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Vis-a-video zwischen Taipeh und Berlin

28.06.2007
Fast so gut wie ein richtiger Besuch: Die Videokonferenz ermöglichte direkten Austausch zwischen Taiwans Präsidenten Chen Shui-bian und den Gästen des Symposiums in Berlin.

Am 25. April 2007 fand eine Videokonferenz statt, bei der deutsche Journalisten und Gelehrte Taiwans Staatspräsidenten Chen Shui-bian Fragen stellten und Ansichten austauschten.

Seit Bestehen der Bundesrepublik hat noch nie ein taiwanischer Präsident Deutschland besucht. Auf Druck des kommunistischen Regimes in Beijing verweigert Deutschland dem demokratisch gewählten Staatsoberhaupt der Republik China ein Einreisevisum. Der technologische Fortschritt der letzten Jahre bietet indes die Chance, der Blockadepolitik der Volksrepublik China per Videokonferenz ein Schnippchen zu schlagen.

Am 25. April dieses Jahres wurde zwischen dem Präsidialamt in Taipeh und dem Ritz-Carlton Hotel in Berlin eine Direktleitung geschaltet. In Berlin hatten sich zahlreiche hochkarätige Gäste aus dem journalistischen und akademischen Bereich zu einem Symposium mit dem Titel "Taiwan -- Leuchtturm im Schatten Chinas" eingefunden. Der spannendste Teil des Tages war eine Videokonferenz mit Taiwans Staatspräsident Chen Shui-bian(陳水扁), in der Chen zunächst in einer Rede auf Taiwans Verhältnis zu China, Taiwans außenpolitische Isolation und Bedrohung von seiten der chinesischen Kommunisten, die eindrucksvolle Demokratisierung der Republik China sowie die Beziehungen Taiwans zur EU einging. (Den Wortlaut der Rede finden Sie ab Seite 33.)

Im Anschluss an Chens Ansprache wurden dem Präsidenten von den Anwesenden in Berlin Fragen gestellt. Im Mittelpunkt des Interesses standen die Spannungen zwischen Taiwan und China. Auf eine Frage nach der zukünftigen Entwicklung Taiwans, insbesondere im Hinblick auf das Verhältnis zu China, erklärte Chen, ein demokratisches Taiwan könne sich unmöglich mit einem diktatorischen China vereinigen. "Solange es keine Voraussetzungen für eine Wiedervereinigung gibt, ist eine Wiedervereinigung ausgeschlossen", unterstrich der Präsident. Eine Wiedervereinigung als endgültiges Ziel und einzige Option für Taiwans Bevölkerung widerspreche demokratischen Prinzipien. "Sie wissen auch, dass wir im vergangenen Jahr den Nationalen Wiedervereinigungsrat und die Richtlinien für die Nationale Wiedervereinigung eingestellt haben, denn die vorherige Regierung vor dem Machtwechsel im Jahr 2000 unter der Nationalen Volkspartei (Kuomintang, KMT) hat diese ohne gesetzliche Grundlage und ohne Zustimmung der Bevölkerung ins Leben gerufen."

Bei der Frage Wiedervereinigung oder Unabhängigkeit bezog Chen sich ausdrücklich auf das Beispiel Deutschland. "Vor der Wiedervereinigung Deutschlands konnten sowohl die Bundesrepublik als auch die DDR gleichzeitig offizielle Mitglieder der Vereinten Nationen (UN) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sein", stellte er klar. "Es gab gegenseitige Besuche und Anerkennung der Souveränität, doch das hatte auf die spätere Wiedervereinigung keinen Einfluss. Solange nach den Erfahrungen der deutschen Wiedervereinigung China Taiwans Souveränität nicht anerkennt, China Taiwan auf internationaler Ebene blockiert und versucht, Taiwans Beitritt zur UNO und zur WHO zu verhindern, gibt es keine Möglichkeit, heute über eine Wiedervereinigung zu sprechen. Je stärker die Chinesen uns unterdrücken, desto stärker wird unser Wille zu einer Unabhängigkeit." China dürfe Taiwan nicht als Teil von China betrachten, die Regierung in Taiwan sei auch keine untergeordnete lokale Regierung unter der Zentralregierung von Beijing. "Taiwan darf nicht verkleinert, lokalisiert, marginalisiert oder sogar entmachtet werden", forderte der Präsident.

