22.07.2025

Taiwan Today

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Auslandsinvestitionen im Aufwind

01.07.1990
Die Auslandsinvestitionen der Republik China sind in den letzten zwei Jahren so rasch in die Höhe geschnellt, daß sie weltweit Aufmerksamkeit erregt haben. Sowohl Industrieländer als auch Entwicklungsländer konkurrieren miteinander um ein Stück vom taiwanesischen "Investitionskuchen". Legt man die besten der von offizieller Seite herausgegebenen Informationen zugrunde, so waren die direkten Auslandsinvestitionen der Republik China 1988 sechsmal so hoch wie 1987 und erreichten damit eine Summe von 4,1 Milliarden (Siehe Tabelle 1).

Zu diesem Abfluß von Investitionen ins Ausland kommen noch die "Portfolio"-Investitionen der Republik China im Ausland, das sind festverzinsliche Wertpapiere mit langer Laufzeit und andere Wertpapiere. 1988 beliefen sich die "Portfolio"-Investitionen auf mindestens 1,7 Milliarden US$ (Siehe Tabelle 2).

Praktisch über Nacht ist die Republik China zu einem Akteur in der internationalen Investment-Szene geworden, und das nicht nur als Empfänger von Investitionen, sondern auch als Investor selbst. Im Verhältnis zur Größe seiner Wirtschaft, exportiert die Republik China ebensoviel Kapital wie das mächtige Japan (Sie machen bei beiden Ländern etwa 6% des Bruttosozialproduktes aus). Auswärtige Investitionen schließen unterschiedliche Bereiche ein, wie Immobilien, Wertpapiere und Bankdienstleistungen, aber es ist der Produktionssektor, in den die Masse der Gelder fließt. Die Vorgänge in diesem Sektor werden leichter verständlich, wenn man die unterschiedlichen Industriezweige in drei Hauptgruppen zusammenfaßt: die arbeitsintensive, die Hochtechnologie- und die kapitalintensive Industrie.

Die arbeitsintensive Industrie
Es gibt drei wesentliche Gründe dafür, daß heimische Unternehmen mit arbeitsintensiven Herstellungsprozessen in den letzten Jahren Niederlassungen in Übersee gründeten. Einer ist die Aufwertung des Neuen Taiwan Dollars (NT$), der seit Ende 1985, als die Vereinigten Staaten auf die Republik China in diese Richtung Druck auszuüben begannen, um über 50% gestiegen ist. Die empfindliche Aufwertung der Währung hat die Produkte der Republik China auf den Märkten in Übersee erheblich verteuert und die Wettbewerbsfähigkeit der für den Export bestimmten Produkte vieler arbeitsintensiver Industrien ernstlich beeinträchtigt. Diese Produkte erwirtschaften in der Regel nur einen unwesentlichen Gewinn und können die gestiegenen Kosten nicht auffangen.

Engpässe auf dem Arbeitsmarkt und steigende Lohnkosten haben in diesem Sektor ebenfalls tiefe Spuren hinterlassen. Den Unternehmen fällt es schwer, mit gewinnträchtigeren Sektoren wie Hochtechnologie und Dienstleistungen um Arbeitskräfte zu konkurrieren. Die Löhne stiegen im gesamten produzierenden Sektor mit zunehmendem Tempo; sie stiegen in den Jahren 1986-1988 in jedem Jahr um 12,6%. Die Steigerungsrate wuch 1989 in der ersten Jahreshälfte auf 16% an, ohne eine entsprechende Steigerung der Produktivität der Arbeitskräfte.

Ein dritter Grund für die Verlagerung der arbeitsintensiven Industrie ins Ausland sind die schwindelerregenden Grundstückspreise auf Taiwan. Die Kosten für Industriegelände haben sich in den letzten drei Jahren verdreifacht. Abgesehen von den Kosten ist Industriegelände aus verschiedenen sozioökonomischen Gründen einfach schwer aufzutreiben. Dazu gehört die Angst der Anwohner, daß die Umgebung, in der sie leben, und ihr gewohnter Lebensstil zerstört werden.

Um es auf den Punkt zu bringen: Die drastischen Veränderungen der Handelsbedingungen haben es für die zahlreichen Unternehmen, die arbeitsintensive Produkte herstellen, unprofitabel werden lassen, die Produktion auf Taiwan fortzusetzen. Um zu überleben, haben viele von ihnen begonnen, in Niedriglohnländern zu produzieren. Zu den am schwersten betroffenen Industriezweigen gehören die Hersteller von Fertigmahlzeiten, elektronischen Bauteilen, Elektrogeräten, Stoffen und Kleidung, Schuhen, unverarbeiteten Metallen, Plastik- und Gummiprodukten, chemischen Produkten und Möbeln.

