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Kolonie der Künstler

28.04.2007
Kim Vernon beim Zeichnen im Taipei Artist Village.

Das Taipei Artist Village ist als Treffpunkt für Kunst und Kulturaustausch Teil einer künstlerischen Weltgemeinschaft.

Der australische Maler Kim Vernon fühlt sich an seinem Arbeitsplatz wohl und hat in den letzten drei Monaten über 70 Zeichnungen vollendet. "Am Anfang dachte ich, das ist nur ein kleines Atelier, aber in Wirklichkeit ist es viel größer als meins daheim", versichert er. "Außerdem überrascht es mich, dass es hier so viel Gemeinschaftsgeist gibt. Wir machen viele Dinge gemeinsam, etwa zusammen essen oder Galerien besuchen, das ist echt gut."

Vernon gehört zu den 140 Künstlern, die im Taipei Artist Village (TAV) zu Gast waren, seit es im Oktober 2001 vom Kulturamt der Stadt Taipeh gegründet worden war. Das TAV unterhält ein internationales Gastprogramm für Künstler, bei dem einheimische und ausländische Künstler zusammengebracht werden, um gemeinsam zu arbeiten und voneinander zu lernen, das erste Programm dieser Art auf der Insel.

Menschen zusammenbringen

"Es ist schön, sich mit Künstlern aus verschiedenen Bereichen auszutauschen, denn ich habe abgesehen von anderen Malern nicht viele Gelegenheiten, welche zu treffen", freut sich Vernon. "Mir gefällt die Tatsache, dass auch einheimische Künstler hier Ateliers haben -- einer der Gründe, nach Taiwan zu kommen, ist, die Szene hier kennen zu lernen."

Vernon kam über den 1978 von der australischen Regierung gegründeten Australia-China Council und dessen Austauschprogramm zum TAV. Vernons Werke sind in vielerlei Hinsicht ein lockeres Portrait von Städten und ihrer Kultur. Er interessiert sich für die symbiotische Beziehung zwischen städtischer Architektur und den Stadtbewohnern. "Ich male das Leben in der Stadt", erklärt er. "Es ist für mich wesentlich zu begreifen, wie die Menschen leben und was sie denken. Ein Aufenthalt von bis zu drei Monaten hier gibt mir den Raum und die Zeit, direkt auf Beobachtungen und Entdeckungen in Taipeh zu reagieren."

Zwar hält er Taipeh für eine moderne Stadt, aber Vernon findet, dass sie recht anders aussieht als die anderen Städte, die er besucht hat. In Melbourne ist alles sauber, weiß und schimmernd, in Hongkong sind viele Gebäude aus Glas und Beton und sind grau. Doch in Taipeh ist alles vielfarbig, besonders nachts, wenn überall die Leuchtreklamen eingeschaltet sind. "Früher waren meine Arbeiten im Prinzip schwarzweiß, denn ich mag Farben nicht wirklich. Doch hier ist alles hell und bunt, und das hat große Auswirkungen auf meine Arbeit. In Taiwan gibt es eine große Vielfalt bei städtischer und ländlicher Landschaft, Esskultur, Unterhaltung und Wetter. Viel davon ist vollkommen neu für mich."

Nach Vernons Ansicht sollte Taiwan auf seine Kultur stolz sein, doch er weist darauf hin, dass niemand davon erfahren wird, wenn nicht Leute herkommen, um diese Kultur zu erleben und anzuerkennen. "Internationale Künstler hierher einzuladen ist nicht nur gut für die Künstler, sondern auch gut für die taiwanische Kultur. Sie werden ausgezeichnete Botschafter für Taiwan sein. Außerdem ist es wichtig für das Image der Stadt, besonders international, dass es eine Einrichtung wie das TAV gibt, das unter Künstlern in der ganzen Welt bekannt zu werden beginnt."

Kolonie der Künstler

Das Taipei Artist Village unterhält ein internationales Gastprogramm für Künstler.

