Nachdem Koxingas Widerstand zusammengebrochen war und die Mandschu 1683 die Herrschaft über Taiwan erlangten, wurden alle Missionare von der Insel vertrieben. Erst als 1859 katholische Dominikaner nach Taiwan kamen, konnte die missionarische Arbeit wieder aufgenommen werden. Die protestantische Missionsarbeit wurde von Dr. James Maxwell, einem englischen Presbyterianer, der im Mai 1865 im Süden Taiwans eintraf, geleitet. 1872 landeten kanadische Presbyterianer in Nordtaiwan, angeführt von Dr. George Leslie MacKay, an dessen Verdienste um die Gemeinde das große MacKay Krankenhaus in Taipei noch heute erinnert.
Als Taiwan 1895 an Japan abgetreten wurde, brach für die christliche Bevölkerung der Insel eine weitere schwierige Zeit an, denn die japanische Regierung verhielt sich der jungen taiwanesischen Kirche gegenüber recht feindselig.
Außer der presbyterianischen gab es noch andere Kirchen, die auf der Insel wirkten und Menschen bekehrten. So gründeten zum Beispiel 1926 mehrere Festlandchinesen, die der Wahren Kirche Christi angehörten eine Ortskirche und 1929 nahm die Heiliggeist Kirche Taiwan, unter der Führung eines japanischen Missionars, ihre Arbeit auf.
Nach Ende des 2. Weltkriegs mußten die Japaner Taiwan an die Republik China zurückgeben. Drei Jahre später zählte man unter der taiwanesischen Bevölkerung bereits 30 429 getaufte Presbyterianer. Unter den eine Million vor den Kommunisten fliehenden Chinesen, die 1949 vom chinesischen Festland nach Taiwan kamen, befanden sich bereits einige Christen. Zu jener Zeit fingen die Kommunisten an alle Religionen, einschließlich des Christentums, zu verfolgen. Die ausländischen Missionare standen vor der Wahl entweder das Land zu verlassen, oder eventuell Gefangenschaft in Kauf zu nehmen.
Da die Kommunisten die freie Ausübung der Religion immer rigoroser unterdrückten und auch vor der Hinrichtung von Missionaren und deren Anhängern nicht halt machten, suchten viele Menschen Schutz auf Taiwan. Aus dem Zustrom christlicher Flüchtlinge seit 1949 resultierten zahlreiche Kirchengründungen.
Von den 57 Ortskirchen seien hier nur diejenigen genannt, deren Mitgliederzahl 5 000 übersteigt:
Dazu zählen die Presbyterianische Kirche mit ca. 210 000 Mitgliedern in 1 043 Ordensgemeinschaften, die Vereinigungskirche mit ca. 50 000 Anhängern, die Wahre Kirche Christi mit 25 000, die Baptistische Kirche Taiwans mit ca. 15 000 und die Adventisten mit ca. 5 500 Mitgliedern.
Die Ordensgemeinschaften der meisten Kirchen, mit Ausnahme der Presbyterianischen Kirche, befinden sich in Stadtgebieten. Schätzungen zufolge beträgt die Zahl aller auf Taiwan lebenden Christen, Katholiken ausgenommen, ungefähr 310 000, oder in anderen Worten 1,6% der 19 Millionen Einwohner Taiwans. Aufgrund des geringen Anteils von Christen in der Bevölkerung, stellt sich die Frage, ob das Christentum innerhalb der chinesischen Kultur akzeptiert werden kann. Mit Ausnahme Südkoreas, wo das Christentum starken Zulauf hat, konvertieren in anderen asiatischen Ländern nur sehr wenige Menschen zum christlichen Glauben. Ein kurzer Blick auf die Anfänge der Missionsarbeit zeigt, daß die Chinesen den christlichen Glauben nur sehr zögernd akzeptierten, ein Phänomen, das sich auch in Taiwan beobachten läßt.
Zum ersten Mal tauchte der christliche Glaube in China im Jahre 635 auf, als der nestorianische Missionar Alopen nach Hsian, der damaligen Hauptstadt der Tang-Dynastie kam. Jedoch konnte sich diese Form des Christentums nicht länger als bis zum Ende des 10. Jahrhunderts halten. Im 13. Jahrhundert, während der Tang-Dynastie, erreichten einige Franziskaner China, aber auch ihnen gelang es nicht, mit ihren christlichen Lehren Fuß zu fassen. Schon zum Ende der Yüan-Dynastie, 1368, war der christliche Glaube wieder aus China verschwunden.
