22.07.2025

Taiwan Today

Frühere Ausgaben

So spricht das Boot

01.01.2014
Die Konzentration unterschiedlicher Fischereimethoden in Taiwans Gewässern. (Foto: Courtesy Lin Chung-hung)
Im April des vergangenen Jahres wurde in Taipeh ein epochales Fischereiabkommen zwischen Taiwan und Japan unterzeichnet. Der Vertrag war insofern wichtig, als die traditionellen Fischereigründe der beiden Seiten beträchtliche Überschneidungen aufweisen. Ein Teil der japanischen Yaeyama-Inseln zum Beispiel liegt gerade mal gut 100 Kilometer vor Taiwans Ostküste. Das Abkommen vom April 2013 legte eine Zone von etwa 23 000 Quadrat-Seemeilen nordöstlich von Taiwan fest, wo taiwanische Fischerboote sich ohne Störungen von Japan betätigen dürfen.

Die ausgiebigen Vorbereitungsgespräche für den Vertrag hatten Mitte der neunziger Jahre begonnen. In den jüngsten Jahren konnten die Mitglieder der taiwanischen Verhandlungsdelegation auf ein im Inland entwickeltes Fischereidaten-Sammlungssystem zurückgreifen, enthüllt Lin Chung-hung, Dozent an der Abteilung für System- und Seemechatronik-Ingenieurwesen der National Cheng Kung University (NCHU) im südtaiwanischen Tainan. „Die Verhandlungen müssen mit konkreten Daten gestützt werden“, begründet Lin und fügt hinzu, dass andere Quellen für solche Informationen wie etwa örtliche Fischereiverbände unzuverlässig sein können.

Laut Lin wird das Fischereidatensystem, das er seit Mitte des ersten Jahrzehnts nach der Jahrtausendwende mit aufbaute und betrieb, in Taiwan ausgiebig genutzt und enthält immer noch ein enormes Potenzial für das einheimische Fischereigewerbe. Zwar basiert es auf bekannter Technologie wie dem Globalen Positionsbestimmungssystem (Global Positioning System, GPS), ist als Ganzes indes einzigartig, weil es Informationen von etwa 70 Prozent der mit Dieselmotoren betriebenen Fischerboote des Landes sammelt, erläutert er. „Es hat einen breiten, aber noch nicht vollständig erforschten Anwendungsbereich, der bei der Gestaltung von Fischereipolitik und Ozeanressourcenverwaltung hilfreich ist.“ Der Professor ist eine führende Gestalt im Fischerboot- und Meerestechnik-Forschungszentrum seiner Lehranstalt, das 1979 vom Landwirtschaftsrat (Council of Agriculture, COA), einer Behörde in Ministeriumsrang, gegründet worden war, um das Wissen und die Einrichtungen der NCKU-Abteilung für Tests und Erforschung von Verbesserungen bei Schiffsbau und Fischereitechnologien zu nutzen.

Das Fischereidatensystem entstammt einem Projekt aus dem Jahr 2005 im Auftrag der COA-Fischereibehörde, mit dem Schiffsdatenschreiber (Voyage Data Recorder, VDR) für Fischereiboote entwickelt werden sollten. Die Geräte sollten der Behörde dabei helfen, den Verkauf von subventioniertem Dieseltreibstoff zuzuweisen, was sich nach den Betriebsstunden eines Fischerbootes richtet. Lin arbeitete an dem auf Booten installierten VDR-System, das mit GPS-Satellitensignalen während der Fahrt die Position eines Bootes bestimmt und alle drei Minuten seine Koordinaten aufzeichnet. Wenn ein Fischerboot zum Auftanken in den Hafen zurückkehrt, werden die Daten vom Bord-VDR heruntergeladen und dazu benutzt, die Betriebsstunden des Bootes anhand der Aufzeichnungen der Bewegungen auf See zu berechnen.

In der Vergangenheit wurden die Betriebsstunden eines Fischerbootes aufgrund des Intervalls zwischen Auslaufen und Rückkehr in den Hafen berechnet. „Dieses Verfahren erforderte eine nicht unwesentliche Zahl manueller Schritte, was zu Fehlern führen und danach Uneinigkeit nach sich ziehen konnte, und manchmal verursachte das eine Wartezeit für Boote“, berichtet Wang Cheng-fang, Direktor der Fischerei-Reglementierungsabteilung in der Fischereibehörde. Außerdem stellte man fest, dass nicht wenige Boote für längere Zeit auf See blieben, um dadurch längere „Betriebszeiten“ zu registrieren und so entsprechend mehr preiswerten Treibstoff zugewiesen zu bekommen, rügt Wang.

