Taifun Gerald, der 1987 im Süden Taiwans wütete, zerstörte 107 Wohnhäuser und beschädigte weitere 349. Der Sturm versenkte 35 Fischerboote, kenterte ein kleines Boot der Marine und unterbrach die Stromversorgung für mehr als eine Million Menschen. Er verursachte einen geschätzten Verlust von annähernd 3,5 Millionen US$ für die örtlichen Fischer und einen vergleichbaren Betrag für die Bauern dieses Gebiets. Doch Taifun Gerald war, verglichen mit vielen anderen Stürmen, die eine zerstörende Spur hinterlassend über die Insel gefegt sind, winzig.
Da Taifune zu den vernichtendsten Naturphänomenen auf der Erde zählen, wird Meteorologen, welche die Bewegungen der Stürme aufzeichnen und vorhersagen, besondere Achtung entgegengebracht. Die Experten des Zentralen Wetteramtes der Republik China, die sich auf diese Aufgabe spezialisiert haben, sind das sogenannte “Taifun-Team”.
Bevor das Team gegründet wurde, war Mitte April bis Mitte November alljährlich eine Zeit der Sorge, ja sogar der Angst für die Einwohner, besonders im südlichen Teil der Insel, wo Taifune regelmäßiger und von größerem Ausmaß auftreten.
Heute können sich die Einwohner dank des Taifun-Teams auf fortschrittliche Technologie und professionelle Sachkenntnis verlassen, welche sie davor schützen, unwissend und unvorbereitet den starken Winden, hohen Fluten und den während Stürmen häufig vorkommenden Geländerutschen ausgesetzt zu sein.
Sarkastische Bemerkungen über die Genauigkeit der Vorhersage sind hier in Taipei beim Zentralen Wetteramt ebenso an der Tagesordnung wie in Deutschland. Der auf der Basis des täglichen Wetterberichtes geplante Wochenendausflug kann durch plötzliche, sowohl für den Wettermann als auch für das Ausflugsteam unerwartet kommende Temperaturveränderungen, im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser fallen. Da Meteorologie eine ungenaue Wissenschaft bleibt, kann das Taifun-Team der Republik China besonders stolz auf seine Vorhersagebilanz sein, welche zu den besten der Welt gehört.
Das Team wird von Wu Tsung-ya, Generaldirektor des Zentralen Wetteramtes (Central Weather Bureau), und Shieh Shinn-liang, Direktor des Vorhersagezentrums des Zentralen Wetteramtes, geleitet. Shieh beaufsichtigt die Belegschaft, die aus stellvertretendem Direktor, etlichen Abteilungsleitern, erfahrenen Vorhersagern und einem Zeichner für die Wetterkarten besteht.
Shieh und Kenneth Chen, Abteilungsleiter in dem Bereich der Vorhersage, arbeiten auch regelmäßig mit einer großen Gruppe nicht dem Team angehöriger Meteorologen, Computer- und Kommunikationsspezialisten und anderer Techniker zusammen, um die tägliche Wetterkarte festzulegen. Eine ihrer hauptsächlichen Vorbeschäftigungen ist, Hinweise für die Entstehung eines neuen Taifuns zu finden. Obwohl Stürme die Insel so früh wie Mitte April heimgesucht haben, sind die gefährlichsten Monate innerhalb der Taifun-Saison Juli, August und September.
Taifune sind von launischer Natur und durchkreuzen oft die Vorhersage von hochqualifizierten Spezialisten, die über ein fundiertes Wissen von den tropischen Luftmassen und Klimatologie im allgemeinen verfügen. Ein zentrales Problem bildet die Versorgung mit genauer Information zur rechten Zeit. “Mangelnde Informationsdaten örtlicher Wetterverhältnisse auf See gehören zu unseren größten Rückschlägen bei der Bestimmung des Verhaltens eines Taifuns,” erklärt Shieh. “Aber wir können ein Auge auf typische Entstehungsbedingungen für Taifune werfen. Diese Stürme bilden sich gewöhnlich in Gebieten mit niedriger Windzirkulation über dem Nord-Pazifischen Ozean, wo die Oberflächentemperatur des Wassers Werte über 26°C erreicht und die Temperatur in umgebenden Gebieten niedriger ist.”
Die wegen der höheren Temperaturen aufsteigenden Luftmassen formen ein Hoch, welches durch die in höheren Luftschichten abfließenden, sich erkühlenden und somit sinkenden Luftmassen ein Tief nach sich zieht. Der unterschiedliche Luftdruck und die daraus hervorgehende Sogwirkung kann dazu führen, daß Wolken um ein Zentrum oder Auge wirbeln. Das Zirkulieren erhöht den Druck sogar noch weiter. Das Ergebnis ist ein Taifun, t'ai feng (颱風) genannt, was großer Wind bedeutet.