Die ersten bescheidenen Erfolge waren zu verzeichnen, als im 16. Jahrhundert die Jesuiten nach China kamen und ihnen voran der berühmte Jesuitenpater Matteo Ricci (1522-1610) im Jahre 1601 in Peking eintraf. Er war schließlich in der Lage, sich am chinesischen Hof und bei der chinesischen Intelligenz Gehör zu verschaffen, weil er sich ein profundes Wissen über die chinesische Kultur angeeignet hatte. Jedoch 1610, nach Riccis Tod, wurde die Verfolgung des Christentums wieder aufgenommen und dauerte bis zum Ende der Ming-Dynastie an.
Während die frühen Ching-Kaiser dem Christentum noch wohlgesonnen waren, ordnete Kaiser Kang-Hsi 1717 die Verbannung aller Missionare an und deren Verfolgung sollte noch weitere 100 Jahre dauern.
Fast zeitgleich mit dem Eindringen des westlichen Imperialismus ins moderne China, begann auch die protestantische Missioarbeit. Ein unglückliches Zusammentreffen, welches zur Folge hatte, daß das Christentum von den Chinesen als eine Form des westlichen Imperialismus angesehen wurde und sich somit nachteilig auf die Verbreitung des Glaubens in China auswirkte. Dennoch setzte die Protestantische Kirche ihre Arbeit fort. Sie bot Ausbildungsmöglichkeiten an, um Einfluß auf die zukünftigen Führer des Landes zu nehmen. Im Rahmen dieses Programms gründete sie hervorragende Universitäten, medizinische Hochschulen und Gymnasien.
1927 gab es in China 8 518 protestantische Missionen und 3 Millionen getaufte Christen. Mit dem Aufstieg des Kommunismus in China jedoch ging die Freiheit zu predigen und den christlichen Glauben zu praktizieren verloren. Taiwan blieb, im Gegensatz zum China auf der anderen Seite der Meerenge, ein Verfechter der Religionsfreiheit. Trotzdem müssen die christlichen Kirchen Taiwans schwierigen Herausforderungen gegenübertreten.
Aus theologischer Sicht ist es die Aufgabe der Kirchen, die christlichen Lehren der ganzen Bevölkerung näherzubringen. Es wird immer noch nach der bestmöglichen Organisationsform der Kirche gesucht, damit deren Auftrag wirkungsvoller ausgeführt werden kann. Aus anthropologischer Sicht müssen sich die Kirchen auch den raschen Veränderungen anpassen, um mit dem Wandel der taiwanesischen Gesellschaft Schritt zu halten.
Osten und Westen treffen einander am Heiligen Abend in einer örtlichen christlichen Kirche.
Wie bereits erwähnt wächst die Zahl der Christen in Taiwan nur sehr langsam, was für die protestantischen Missionare und Pastoren frustrierend ist. Aus diesem Grund halten sie häufig Seminare ab, in denen diskutiert wird, wie man die Zahl der Gläubigen am besten vergrößern kann. Die Betonung liegt aber selbstverständlich darauf, dem chinesischen Volk die Frohe Botschaft zu übermitteln, was am wirkungsvollsten durch den Aufbau starker Ortskirchen und ihres gemeinsamen wöchentlichen Gottesdienstes erreicht werden kann.
Die unterschiedliche kulturelle Atmosphäre Taiwans läßt sich jedoch mit dem christlichen Gottesdienst schwer in Einklang bringen. Traditionelle chinesische Bräuche und eine eigene Philosophie entwickelten bei den Chinesen feste Vorstellungen von Form und Inhalt eines Gebets. Während Christen, den Lehren des Alten und Neuen Testaments folgend, sich kein Abbild Gottes schaffen, sondern nur im Geist zu ihm beten, ist es chinesische Tradition, das Gebet an mehrere Götter zu richten, die in Form von Figuren, Statuen und Bildern in Tempeln und Schreinen zu sehen sind.