Der Dozent Lin Chung-hung (stehend) und zwei Assistenten im VDR-Datenverarbeitungszentrum der National Cheng Kung University im südtaiwanischen Tainan. (Foto: Chang Su-ching)

Gegen Ende 2006 begann die Fischereibehörde, Fischerboote zum Einbau eines VDR zu verpflichten, um Anspruch auf subventionierten Treibstoff zu haben, und man bot die Geräte erst Booten mit mehr als 20 Tonnen gratis an, später auch Booten mit geringerer Tonnage. Zur Zeit sind von Taiwans 11 214 Fischerbooten mit Dieselmotoren gut 7800 mit VDR-Geräten ausgestattet. Ausgenommen von dem Plan sind 514 Tiefsee-Fischerboote und 2858 sehr kleine Wasserfahrzeuge, die keine geeignete Steuerkabine besitzen, in der man ein solches Gerät einbauen könnte.

Zwar ist die Technologie hinter dem VDR-System recht gewöhnlich, aber das Design jedes einzelnen Geräts muss garantieren, dass sie leicht zu bedienen sind und die rauen Verhältnisse auf See aushalten können, so Lin. „Zuallererst muss es ein stabiles, zuverlässiges System sein, das den Fischern so wenig Ärger und Zusatzarbeit wie möglich verursacht“, betont der Professor. Im Grunde genommen muss die Besatzung nichts weiter tun als das Gerät ein- oder ausschalten. Selbst dieses einfache Betätigen des Schalters könnte sich in Zukunft erübrigen, da folgende Designs wahrscheinlich eine automatische Ein- und Abschaltfunktion umfassen, verrät Lin. Das Gerät muss auch robust konstruiert sein. „Es muss angemessen in einem ständig schaukelnden Boot funktionieren, und die feuchten, salzigen und sengend heißen Verhältnisse auf dem Meer dürfen ihm nichts anhaben“, empfiehlt Wang. Abgesehen von manchen Problemen mit der Stromversorgung in der ersten Phase des Einbaus haben die örtlichen Fischereiverbände weniger als 3 Prozent der VDRs als schadhaft gemeldet. „In solchen Fällen wird der Durchschnitt der vergangenen drei Auftank-Aufzeichnungen verwendet“, ergänzt Wang.

Die an der Auftankstation eines Hafens heruntergeladenen Fahrtdaten werden auch zum VDR-Datenverarbeitungszentrum in Lins Abteilung an der NCKU geschickt. Der Professor erklärt, dass die Rohdaten von einem VDR lediglich aus einer Kombination von Buchstaben und Zahlen bestehen, aber zu einer Vielzahl nützlicher Informationen weiterverarbeitet werden können. „In der Vergangenheit liefen unsere Fischerboote aus dem Hafen aus und waren dann quasi wie willkürlich herumfliegende Drachen“, vergleicht er. „Wir wussten wenig darüber, was sie auf See trieben, etwa wohin sie fuhren oder wie lange sie in einem bestimmten Gebiet blieben.“ Bei Nachfragen waren die Bootsführer oft sehr zugeknöpft und nicht bereit, ihre „Geschäftsgeheimnisse“ offenzulegen, fährt Lin fort, und erteilten dann nur über einen Teil ihrer Routen oder Aktivitäten Auskunft. Heute kann der Kurs eines Fischerboots mit den in seinem VDR gespeicherten Daten ermittelt werden. „Solche Boote würden auf See nicht herumgondeln und nichts tun“, sagt Lin. „Wir können von ihren Aktivitäten auf die Stellen schließen, wo sich bei Fischerei viel tut.“

Wang führt die Argumentation noch einen Schritt weiter und legt dar, dass die Behörden nicht nur die Zeit einer Fahrt und die Geschwindigkeit, Richtung und Koordinaten eines Fischerbootes bestimmen, sondern auch Rückschlüsse auf andere Details der Fahrt ziehen können. Änderungen bei der Geschwindigkeit deuten etwa auf die Zahl der unternommenen Schleppnetz-Durchgänge hin, wenn das Boot das Netz auswirft, zieht oder einholt.

Solche Informationen erweitern die Nützlichkeit des Systems weit über seinen ursprünglich beabsichtigten Zweck hinaus und erweisen sich für Fischereiforscher und politische Entscheidungsträger als zunehmend wertvoll. „Für Fischereiverwaltung braucht man ein genaues Verständnis darüber, wie Fischerei durchgeführt wird“, argumentiert Wang.

