Das Bankenamt der Finanzaufsichtkommission (Financial Supervisory Commission, FSC) veranstaltete im März vergangenen Jahres eine Konferenz für ausländische Banken, die in Taiwan geschäftlich aktiv sind. In seiner Eröffnungsansprache zu der Konferenz bemerkte Kuei Hsien-nung (桂先農), Generaldirektor des Bankenamtes, dass im Jahr 2011 die 28 ausländischen Bankenzweige in Taiwan Bruttogewinne in Höhe von 16,8 Milliarden NT$ (420 Millionen Euro) erwirtschaftet hatten. Unter Einbezug der Profite von drei an Taiwans Börse gemeldeten ausländischen Aktienbank-Niederlassungen — Citibank Taiwan Ltd., HSBC Bank (Taiwan) Ltd. und Standard Chartered Bank (Taiwan) Ltd. — im gleichen Jahr hätte der Betrag sogar 29,6 Milliarden NT$ (740 Millionen Euro) erreicht. Die Weltzentrale von Citibank befindet sich in den USA, die von Standard Chartered in Großbritannien, und HSBC steht für die Hongkong and Shanghai Banking Corp. mit Sitz auf dem chinesischen Festland.
Laut FSC-Statistiken betrugen von Januar bis Ende März dieses Jahres die Bruttogewinne der an Taiwans Börse gemeldeten Aktienbank-Niederlassungen der Citibank, der Development Bank of Singapore (DBS), von HSBC und Standard Chartered zusammen 5 Milliarden NT$ (125 Millionen Euro). Im gleichen Zeitraum erwirtschafteten die Zweigstellen der 28 ausländischen Banken Bruttogewinne von 2,92 Milliarden NT$ (73 Millionen Euro).
Bei der Bankenkonferenz 2012 lobte Kuei die ausländischen Banken und ihre Taiwan-Niederlassungen für die Einführung moderner Finanzdienstleistungs-Konzepte und die Entwicklung von Finanzprodukten für einheimische Märkte. Dadurch trugen die ausländischen Banken wesentlich dazu bei, eine solide Nachwuchsbasis aufzubauen und die Internationalisierung von Taiwans Finanzmarkt zu fördern, so Kuei.
Die Regierung der Republik China strebt seit langem danach, das Land zu einer bedeutenden Finanzdrehscheibe in der asiatisch-pazifischen Region aufzuwerten. „Wenn wir ein regionales Finanzzentrum sein wollen, dann brauchen wir hier vor Ort die Präsenz von ausländischen Institutionen und ihre Management-Expertise“, unterstreicht Huang Hsi-ho, stellvertretender Direktor der Auslandsbanken-Abteilung im FSC-Bankenamt. Er macht darauf aufmerksam, dass viele der hochrangigen Manager in taiwanischen Banken von der Erfahrung profitierten, in den örtlichen Büros ausländischer Banken zu arbeiten. „Dort erhält man systematische Schulung in Bereichen wie Managementfertigkeiten, Risikokontrolle und Produktmarketing“, beschreibt er. „Arbeitserfahrung dort hilft ihnen überdies, eine vollständigere Weltanschauung zu entwickeln.“
Nach Huangs Ansicht sind ausländische Banken verglichen mit taiwanischen Finanzinstituten generell besser global vernetzt, weswegen sie Finanzdienstleistungen für multinationale Unternehmen und Kunden der Spitzenklasse, die ihre Vermögensverwaltung durch Investitionen auf internationalen Märkten diversifizieren möchten, bieten können. Die Verflechtungen ausländischer Banken können inländischen Unternehmen, die ins Ausland expandieren wollen, hilfreich sein. Wenn zum Beispiel taiwanische Firmen in Australien oder Neuseeland Geschäfte machen möchten, können sie sich um Hilfe an ANZ wenden, wirbt Terry King, geschäftsführender Direktor von ANZ Bank (Taiwan) Ltd.: „Mit den Ressourcen unserer Hauptgeschäftsstelle und unseren globalen Verbindungen, besonders in der asiatisch-pazifischen Region, können wir einheimischen Firmen wesentliche Unterstützung bieten und sie schnell mit ihren ausländischen Partnern vertraut machen.“
Tatsächlich spielte ANZ nach Kings Darstellung als größte Bank von Neuseeland eine Rolle dabei, dass Taiwan im Juli dieses Jahres ein Abkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Neuseeland erzielen konnte. Das offiziell unter der Bezeichnung „Abkommen zwischen Neuseeland und dem separaten Zollgebiet von Taiwan, Penghu, Kinmen und Matsu über wirtschaftliche Zusammenarbeit“ (Agreement between New Zealand and the Separate Customs Territory of Taiwan, Penghu, Kinmen and Matsu on Economic Cooperation, ANZTEC) bekannte Vertragswerk ist das erste seiner Art zwischen Taiwan und einer entwickelten Volkswirtschaft bzw. einem entwickelten Land, mit dem Taiwan keine offiziellen diplomatischen Beziehungen unterhält. ANZTEC ist insofern wesentlich, als es Taiwan hilft, sich in regionale und globale Märkte zu integrieren, was der exportorientierten Volkswirtschaft des Landes nützen wird.