Demzufolge gibt es in protestantischen Kirchen weder Ikonen, noch sonstige Gegenstände, die in einem Tempel oder Schrein anzufinden sind. So ist zu verstehen, warum ein Chinese, der zufällig eine christliche Kirche betritt, automatisch ablehnend reagiert. Manchmal scheinen die Kirchenmauern die Chinesen vom Christentum regelrecht auszuschließen. Inzwischen werden manche Kirchengebäude im traditionell chinesischen Stil gebaut, um eine für chinesisches Empfinden angenehmere Umgebung zu schaffen und mehr Menschen für den christlichen Glauben zu begeistern. Dies steht nicht etwa im Widerspruch zur Lehre der Bibel, sondern ist ein Versuch den christlichen Glauben für Chinesen leichter zugänglich zu machen. Doch wichtiger noch, als die Kirchen nach chinesischem Schönheitssinn und kultureller Identifikation zu gestalten, ist es, die Lehren der Bibel so wiederzugeben, daß deren Inhalt die Menschen erreicht.
Die auch heute noch am weitesten verbreitete Bibel in den christlichen Kirchen Taiwans ist ein Gemeinschaftsprodukt mehrerer Missionare, die um die Jahrhundertwende auf dem chinesischen Festland arbeiteten. Zu einer Zeit als das klassische Chinesisch die eigentliche Schriftsprache war, waren die Missionare klug genug, die Bibel in die Umgangssprache zu übersetzen. Ihre wertvollen Beiträge sind in die chinesische Kirchengeschichte eingegangen.
Aber Sprachen verändern sich mit der Zeit und Chinesisch bildet da keine Ausnahme. Aus diesem Grund veröffentlichte die Vereinigte Bibelgesellschaft 1979 erfolgreich "Die Heilige Schrift in modernem Chinesisch". Das Besondere daran ist, daß der größte Teil diesmal von Chinesen übersetzt wurde. Westler lieferten zwar Beiträge, hatten letztendlich aber nur beratende Funktion. Die Hauptverantwortlichen waren chinesische Bibelgelehrte. Diese Neuausgabe wird von chinesischen Christen mehr und mehr geschätzt. Inzwischen erreicht sie auch viele Chinesen, die sich noch nicht zum christlichen Glauben bekennen, da die Übersetzung in einem Stil geschrieben ist, der dem modernen Sprachgebrauch sehr nahe kommt.
Ein weiteres Problem der Ortskirchen ist deren Führung. Innerhalb der nächsten 20 Jahren werden viele der jetzigen Pastoren das Rentenalter erreicht haben und die Kirchen müssen einem Mangel an Nachwuchs ins Auge sehen. Daher sind verstärkte Bemühungen, qualifizierte Pastoren heranzubilden, unerläßlich. Fähige junge Männer müssen ermutigt werden, ihr Leben in den Dienst der Kirche zu stellen.
In Taiwan gibt es elf qualifizierte Bibelinstitute oder Seminare, jedoch müssen diese Institute sowohl bessere Studenten aufnehmen, als auch mehr chinesische Professoren heranbilden. Es ist nicht einfach, Chinesen zu konvertieren und noch viel schwieriger, junge Menschen davon zu überzeugen, in den geistlichen Stand einzutreten.
Die Auswirkungen Taiwans rasanter ökonomischer, und sozialer Entwicklung stellen für alle religiösen Glaubensrichtungen eine große Herausforderung dar. Arbeiter und Angestellte werden besser ausgebildet, haben ein größeres verfügbares Einkommen und verstädtern mehr und mehr. Damit haben sich die früheren Sozialstrukturen und die Erwartungen des Einzelnen schnell verändert. Glaubenslehren werden genauer überprüft. Trotz der Schnellebigkeit unserer Zeit ist das Bedürfnis nach Religiösität und Glauben vorhanden. Fraglich bleibt allerdings, ob die taiwanesischen Kirchen diesen Herausforderungen standhalten können.
Um ihrer Aufgabe der Verkündigung der Frohbotschaft gerecht zu werden, müssen die Kirchen eine Theologie entwickeln, die sowohl biblisch fundiert, als auch der taiwanesischen Kultur angepaßt ist. Sollte es ihnen möglich sein, dies in angemessener Weise zu tun, so werden die Ausweitung der Kirche und die geistige Erneuerung der Gemeinden zu bewerkstelligen sein.
Vielleicht können sogar eines Tages Missionare von taiwanesischen Kirchen ausgesandt werden, um anderen Völkern die christliche Botschaft zu verkünden. Aber bevor dies möglich ist, müssen die christlichen Kirchen Taiwans ihren Verpflichtungen innerhalb der Republik China nachkommen. - (Dr. Gwo Yun-han ist derzeit Pastor der Baptistischen Gnadenskirche in Taipei und lehrt ferner am theologischen Seminar der Baptisten.)
(Deutsch von Elke Gegg)