Das ist in Taiwan kein kleines Unterfangen, fährt er fort, denn die geographische Lage des Landes zwischen tropischen und subtropischen Zonen und am Knotenpunkt mehrerer Meeresströmungen bedeutet, dass ein breites Spektrum von Fischarten vorhanden ist und daher unterschiedliche Fischereitechniken zur Anwendung kommen. „Der Mangel an zuverlässigen Daten über Fischerboote während ihrer Arbeit auf See erschwert es, ein adäquates Verständnis über Fischerei in Küsten- und Offshore-Regionen zu gewinnen und diese wirksam zu verwalten“, merkt Wang an.

Der Fischereihafen Nanliao im nordosttaiwanischen Landkreis Yilan. (Foto: Chang Su-ching)

Fischer finden

Wenn solche Informationen von zahlreichen Booten kombiniert werden, erhält man genaue Hinweise nicht nur darauf, wo die wichtigen Fischereigründe sich befinden, sondern auch auf die angewandten Fischereimethoden. Eine Studie aus dem Jahr 2011 auf der Grundlage von VDR-Daten von 1672 Fischereibooten zeigte, dass in Fischereigebieten vor der Küste und in weiter entfernten Gewässern vor Südtaiwan von der Stadt Tainan bis zum Landkreis Pingtung, einem der wichtigsten Fischereigründe des Landes, die üblichsten Methoden der Einsatz von Wadennetzen und Schleppnetzen sowie Langleinenfischerei sind. „[Das Wissen über] die verschiedenen Fischereiarten, die in einem Fischereigrund zur Anwendung kommen, bietet wesentliche Hintergrundinformationen, um Fischereiressourcen zu bewahren und Schutzgebiete zu planen“, führt Wang aus.

Es können so auch Besonderheiten ans Licht kommen. „Wenn ein Boot beim Schleppen eines Netzes die Geschwindigkeit verminderte, können wir spekulieren, dass das geschah, weil es an einem anderen Fischerboot vorbeifuhr und vermeiden wollte, dass ihre Netze sich ineinander verheddern“, sagt Wang.

Weil die Privatsphäre geschützt werden muss, werden die Daten nur kollektiv verwendet und nicht, um einzelnen Booten zu folgen, versichert Wang. Die Fischereibehörde macht jedoch gelegentlich Ausnahmen, etwa im Mai vergangenen Jahres, als ein taiwanisches Fischerboot von einem Fahrzeug der philippinischen Küstenwache angegriffen wurde, weil es nach Ansicht der Philippinen in seine Hoheitsgewässer eingedrungen war. Zwischen den Regierungen der beiden Seiten gab es beträchtliche Spannungen hinsichtlich mehrerer Fakten des Falles, darunter die Position des taiwanischen Bootes, doch einige Tage später konnte anhand der VDR-Daten des Fischerbootes schlüssig bewiesen werden, dass das Boot nie in philippinische Hoheitsgewässer eingedrungen war. „Ich bin froh und stolz, dass das VDR-Datensystem dazu beitrug, die Rechte unserer Fischer zu schützen“, kommentiert Lin, dessen Büro die Daten von dem taiwanischen Boot analysierte und eine Karte erstellte, auf welcher die Fahrt des Bootes zurückverfolgt wurde. Später besuchte ein Team von der philippinischen Regierung im Rahmen ihrer offiziellen Untersuchung des Vorfalls das Zentrum an der NCKU.

Nach Lins Worten plant seine Gruppe, die VDR-Geräte zu modernisieren, so dass sie auch eine Alarmfunktion ausüben, bei der eine Leuchte blinkt oder ein Warnton ertönt, sobald ein Boot sich den Hoheitsgewässern eines anderen Staates nähert, was den einheimischen Fischern zusätzlichen Schutz bieten soll. Des Weiteren gibt es Pläne, das VDR-System mit den drahtlosen WiFi-Netzen, die in Häfen eingerichtet wurden, zu integrieren.

„VDR-Daten zeigen die Intensität der Aktivität von Fischerbooten in einer Region, was der Regierung dabei helfen kann, Entscheidungen darüber zu treffen, ob die Infrastruktur eines nahe gelegenen Hafens verstärkt werden soll“, sinniert er. Für den Professor haben die kleinen Kästen an Bord von Fischerbooten auch durch die anhaltende Unterstützung durch die Fischereibehörde gerade erst begonnen, ihren wahren Wert zu zeigen.

(Deutsch von Tilman Aretz)

Meistgelesen

Aktuell