Taiwan liegt gerade nördlich der Hauptquelle für Taifune im nordwestlichen Pazifischen Ozean. Diese Lage, zusammen mit den im Sommer herrschenden leicht nördlich ausgerichteten Westwinden, bedeutet, daß die Insel jeden Sommer und Herbst direkt in der Route von ungefähr einem halben Dutzend regionaler Stürme liegt. Die Ostküste und die südlichen Gebiete Taiwans sind in erster Linie die Zielscheibe für drei bis vier Taifune, die normalerweise jedes Jahr das Inland erreichen.
Sobald ein örtlicher Meteorologe eine durch einen Tiefdrucktrog verursachte zirkulierende Furche erblickt, ruft Shieh sein Team zusammen. “Unsere erste Aufgabe ist zu bestimmen, ob der Sturm die Insel treffen könnte”, sagt er. “Das Team trifft sich wenigstens 48 Stunden, bevor wir erwarten, daß die erste Seewarnung gegeben wird, also 24 bis 36 Stunden, bevor die Peripherie des Sturmes sich auf 100 Kilometer der Küste nähert. Folglich haben wir den Sturm schon zwei bis drei Tage lang beobachtet, ehe die Bevölkerung davon hört.”
Drei Tage Beobachtung heißt drei Tage campieren im Büro. Das Team schläft in Schichten, manchmal am Schreibtisch. “15 Tage waren das Längste, was wir hier im Büro ausharren mußten, ohne nach Hause zu gehen”, sagt Generaldirektor Wu. “Das war vor drei Jahren im August, als Taifun Wayne auf Taiwan traf und zweimal umkehrte und über die Insel fegte, bevor er sich auflöste. Es war der schlimmste Taifun in der Geschichte der Insel. Die meisten währen nur vier oder fünf Tage.”
1988 war es ungewöhnlich ruhig an der Sturmfront. Der Sommer war für die Jahreszeit zu kühl, mit verlängerten Regen und schweren Fluten, aber nur einem Taifun, der direkt die Insel traf. Die Bauern erfreuten sich einer der seltenen Saisonen ohne durch Sturm geschädigtes Getreide, während Stadtbewohnern wochenlang überflutete Straßen, Stromausfälle und hohe Gemüsepreise erspart blieben. Aber Experten verblüffte die vergangene Saison, und sie sind sich der Ursachen und der Einflüsse auf das diesjährige Wettergeschehen nicht sicher.
Während des Sommers bewegt sich gewöhnlich eine subtropische Hochdruckluftmasse über Taiwan und Südostasien. Doch im letzten Jahr blieb sie wesentlich weiter im Süden. Die erste aus dem Norden südlich wandernde Kaltfront hingegen traf im Juli ein, zwei Monate eher als gewöhnlich. Dies war die früheste jemals aufgezeichnete Ankunft kalter Luftmassen in Taiwan. Zu dieser unnormalen Situation trägt bei, daß der indische Monsun, der während der Sommermonate große Teile Asiens durchfeuchtet, sich letztes Jahr ostwärts bis nach Okinawa schob und Taiwan für die Jahreszeit ungewöhnlichen Regen brachte.
“Die ungewöhnliche Lage der subtropischen Hochdruckmasse, verbunden mit den Auswirkungen der indischen Monsunfront waren wahrscheinlich die Ursachen für das Phänomen des vergangenen Jahres”, sagte Chen. “Taifune bilden sich gewöhnlich entlang dem südlichsten Ende der Subtropen, der sogenannten Intertropischen Konvergenzzone (ITC). In der ITC kollidieren hohe, sich im Uhrzeigersinn bewegende subtropische Winde der nördlichen Hemisphäre mit sich gegen den Uhrzeigersinn bewegenden Luftmassen der südlichen Hemisphäre.”
Diese Winde sind unter anderem auch ein Ergebnis der Erdrotation. “Der Zusammenstoß in Verbindung mit dem für die Tropen typischen großen Feuchtigkeitsgehalt und hohen Temperaturen läßt heftig wirbelnde Luftmassen entstehen, welche bis zur Taifunstärke beschleunigen können”, fährt Chen fort. “Doch die ITC war 1988 zu weit südlich. Die Taifune zogen daher entlang dem nördlichen Ende des subtropischen Hochs, südlich von Japan und in höheren Schichten, die viel trockener und kühler sind. Unter solchen Bedingungen sind Taifune viel schwächer.”
