Der Bereich der Sinologie hat in den letzten Jahren einige harte Schläge erlitten. Erstens wurden akademische Institutionen von London über Leiden bis Los Angeles von der wirtschaftlichen Rezession getroffen, und die Forschungsmittel schwanden. Zweitens verschob sich in den Fachbereichen für Auslandsstudien vieler Universitäten der USA und Europas das Interesse - und die Finanzierung - von China weg nach Osteuropa und Japan. Als Ergebnis befinden sich Studien über China in vielen akademischen Einrichtungen weltweit auf etwa wackligem Terrain.
"Am Ende des 19. Jh.s erlebte die Sinologie einen Aufschwung in Europa, und nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten sich die Chinastudien auch in den USA", sagt Li Yih-yuan (李亦園), Präsident der "Chiang-Ching-kuo-Stiftung" in Taipei. "Doch im Jahre 1972 richtete die japanische Regierung die "Japan-Stiftung" mit 770 Millionen US$ ein. Sie gewährte immense Stipendien, um das Studium der japanischen Kultur und Sprache zu fördern. In der Folge hat die Japanologie die Chinawissenschaft als Hauptforschungsgebiet in den US-amerikanischen und europäischen Fachbereichen für Ostasienkunde ersetzt."
Den niedergehenden Status der Sinologie in den internationalen akademischen Kreisen bemerkend, unterbreitete eine Gruppe von chinesischen Professoren aus Nordamerika im Jahre 1987 dem damaligen Präsidenten Chiang Ching-kuo eine schriftliche Erklärung, in welcher sie die Gründung einer Stiftung zur Förderung der Chinakunde vorschlugen. Sie betonten, daß die Zeit für eine solche Unternehmung reif sei; die Republik China befände sich in einer guten finanziellen Position, und ein solches Vorhaben würde durch das Schaffen von Freundschaften zwischen einheimischen und ausländischen Akademikern sowie durch eine Förderung der Sinologie auf der ganzen Welt zur Verbesserung ihres internationalen Profils beitragen. Li drückt es so aus: "Ziel einer solchen Stiftung ist es, das Studium im Ausland zu unterstützen, so daß die Chinastudien nicht von der Japanologie überschattet werden können, nur weil Japan mehr Geld gibt als wir."
Universitäten in Europa leiden unter der wirtschaftlichen Rezession. Besonders die Sinologie ist da betroffen. So konzentriert sich die Stiftung nun besonders auf die europäische Chinaforschung; die Universität Cambridge in England ist eines der unterstützten Institute.
Die Stiftung wurde von Präsident Chiang kurz vor seinem Tod im Jahre 1988 gebilligt und im Januar 1989 formell als die "Chiang-Ching-kuo-Stiftung für internationalen akademischen Austausch 蔣經國國際學術交流基金會" (Chiang Ching-kuo-Foundation for International Scholarly Exchange, CCKF) gegründet. Ihr Auftrag war einfach: im Bereich der Sinologie Forschungsgelder für Institute, Akademiker, Konferenzen und Publikationen zur Verfügung zu stellen.
Während ihres dreijährigen Bestehens ist die Stiftung sowohl hinsichtlich ihrer Programmbreite als auch ihrer Finanzmittel schnell gewachsen. In ihrem ersten Jahr sicherte sich die CCKF eine Anfangssumme von 86 Millionen US$ von seiten des Erziehungsministeriums und von privaten Förderern. Bis zum Beginn des akademischen Jahres 1989/90 hatte die Stiftung 3,3 Millionen US$ aus den Zinsen der Stiftungsgelder und 1,9 Millionen US$ von privaten Geldgebern erhalten. Diese gingen an die ersten von der CCFK ausgewählten Stipendiaten.
