16.05.2025

Taiwan Today

Wirtschaft

Eine unorthodoxe Rezeptur

01.05.2014
SunnyHills ist eine beliebte Ananaskuchen-Marke und konzentriert sich seit der Eröffnung einer Filiale in Taipeh im Jahr 2011 auf Expansion ins Ausland. (Foto: Chang Su-ching)
Vor einem zu einer Seite offenen Innenhof eines Gebäudekomplexes in Hanglage an der Landstraße Nr. 139 im zentraltaiwanischen Landkreis Nantou, die zum Landschaftsgebiet Baguashan führt, steht immer eine lange Reihe von Menschen Schlange. Sobald die Besucher es ins Gebäude geschafft und Platz genommen haben, erhalten sie gratis eine Tasse Tee und ein Stück Ananaskuchen. Das Bedienungspersonal unternimmt keinen Versuch, den Gästen etwas anzudrehen, doch nur wenige der Besucher, nachdem sie von dem Gebäck gekostet haben, verlassen das Lokal, ohne mehrere Schachteln Ananaskuchen erworben zu haben. Der Bau, ursprünglich ein Wohnhaus, ist heute die Zentrale und Produktionsstätte von SunnyHills, eine der beliebtesten Ananaskuchen-Marken Taiwans.

Früher betrachtete man Ananaskuchen als wenig mehr als irgendein x-beliebiges eckiges Gebäck, doch in den jüngsten Jahren sind Ananaskuchen zu den beliebtesten gebackenen Leckerbissen für Besucher aus dem In- und Ausland geworden. Manche glauben, ihr Siegeszug lasse sich auf die Öffnung Taiwans für festlandchinesische Touristen im Jahr 2008 zurückführen, weil diese gern essbare Andenken mit nach Hause nehmen. Andere sind der Überzeugung, die kleinen Kuchen seien wegen des jährlichen Ananaskuchenfests in Taipeh zum Verkaufsschlager geworden; das Fest wird seit 2006 von der Stadtverwaltung Taipeh organisiert, um bei Touristen für das Konditorei-Erzeugnis zu werben. Was auch immer die Ursache sein mag, die Gesamteinkünfte von Taiwans Ananaskuchenherstellern stiegen von 3 Milliarden NT$ (71,42 Millionen Euro) im Jahr 2006 auf 40 Milliarden NT$ (952,38 Millionen Euro) im vergangenen Jahr, teilte Taipehs Bürgermeister Hau Lung-bin (郝龍斌) im Juni jenes Jahres auf dem Ananaskuchenfest mit.

Mit Blick auf einen Anteil an einem so lukrativen Markt haben alteingesessene Bäckereien und Konditoreien ihre Produktion auf Ananaskuchen umgestellt, und es entstanden daneben auch viele neue Geschäfte. SunnyHills verfolgt dagegen ein anderes Ziel. „SunnyHills ist nicht so sehr eine Bäckerei, sondern positioniert sich als Agro-Unternehmen, das den örtlichen Bauern helfen will“, beteuert Firmenchef und Mitbegründer Michael Sheu. „Wir verwenden taiwanische Agrarprodukte, und es geht uns darum, den Wert des inländischen Landwirtschaftssektors zu steigern.“

Sheu und sein jüngerer Bruder, der in Nantou Tee angebaut hatte, und einer ihrer Vettern schmiedeten 2008 die ersten Pläne, in den Ananaskuchen-Markt einzusteigen. Bald wurde ihnen jedoch klar, dass das nicht so einfach sei, da es schon viel Konkurrenz gab und die drei über keine entsprechende Erfahrung verfügten.

Sie wandten sich an ihren Onkel Lan Sha-zhung, früher im Backgewerbe tätig und nun im Ruhestand, und baten ihn um Hilfe. Lan sagte ihnen, dass die meisten Bäcker der Füllung Wachskürbis (Benincasa hispida) — im Deutschen auch „Wintermelone“ genannt — zusetzen, um das herbe Aroma und die raue Textur der Ananas auszugleichen, manche Bäcker ersetzen Ananas sogar komplett durch Wachskürbis. In beiden Fällen heißt das Gebäck trotzdem Ananaskuchen. Nach einigem Hin und Her beschloss das Team von SunnyHills, das Produkt dadurch abzuheben, dass für die Füllung ausschließlich eine Ananassorte mit der Bezeichnung „Cayenne Nr. 2“ verwendet werden sollte und man auf den Gebrauch von Wachskürbis vollständig verzichtete. „Das war ein kühner Beschluss“, prahlt Andre Hsieh, der Markenberater der Firma. „Als neue Marke brauchte SunnyHills etwas, um sich von vorhandenen Produkten zu unterscheiden.“

