05.05.2025

Taiwan Today

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Als Deutschlehrer an einer chinesischen Uni

01.09.1988
Entspanntes Zusammensein auf dem Campus: - Der Kontakt zwischen Studenten und Lehrkräften beschränkt sich nicht auf den Unterricht allein.
Wenn ich bei meinen Deutschlandaufenthalten den Leuten erzähle, daß ich auf der Insel Taiwan seit über 10 Jahren lebe und dort Deutsch unterrichte, ist die Antwort oft ein ungläubiges Erstaunen und viele fragen: "Wie kannst du da so lange überleben?"

Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten, denn das Leben in der Republik China auf Taiwan ist im Vergleich zu Deutschland sehr verschieden. Das Klima im Norden ist sehr feucht, mit oft wochenlangen Monsunregenfällen und kann im Sommer mit Temperaturen um 33 Grad und über 90% Luftfeuchtigkeit bisweilen unerträglich heiß werden. Auch der Verkehr in der Stadt ist für deutsche Verhältnisse chaotisch, und die Interessen der Chinesen unterscheiden sich in vielem von denen eines Deutschen.

In den vergangenen 10 Jahren hat es natürlich bisweilen Überlegungen gegeben, ob ich nicht meine Sachen packen und nach Deutschland zurückkehren soll. Inzwischen habe ich mich allerdings mit Land und Leuten arrangiert und mir für meinen Teil das herausgesucht, was mir am Leben auf Taiwan am besten gefällt. Dabei kommt mir natürlich entgegen, daß ich an einer der sicherlich schönsten Universitäten der Republik China unterrichte, erbaut im klassischen chinesischen Stil, in den Bergen außerhalb von Taipei gelegen. - Im Vergleich zu deutschen Hochsschulen ist die Chinesische-Kultur-Universität (中國文化大學) eine sehr freie und liberale Uni, an der unter anderem so traditionelle Fächer gelehrt werden wie chinesischer Tanz, Kung-fu oder Peking-Oper.

Natürlich lehre ich nicht in diesen typisch chinesischen Disziplinen, in denen ein "Westler" wohl schwerlich einem Chinesen das Wasser reichen könnte, sondern unterrichte rund 200 Studenten auf dem mir ungleich vertrauteren Gebiet meiner deutschen Muttersprache.

Nach meinem Empfinden herrscht hier auf Taiwan beim Hochschulstudium ein geringerer Leistungsdruck als etwa an deutschen Universitäten. So fallen kaum Studenten bei den Prüfungen durch, und über 90% der Studienanfänger legen nach 4 Jahren erfolgreich ihr Examen ab, das heißt sie erhalten ihren Bachelor of Arts.

Der kritischste Punkt des ganzen Studiums ist der Eintritt in die Universität, da alle Studenten, bevor sie zum Studium zugelassen werden, eine schwierige Aufnahmeprüfung ablegen müssen. Das Bestehen dieser Prüfung ist nicht ganz einfach. Es herrscht dabei eine ziemliche Nervosität und Anspannung, und die Studenten erzählten mir, die Prüfung sei ein echter Kampf. Daß diese Schilderung den Tatsachen entspricht, ersieht man daraus, daß jedes Jahr nur rund ein Viertel aller Kandidaten diese Prüfung besteht.

Im Unterricht dagegen herrscht eine wesentlich entspanntere Atmosphäre, was aber nicht bedeutet, daß die Studenten etwa faul sind. Durch die endlose Auswendiglernerei in der High-School eignen sich chinesische Studenten besonders gut für Sprachen, da die Speicherfähigkeit ihres Gedächtnisses hervorragend trainiert ist. - Natürlich gibt es die berühmten Ausspracheschwierigkeiten mit dem "R", das von vielen, vor allem Südchinesen, als "L" gesprochen wird. Die schwierige deutsche Grammatik indessen beherrscht die Mehrzahl der Studenten relativ schnell.

Vor einiger Zeit fragte mich einmal einer meiner Studenten, welches Wörterbuch denn besser wäre, das von Langenscheid oder das von Cassell. Ich wußte mit dieser Frage nichts anzufangen, denn beide Wörterbücher sind an sich nicht schlecht. So fragte ich also zur Sicherheit noch mal nach und erfuhr dabei zu meinem Erstaunen, daß dieser Student, um die Deutsche Sprache zu erlernen, doch tatsächlich das ganze Wörterbuch auswendig lernen wollte. Für einen Deutschen wäre dies natürlich ein Ding der Unmöglichkeit, einige Chinesen aber sind durchaus zu derartigen Kunststücken in der Lage. - Natürlich haben chinesische Studenten auch ihre Schwächen, und so haben wahrscheinlich, was geistige Flexibilität oder technisches Vorstellungsvermögen anbelangt, deutsche Studenten die Nase vorn.

