23.06.2025

Taiwan Today

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Die Vermarktung der Macho-Nuss

01.07.1990
Einen Umsatz von geschätzten 2,8 Milliarden Dollar erbrachten die grünen Nüsse im Jahr 1988.
Betelnüsse, die man in Taiwan scherzhaft "Chinesischer Kaugummi" nennt, sind zum, Streitpunkt geworden. Anbau und Konsum dieser kaubaren Nuß der Betelpalme sind geradezu dramatisch angestiegen, und das hat bei Regierungsstellen auf allen Ebenen Besorgnis hervorgerufen. Gesundheitsbehörden beklagen den Konsum, denn die Nüsse werden mit einer alkalischen Paste zubereitet, die dem Produkt angeblich eine mild aufputschende Wirkung verleiht, aber anscheinend auch unerwünschte Dauerschäden, wie zum Beispiel Mundkrebs, hervorruft. Dem Finanzamt machen die Einzelhändler Kopfzerbrechen, die alljährlich Millionen Dollar Steuern hinterziehen, in einem Geschäftszweig, in dem Milliarden umgesetzt werden. Beamte aus dem Landwirtschaftsministerium wiederum sind besorgt, weil so große Flächen Ackerlandes dem Anbau von Betelpalmen geopfert werden, daß ein Überangebot und sinkende Preise eine Wirtschaftskrise auf dem Lande hervorrufen könnten. Sogar Organisationen, die sich Hygienefragen widmen, stimmen in das Klagelied ein angesichts der wachsenden Armee von Betelnuß-Fans, die allerorten Ströme von rotem Saft auf Straßen und Bürgersteige spucken.

All diese Einwände sind weitestgehend berechtigt. Die Betelnuß wird längs geschlitzt, mit einem Klecks Kalkpaste geüllt und einem Scheibchen der kleinen, blaßgrünen Lao hua-Frucht garniert -- dann ist sie bereit zum Verbrauch. Oft mengen die Einzelhändler verschiedenste chinesische Kräutermischungen in die Paste, um dadurch unterschiedliche Geschmacksrichtungen anbieten zu können. Die ganze Mischung kann auch zur Geschmacksverstärkung mit einem Lao-hua-Blatt umwickelt werden. Beim Genuß stimuliert dieses alkaloidhaltige Produkt sowohl Speicheldrüsen als auch Darmtätigkeit und erweitert die Blutgefäße, außerdem wird es allgemein als leichtes Stimulans gesehen. Obwohl in anderen südostasiatischen Ländern Männer und Frauen gleichermaßen der Nuß zusprechen, ist Betelnußkauen in Taiwan Männersache (Ausnahme sind die Eingeborenenstämme). Die Frauen hierzulande meinen, die rotgefärbten Lippen und Zähne wären ihrem Erscheinungsbild abträglich, und sie werden auch durch den starken Mundgeruch abgeschreckt, der denen, die regelmäßig kauen, anhaftet.

Der Durchschnittspreis pro Nuß ist 5 NT$ (0,20 US$), und viele Verbraucher geben pro Tag zwischen 50 und 100 NT$ ( 1,90 -- 3,80 US$ ) für ihre Gewohnheit aus. Qualitätsnüsse können außerhalb der Saison schon mal das vier bis sechsfache dieser Summe kosten.

Medizinische Untersuchungen haben ergeben, daß gewohnheitsmäßiges Kauen von Betelnüssen die Wahrscheinlichkeit nicht nur von Mund- sondern auch von Kehlkopf- und Magenkrebs erhöht. Trotz dieses Gesundheitsrisikos erfahren wir aus zuverlässigen Quellen, daß 1988 in "Taiwan 24 000 Hektar mit Betelpalmen bepflanzt waren, während es 1974 noch ganze 1600 waren. Solch atemberaubende Zunahme läßt die Angst vor einer bevorstehenden Überschwemmung des Marktes begründet erscheinen. Gleichzeitig erklärt es auch, warum die Finanzbehörden sich Sorgen machen, denn die Ernten werden von Verkäufern ohne Lizenz, die die Steuerzahlung umgehen, an geschätzten 70 000 kleinen Verkaufsständen an den Mann gebracht. Der Umsatz beim Verkauf der Betelnüsse betrug im Jahr 1988 etwa 72,8 Milliarden NT$ (2,8 Milliarden US$), oder anders gesagt, geschätzte 40 000 US$ pro Einzelhändler und Jahr.