Sheu erläutert, dass Cayenne Nr. 2 in den fünfziger und sechziger Jahren die am häufigsten angebaute Ananassorte war, als Taiwan weltweit zu den größten Exporteuren von Dosenananas zählte. In den achtziger Jahren jedoch verloren Taiwans Obstexporteure allmählich gegenüber Ländern mit niedrigeren Produktionskosten an Boden. Gleichzeitig gewannen neue Sorten, die süßer und saftiger sind, auf dem Inlandsmarkt für frisches Obst an Beliebtheit. Diese Trends hielten an, und 2008 bekamen Bauern im Landkreis Nantou für jedes taiwanische Pfund (604,789 Gramm) angebaute Ananas zwischen 1,5 und 2 NT$ (3-4 Cents), während ihre Kosten für den Anbau dieser Menge sich auf 4,5 bis 5 NT$ (10-11 Cents) beliefen. „Je mehr Ananas die Landwirte anbauten, desto mehr Geld verloren sie“, sagt Sheu. „Trotzdem baute man sie weiter an, weil die Farmer das seit Jahrzehnten getan hatten und nicht wussten, was sie sonst machen sollten.“

In weniger als sechs Jahren mauserte SunnyHills sich von einer kleinen Bäckerei im Landkreis Nantou zu einem internationalen Betrieb, der im Dezember vergangenen Jahres eine vom japanischen Architekten Kengo Kuma gestaltete Filiale in Tokyo aufmachte (unteres Bild). (Foto mit freundlicher Genehmigung von SunnyHills)

Um eine ausreichende Versorgung mit Früchten zu gewährleisten, beschloss Sheu, örtliche Bauern vertraglich zu verpflichten, auf 30 Hektar Cayenne Nr. 2 anzupflanzen, und er garantierte ihnen einen Abnahmepreis von 6 NT$ (14 Cents) je Taiwanpfund. „So einen Vertrag hatte noch nie jemand angeboten, deswegen klang das zu schön, um wahr zu sein, und zuerst waren die Bauern zweifellos misstrauisch“, erinnert er sich. „Ich musste das Geld auf ein Treuhänderkonto einzahlen, bevor sie bereit waren, etwas zu unterschreiben.“ Langsam gelang es ihm, das Vertrauen der Bauern zu gewinnen, und die Nachfrage nach Cayenne Nr. 2 stieg so sehr, dass SunnyHills heute Landwirte für den Anbau der Frucht auf 300 Hektar Land zu einem garantierten Abnahmepreis von 10 NT$ (24 Cents) je Taiwanpfund unter Vertrag hat.

Während Sheu sich emsig darum kümmerte, den Nachschub von Rohzutaten für die Füllung zu sichern, begann Lan, an einer anderen Rezeptur für Ananaskuchen zu arbeiten. Schließlich beschloss er, als Süßstoff ausschließlich Maltose zu verwenden und auf andere Zusätze zu verzichten, mit welchen manche Bäcker den Säuregehalt regulieren. Diese Entscheidungen hatten zur Folge, dass man nun kein einheitliches Aroma hat, der Geschmack von SunnyHills-Ananaskuchen variiert je nach Saison, denn die im Sommer geernteten Ananas-Früchte sind süßer als das zu anderen Jahreszeiten geerntete Obst. Lans zu Testzwecken gebackene Ananaskuchen mit leicht unterschiedlichen Rezepturen wurden von Freunden und Verwandten probiert, und ihre Reaktionen und Anregungen flossen in die folgenden Versuchsreihen ein.

Die Größe der Ananaskuchen, welche SunnyHills vertreibt, unterscheidet sich von anderer Ware auf dem Markt. Anders als die meist 4 Zentimeter langen Ananaskuchen haben nach Sheus Worten die von seinem Unternehmen hergestellten Leckereien die „goldenen Proportionen“ von 6 × 3 × 2,5 Zentimetern.

Als die Entwicklung der Backwaren im Gange war, wurde es Zeit, sich auf einen Markennamen festzulegen. „Jeder Ananaskuchen enthält Früchte, die auf diesen sonnigen Bergen angebaut werden, und hier werden sie auch gebacken“, erzählt Hsieh. „Die Firma wählte SunnyHills, weil dieser Name ein Gefühl und ein Image vermittelt.“ Das Firmenlogo — ein fahrender Radler — hat gleichfalls lokale Ursprünge, denn die an der Firmenzentrale vorbeiführende Landstraße ist bei Radfahrern beliebt. Hsieh: „Noch wichtiger ist, das Fahrrad erinnert uns daran, dass wir uns abstrampeln müssen, um voranzukommen.“