Taiwans Verhältnis zu China ist durch verschiedene Faktoren belastet. Chen machte darauf aufmerksam, dass China an seiner Südostküste bereits 988 Raketen aufgestellt hat und sein Raketenarsenal noch um 120 bis 150 Stück im Jahr erweitert, und er erinnerte auch an das im März 2005 verabschiedete "Anti-Abspaltungsgesetz", mit dem China eine rechtliche Grundlage für einen gewaltsamen Angriff gegen Taiwan finden wolle. Chen kritisierte in diesem Zusammenhang zudem den Widerspruch zwischen Chinas aggressiver Taiwanpolitik und den Olympischen Spielen, und er wies darauf hin, dass der olympische Geist ein Geist des Friedens ist. China sei zu einem Gewaltverzicht gegenüber Taiwan nicht bereit. "Das ist im Hinblick auf die Olympischen Spiele eine große Ironie -- ein Staat, der die Olympiade ausrichtet und nicht auf Gewaltanwendung verzichtet."

Neben der Gewaltandrohung wird Taiwan auf der außenpolitischen Bühne unablässig von den chinesischen Kommunisten unter Druck gesetzt. Chen: "Viele Maßnahmen Chinas bestehen darin, Taiwan weiter zu blockieren und zu isolieren." Nicht nur unterhält Taiwan infolge des Drucks aus Beijing lediglich mit 24 Ländern diplomatische Beziehungen, auch der Zugang zu wichtigen internationalen Gremien wie der UN oder der WHO bleibt Taiwan aufgrund chinesischen Ränkeschmiedens verwehrt. "Die Gründungsprinzipien der WHO bestehen im Erreichen des höchstmöglichen Gesundheitsniveaus für alle Völker", bemerkte Chen. "Die Gesundheits-Menschenrechte der 23 Millionen Taiwaner sollten auch respektiert und nicht beeinträchtigt oder eingeschränkt werden."

Vis-a-video zwischen Taipeh und Berlin

Ein großes Publikum mit Persönlichkeiten aus dem akademischen und journalistischen Bereich lauschte im Berliner Ritz-Carlton-Hotel voller Interesse den Ausführungen von Präsident Chen.

Über die letzten 10 Jahre versuchte Taiwan, als so genannte "Gesundheits-Rechtseinheit" in der Weltgesundheitsversammlung (WHA) Beobachterstatus zu erlangen, jedoch durchweg ohne Erfolg. Dieses Jahr versuchte die Regierung der Republik China, sich dem Ziel von einer anderen Richtung aus zu nähern, und forderte in einem Schreiben an WHO-Generalsekretärin Margaret Chan(陳馮富珍), unter dem Namen "Taiwan" WHO-Mitgliedsstaat werden zu können. "Das ist der schönste und vernünftigste Name, was auch von der Mehrheit der Bevölkerung voll unterstützt wird", sagte Chen. "Den Namen unseres Staates 'Republik China' können wir nicht benutzen, und wir können ihn auch nicht ändern. Deswegen benutzen wir den Namen Taiwan, aber damit ändern wir keineswegs den Staatsnamen."

Die China-Problematik beeinflusst außerdem Taiwans Beziehungen mit anderen Ländern, vor allem wegen der so genannten Ein-China-Politik, die von den meisten Ländern der Welt betrieben wird, darunter auch von der Bundesrepublik Deutschland. "Wir sind uns darüber im Klaren, dass die Ein-China-Politik in der internationalen Gemeinschaft dominiert, aber wir wollen an die internationale Gemeinschaft appellieren, dass die irrige Ein-China-Politik nicht fortgesetzt werden soll, um den 23 Millionen Taiwanern nicht zu schaden." Immerhin gibt es in den westlichen Industrienationen auch kritische Stimmen. Nach der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Beijing am 4. Juni 1989 durch die chinesischen Kommunisten hatte die EU ein Waffenembargo gegen die VR China verhängt, das bis heute in Kraft ist. "In diesen 18 Jahren gab es in China beim Demokratisierungsprozess keine wesentlichen Fortschritte, und auch die Menschenrechtssituation ist in China kaum verbessert worden", geißelte der Präsident.