Es sind verschiedene Maßnahmen vorgeschlagen worden, um mit dem sprunghaften Anstieg der Beliebtheit von Betelnüssen fertig zu werden. Diese reichen von Aufklärungskampagnen über mögliche Gesundheitsschäden bis zu einer Verstärkung der Bemühungen bei der Steuereinziehung. Bislang hat die allgemeine Diskussion kaum die Frage berührt, warum eigentlich das Kauen der Betelnuß immer beliebter wird. Schließlich ist es eine ungesunde, unästhetische Gewohnheit, die ursprünglich nur Landarbeitern im Süden Taiwans eigen war. Angesichts der Verstädterung, Modernisierung und der verbesserten Allgemeinbildung in Taiwan sollte man eigentlich annehmen, die Betelnuß sei auf dem Rückzug.

Traditionelles Unternehmertum und die wirtschaftliche Struktur Taiwans helfen einem zu verstehen, warum sich die Gewohnheit des Betelnuß-Kauens so verbreitet. Im Gegensatz zu den meisten anderen Schwellenländern in Asien gründete sich der wirtschaftliche Fortschritt Taiwans in den vergangenen drei Jahrzehnten in erster Linie auf den Anstrengungen von kleinen und mittleren Unternehmern. In diesem Zeitraum hat sich das Unternehmertum als einer der vorrangigen Kanäle für soziale Mobilität und die Verbesserung der ökonomischen Situation des Einzelnen erwiesen. Es wird einem heute kaum gelingen, jemanden zu finden, der in Handel oder Industrie tätig ist und nicht davon träumt, ein Lao-pan, ein Chef zu werden. Folge hiervon ist, daß der Strom derer, die auf der Ebene der Kleinstunternehmen, für die nur sehr geringes Startkapital nötig ist, ihr Glück versuchen, gar nicht mehr abreißt.

Der Betelnuß-Einzelhandel ist schon seit langem ein ideales Geschäft für Leute mit begrenzten Ressourcen, aber hohen Erwartungen, was die Verbesserung ihres wirtschaftlichen Status anbetrifft. Ein potentieller Betelnußverkäufer braucht lediglich das Kapital, um die Nüsse von den Zwischenhändlern zu erstehen, die sie wiederum von Bauern in Süd- und Zentraltaiwan kaufen. Die Nüsse können dann von den Verkäufern selbst zubereitet werden, die die Zeit sinnvoll nutzen, indem sie gleichzeitig produzieren und verkaufen. Man kann die Händler dabei beobachten, wie sie, anstatt untätig herumzusitzen und auf den nächsten Kunden zu warten, am Verkaufsstand unermüdlich Nüsse aufschlitzen und füllen.

In der Vergangenheit waren die Stände oftmals nichts weiter als heruntergekommene Zigaretten- oder Zeitungsstände oder gar einfach am Straßenrand aufgestellte kleine Tische. Die Werbung beschränkte sich üblicherweise auf grobe, handbeschriebene Tafeln, und die Ware selbst war in altes Zeitungspapier, Telefonbuchseiten oder manchmal auch kleine Plastiktüten verpackt, deren Inhalt auf einfach gedruckten, aufgeklebten Zettelchen angegeben wurde. Heute ist das alles ganz anders, obwohl sich an dem Produkt und seiner Herstellung im Grunde nichts geändert hat.