Die ersten Stipendiengelder der CCFK gingen an Bewerber aus Nordamerika, Taiwan und Hongkong. Die Stftung richtete 1989 eine regionale Geschäftsstelle für Nordamerika in Washington, D. C., ein und erhielt über diese 270 Vorschläge für das akademische Jahr 1989/90. Zusätzlich kamen ihr durch die Zentrale in Taipei 34 Bewerbungen zu. Der Vorstand der Stiftung, welcher aus Regierungsvertretern und Professoren von einheimischen sowie ausländischen Universitäten zusammengesetzt ist, traf die endgültige Entscheidung, bei der vierzig ausländischen und vierzehn lokalen Anträgen mit Stipendiensummen von insgesamt 5,2 Millionen US$ entsprochen wurde.
In ihrem zweiten akademischen Jahr von 1990 bis 1991 erweiterte die Stiftung ihren Rahmen insofern, als sie Stipendienbewerbungen aus Europa miteinschloß. CCFK hat, mit Unterstützung des "Europäischen Verbands für Chinakunde" an der Universität Leiden in den Niederlanden, gute Resonanz erhalten. Die Gesamtzahl von Bewerbungen stieg sprunghaft auf 558 Projektvorschläge von Institutionen und Einzelpersonen aus Nordamerika, Europa und Taiwan an. Im vergangenen Jahr vergab CCFK 7,1 Millionen US$ Stipendien an 81 Institutionen und 36 Akademiker.
Ein gelungenes Projekt war die Veranstaltung einer Konferenz über die Geschichte der europäischen Sinologie im April 1992 in Taipei, bei der einheimische wie europäische Wissenschaftler zur Diskussion zusammentrafen.
In diesem Jahr erwartet die Stiftung, bis zum Bewerbungsschluß am 1. November 1992 noch mehr Anträge zu erhalten. Die Gelder werden für die Erweiterung von Institutionen, einzelne Forschungsprojekte, Konferenzen und Seminare, Publikationen, für die Verbesserung von Bibliotheken sowie als Forschungsstipendien für Promotionen vergeben. Die Themen reichen von chinesischer Geschichte und Literatur bis zu Sprache, Politik, Archäologie, Rechtswissenschaft oder Studien über Taiwan.
"Es ist unser Ziel, akademische Institutionen im Ausland im Bereich der Forschung über China zu unterstützen, indem wir ihre Ausbildungsprogramme stärken, ihre Bibliotheken verbessern oder die Forschungsgelder erhöhen", macht Li deutlich. "Das haben wir in den letzten zwei Jahren gemacht." Li ist bis jetzt mit den Ergebnissen zufrieden. Von den Stipendien, welche die Stiftung vergeben hatte, sind bis jetzt elf Projekte abgeschlossen; es wurden neun Konferenzen und Seminare abgehalten sowie von der Chinesischen Universität Hongkong zwei Werke veröffentlicht: Band 35/36 von "Renditions, A Chinese-English Translation Magazine" (Wiedergaben, ein chinesisch-englisches Übersetzungsmagazin) und "Contemporary Women Writers: Hongkong and Taiwan" (Zeitgenössische Autorinnen: Hongkong und Taiwan).
Zu den gegenwärtig von CCFK finanzierten Forschungen gehört ein im letzten Jahr angenommenes Projekt mit einer dreijährigen Laufzeit, welches den Titel "Chinesisches Regionaltheater in seinem sozialen und rituellen Kontext" trägt. Die Unternehmung, die im ersten Jahr 276 000 US$ erhält, wurde von Professor Wang Chiu-kuei vom Graduierteninstitut für Chinesische Literatur an der Nationalen Tsing Hwa-Universität ins Leben gerufen. Einige andere Professoren von weiteren hiesigen Universitäten werden dazu beitragen, zusammen mit Unterstützung aus dem Ausland durch Piet van der Loon, einem emeritierten Professor vom Fachbereich für Chinesisch der Universität Oxford, und David Johnson, Professor für Geschichte an der Universität von Kalifornien in Berkeley.