Wohltätigkeit fängt zu Hause an

Das Opernensemble Shuimo Kun Opera Troupe ist die erste Gruppe, die im TAV zu Gast ist. Gruppenmitglied Chen Pin findet, dass ihr 20-köpfiges Team mehr Platz zum Proben braucht. In der Vergangenheit nutzten sie Räumlichkeiten in Gemeindezentren oder Theatern. Im TAV kann das Ensemble sich für zwei oder drei Monate niederlassen und muss sich während dieser Zeit nicht die Mühe machen, nach einem Raum zu suchen.

Shuimo wurde 1987 als erste Kun-Operntruppe Taiwans gegründet. Die Kun-Oper unterscheidet sich musikalisch und stilistisch von der bekannteren Pekingoper, und das Ensemble benannte sich nach einem Stück des Ming-zeitlichen Musikers Wei Liang-fu(魏良輔), dem Gründer der Kun-Schule. Shuimo wurde 1998 und 2000 vom Rat für Kulturangelegenheiten (Council for Cultural Affairs, CCA) mit dem Outstanding Performing Group Awards, einem Preis für herausragende Schaustellergruppen, ausgezeichnet.

"Unsere Aufgabe ist, für die Kun-Oper zu werben, sie weiterzugeben und ihre Qualität zu verbessern", verkündet Chen. "Abgesehen von acht bis zehn Vorstellungen im Jahr veranstalten unsere Mitglieder regelmäßig Vorträge und lehren an einheimischen Universitäten." Das Ensemble hegt zudem schon seit langem die Absicht, der Öffentlichkeit Unterricht zu erteilen, doch mangels Veranstaltungsort wurde daraus bislang nichts.

"Dank des Raumes, den das TAV zur Verfügung stellte, können wir endlich auf das öffentliche Interesse an unserer Arbeit eingehen", sagt Chen. "Wir haben nun fünf Kurse eingerichtet, jeder mit 10 bis 15 Teilnehmern und einer Dauer von acht Wochen. Die günstige Lage des TAV mitten in der Stadt ist wirklich hilfreich, und die TAV-Mitarbeiter helfen bei der Publicity."

Zhou Zhigang, Direktor der Shanghai Kun Opera, arbeitet momentan mit Shuimo zusammen und wohnt im TAV. "Es ist ein gutes Umfeld zum Lernen und Fördern der Kun-Oper, die von der UNESCO zum Teil des Welt-Kulturerbes erklärt wurde", lobt er. "Es ist wie eine Heimstätte für Künstler aus der ganzen Welt. Ich fühle mich hier wohl, und ich finde es spannend, mit so vielen unterschiedlichen Kunstformen in Kontakt zu kommen."

Laut Zhou hat die Kun-Oper in China ein überwiegend älteres Publikum, doch in Taiwan gibt es auch eine nicht unwesentliche Zahl junger Anhänger. Aus diesem Grund macht ihm seine Unterrichtstätigkeit am TAV und an einheimischen Universitäten großen Spaß.

Das TAV verfügt über 10 Wohnateliers mit Internetzugang, eine Galerie, ein Café und einen Garten. Es gibt auch eine Dunkelkammer, ein Tanzstudio und jede Menge audio-visuelles Gerät. Das Institut organisiert Gast-, Austausch- und Sponsorprogramme sowie eine Vielzahl von Veranstaltungen und Fördermaßnahmen. So ist es von den etwa 10 Künstlerdörfern der Insel bei weitem am besten ausgestattet.

Nach den Worten von TAV-Direktorin Su Yao-hua gibt es für die internationale Gemeinschaft nur wenige Kanäle, Tai wan zu verstehen, und ausländische Medienberichte über die Insel konzentrieren sich oft auf Fragen der Beziehungen über die Taiwanstraße oder Schlägereien im Parlament. Internationale Künstler nach Taiwan einzuladen ist gute Werbung, da sie ihre Erfahrungen hier mit zurück in ihre Heimatländer nehmen und sie mit den Menschen dort teilen.