Wachsender Wohlstand, Industrialisierung und eine allgemeine Lockerung traditioneller sozialer Bande haben dazu beigetragen, daß städtische Arbeiter zwischen den Anforderungen des modernen Lebens und einer nostalgischen Sehnsucht nach traditioneller ländlicher Kultur und deren Symbolen gefangen sind. Während die derzeitigen Modeerscheinungen auf diese Männer ganz offenbar ebenso wie auf andere Bevölkerungsschichten eine Faszination ausüben, halten sie doch an den Symbolen fest, die sie mit ihren ländlichen Wurzeln verbinden. Dies ist für sie wichtig nicht zuletzt, um mit der Unpersönlichkeit des Großstadtlebens und der daraus resultierenden Unsicherheit fertig zu werden. Die Betelnuß, die ja aus dem ländlichen Süden stammt, gehört auf ihre Art zu diesen Symbolen.

Zudem haben gerade ungelernte Arbeitskräfte (wie z.B. Hilfsarbeiter auf Baustellen und in Fabriken oder Taxifahrer) nicht selten mit finanzieller Unsicherheit und einem niedrigen Sozialprestige zu kämpfen. Das Betelkauen verhilft ihnen zu einer Aura der Härte, Kraft und Unabhängigkeit, die es ihnen ermöglicht, auf ihre Art in der Gesellschaft akzeptiert und respektiert zu werden. Der Betelkonsument in Taiwan ist quasi das Pendant zum amerikanischen Marlboro-Mann. Der Genuß der Betelnuß ist gleichermaßen eng mit der körperlich anstrengenden Landarbeit und den zwielichtigen und gefährlichen Kreisen der Unterwelt verbunden. Auch wenn es demjenigen, der die Nuß kaut, im Grunde an Ansehen und Wohlstand fehlt, so reichen doch schon diese Assoziationen, die man in anderen Kreisen mit dem Kauen der Nuß hat, dazu aus, ihm ein etwas düsteres und gar etwas furchteinflößendes Macho-Image zu verleihen.

"Einzigartig im Stil, unerreicht im Geschmack -- die Verführung durch die Betelnuß bleibt lebenslang unvergessen": Werbung an einem Verkaufsstand der moderneren Art.

In den Bereichen Unterhaltung und Politik hat man inzwischen auch erkannt, wie stark diese Assoziationen sind. Etliche regionale Größen haben die Betelnuß zur Verbesserung ihres persönlichen Image genutzt, eines Image, daß man "mit anpacken kann", daß man besonders verbunden sei mit der arbeitenden Bevölkerung -- und das kann dabei helfen, Wahlen zu gewinnen oder Einschaltquoten anzuheben.

Im Zuge des Wahlkampfes im Dezember 1989 verkaufte Hsu Hsiao-tan, eine etwas exzentrische Kandidatin der Opposition, im Süden der Insel Betelnüsse an potentielle Wähler. Hsu hat Köpfchen und kann unkonventionell denken, einen Wahlerfolg konnte sie dennoch nicht erringen. Es ist aber bemerkenswert, daß eine Frau, die selbst, dem hierzulande geltenden Sittenkodex gemäß, niemals Betelnüsse kauen würde, diese dennoch für ihre Kampagne zu nutzen sucht. Dieses Beispiel zeigt einfach, daß die Nuß in Taiwan ein so ausgeprägtes Arbeiter-Image hat, daß sie als Symbol für bestimmte Werte eingesetzt werden kann.

Daß die Betelnuß immer häufiger als Symbol verwendet wird, hat ihr zu unerwarteter Beliebtheit verholfen. Das, was früher lediglich ein gesamtwirtschaftlich gesehen zu vernachlässigendes Gewerbe war, dem sich nur die ganz Verzweifelten zuwanden, hat sich inzwischen als eine Millionen-Dollar-Industrie entpuppt. Viele Bauern im Süden Taiwans ernten mittlerweile mit Hilfe von teuren importierten Jeeps, und abgesehen von eher heruntergekommenen Wohngebieten haben die primitiven, unhygienischen Verkaufsstände früherer Jahre chromglänzenden Schaukästen aus rostfreiem Stahl Platz gemacht, auf denen bunte Leuchtwerbung prangt. Es gibt heute sogar schon Ladenketten.