Der Lehrsatz des Konfuzius: "Einmal Lehrer: Vater das Leben lang!" (一日為師,終生為父), besitzt auch heute noch an vielen chinesischen Universitäten seine Gültigkeit. So beschränkt sich für mich die Lehrtätigkeit an der Wen-Hua Universität nicht etwa auf den Unterricht oder die Vorlesungen allein, sondern auch in der Freizeit kommen die Studenten oft mit ihren privaten Sorgen und Nöten zu mir, und dies ist vielleicht mein schönster Lohn, beweist es mir doch ihr Vertrauen.

Andererseits beziehen mich die Studenten automatisch in ihre Aktivitäten mit ein. So gehört es zum Beispiel wie selbstverständlich dazu, daß ich bei vielen Geburtstagsfeiern, Bergwanderungen, Fußballspielen oder anderen Veranstaltungen dabei bin, ja manchmal auch dabei sein muß: - Die Studenten erwarten es einfach von mir. Manch einer wird sich nun fragen: "Die berufliche Tätigkeit an einer chinesischen Universität scheint ja ganz unterhaltsam zu sein, was aber kann man als Deutscher in seiner Freizeit hier auf Taiwan anfangen?"

Nun ja, da gibt es doch eine ganze Reihe von Möglichkeiten: - Ich zum Beispiel habe mich dem Angelsport verschrieben. Nicht etwa diese langweilige Teichangelei mit vorher eingesetzten Fischen wie sie in Taipei so überaus beliebt ist; - nein, ich für meinen Teil versuche statt dessen, aus dem tiefblauen Wasser des Paziliks einen dicken Fisch herauszuziehen. An der felsigen Nordküste, zwischen den Hafenstädten Keelung (基隆) und Suao (蘇澳) gibt es ausgezeichnete Angelgründe für diesen interessanten Sport. Besonders beliebt ist hier auf Taiwan die Nachtangelei mit Phosphorposen, - einige gehen sogar mit starken Scheinwerfern auf die Jagd und ziehen derart einen Fisch nach dem anderen heraus.

Ansonsten wandere ich sehr gern, zumeist zusammen mit meinen Studenten. Das Zentralgebirge Taiwans - welches von Nord nach Süd gewissermaßen das Rückgrad der Insel bildet - ist mit seinen zahllosen Gipfeln zwischen 1,000 bis annähernd 4,000 Metern sehr eindrucksvoll; um auch nur die malerischsten und bekanntesten unter ihnen zu besteigen, kann man sich durchaus Jahre hier auf Taiwan aufhalten und das Bergsteigen zu seinem Hauptberuf erwählen. Am bekanntesten unter allen Gipfeln ist natürlich der Mount Morrison oder Yü-Shan (玉山) - deutsch "Jade Berg", mit seinen 3,997 Metern der höchste Berg Nordostasiens und um einiges höher als etwa unsere Zugspitze.

Nicht zuletzt kümmere ich mich in meiner Freizeit natürlich um meine Familie. Gemeinsam bewirtschaften wir einen kleinen Gemüsegarten, in dem uns wegen der hohen Luftfeuchtigkeit vor allem die Schnecken schwer zu schaffen machen. Sehr beliebt ist bei uns zudem das chinesische Schachspiel - Hsiang-Ch'i (象棋) oder auch "Elefantenschach", ein Spiel aus dem 6. Jahrhundert n. Chr., das daheim in Deutschland leider kaum bekannt ist.

Daneben dilettieren wir, je nach Laune und Kondition, im Kungfu (Shaolin; T'ai-chi), - doch ist die Beherrschung dieser ur-chinesischen, jahrhundertealten Selbstverteidigungskünste überaus schwierig und für einen Europäer kaum zu meistern. Kungfu in China unterscheidet sich sehr von dem, was wir in Europa - durch einschlägige Filme für die tiefere Philosophie des wahren Kungfu blind gemacht - gemeinhin unter diesem Begriff verstehen. Die chinesische Ausprägung dieses fernöstlichen "Kampfsports" sieht im Entstehungslande selbst überaus elegant und fließend aus, ohne daß etwa die im Innern des Körpers strömende Kraft nach außen hin sichtbar würde. In diesem Zusammenhang spielt natürlich die Kontrolle der Atmung eine besonders wichtige Rolle.

Nun, wie sie sehen, kann man als Deutschlehrer in der Republik China gut und gerne etliche Jahre "überleben", ohne dabei - von dem unvermeidlichen Heimweh einmal abgesehen - auch nur den geringsten Anflug von Langeweile zu verspüren. Was uns hier auf Taiwan allerdings fehlt - und ich glaube, damit spreche ich der hiesigen "Deutschen Gemeinde" aus der Seele, ist mehr Deutsches Kulturleben, ein Deutscher Klub oder eine Deutsche Schule.

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