"TAV will Taiwan mit der Welt verbinden", behauptet Su. "Es soll nicht nur ein Ort, sondern ein Mechanismus oder eine Plattform für internationale Künstler sein, ihre kreativen Visionen mitzuteilen, und auch für Ausstellungsveranstalter und die Öffentlichkeit, um etwas über sie zu erfahren." Entsprechend hat die TAV-Verwaltung eine Datenbank aufgebaut, welche die Hintergründe, Werke und Pläne der Gastkünstler vorstellt. Von den Künstlern, die bisher im TAV zu Gast waren, sind 60 Prozent bei visuellen Künsten tätig, 30 Prozent sind Schausteller und 10 Prozent Schriftsteller.

Laut Su wird das Künstlerdorfkonzept schon seit langem in Städten wie New York, Paris und London praktiziert. In Taiwan ist es jedoch noch neu, und viele Menschen setzen es mit dem Formosa-Ureinwohnerkulturdorf gleich, wo man sich Vorstellungen aus dem Ureinwohner-Kulturbereich anschauen kann. "TAV soll in erster Linie Künstlern einen Raum bieten, wo sie sich auf künstlerisches Schaffen und Experimentieren konzentrieren können", stellt sie klar. "Wir arrangieren aber jedes Vierteljahr ein Atelier der offenen Tür, damit das Publikum sich mit den Künstlern austauschen und ihre Arbeiten im Entstehen betrachten kann, und wir nehmen die Künstler auch für Gespräche oder Vorführungen zu Schulen mit."

Bei der Auswahl von Gastkünstlern werden die Anträge von einem Komitee geprüft, das ihre Mappen, Vorschläge, ihr Interesse für taiwanische Kultur und ihre Interaktion mit der Öffentlichkeit unter die Lupe nimmt. Die Dauer des Gastaufenthaltes liegt zwischen vier und zwölf Wochen.

Kolonie der Künstler

Der Künstler Huang Hai-ming bei einer Darbietung mit industriellen Blechfässern in der TAV-Galerie.

Ein weltweites Netz

Das TAV bringt nicht nur Künstler in Taipeh unter, sondern ist auch Bestandteil eines Netzes aus über 30 Künstlerorganisationen in der ganzen Welt und sponsert jedes Jahr 15 taiwanische Künstler für Auslandsaufenthalte bei anderen Mitgliedern dieses Netzes.

Paula Yeh, eine Performance-Künstlerin, die mit gemischten Medien arbeitet, gehört zu den solcherart geförderten Künstlern. Sie war im Jahre 2005 für drei Monate zu Gast beim Ssamzie Space in Seoul (Südkorea). "Es war eine phantastische Erfahrung für mich -- jeden Tag gab es viele Ausstellungen und Vorstellungen zu sehen, und man konnte mit Künstlern aus verschiedenen Bereichen Freundschaft schließen", schwärmt sie. "Sie haben wirklich meinen Horizont erweitert und gaben mir viel Inspiration."

Der Aufenthalt in Korea war ihr erster Besuch in jenem Land, und Yeh war fasziniert von der dynamischen Entwicklung der Kunst und den kulturellen Aktivitäten in Südkorea. "Ich beneide die koreanischen Künstler, weil es für sie so viele kommerzielle Gelegenheiten gibt und sie sich deswegen auf Kreativität konzentrieren können", beschreibt sie. "Gleichzeitig tun mir die Künstler in Taiwan Leid, es ist für uns hier sehr schwer zu überleben, und die meisten müssen Nebenjobs annehmen, um sich über Wasser zu halten."

In Yehs Augen sind die Kulturpolitik und Unterstützungsprojekte, die dort von der koreanischen Regierung oder von Unternehmensgruppen gestartet wurden, umfassend und haben eine langfristige Perspektive von 10 bis 20 Jahren. In Taiwan sind die entsprechenden politischen Konzepte ihrer Meinung nach inkonsistent.