Die Wanderbewegungen der Stürme des letzten Jahres waren ebenfalls ungewöhnlich. “Anstatt nordwestlich zu ziehen, die herkömmliche Richtung für Taifune in diesem Gebiet, wanderten diese Stürme hoher Breite nordwärts, ja sogar nordöstlich, weg von Taiwan”, sagt Chen. “Diese Richtung wurde eingeschlagen, da die Stürme eventuell auf die Kaltfront oder Tiefdruckzonen trafen und der Monsun von Westen kam.”
Die einzig bedrohlichen Stürme des letzten Jahres waren Anfang Juni Taifun Susan und Mitte Juli Taifun Warren. Obwohl jeder eine drei Tage währende Dauerbeobachtung verlangte, und das Wetteramt gezwungen war, Warnungen herauszugeben, traf nur der letztgenannte Sturm auf die Insel.
Die hauptsächliche Aufgabe des Taifun-Teams ist, die Wanderbewegung der Stürme vorauszusagen. Aber die herausfordernde Aufgabe der Vorhersage wird durch ungenügende Informationen hinsichtlich der Wetterverhältnisse über dem Ozean noch erschwert. Die meisten Informationsdaten stammen von Wetterballons, Observationsstationen auf kleinen Inseln und Satellitenbildern. Ferner wird von großen Schiffen alle drei Stunden eine Durchsage über Temperatur, Luftdruck, Windgeschwindigkeit und -richtung, Niederschlag, Bewölkung und anderen Wetterverhältnissen verlangt.
“Satellitenphotos geben detaillierte Information über die Struktur eines Sturmes”, sagt Shieh. “In Guam stationierte Erkennungsflugzeuge für große Höhen der U.S. Air Force versorgen uns gleichfalls mit wertvollen Informationsdaten. Piloten riskieren ihr Leben, indem sie direkt durch die Taifune fliegen, um an der Peripherie nicht verfügbare Daten zu sammeln. Am wichtigsten ist, sie lokalisieren das Auge des Sturms, welches gewöhnlich einen Durchmesser von 30 bis 50 Kilometer hat. Der Radius eines typischen Taifuns beträgt 200 bis 300 Kilometer in einer Höhe von 10 bis 16 Kilometern.”
Wenn sich ein Taifun Taiwan nähert, sorgen Radaranlagen für ununterbrochene Datenübermittlung. In den letzten Jahren wurde die Radarausrüstung der Stationen in Kaohsiung im Süden und Hualien im Osten für eine exaktere Auswertung ausgebaut. Das Radarsystem ist jedoch noch immer unvollständig, weil Taiwans Norden nach wie vor ohne Radarstation ist, da die Wahl eines passenden Standortes noch nicht entschieden ist. Das Wetteramt ist radarblind, sobald ein Sturm eine nördliche Richtung einschlägt.
Um die Berge der von sämtlichen Quellen zusammengetragenen Informationsdaten zu speichern, ist ein schnell verarbeitender Computer mit großer Speicherkapazität unerläßlich. Die Teammitglieder benutzen Informationsdaten vergangener Stürme, um Hinweise auf das Verhalten von gegenwärtigen und zukünftigen Taifunen zu finden. Statistische Vorhersagen stützen sich auf Informationen über Richtung, Geschwindigkeit, Lage und Zeit von Stürmen, datiert bis zurück in das Jahr 1959.
Doch ein Ratgeber des Vorhersagezentrums, Dr. Tsay Ching-yen, ehemals Vorsitzender der Abteilung für atmosphärische Wissenschaften der Staatlichen Universität Taiwan, betont, daß solche Vorhersagen nur für einen gewöhnlichen Taifun zu gebrauchen seien. “Viele Taifune haben einen eigenen Willen”, sagt er. “Durch den Gebrauch von zusammenlaufenden meteorologischen Informationsdaten großer Reichweite kann die statistische Vorhersage verbessert werden, doch selbst das ist von beschränktem Wert, da sich die Bedingungen ständig ändern.”
Eine weitere vielversprechende Möglichkeit für die Sturmvorhersage ist die Nutzung komplexer, physikalisch begründeter Gleichungen, wie jene, die das Bewegungsverhalten von Flüssigkeiten und die Beziehungen von Temperatur, Druck und Volumen regeln. Mittels dieser mathematischen Gleichungen können dynamische Modelle erstellt werden, welche den Statistiken und gegenwärtigen Informationsdaten, die nur die Situation eines Augenblicks festhalten können, überlegen sind. “Das dynamische Modell erlaubt Vorhersagen über zukünftige atmosphärische Entwicklungen”, erklärt Tsay. “Doch befinden sich solche Modelle noch in der experimentellen Phase. Die meisten werden weiterhin von Wetterstationen auf der ganzen Welt getestet.”