Leider ist es für das demokratische Taiwan schwierig, sich die angesichts der schweren chinesischen Bedrohung zur Selbstverteidigung notwendigen modernen Waffen zu beschaffen. Die Aufrechterhaltung der Verteidigungsfähigkeit wird zudem in Taiwan selbst durch innenpolitische Querelen erschwert, da das von der Opposition dominierte Parlament den Ankauf eines umfangreichen Waffenpakets aus den USA blockiert. Präsident Chen bekräftigte die Entschlossenheit seiner Administration, in dieser Angelegenheit nicht locker zu lassen: "China hat zur Lösung des Konfliktes die Option für einen militärischen Angriff gegen Taiwan nie aufgegeben, deswegen gefährdet die chinesische Ansicht die Sicherheit und den Status Quo in der Taiwanstraße. Es ist daher unsere Aufgabe, unsere Verteidigungsfähigkeit zu erweitern und zu stärken."

Im Hinblick auf die taiwanisch-deutschen Beziehungen verlieh Präsident Chen seiner Hoffnung Ausdruck, in Zukunft mehr Zusammenarbeit mit Deutschland zu haben. "Da wir Universalwerte wie Demokratie, Freiheit, Menschenrechte und Frieden teilen, denke ich, dass Taiwan und Deutschland sicherlich eine hervorragende Wertegemeinschaft werden können", versicherte Chen. "Deutschland ist Taiwans wichtigster Handelspartner in der EU, wir glauben, dass wir in der Zukunft noch mehr Möglichkeiten für Zusammenarbeit haben können."

Zu den innenpolitischen Themen, die bei der Videokonferenz angesprochen wurden, zählten die Bereiche Wirtschaftspolitik und Verfassungsreform. Präsident Chen warnte vor einer zu starken Anlehnung der taiwanischen Wirtschaft an China. "China ist ein riesiger Markt, aber es darf nicht für Taiwan zum einzigen Markt werden, ein Markt für alle Fälle", sagte er. "Taiwan ist ein vom Ozean umgebener Inselstaat, deswegen dürfen wir wirtschaftlich nicht alle unsere Eier in nur einen Korb legen, wie man so schön sagt. Wir müssen versuchen, unserer Wirtschaft eine globale Entwicklung zu ermöglichen." Die chinesischen Methoden zur Erniedrigung Taiwans bestünden nicht nur in außenpolitischer Blockierung und militärischer Bedrohung, sondern auch in wirtschaftlichem Einfluss auf das Land.

Über das Ob und Wie einer möglichen Verfassungsreform wird in Taiwan derzeit lebhaft diskutiert. Chen ist ein energischer Befürworter einer Verfassungsreform. "Taiwan ist auch deswegen kein normaler vollständiger Staat, weil die derzeit geltende Verfassung nie von Taiwans Bevölkerung bestimmt oder gebilligt wurde", begründete er. "Die Verfassung wurde vor sechzig Jahren auf dem chinesischen Festland verabschiedet, die Taiwaner waren damals nicht beteiligt, und nach dem Willen unserer Bevölkerung wurde nicht gefragt. Es gibt innenpolitisch in Taiwan eine Reihe von Problemen, was an dem Verfassungschaos liegt."

Chens zweite Amtzeit als Taiwans Staatsoberhaupt geht im Mai 2008 zu Ende. "Ich bin davon überzeugt, dass ich in dieser kurzen Zeit zwei wichtige Aufgaben erreichen kann, nämlich die Stärkung des Taiwanbewusstseins sowie mehr Errungenschaften bei der Verwirklichung sozialer Gleichbehandlung und Gerechtigkeit", verkündete Chen in seinem Schlusswort der Videokonferenz. Die schwierigste Aufgabe für Taiwan sei momentan die nationale Identität. Als Chen Shui-bian im Jahr 2000 Präsident wurde, hielten sich nur 36 Prozent der Taiwaner nicht für Chinesen, im vergangenen Jahr waren es bereits 60 Prozent, dieses Jahr erreichte der Anteil 68 Prozent. "Der Anstieg des Taiwanbewusstseins ist zum Mainstream unserer Gesellschaft geworden, was uns zeigt, dass unsere Richtung korrekt war." Die Teilnehmer an der Videokonferenz in Berlin, die mit ihren Kommentaren und Fragen einen guten Informationsstand über Taiwans Situation erkennen ließen, werden im kommenden Jahr vor den anstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Taiwan sowie vor den 29. Olympischen Sommerspielen in Beijing die weitere Entwicklung und Richtung sicherlich mit unvermindert großer Aufmerksamkeit beobachten.

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