Einen Markt schaffen

Nach acht Monaten Arbeit an der Rezeptur, der Verpackung und anderen Details begann SunnyHills im April 2009 mit dem Verkauf von Ananaskuchen. Die „ehrlichen Ananaskuchen“, wie Hsieh sie nennt, wurden von den einheimischen Verbrauchern schnell anerkannt. „Für uns bedeutete das, dass wir einen Markt für die Ananas Cayenne Nr. 2 geschaffen hatten und weiter in der Lage sein würden, den örtlichen Ananasbauern eine Gelegenheit zu bieten“, freut sich Sheu. „Wir dachten außerdem, wir könnten mit Arbeitsplätzen in der Bäckerei die ökonomischen Aussichten unserer Heimatstadt verbessern.“ SunnyHills erzeugt seine Ananaskuchen überwiegend mit Handarbeit, automatische Produktionsanlagen kommen nur zur Festzeit von Feiertagen wie dem Mondfest zum Einsatz, wenn die Nachfrage am höchsten ist. „Für Herstellung von Hand braucht man mehr Arbeitskräfte, und damit schafft man mehr Jobs für die Menschen in unserer Stadt“, begründet Sheu. „Für uns ist das wichtiger als Produktivität.“ Derzeit beschäftigt SunnyHills 280 örtliche Mitarbeiter im Alter zwischen 20 und 80 Jahren.

Am Anfang lief indes nicht alles so wie geplant. SunnyHills hatte ursprünglich beabsichtigt, Bestellungen über Internet und Telefon anzunehmen, doch dann begannen ungeduldige Kaufinteressenten, die nicht auf die Lieferung warten wollten, am Produktionszentrum in Nantou aufzukreuzen, obwohl die Adresse nicht auf der Firmenwebsite verzeichnet war. Anstatt den Besuchern die Tür zu weisen, zeigte SunnyHills sich gastfreundlich und setzte jedem von ihnen eine Tasse Tee und ein Stück Ananaskuchen vor. „Wir hatten an der Fabrik keine ,Kunden‘ erwartet, deswegen behandelten wir sie wie Gäste“, behauptet Sheu. „Da, wo ich herkomme, erachten wir es stets als Vergnügen, Gästen Tee und Snacks anzubieten.“ Die Nachricht von SunnyHills Gastfreundlichkeit und den schmackhaften Ananaskuchen verbreitete sich durch Flüsterpropaganda und Medienberichterstattung, und die Fabrik in Nantou mauserte sich zu einem Besucherziel, das Touristen keinesfalls versäumen wollten. Im ersten Betriebsjahr von SunnyHills verzehrten Gäste, die in der Fabrik vorbeischauten, um die 300 000 Ananaskuchen.

Im Oktober 2013 eröffnete SunnyHills eine Filiale in Shanghai. Alle Gäste werden mit einem kostenlosen Stück Ananaskuchen und einer Tasse Tee begrüßt. (Foto mit freundlicher Genehmigung von SunnyHills)

Das Geschäft kam bald in Schwung, und im Juli 2010 machte die Firma ihre erste Verkaufsfiliale in Taipeh auf. In typischer Weise wurden die Besucher der Filiale mit einem Gratis-Ananaskuchen und einer Tasse Tee begrüßt. Gleichzeitig hatte die zunehmende Anerkennung des neuen Ananaskuchen-Rezepts von SunnyHills durch die Kundschaft zur Folge, dass viele Bäckereien mit Nachahmungen aufwarteten. Schon bald wurde der Markt mit Ananaskuchen überschwemmt, deren Füllung die Cayenne-Sorte enthielt und deren Verpackung und Markenname sehr ähnlich wie bei SunnyHills war. Sheu schätzt, dass die Produktion von Cayenne-Ananas in Taiwan quantitativ um das über 30-Fache gestiegen ist, seit SunnyHills mit dem Verkauf seiner Kuchen begann. „Eigentlich ist das eine gute Sache, denn das bedeutet, dass mehr Menschen einheimische Agrarprodukte verwenden, und das hilft dem Wachstum des Landwirtschaftssektors“, argumentiert er.

Der frühe Start von SunnyHills und die stabile Anerkennung durch die Kunden hätten für die Firma ein anhaltendes Wachstum auf dem Inlandsmarkt möglich machen können. Doch anstatt auf Kosten einheimischer Geschäfte einen größeren Marktanteil im Inland anzustreben, entschied SunnyHills sich für internationale Expansion. Im August 2011 eröffnete die Firma ihre erste Auslandsfiliale im bekannten Raffles Hotel in Singapur. „Das jahrhundertealte Hotel ist ein teurer Standort, und wir mussten bestimmte Marken- und Gastronomie-Kriterien erfüllen, um hineinzukommen“, berichtet Hsieh. „Dafür werden wir vom Raffles Hotel gutgeheißen, was unseren Produkten ein klassisches Image verleiht und das Gefühl der Zugehörigkeit zu einem gehobenen Marktsegment erzeugt.“ Laut Sheu läuft das Geschäft im Raffles Hotel recht gut, jeden Tag finden im Schnitt um die 5000 Ananaskuchen Abnehmer. Die Kundschaft setzt sich einigermaßen gleichmäßig aus Einheimischen und dort ansässigen Taiwanern und Japanern zusammen, und häufig kaufen Firmenkunden das Gebäck für besondere Anlässe.