Diese rapide und erfolgreiche Wandlung wäre ohne die Verpackungskünste der Verkäufer und die Dienste der Druckindustrie Taiwans völlig undenkbar gewesen. Da eine großangelegte Werbekampagne wegen zu hoher Kosten nicht durchführbar war, begannen die meisten Standinhaber damit, ihre eigenen Verpackungen zu entwerfen und weiterzuentwickeln. Ebenso wie bei großen Werbeagenturen war das Ziel, ein Markenbewußtsein beim Verbraucher zu erzeugen und aus psychologischen Angriffspunkten Kapital zu schlagen.

Dank des dichten Netzes kleiner Druckereien in Taiwan standen die nötigen Techniken zur Umsetzung der Ideen zur Verfügung. Obwohl viele der kleinen Druckereien mit Geräten für technisch hochwertige Arbeit ausgestattet sind, sind ihre Aufträge von begrenztem Umfang, und die Auftraggeber sind aufkeimende neue, ortsansässige Unternehmen. So verfügen sie über einen reichhaltigen Schatz an Erfahrung, der es ihnen ermöglicht, selbst den kleinsten Betelnuß-Stand mit der richtigen Verpackung zu versorgen. Standardtütchen und Schachteln komplett mit Falzstellen sind geeignete Verpackungen, und wenn man moderne Druckpressen und die nötige Geduld mit kleinen Auflagen hat, kann man die Aufträge garantiert mit geringem Preisaufwand bewerkstelligen. Das Ganze ist kreative Anwendung moderner Technologie auf die Vermarktungserfordernisse von Tante Emma-Läden.

Die Verpackungskunst selbst war jedoch fast ausschließlich Sache der Betelnuß-Einzelhändler. Da es ihnen an finanziellen Ressourcen fehlte, um Vermarktungsspezialisten oder kommerzielle Künstler für sich zu verpflichten, verließen sie sich ganz auf ihre eigene Intuition und Kenntnis der Psyche der Arbeiter, um anziehendes Design zu kreieren. Da ihr eigener sozio-ökonomischer Hintergrund mit dem ihrer potentiellen Kunden übereinstimmte, waren die meisten Einzelhändler dieser Aufgabe mehr als gewachsen. Man kann wohl gar sagen, daß sie ihre intime Kenntnis der Überzeugungen, Hoffnungen und Träume der Arbeiter dazu nutzten, einige der wirkungsvollsten Verpackungen zu schaffen, die inselweit aufzutreiben sind -- die Werke professioneller Designer in der großen Verpackungsindustrie nicht ausgenommen.

Innerhalb nur weniger Jahre ist es Betelnußhändlern mit Hilfe der Verpackungskunst gelungen, aus einem sehr gewöhnlichen Genußmittel ein Produkt mit hochschnellenden Verkaufszahlen zu machen und eine große Vielfalt an unterscheidbaren Marken zu schaffen. Szenen aus dem bäuerlichen Alltagsleben, beliebte Comic-Figuren, das Macho-Image und Motive, und sexuelle Andeutungen -- alles wurde eingesetzt, um potentielle Käufer zu bezirzen, ausgerechnet eine bestimmte Marke zu erstehen.

Die schöpferische Kraft all dieser Einzelpersonen hat ein kaum zu unterschätzendes Dokument der Kultur der arbeitenden Bevölkerung Taiwans entstehen lassen. Viele dieser Bilder werden wohl nie ihren Weg in moderne Kunstgalerien finden, aber sie geben doch Aufschluß über das Alltagsleben und die Wunschvorstellungen eines großen Teils der hiesigen Bevölkerung und über das dynamische Unternehmertum, das das Antriebsrad der Wirtschaft ist.

Viele Betelnuß-Verkäufer haben sich entschlossen, bei ihren Verpackungen geschickt die Betonung auf das dörfliche Alltagsleben und die landschaftliche Schönheit Taiwans zu setzen. Das beliebteste Motiv ist hier die Betelpalme selbst, die meist in einer oder mehreren Grün-Schattierungen auf Tütchen, Schachteln oder Papieraufklebern für Plastikverpackungen abgebildet ist. Man versucht hier ganz offenbar, sich eine Sehnsucht nach saftig grüner Landschaft zunutze zu machen und etwas von der erfrischenden Kühle und dem mentholartigen Aroma der zubereiteten Betelnuß zum Ausdruck zu bringen.

