, TARI) des COA in Taichung, wo landwirtschaftliche Grundlagenforschung betrieben wird. Die meisten landwirtschaftlichen Forschungszentren der Insel waren während der japanischen Kolonialzeit (1895-1945) eingerichtet worden. Die Station in Taichung trumpfte 1929 mit der ertragreichen, hochwertigen Getreidesorte Taichung 65 auf, das Ergebnis der Kreuzung zweier japanischer Reissorten.
Sheu findet, dass Taiwan sich ausgezeichnet für Kreuzungsvorgänge eignet, da die asiatischen Reis-Unterarten Indica und Japonica nebeneinander auf der Insel existieren. Die Situation spiegelt auch Taiwans Geschichte wider. Han-chinesische Einwanderer brachten den langkörnigen Indica-Reis im 17. Jahrhundert von China nach Taiwan, und die Japaner führten den rundkörnigen Japonica-Reis ein, als sie die Kolonialherrschaft aufbauten. Das Vorhandensein von Indica und Japonica und ihrer klebrigen Abarten bereicherte Taiwan mit einer relativ großen Genbank, mit der experimentiert werden kann.
Varianten des rundkörnigen Japonica-Reis sind auf den Nassreisfeldern der Insel vorherrschend, während erfolgreiche Züchtungen wie der 1992 vorgestellte Taikeng 9 auf dem Inlandsmarkt wegen ihrer Bissfestigkeit gleichfalls beliebt sind. Im Juli dieses Jahres stand ein taiwanisches Forschungsteam plötzlich im Rampenlicht, als lokale Medien enthüllten, dass gemäß den Ergebnissen vorläufiger Forschungsarbeit mit einer Sorte möglicherweise Leukämie bekämpft werden könnte. Die in der wissenschaftlichen Zeitschrift Food and Chemical Toxicology veröffentlichten Erkenntnisse sind das Ergebnis des Vergleichs der Fähigkeit von sechs lokalen und zwei ausländischen Varianten, das Wachstum von menschlichen leukämischen U937-Zellen zu hemmen und ihre Aufteilung in Monozyten zu bewirken. Das Forschungsteam weigerte sich, die Identität der Sorte zu enthüllen, damit sie nicht von Reishändlern übermäßig hochgejubelt würde, aber man nimmt an, dass es sich dabei um Taikeng 9 handelt.

Forschungsanstrengungen haben kürzere Reissorten hervorgebracht, die leichter zu ernten sind.
Ein Erfolg der jüngeren Zeit ist die 2000 vorgestellte Sorte Tainung 71. Die Sorte duftet nach Taro, einer in Taiwan geschätzten Süßspeise, und wurde aus einer japanischen Sorte und Taikeng 4 gewonnen, einer früheren aromatischen Sorte, welche 1990 von einer COA-Forschungsstation im osttaiwanischen Hualien erzeugt worden war.
"Tainung 71 ist eine ertragreiche Sorte, die weniger anfällig für Krankheiten ist und besser aussieht als Taikeng 4", beschreibt Wong Liang-tsai, Generaldirektor des taiwanischen Reisanbauverbandes. Im Inland ist die Sorte besser unter ihrem Namen "Yihchuan-Aromareis" bekannt, der sich von dem Wissenschaftler Kuo Yih-chuan ableitet, der das Forschungsteam in dem neunjährigen Kreuzungsprojekt leitete und ein Jahr vor der Vorstellung der Sorte starb.
Angesichts der immer angespannteren Lage der Wasserressourcen versucht Taiwan, Reissorten zu schaffen, die Trockenheit und Dürre trotzen können. "Wasser wird auf der ganzen Welt immer knapper, und das gilt auch für Taiwan", seufzt Lai Ming-hsing, Wissenschaftler in der Agronomie-Abteilung des TARI. Ein Projekt für die Erzeugung von dürreresistentem Reis wurde vor über zehn Jahren in Angriff genommen und nach vorläufigen Ergebnissen gestoppt. Als Reaktion auf das lokal und global wachsende Bewusstsein für Wasservorratsfragen wurde es vor zwei Jahren wiederbelebt.
Wie andere Länder wird auch Taiwan immer gesundheitsbewusster. Die jüngste Entwicklung bei der Reisforschung ist laut Sheu die Schaffung von nährstoffreichen Sorten. Die Forschungsstation in Taichung zum Beispiel durchforstet ihre Sortenbank auf der Suche nach der Sorte, welche die meisten Mineralien enthält. Diese Richtung wird gleichfalls von Wissenschaftlern verfolgt, die Reis am Institut für Molekularbiologie der Academia Sinica genetisch verändern. Dieser Ansatz, der nicht so zeitintensiv ist wie das Kreuzen, führte 2004 zur Schaffung einer süßen Rundkornreissorte.
Der genetisch veränderte Reis, der ein Gen enthält, das von einer hitzeresistenten Bakterie aus dem Yellowstone-Nationalpark in den USA übertragen wurde, hat einen hohen Stärkegehalt, der sich leicht in Zucker umwandelt. Ebenso wichtig ist der hohe Proteingehalt, der nach Einschätzung der Wissenschaftler in Zukunft als Milchersatz verwendet werden wird. Nach den Worten von Yu Su-may, die als Wissenschaftlerin für transgene Reisforschung am Institut seit 1998 Süßreisforschung betreibt, haben gewöhnliche Reisvarianten einen Proteingehalt von 5 bis 8 Prozent. Bei Süßreis ist der Proteingehalt ein wenig höher, doch der Unterschied ist der, dass die aus Bakterien entstandenen Enzyme im Süßreis die Freisetzung der Proteine im Reis innerhalb weniger Stunden stark fördern, wenn er erhitzt wird. Infolgedessen hat das durch Erhitzen aus Süßreis gewonnene Mehl einen Proteingehalt von 35 bis 45 Prozent.