Herausforderung aus Tokyo

Nach dem Erfolg in Singapur machte SunnyHills im Oktober 2013 eine Filiale in Shanghai auf und im Dezember des gleichen Jahres eine in Tokyo. Sich in Tokyo geschäftlich zu betätigen erwies sich als besonders schwierig, denn Desserts sind in Japan beliebt und die Konkurrenz in dem Sektor ist im Land der aufgehenden Sonne außerordentlich intensiv, gerade in Tokyo. SunnyHills stieß indes nicht unvorbereitet auf den Markt vor, denn die Firma wandte für die Tokyo-Filiale drei Jahre Planung und beträchtliche finanzielle Mittel auf. Angesichts einer Marktstudie, gemäß der die Verbraucherakzeptanz für süßes Kleingebäck in Japan relativ gering ist, wird die Füllung der von SunnyHills in Japan verkauften Ananaskuchen ausschließlich aus Früchten zubereitet, die zwischen Juni und Juli geerntet werden und einen geringeren Säuregehalt haben. Das Unternehmen setzte außerdem den Preis der Ananaskuchen auf 300 Yen (2,11 Euro) pro Stück fest, weil die Studie diesen Betrag als Marktpreis für hochwertige Backwaren ergab. „Wir versuchen nicht, dort taiwanisches Gebäck an sich zu verkaufen“, erläutert Hsieh. „Unser Ziel ist, im oberen Marktsegment eine anerkannte taiwanische Marke zu etablieren.“

Das Knifflige dabei war, dass im Einzelhandel ein Ananaskuchen von SunnyHills in Taiwan für 35 NT$ (83 Cents) und in Singapur und Shanghai für 60 NT$ (1,42 Euro) verkauft wird und die Firma eine Rechtfertigung finden musste, in Japan einen höheren Preis zu verlangen. Die Lösung fand sich, indem man das Grundrezept benutzte, hochwertige Zutaten aber austauschte und das Produktionsverfahren modernisierte. Für die auf dem japanischen Markt verkauften Ananaskuchen wird die allerbeste Butter verarbeitet (Echire-Butter aus Frankreich), und man backt sie in Präzisionsformen, die dem Gebäck eine perfekte Form geben.

SunnyHills beauftragte zudem den namhaften japanischen Designer Kengo Kuma mit der Arbeit an der Fassade und Inneneinrichtung der Tokyo-Filiale. „Es gibt dort viele jahrhundertealte Konditoreibetriebe“, weiß Hsieh. „Als neue Marke auf dem Markt mussten wir nicht nur ein hochwertiges Produkt anbieten, sondern auch ein ungewöhnliches, auffälliges Ladenlokal unterhalten, um die Aufmerksamkeit der Menschen zu erregen.“ Kumas Bemühungen ergaben einen Bau, der außen mit einer Holzbalken-Gitterkonstruktion verkleidet ist. Das Design soll Passanten hereinlocken, und die Baukosten betrugen insgesamt 100 Millionen NT$ (2,38 Millionen Euro). Die Innenrichtung ist der Außenfassade nachempfunden, und gemäß der SunnyHills-Tradition begrüßt ein Mitarbeiter am Eingang die Besucher mit einer Tasse Tee und einem Stück Ananaskuchen. Laut Hsieh waren die japanischen Kunden angenehm überrascht, und die Ananasprodukte des Unternehmens finden offenbar auf dem Markt recht guten Anklang. Die Bestrebungen der Firma beschränken sich allerdings nicht auf Tokyo, denn SunnyHills plant die Ausdehnung der geschäftlichen Aktivitäten in andere asiatische Städte wie Beijing und Hongkong.

Zwar begann SunnyHills als kleine örtliche Bäckerei, doch ist die Firma im Laufe der jüngsten fünf Jahre rasant gewachsen. Der maßgebliche Beschluss, in dem außergewöhnlichen Rezept Ananas der Sorte Cayenne Nr. 2 zu verarbeiten, war zweifellos einer der Gründe für diese Entwicklung, und die Übernahme eines Geschäftsmodells, das im Konditoreigewerbe nicht üblich ist, spielte augenscheinlich eine wichtige Rolle dabei, dass SunnyHills auf höchstem internationalen Niveau mithalten kann. „Wir betreiben keine lokale Bäckerei“, versichert Hsieh. „Wir schaffen eine Marke taiwanischer Agrarprodukte.“

(Deutsch von Tilman Aretz)

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