Die Palmen stehen entweder einzeln oder in Gruppen, oft fliegen Vögel um die Wipfel. Diese Ergänzung soll die Stille und Weite des Landes außerhalb der Ballungsgebiete Taiwans ins Gedächtnis rufen -- gerade sie üben eine nahezu unwiderstehliche Anziehungskraft auf die in smog-grauer Enge eingepferchten Städter aus. Aber Vögel sind nicht die einzige Verkaufsmasche, die die Händler auf Lager haben, um das Betelpalmen-Motiv noch attraktiver zu machen. Zum Beispiel ist in einem Abbild ein Bauer bei der Betelnuß-Ernte dargestellt. Er steht als Garant für Produktfrische, soll aber gleichzeitig an die Verbindung zwischen der Betelnuß und dem Leben auf dem Land erinnern.

Die Bedeutung dieses Zusammenhangs für den Verkauf des Produkts wird in der technisch ausgereifteren Version klar, daß der Händler Bilder des ländlichen Lebens heraufbeschwören möchte und bei potentiellen Kunden den Eindruck zu erwecken sucht, daß sie, indem sie das Produkt konsumieren, noch ein Teil dieses Lebens sind. Betrachtet man die luftigen Farben, die friedliche Berglandschaft, die Vögel im Segelflug um die sich in der Brise neigenden Palmwedel -- wer könnte noch an der kommerziellen Effektivität der Verpackung zweifeln? Ja scheint sie nicht geradezu zu besagen, daß das Produkt die Macht hat, den Käufer in seine ländliche Heimat und zu seiner Familie zurückzubefördern?

In einer weiteren Verpackung geht noch einen Schritt weiter. Dargestellt ist ein gemütliches, ländliches Heim: Es ist später Nachmittag, Wolken ziehen vorüber, Rauch steigt aus dem Schornstein auf -- vielleicht Anzeichen dafür, daß das Abendessen bald bereitsteht. Der Verbraucher braucht nur ein paar Dollar für so ein Tütchen auszugeben, um so in den Genuß einfachen, rustikalen Lebens zu kommen.

Solche ländliche Ruhe sollen auch der schläfrig dahinfließende Fluß und der einsame Bootsmann zum Ausdruck bringen, in diesem Fall gibt es jedoch einen neuen Aspekt der Geschichte. Die ländliche Szene ist fast identisch mit der, die in verschiedenen Variationen seit den fünfziger Jahren auf der Packung der New Paradise Zigaretten zu finden ist. Die Farbgebung, Rot-Orange-Gelb, der Zigarettenpackung ist zwar zu einem sanften Grünton abgeändert worden, das Design ist jedoch sofort wiederzuerkennen für alle die ursprünglichen Landbewohner, die ihren Lebenssinn noch in eben der Umgebung fanden, deren Darstellung die Packung der Billig-Zigarette schmückt. Wenn sie die Betelnuß-Schachtel mit diesem altbekannten Design sehen, muß es diesen Menschen so vorkommen, als träfen sie einen altvertrauten Freund.

Freundschaft ist auch das Thema der Packung. Die Betonung liegt auf der Wärme und Geborgenheit zwischenmenschlicher Beziehungen auf dem Lande und dem gemeinsamen Genuß einfacher Lebensfreuden. In einem witzigen Comic-Stil ist hier eine Gruppe lachender Freunde zu sehen, die sich nach getanem Tageswerk Betelnüsse kauend entspannen und von der harten Arbeit erholen. Hier will man den Nerv der Arbeiter in den Städten treffen, die in einer unpersönlichen und nicht selten geradezu feindseligen Umgebung leben; man will sie davon überzeugen, daß das Kauen der Betelnuß ein lohnender und angenehmer Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens auf dem Lande ist, einem Leben, nach dem sie sich nicht selten zurücksehnen. Auf der Rückseite der Packung findet sich gar ein Gedicht, das eben diesen Gedanken zum Ausdruck bringt: Gemeinsam mit Freunden Betelnüsse zu genießen, ist ein uralter Ausdruck von Gastfreundschaft, der allgemeiner ländlicher Lebensart und Tradition entstammt.