Die Auslagerung von Herstellungsprozessen für Endprodukte hat auch Investitionen im Bereich der vorgelagerten Zwischenprodukte nach sich gezogen. Dies ermöglicht es den Herstellern aus der Republik China, sich verläßliche Rohstoffquellen zu sichern und den Anteil der Produktionskosten an den Gesamtkosten zu senken. Zu diesen Industriezweigen gehören hauptsächlich die Hersteller elektonischer Bauteile und Komponenten, synthetischer Fasern, Textilien, petrochemischer Erzeugnisse, von Plastikprodukten und Schuhen. Dies sind alles Bereiche, in denen die Republik China sowohl im vor- als auch im nachgelagerten Sektor stark ist.

Mögliche Zielländer für die Wiederansiedlung der arbeitsintensiven Industrie der Republik China sind Lateinamerika, Südafrika, Südostasien, und das chinesische Festland -- Gebiete, in denen es einen Überfluß an Arbeitskräften gibt und Industriegelände billig ist. Bis jetzt haben sich die Investoren der Republik China auf die südostasiatischen Länder konzentriert, weil sie ihnen kulturell nahestehen, weil sie sich in geographischer Nähe befinden und weil sie ein hohes Wachstumspotential besitzen. Die grundlegenden Anforderungen niedriger Grundstückspreise und Lohnkosten und einer gemeinsamen Kultur werden vom chinesischen Festland in besonderem Maße erfüllt; es gibt jedoch andere Gründe, die es in den Überlegungen der Investoren keine so große Rolle spielen lassen.

Trotz eines späten Starts hat die Republik China die USA und Japan als großer ausländischer Investor auf den Philippinen innerhalb von kurzer Zeit eingeholt. Der für ausländische Investitionen zuständige Philippine Board of Investment hat bisher widersprüchliche Daten veröffentlicht und bis die Unstimmigkeiten ausgebügelt sind, ist es schwer zu sagen, wer die meisten Investitionen tätigt. Eines ist jedoch sicher: die Republik China investiert mehr Geld in neue Projekte als die USA oder Japan (ein beträchtlicher Teil der Investitionen dieser beiden Länder sind reinvestierte Gewinne aus Projekten, die bereits laufen). Die Republik China hat als Newcomer noch keine großen Profite erwirtschaftet, die sie reinvestieren könnte, aber in dem Maße wie ihre Gewinne sich vervielfachen, werden auch automatisch ihre Investitionen auf den Philippinen steigen.

Die Republik China steht als Investor in Thailand und Malaysia gegenwärtig an dritter Stelle und liegt damit nur hinter Japan und den Vereinigten Staaten zurück. Investitionen aus der Republik China sind in diesen beiden Ländern hauptsächlich in die Herstellung von Haushaltsgeräten und elektronischen Bauteilen und Komponenten geflossen. In Malaysia befinden sich im Augenblick etwa 35 Fabriken, die mit Geldern aus der Republik China gebaut wurden, und die malaysische Regierung hat vor kurzem einen Antrag taiwanesischer Unternehmen genehmigt, die einen Industriepark aufbauen wollen, in dem ausschließlich elektronische Produkte hergestellt werden sollen.

In Thailand umfaßt die Produktion von Firmen aus der Republik China Elektronik ebenso wie Schirme, Schuhe, Konserven und Weihnachtsdekorationen aus Plastik. Es gibt dort über 300 solcher Firmen, und sie alle florieren. Einige von ihnen erweitern ihre Investitionstätigkeit auf die Herstellung von vorgelagerten Produkten, um bei der Versorgung mit Rohstoffen unabhängig zu sein.

Die Investitionen in den traditionellen Zielregionen Thailand und Malaysia steigen weiter an, aber viele Investoren aus der Republik China haben damit begonnen, in andere Länder zu gehen. Sie begründen ihr Vorgehen mit einem Mangel an Arbeitskräften und einer unzureichenden Infrastruktur, die das schnelle Anwachsen ausländischer Investitionen in diesen beiden Ländern behindern. Der dritte große Empfänger von Investitionen aus der Republik China in diesem Teil der Welt ist das chinesische Festland. Die Regierung untersagt Geschäftsleuten direkte Investitionen auf dem Festland, aber als Folge der Lockerung der Reisebeschränkungen durch Taipei und anderen Erleichterungen für Angehörige beider Seiten im Jahre 1987 haben viele von ihnen angefangen, indirekte Investitionen über dritte Länder zu tätigen.