Die Erfahrung des Gastaufenthaltes im koreanischen Künstlerdorf brachte Yeh zum Bewusstsein, dass sie in Zukunft häufiger ins Ausland reisen müsse, um andere Künstler kennen zu lernen und für ihre Arbeiten zu werben, anstatt sich nur auf Taiwan zu beschränken.

Bei ihrem jüngsten Projekt Kusoman trug die Künstlerin ein ausgestopftes Kostüm, das wie ein Bakterium aussehen sollte, und sie wanderte in der Stadt herum, um die "Kuso"-Bakterien zu verbreiten. Yeh beschreibt Kuso als eine Art von kitschiger Gegenkultur, welche die üblichen Werte der zeitgenössischen Gesellschaft herausfordert. Nach ihrer Perspektive symbolisiert es Befreiung und Freiheit. Nach Taiwan und Korea will Yeh ihre Performance in China aufführen.

Auch die Schriftstellerin Ma Hsiao-feng kam in den Genuss des TAV-Sponsorprogramms für Gastkünstler im Ausland. Im vergangenen Sommer erhielt sie Zuschüsse vom Australia-China Council, um Australiens Ureinwohner zu studieren. Sie reiste zum Northern Territory und nach Queensland, wo es mehr Ureinwohnergemeinden gibt als in anderen australischen Staaten. "Ich hatte mir schon so lange gewünscht, ein anderes Land zu besuchen und mit den Einheimischen dort zu leben, um etwas über ihr Leben und ihre Denkweise zu erfahren", bekennt sie. "Mit der Reise nach Australien wurde für mich ein Traum wahr!"

Ma hat fünf Bücher über Taiwans Ureinwohner geschrieben und interessiert sich für die Geschichte und das heutige Leben der Ureinwohner in anderen Ländern. Allerdings ist solches anthropologisches Referenzmaterial in Taiwan selten, daher verbrachte sie nach der Ankunft in Sydney 20 Tage in dortigen Bibliotheken und las sich ausgiebige Kenntnisse über die Ureinwohner an.

Ihre Studien zeigten ihr, dass die australischen Ureinwohner ebenso wie die in Taiwan ihr Kulturerbe verloren. Beispielsweise gibt es über 200 Ureinwohnersprachen in Australien, doch die meisten jungen Ureinwohner sprechen nur noch Englisch. Sie stellte aber auch fest, dass viele Ureinwohner auf ihre Traditionen stolz sind und hoffen, eines Tages zu ihrem Stamm zurückzukehren, um die alte Lebensweise wieder aufzunehmen.

Ma meint, dass sie durch die Reise nach Australien verschiedene Sichtweisen für ihr Schreiben gewinnen konnte. Nach ihrer Rückkehr begann sie mit der Abfassung eines Buches über die Ureinwohner und hält auch Vorträge. Sie ergänzt, dass während der Reise ein australischer Videokünstler, der einmal im TAV zu Gast gewesen war, sie zu einer Ureinwohner-Gemäldeausstellung mitnahm und ihr dabei half, entsprechende Informationen zu sammeln. Ma: "Das Gastkünstler-Programm bringt Künstler verschiedener Genres und Länder zusammen, damit sie einander helfen und voneinander lernen können. Einfach super!"

Der australische Maler Kim Vernon stimmt ihr zu. "Künstler neigen oft zu dem Gedanken, sie seien die ersten mit Ideen, doch in Wirklichkeit kommen die meisten Ideen von Gesprächen mit anderen Menschen", philosophiert er. Sein Gastaufenthalt im TAV neigt sich dem Ende zu, und ein Aufenthalt in einer ähnlichen Einrichtung in Beijing steht bevor, doch Vernon möchte nur ungern abreisen. "Ich war so gerne hier, dass ich wiederkommen möchte", gelobt er. "Und ich kenne einige, die genauso denken."

(Deutsch von Tilman Aretz)

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