Als Reaktion auf die wachsende Rolle asiatischer Märkte in der Weltwirtschaft streben die großen Banken der Welt nach einer ausgedehnteren Präsenz in der Region, und eine zunehmende Zahl solcher Banken betrachtet Taiwan wegen der Größe seiner Volkswirtschaft und der engen Verbindungen mit dem riesigen festlandchinesischen Markt als wichtigen Teil ihrer Asienstrategie. „Taiwan hat ein höheres Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Singapur und Hongkong zusammen“, verrät Ajay Kanwal, Präsident und geschäftsführender Direktor der Taiwan-Niederlassung von Standard Chartered, und fügt hinzu, dass dieser Umstand viele Menschen in der internationalen Gemeinschaft überrascht. Taiwans Kapital, der verfügbare Nachwuchs und das Wissen darüber, „was man tun muss, um zu konkurrieren“, verleihen dem Land nach seiner Überzeugung das Potenzial, eine bedeutsamere regionale Rolle im internationalen Bankensektor zu spielen.
Als Standard Chartered 2007 mit der Hsinchu International Bank in der nordtaiwanischen Stadt Hsinchu fusionierte, wurde Standard Chartered Bank (Taiwan) Ltd. die erste an Taiwans Börse gemeldete ausländische Aktienbank-Niederlassung. „Wir engagieren uns stark in Taiwan“, versichert Kanwal. Die 88 taiwanischen Filialen von Standard Chartered bilden das größte Dienstleistungsnetz, das von einer solchen Niederlassung in Taiwan betrieben wird. Citibank wiederum verstärkte 2007 durch eine Fusion mit der Bank of Overseas Chinese seine Präsenz im Land und unterhält heute über 60 Zweigstellen in ganz Taiwan.
Die DBS Bank (Taiwan) Ltd. hat ihr geschäftliches Spektrum ausgedehnt, so dass es nun auch Service für Verbraucherkunden und kleinere Unternehmen umfasst. (Foto: Huang Chung-hsin)
Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum
Im März dieses Jahres organisierten Standard Chartered und die in Großbritannien ansässige Zeitung Financial Times den Taiwan-Wirtschaftsgipfel in Taipeh, ein Forum zur Diskussion der Wettbewerbsfähigkeit und des Wirtschaftswachstums des Landes. An dem Gipfel nahmen Wirtschaftskapitäne, Finanzfachleute, Regierungsvertreter und Ökonomen teil, unter ihnen Thomas Sargent, Mitgewinner des Wirtschafts-Nobelpreises 2011.
Wie an der wachsenden Zahl von an Taiwans Börse gemeldeten ausländischen Aktienbank-Niederlassungen erkennbar ist, bietet Taiwan eine geschäftliche Gelegenheit, die oft zu gut ist, als dass multinationale Finanzfirmen sie sich entgehen lassen könnten. In seiner Eröffnungsansprache auf dem Gipfel verwies Staatspräsident Ma Ying-jeou (馬英九) auf mehrere internationale Studien, welche die Stärke von Taiwans wettbewerbsintensivem Umfeld unterstreichen. Ma erwähnte etwa einen Bericht aus dem Jahr 2012 von Business Risk Service, einem von Business Environment Risk Intelligence (BERI) betriebenen Kontrolldienst, in dem Taiwan unter der Kategorie Gewinnchancen-Empfehlung weltweit auf Rang 4 eingestuft war. Er nannte zudem die Weltbank-Publikation Doing Business 2013, in der das Umfeld für geschäftliche Regulierungen in 185 Volkswirtschaften untersucht worden war und Taiwan weltweit auf Platz 16 kam, verglichen mit 2012 eine Verbesserung um neun Ränge.