Den von Peking veröffentlichten Zahlen zufolge belaufen sich die gesamten taiwanesischen Investitionen auf dem chinesischen Festland auf eine Summe von 600 Mio. US$. Sie umfassen ein breites Spektrum an unterschiedlichen Produkten wie Schuhe, Kleidung, Spielzeug und Elektronik. Diese Investitionen sind hauptsächlich nach Shenchen geflossen, der ältesten Sonderwirtschaftszone des kommunistischen China, direkt an der Grenze zu Hongkong, dem Perlflußdelta, Amoy und Foochow. Weitere Projekte werden als Folge der blutigen Unterdrückung der prodemokratischen Proteste auf dem Tienanmen-Platz und der anhaltenden politischen Unruhen auf dem Festland noch zurückgehalten.

Ein weiterer Grund für Firmen aus der Republik China, ins Ausland zu gehen, ist, abgesehen von den niedrigeren Löhnen dort, daß sie so freieren Zugang zu Märkten haben und vom GSP-Status* dieser Länder profitieren können, den die Republik China nicht mehr genießt.

Dies ist einer der Hauptgründe dafür, daß die Republik China ihre Investitionstätigkeit von den benachbarten südostasiatischen Ländern auf das karibische Becken ausgedehnt hat, wo etwa 70 taiwanesische Firmen Industrieanlagen aufgebaut haben. Die Republik China plante im Zusammenhang mit dem veränderten Investitionsverhalten eine Exportförderungszone in Costa Rica, deren Bau im Februar 1990 begann. Außerdem will die Republik China auch in Mexiko Projekte starten.

Hochtechnologie Industrie
Die Auslandsinvestitionen der Republik China beschränken sich nicht nur auf den Bereich der arbeitsintensiven Industrie. Um die langfristige Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt zu sichern, investieren hiesige Firmen schon seit Jahren im Ausland -- hauptsächlich in Europa und Amerika -- in Anlagen zur Herstellung von High-Tech Produkten. In Silicon Valley in Kalifornien gibt es mindestens 70 Unternehmen, die mit taiwanesischem Kapital arbeiten. In Europa gibt es über 20 Firmen, in denen taiwanesisches Geld steckt; sie befinden sich in Westdeutschland und den Niederlanden. Taiwanesische Unternehmen verhandeln im Augenblick über ihre Mitwirkung beim Bau eines Forschungs-Industrieparks in Irland.

Die Niederlassung des Computerherstellers Acer in der Bundesrepublik Deutschland. Acer ist einer der führenden Investoren in Übersee.

Eine andere Form taiwanesischer Direktinvestitionen in Übersee ist der Erwerb bereits bestehender Firmen. In den vergangenen zwei Jahren zum Beispiel, hat Acer Sertek International, der größte Computerhersteller Taiwans, mit Counter-Point und PPL zwei amerikanische High-Tech Unternehmen aufgekauft. Im Dezember 1989 gab die neugegründete Channel International Corporation in Taipei bekannt, daß sie mit Wyse Technology, einer High-Tech Firma, die an der New Yorker Börse notiert wird, ein Übernahmepapier unterschrieben hat; das Geschäft hat ein Volumen von 268,4 Millionen US$. Wyse ist der weltgrößte Hersteller von Computer-Terminals: sein Marktanteil beläuft sich auf 50% auf dem amerikanischen und auf 20% auf dem europäischen Markt.

Die Industriekammer der Republik China will im Juni 1990 eine Delegation in die USA schicken, die Gespräche über Firmenübernahmen und Fusionen führen soll. Als Folge dieser Gespräche wird erwartet, daß Taiwan noch mehr amerikanische High-Tech Firmen übernehmen wird. Ziel dieser Delegation ist es, fortschrittliche Technologien im Bereich der Computerelektronik, der Telekommunikation, der Elektrogeräteherstellung und der biochemischen Produkte zu erwerben. Dies sind die Industriezweige, auf deren Entwicklung die Republik China in den kommenden Jahren besondere Anstrengungen verwenden wird.