Viele Händler haben sich dazu entschlossen, sich bei der Verkaufsförderung ausschließlich auf Motive aus dem alten China zu verlassen und so die Verbindung zwischen der Betelnuß und der traditionellen Gesellschaft zu betonen. Die Ju-i-Packung ist ein typisches Beispiel für diesen Ansatz. Das Ju-i, eine Art zeremoniellen Zepters, das mit Wohlstand und langem Leben assoziiert wird, hat zugleich die Konnotation von "wie es euch gefällt". Sogar im heutigen Taiwan ist dieses Muster weithin bekannt und anerkannt, und stilisierte Versionen des Grundmusters tauchen überall auf, von Borten auf Kleidungsstücken und Teppichen über Ornamente auf Gebäuden bis hin zu Schmuckstücken. Der Händler, der es für die Verpackung seiner Betelnüsse einsetzt, weist seinem Produkt hiermit einen Platz in der chinesischen Tradition zu und gibt dem Verkäufer gleichzeitig die Möglichkeit, seinen Kunden gute Wünsche für langes Leben und Wohlstand mit auf den Weg zu geben. Um die Effektivität dieser Verkaufsidee noch zu vergrößern, schmücken stilisierte Fledermäuse die Ecken der Verpackung. Diese Tiere sind in China Glückssymbole, denn die Bezeichnung dieser Tierart ist mit dem Ausdruck für "Glück" homophon. Die Fledermäuse auf der Packung vermitteln somit jedem, dem etwas an Tradition liegt, eine ungewöhnlich positive und glückverheißende visuelle Information.

Der Drache ist ein weiteres kulturelles Symbol, das von Betelnuß-Händlern mit unternehmerischem Geschick zur Verkaufsförderung eingesetzt wird. Typische Beispiele ist der Einsatz dieses Fabelwesens. Der Drache, der traditionell mit dem himmlischen Mandat und der Autorität des Kaisers in Verbindung gebracht wird, soll Unheil und Gefahren abwehren. Verständlicherweise haben diese Eigenschaften, gekoppelt damit, daß der Drache nach wie vor reizvoll aussieht, dafür gesorgt, daß dieser zu einem besonderen Favoriten in der Werbebranche wurde. Der Drache auf der Packung deutet himmlische Unterstützung und Schutz an und suggeriert, daß das Produkt, für das geworben wird, geradezu kaiserliche Qualitäten aufweist.

Bei einigen Verkäufern ist eine Abkehr von den Symbolen des ländlichen Lebens zu beobachten. Sie haben sich anderen Motiven, die mit den unmittelbaren und praktischen Priorititäten der Kunden enger verbunden sind, zugewandt. Ein besonders beliebter Weg, die Verpackung einer bestimmten Marke anziehend zu gestalten, besteht darin, auf den Arbeitsplatz und Alltagsbedürfnisse der Zielgruppe einzugehen.

Dieser Ansatz funktioniert deshalb, weil ein wesentlicher Teil der Betelnüsse an Ständen verkauft wird, die anderen Geschäften angegliedert sind. Es sind die Besitzer kleiner Betriebe wie Auto-Wäschereien, Auto-Reparaturwerkstätten, Läden mit Installateurbedarf oder Haushaltswaren, die neben ihren Geschäften Betelnuß-Verkaufsstände aufstellen, um sich so eine zusätzliche Einkommensquelle zu verschaffen. Die Verpackung der Betelnüsse hat unter solchen Umständen eine Mehrzweckfunktion, indem sie sowohl für die Nuß wirbt als in zweiter Linie auch für das eigentliche Geschäft. Dies bietet kleinen Familienbetrieben, denen im allgemeinen die Mittel zur hierzulande kostenintensiven Werbung in den Medien fehlen, eine Möglichkeit, ihre Zielgruppe direkt anzusprechen.