Die Regierung fördert seit über zehn Jahren die Konsolidierung des in Taiwan hochgradig belebten Finanzsektors, um stärkere und profitablere Banken zu entwickeln. 2001 wurde der Finanz-Umstrukturierungsfonds gegründet, um bedrängte Banken zu retten. Die Regierung ernannte zeitweilige Manager für Banken, welche den Rettungsschirm beanspruchten, und ermunterte sie, mit anderen Finanzinstitutionen zu fusionieren. In den jüngsten Jahren haben ausländische Banken diesen Ablauf durch den Erwerb von einheimischen Banken unterstützt, darunter solche in finanziellen Schwierigkeiten. Im März 2008 zum Beispiel kaufte HSBC The Chinese Bank, die Hilfe vom Finanzumstrukturierungsfonds erhalten hatte, und DBS wiederum erwarb im Mai des gleichen Jahres die Bowa Bank, ein weiteres inländisches Finanzinstitut in Not.
Nach Auskunft von Jerry Chen, dem geschäftsführenden Direktor der DBS Bank (Taiwan) Ltd., hatte DBS vor dem Erwerb der 39 Zweigstellen von Bowa lediglich ein Büro in Taiwan, das ähnlich wie eine Nebenstelle der DBS-Regionalzentrale in Hongkong betrieben wurde. „Vor dem Kauf von Bowa konzentrierten wir uns auf Firmen-Bankwesen für größere Unternehmen, doch unser geschäftliches Spektrum hat sich nun erweitert und erfasst auch kleine und mittlere Unternehmen sowie Bankwesen für Verbraucher“, beschreibt er. Firmendarlehen für kleine und mittlere Unternehmen ist heute einer der am schnellsten wachsenden Aspekte des Geschäfts von DBS in Taiwan, ergänzt Chen.
Um tiefere Verbindungen in Taiwan zu knüpfen, befassen sich die an Taiwans Börse gemeldeten ausländischen Aktienbank-Niederlassungen mit Firmenprojekten für soziale Verantwortung. „Wir versetzen Gruppen, die sich für öffentliche Belange einsetzen, in die Lage, dem Ziel näherzukommen, soziale Unternehmen zu werden“, behauptet Chen. „Unter jenem Geschäftsmodell brauchen sie sich nicht allein auf Spenden zu verlassen.“ DBS steht solchen Gruppen unter anderem dadurch bei, dass man ihnen Finanzberatung bietet und ihre Jobschulungsprogramme sponsert.
Im Mai dieses Jahres wurde der Standard Chartered-Beirat für Beschäftigung von Sehbehinderten ins Leben gerufen, mit dem eine Firmenallianz gebildet werden soll, welche ein günstiges Arbeitsumfeld für Sehbehinderte fördert. Im Juni dieses Jahres fand der Standard Chartered-Wohlfahrtslauf durch die Stadt Taipeh statt, der mehr Aufmerksamkeit auf Sehbehinderte lenken und Spenden erheben sollte, mit denen mehr Jobs für Sehbehinderte geschaffen werden. Über 150 sehbehinderte Läufer nahmen an der Veranstaltung teil, mit dem Beistand von Standard Chartered-Angestellten, die dafür als Führer besonders geschult worden waren.
Keine Finanz-Boutique
Die ANZ Bank wiederum sponsert Umwelt-Engagement wie Reinigung von Uferzonen oder Programme, in denen jüngere Mitglieder benachteiligter Gruppen mehr darüber lernen, wie man die eigenen Finanzen verwaltet. „Wir bemühen uns, Land und Leuten hier näher zu kommen“, verkündet King von ANZ. „Wir sind keine Finanz-Boutique. Wir sind nicht nur für Großunternehmen da, unserem ursprünglichen Geschäftsbereich, sondern auch für normale Leute.“ King bezieht sich damit auf den jüngsten Schwerpunkt seiner Bank auf Verbraucherdienstleistungen wie Kreditkarten, persönliche Finanzen und Hypotheken.
Im Hinblick auf die Zukunft regt King an, die Regierung könne mehr ausländische Banken nach Taiwan locken, indem man ihnen Zugang zu einem breiteren Bereich von Geschäftszweigen gewährt. Huang von der FSC weist jedoch darauf hin, dass in Taiwan für in- und ausländische Banken die gleichen Bestimmungen und Standards gelten. „Wir erkennen den Einfallsreichtum und die Dynamik an, welche ausländische Banken den einheimischen Finanzmärkten beschert haben, aber wir müssen auch die Finanzsicherheit und Risikokontrolle beibehalten“, erklärt er.
Im größeren Zusammenhang helfen die Beiträge der ausländischen Banken nach Huangs Worten dem Land, eine größere finanzielle Stärke zu entwickeln. Das wird im Gegenzug Taiwans Bemühungen fördern, ein bedeutendes regionales Finanzzentrum werden.
(Deutsch von Tilman Aretz)