Kapitalintensive Industrie
Die kapitalintensiven petrochemischen Unternehmen der Republik China haben ebenfalls begonnen, im Ausland zu investieren. Ihre Expansionsvorhaben werden ins Ausland verlegt, weil dieser Industriezweig große Flächen benötigt. Land ist auf Taiwan aber fast unerschwinglich teuer und, wenn es um Industrieanlagen geht, manchmal zu keinem Preis verfügbar.

Eine der drei petrochemischen Fabriken der Nan Na Plastics Corp. in Texas -- immer mehr solcher Projekte gehen wegen Platzproblemen in Ausland.

Formosa Plastics, zum Beispiel, Hersteller von petrochemischen Zwischenprodukten und Kunststofferzeugnissen, war nicht in der Lage, Dorfbewohner zu überreden, dem Unternehmen Land zu verkaufen, das dieses für den Bau einer Industrieanlage brauchte.

Das Unternehmen erwägt nun den Bau dieser Anlage in den USA, wo es schon drei Fabriken besitzt, die petrochemische Zwischenprodukte herstellen. Insgesamt gibt es in Übersee wenige Investitionsprojekte im Bereich der petrochemischen Industrie, aber sie binden riesige Geldsummen. Die meisten dieser Projekte befinden sich in den USA.

Obwohl jedes Unternehmen seine eigenen Gründe dafür hat, im Ausland zu investieren, gibt es doch einige gemeinsame Faktoren, die für die Zunahme der Auslandsinvestitionen in den letzten Jahren mitverantwortlich sind. Einer davon ist, daß viele, sowohl große als auch kleine, taiwanesische Firmen einfach zu viel Geld haben. Die Exporte der Insel steigen seit fast sechs Jahren ständig kräftig an, und der Geldfluß ist zu riesigen Summen ausländischer Devisen in den Händen der Exporteure aufgelaufen. Viele Firmen haben auch viel Geld auf dem florierenden Aktien- und Immobilienmarkt gemacht.

Die Aufwertung des NT$ um mehr als 50% ist sicherlich ein zusätzlicher Anreiz, Investitionen im Ausland zu machen. Dazu kommt die Lockerung der Regierungskontrolle über Devisenbewegungen. Die liberalisierten Gesetze erlauben es jedem Einzelnen bis zu 5 Mio. US$ im Jahr ins Ausland zu bringen, ohne daß er dies mit auch nur einem Wort rechtfertigen müßte.

Ein anderer Anreiz ist, daß Länder sich aktiv um Kapital aus der Republik China bemühen. Viele ausländische Regierungen haben Vertreter nach Taipei entsandt, zu ihnen gehören Repräsentanten von über 20 amerikanischen Bundestaaten. Diese Büros bemühen sich zunehmend darum, Investitionen aus der Republik China anzuwerben und zusätzlich die Exporte aus ihren eigenen Regionen zu fördern.

Der steigende Abfluß von Investitionskapital hat bei den zuständigen Stellen in der Republik China unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. Einige glauben, daß Auslandsinvestitionen sowohl für die Republik China als auch für die Empfängerländer vorteilhaft sind. Für Taiwan bedeutet es eine Schonung seiner begrenzten Ressourcen, wenn arbeitsintensive Industrie ins Ausland verlegt wird.

Den Empfängerländern können Investitionen aus der Republik China helfen, Arbeitsplätze zu schaffen und den Industriesektor zu entwickeln, wodurch die gesamte wirtschaftliche Entwicklung dieser Länder vorangetrieben wird.

Dadurch würden sich die Beziehungen zu diesen Ländern unvermeidlich festigen. Einer Untersuchung zufolge, die im Oktober und November 1989 von Commonwealth, einem bekannten in chinesischer Sprache herausgegebenen Taipeier Magazin, durchgeführt wurde, plant jedes fünfte der untersuchten Unternehmen innerhalb der nächsten zehn Jahre seine Produktionsanlagen nach Übersee zu verlegen.

Einige Regierungsbeamte fürchten noch immer, daß Auslandsinvestitionen in großem Umfang schließlich zur Desindustrialisierung des Landes führen, oder aber zumindest den Produktionssektor entscheidend schwächen könnten. Während all diese Warnungen ernstgenommen werden sollten, bleibt es für den Moment doch ausgemacht, daß die Auslandsinvestitionen der Republik China in den kommenden Jahren in großem Umfang weiterfließen werden und jede gegenteilige Entwicklung zunächst ausgeschlossen ist.

(Deutsch von Andreas Hördter)

*General System of Preferences: eine Liste von Entwicklungsländern, die von den USA bestimmte wirtschaftliche Privilegien erhalten

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