Die Academia Sinica arbeitet mit dem TARI beim Anbau von Reis auf seinen Experimentierfarmen für genetisch veränderte Anbauprodukte zusammen, und TARI will zum Jahresende ein neues Zentrum eröffnen, das sich ausschließlich mit Studien genetisch veränderter Anbaupflanzen befasst.

In Taiwan sind sowohl Indica- als auch Japonica-Reis heimisch, und viele neue Sorten sind das Ergebnis von Kreuzungen.
Der Anbau genetisch veränderter Pflanzen ist in Taiwan derzeit noch verboten, obwohl 21 Länder ihn gestattet haben, seitdem die US-amerikanische Firma Monsanto 1996 die ersten genetisch veränderten Organismen (Genetically Modified Organism, GMO) -- einen gegen Insekten resistenten Mais -- verkaufte. Yu ist aber der Ansicht, dass Taiwan sich diesen Ländern über kurz oder lang anschließen wird. "In Wirklichkeit essen die Taiwaner bereits eine Menge genetisch veränderter Nahrungsmittel", enthüllt sie. "Zum Beispiel werden Sojabohnen in großen Mengen aus den USA importiert, und sie sind meist genetisch verändert. Gegner von genetisch veränderten Nahrungsmitteln rechnen mit dem Schlimmsten, aber bis jetzt wurde nicht ein einziger Fall von Gesundheitsschäden durch genetisch veränderte Organismen gemeldet."
Tatsächlich ist der Nutzen der Entwicklung genetisch veränderter Anbauprodukte weit größer als die Risiken. So kann etwa ein nährstoffreiches genetisch verändertes Anbauprodukt wie Süßreis Unterernährung in afrikanischen und asiatischen Ländern, in denen man sich hauptsächlich von Reis ernährt und deren Bevölkerung die Hälfte der Weltbevölkerung ausmacht, lindern.
Während der Hälfte der Welt nahrhafter und proteinreicher Reis fehlt, essen die Taiwaner immer weniger Reis. 2004 betrug Taiwans Pro-Kopf-Verbrauch 48,56 Kilo, 1990 waren es noch 65,94 Kilo gewesen. Im gleichen Zeitraum ging die Gesamtfläche von bebauten Reisfeldern im Land von 455 400 Hektar auf 234 700 zurück, ein erheblicher Rückgang vom historischen Hoch der 794 000 Hektar im Jahre 1962.
"In der Vergangenheit gehörte Reis zu jeder Mahlzeit, doch heute haben die Menschen eine größere Auswahl an Nahrungsmitteln", weiß Hsu Ai-na. "Selbst wenn sie Reis essen, mischen sie ihn mitunter mit anderem Getreide. Der Reisverbrauch befindet sich in einem unumkehrbaren Rückgang." Hsu forscht in der Station in Taichung, deren Aufgabe in der Anregung des Reiskonsums besteht, über Nahrungsmittel auf Reisgrundlage wie Cracker.
Einheimische Bauern sind seit Taiwans Beitritt zur Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO) im Jahre 2002 internationalem Wettbewerb ausgesetzt, wenn auch milde. Im Rahmen seiner Verpflichtung zu einem freien Markt hat Taiwan seitdem Reisimporte unter einem Quotensystem erlaubt. Zur Zeit werden Reisimporte unter einer bestimmten Quote (in Taiwans Fall 8 Prozent des durchschnittlichen Jahresreiskonsums zwischen 1990 und 1992) niedrig besteuert, doch alles, was darüber hinaus geht, wird mit sehr hohen Zöllen belegt. Der Prozentsatz soll mit der Zeit schrittweise steigen, und laut COA beträgt der Anteil von Importreis heute 10 Prozent des gesamten Reis, den die Taiwaner verzehren. Die USA exportieren mehr Reis nach Taiwan als jedes andere Land, gefolgt von den Großexporteuren Thailand und Australien, während Ägypten und Japan kleinere Mengen ausführen.
Unter den gegenwärtigen Bedingungen ist der Schwerpunkt auf Reisforschung sogar noch wichtiger geworden. "Wir müssen die Qualität von Taiwans Reis verbessern", fordert Sheu. In einem Land wie Taiwan, wo die Farmen eher klein und die landwirtschaftlichen Lohnkosten hoch sind, muss der Gewinn mit Qualität und nicht so sehr mit einer umfangreichen Ernte erzeugt werden. Sheu: "Es ist wichtig, dass wir mit Qualität den Geschmack der Menschen für im Inland angebauten Reis verfeinern, damit die Importe nur schwer damit konkurrieren können."
Lai Ming-hsing kritisiert die Tendenz der Taiwaner, alles Ausländische hochzuschätzen. "Die Öffentlichkeit muss mehr Vertrauen in taiwanischen Reis haben", mahnt er. Der Wissenschaftler bezieht sich dabei besonders auf importierten Reis aus Japan, der zu einem hohen Preis verkauft und in der Regel noch höher gelobt wird. Lai findet, dass im Inland erzeugter Reis, der sowieso überwiegend japanischer Abkunft ist, qualititiv genauso gut ist, wenn nicht gar besser.
(Deutsch von Tilman Aretz)