Es überrascht nicht, daß die multifunktionale Betelnuß-Verpackung sich verbreitet hat. Eine Unmenge kleiner Betriebe wie Spielballen mit Glücksspielautomaten oder Billiardtischen, kleine Obststände und zu später Stunde geöffnete Imbißstände haben den Betelnuß-Verkauf für sich entdeckt. Jetzt ist es dem glücklichen Arbeiter vergönnt, durch seine Betelnuß-Schachteln und Tüten alles Wissenswerte über Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung zu erfahren.

Zuweilen tauchen auch Motive auf den Schachteln auf, die sich an dem Unterhaltungsangebot orientieren. Auf dieser Schachtel prangt das Konterfei des bekannten taiwanesischen Sängers Hei Pao zwischen zwei Palmen. Obwohl die genauen Vereinbarungen zwischen der Lokalberühmtheit und dem Betelnuß-Vertreiber unklar sind, sind gerade die Nüsse dieser Marke auf der ganzen Insel weit verbreitet, so daß die Vermutung naheliegt, daß ein Alleinverkaufsrecht besteht.

Was immer die genauen Geschäftsbeziehungen auch sein mögen, die Wahl gerade dieses Sängers, der durch seine im taiwanesischen Dialekt vorgetragenen Lieder bekannt wurde, ist ein geschickter Schachzug. Seine Sammelalben sind Verkaufsschlager auf den Nachtmärkten, mit denen die industriellen Gegenden Taiwans übersät sind, und er ist Favorit gerade bei denen, die auch die größten Abnehmer für Betelnüsse sind: bei den Fabrikarbeitern. Es handelt sich also um eine gemeinschaftliche Werbeaktion, diesmal von einem anerkannten Unterhaltungskünstler -- und einer einfachen Betelnuß-Schachtel.

Ein anderer Ansatz im vielfältigen Verpackungsspiel hat ebenfalls dazu beigetragen, den Verkauf der Betelnuß zu einem lukrativen Unternehmen zu machen: Dem Kunden das Gefühl zu vermitteln, er sei besonders männlich, weltoffen und lässig. Zu diesem Zweck werden etwa typische chinesische Helden wie Ou-Yang Te abgebildet, der auch unter dem Namen Kuai Hsia, "seltsamer Ritter" bekannt ist, weil er eine lange Pfeife in der Hand hält und gewöhnlich einen Esel reitet. Der Ritter, um den sich vor einigen Jahren die Geschichten in einer beliebten Fernsehserie rankten, ist berühmt für seine atemberaubende Geschicklichkeit in der Kampfkunst des Kung-fu, sowie für seine Kraft, Tugendhaftigkeit und Unabhängigkeit. Die Kombination von gesellschaftlicher Exzentrik und physischer Geschicklichkeit ist zweifelsohne sehr anziehend für viele, die am Rand der Gesellschaft stehen und oft genug ihr eigenes Schicksal kämpferisch in die Hand nehmen müssen, wie etwa Kleinstunternehmer auf dem Dienstleistungssektor.

Da auch in Taiwan der Einfluß ausländischer Medien allgegenwärtig ist, werden auch ausländische Fernseh- und Filmstars in der gleichen Weise wie Ou-Yang Te eingesetzt. Nachdem sie sich viele Jahre lang amerikanische Western angesehen haben, braucht man sich keine Sorgen darüber zu machen, daß die Kunden den grimmigen Herrn nicht als amerikanischen Indianerhäuptling identifizieren würden. Die meisten Betelnuß-Anhänger in Taiwan werden ihm unfehlbar Wildheit, Mut und Unabhängigkeit zuschreiben, haben sie doch miterlebt, wie er sich jahrelang auf der Leinwand dem weißen Mann widersetzte.