Das Taifun-Team benutzt ein von Tsay vor zehn Jahren selbst entwickeltes und eingeführtes Modell. Das Modell hat eine andere Gleichung zur Grundlage, wurde jedoch für Taiwans besondere Wetterbedingungen umgeformt. Vor drei Jahren wurde es erstmals, nachdem das Team die nötige Computerausrüstung erhalten hatte, an einen wirklichen Fall angeschlossen.
“Die Komplexität dieses mathematischen Modells verlangt eine lange Versuchsphase”, sagt Chen. “Wir müssen weiterhin viel über seine tatsächliche Funktionsweise lernen und es dementsprechend abändern. Aber es hat sich schon als hilfreich erwiesen, obwohl die Tendenz besteht, daß die Vorhersagen etwas spät kommen.”
Paradoxerweise stimmen die Vorhersagen der Statistiken und des dynamischen Modells oft nicht überein. Eine vor zwei Jahren durchgeführte diagrammatische Studie zur Vorhersage des Taifun Alex bediente sich beider Methoden - die Ergebnisse führten in entgegengesetzte Richtungen. Laut vier Gleichungen mit unterschiedlicher mathematischer Basis sollte der Sturm nach Osten abdrehen und an Taiwan vorbeiziehen, zwei sagten voraus, daß er auf die südlichen Teile der Insel treffen würde. “Ein Unterschied in den Berechnungen von nur einem Grad kann unsere Vorhersage ernsthaft beeinflussen und zu gegenteiligen Ergebnissen führen”, erklärt Chen. Shieh fügt hinzu, daß individuelle Taifune ihre eigene sensible physikalische Zusammensetzung haben, und zu einem Teil auf Erfahrung begründetes Raten unvermeidbar ist. “Dies ist eine subjektive Methode, die ich über die letzten 20 Jahre oft angewandt habe”, sagt er.
Immer, wenn sich ein Taifun über dem Pazifik zusammenbraut, treffen sich die Team-Mitglieder alle drei Stunden, um Aufzeichnungen zu vergleichen und Vorhersagen zu treffen. Die Mehrheit der Meteorologen kann eine mehr als zehnjährige Berufserfahrung aufweisen, und ihr Blick für die Wetterverhältnisse ist geschult. Nähert sich ein Taifun auf 400 Kilometer der Insel, so kommt das Team stündlich zusammen. Dies ist die mindeste Zeit, die zur Erstellung einer Vorraussage veranschlagt werden muß. Die Bestimmung der Wanderroute eines ungewöhnlichen Sturmes kann tatsächlich etliche Stunden in Anspruch nehmen.
Shieh und Chen erfreuen sich einer guten Erfolgsbilanz, die nach ihrer Meinung in der Zukunft noch besser ausfallen wird. Als Taifun Susan vergangenes Jahr im Juni in der Nähe war, gab das Team eine wesentlich bessere Voraussage als das Wetteramt in Japan oder das U.S. Taifun-Warnungszentrum auf Guam. Die Japaner und Amerikaner sagten vorher, daß Susan direkt, nachdem westlich an Taiwan vorbei, auf das chinesische Festland zusteuern würde. Das Taifun-Team war der Meinung, daß Susan den selben Weg zur Insel zurückgehen würde. “Die Voraussage des Taifun-Teams stellte sich als richtig heraus”, sagte Shieh. “Wenn sich Stürme unserem Gebiet nähern, machen wir heute die Voraussage mit größerem Selbstvertrauen.”
Ende dieses Jahres wird der 4,9 Millionen US$ teure Großcomputer vollständig angeschlossen sein und mehr als zwei Etagen besetzen. Schon für globale Vorhersage programmiert, wird er das leistungsstärkste System im Land sein. Man hat schon damit begonnen, ihn auch mit regionalen und Wetterdaten mittlerer Reichweite zu speichern. Doch die krönende Leistung wird sein Programm zur Taifunvorhersage sein.
Shieh hofft, daß, wenn der Computer völlig operationsbereit ist, sowohl das mathematische Originalmodell von Tsay als auch wenige andere von ihm und weiteren Mitgliedern entwickelte Modelle, vollständig eingespeichert sein werden. Mit solch beeindruckender rückenstärkender Technologie nähert sich der Tag, an dem die Meteorologen die Wettervorhersage zu einer wesentlich exakteren Wissenschaft erheben können.
(Deutsch von Gesine Arnemann)