Auf einen weiteren Kinohelden spielt die Packung an: Agent 007, James Bond. Der anhaltende Mythos seiner Kompetenz und Eigenständigkeit macht ihn zum westlichen Gegenpart des chinesischen Ritters, dem eine kräftige Dosis westlicher Weltlichkeit und Gewandtheit beigemischt ist. Für ein paar mickrige Dollar kann der Käufer sich zu exotischen Stränden entführen lassen und die Schönheit genießen und Abenteuer erleben, die sonst nur James Bond vorbehalten sind. Verlockend ist das gerade für die, deren Leben in der Monotonie von Routinearbeiten in trostlos langweiliger Umgebung spielt.

Das Playboy-Häschen umgibt eine Aura von Weltgewandtheit und Kultiviertheit. Obwohl das Symbol im Westen inzwischen einen Großteil seiner Anziehungskraft eingebüßt hat, erfreut es sich in Taiwan anhaltender Beliebtheit, was auf sein etwas gewagtes Image und die Beliebtheit seines Herkunftslandes zurückzuführen ist. Das Häschen-Emblem auf Produkten soll zeigen, daß ihr Besitzer ein Mann von Welt ist, der zumindest schon mal mit dem liberaleren Lebensstil in Berührung gekommen ist, der mit der Playboy-Philosophie einhergeht.

So wie einige Händler sich der Macho-Motive bedienen, machen andere Gebrauch von Frauendarstellungen, um ihr Produkt zu vermarkten. Diese Musen der Welt der Betelnuß-Verpackungskunst sind eben so stereotyp wie Ou-Yang Te und 007. Die Palette reicht von unterwürfiger Unschuld bis zu moralischer Fragwürdigkeit.

Am konservativen Ende der Skala findet man die Unschuld vom Lande: Strohhut auf dem Kopf, den Körper keusch verhüllt, lächelt sie uns entgegen. Ein Mädchen, das ein jedes Mutterherz erwärmen könnte, soll potentielle Kunden an das Gute an der ländlichen Gesellschaft erinnern. Man kann darauf wetten, daß auch in der ungesündesten städtischen Gegend die Dorfschönheit in ihrem Sonntagsstaat dem potentiellen Betelnuß-Kunden geradezu ins Auge sticht.

Trotz der Kritik an den Darstellungen kann man doch bei der Betrachtung der Betelnuß-Packungen Aufschluß erhalten über freies Unternehmertum in Taiwan, die Vitalität der Wirtschaft und der Menschen.

Abgesehen davon sind die Tausende von verschiedenen Etiketten, die im Zuge der Vermarktungsbemühungen entwickelt wurden, mehr als nur einfach ein Beispiel für eine gelungene Verpakkung und erfolgreiches Unternehmertum. Sie geben auch einen Überblick über die Werte und Motivationen der Arbeiterschicht von heute. Diese Quelle ermöglicht es einem, die Mentalität von Bauarbeitern, Taxifahrern und vielen anderen, die oft von der Gesellschaft übersehen werden, besser zu verstehen -- sowohl die Vermarktungsstrategie als auch die Hoffnungen und Sehnsüchte der Individuen, auf denen diese basiert.

Die große Zahl an Betelnuß-Verkaufsstellen in Taiwan sind ein Indiz dafür, daß der Markt bald gesättigt sein dürfte und der Output neuer, kreativer Verpackungskunst zurückgehen wird. Dennoch besteht für Anhänger kommerzieller Kunst kein Grund zur Verzweiflung. Man kann schon zuversichtlich sein, daß dieselben Unternehmer, die dazu beigetragen haben, die Betelnußindustrie groß zu machen, bereits auf der Suche sind nach Maschen und Trends, die sie dazu ausnutzen können, neue Verpackungen zu entwerfen. Wenn sie ein geeignetes neues Produkt gefunden haben, steht sicher eine weitere Explosion hell erleuchteter Schilder, blitzenden Chroms und gefälliger und informativer Verpackungskunst bevor. Die Menschen in Taiwan können nur darauf hoffen, daß das Produkt der Zukunft Gesundheit und Gesellschaft zuträglicher sein wird.

(Deutsch von Rina Goldenberg)

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