Es ist Wang's Ziel, internationale Forschungen zu diesem Thema zusammenzustellen und Originaldaten über Regionaltheater an verschiedenen Orten auf dem chinesischen Festland zu sammeln. Das Projekt sei besonders wichtig, denn es seien, wie er erklärt, auf dem chinesischen Festland wenige Untersuchungen zu diesem Thema angestellt worden. Außerdem möchte Wang die derzeitige Öffnungspolitik des Festlandes gegenüber Gelehrten ausnutzen.
Ein anderes von CCFK gefördertes Vorhaben wurde an der Universität Leiden unter der Leitung von Dr. Erich Zürcher, Direktor des Instituts für Sinologie, initiiert. Zürcher entwickelt eine Computer-Datenbank für Videobilder über die chinesische Kultur. Das Unternehmen "Eine visuelle Präsentation chinesischer Kultur" begann mit einer Sammlung von Photographien und Dias, welche zu den unterschiedlichen Bereichen der Chinakunde Bezug haben - Kunst, Geschichte, Architektur, Geographie -, aus internationalen Museen und akademischen Institutionen. Zürcher hatte bis 1989 25 000 Videobilder für das vor sechs Jahren als Pilotprojekt begonnene Unternehmen zusammengetragen und verschiedene visuelle Präsentationen geschaffen, einschließlich eines "Überblicks über die chinesische Geschichte" und "Buddhismus in China".
Nach dem Erhalt von Mitteln der CCFK im Jahre 1990 beschleunigte sich Zürchers Projekt wesentlich und nahm die moderne Technik zu Hilfe. Unter Verwendung eines CCFK-Stipendiums von nahezu 300 000 US$ über drei Jahre hofft Zürcher nun, eine Gesamtzahl von 100 000 Videobildern zu sammeln, welche dann in ein Computersystem eingegeben werden. Unter Verwendung eines hochqualitativen Graphikprogramms wird der Computer die Videobilder wiedergeben und Studenten sowie der Öffentlichkeit erlauben, entsprechend ihres Forschungsbedarfs diese "Abbildungen" aufzurufen.
Um sicherzustellen, daß die Stipendiaten mit ihren Projekten gut vorankommen, verlangt die Stiftung in halbjährlichem Abstand von jedem einen Bericht. Zusätzlich unterstützt die Stiftung ein Netz von 32 Akademikern in Nordamerika und Taiwan, die als Berater fungieren. Sie besuchen akademische Institutionen, um Projekte zu überwachen und für die Stiftung zu werben.
Obgleich die Gelder der CCFK gewöhnlich Unternehmungen abdecken, die zwischen einem und drei Jahren dauern, so haben die Stipendien doch langanhaltende Ergebnisse, betont Li. Zum Beispiel wurden der Duke-Universität 1991 109 500 US$ gewährt, um zur Verbesserung ihres Fachbereiches für Chinakunde beizutragen. Li verweist darauf, daß das CCFK-Stipendium zu zusätzlicher Finanzierung geführt habe. "Die Duke-Universität begann ihre Chinastudien erst kürzlich", kommentiert Li. "Aufgrund unserer finanziellen Förderung haben die 'Henry-Luce-Stiftung' und unser Erziehungsministerium ebenfalls beschlossen, finanzielle Unterstützung anzubieten. Hoffentlich wird mit diesen drei Geldquellen ein neues Zentrum für Chinakunde im Süden der USA errichtet."
Der derzeitige Fokus der CCFK ist stark auf Europa gerichtet. "Die Finanzierung für die Sinologie in Europa wird schwierig, und darunter leidet dieser Bereich", verdeutlicht Li. "Darüber hinaus wollen viele europäische Sinologen nach dem T'ien-an-men-Vorfall nicht mehr auf das chinesische Festland gehen."
Trotzdem gibt es in Europa eine Entwicklung, die einen positiven Ton für die Zukunft der Sinologie anschlägt. Seitdem sich viele osteuropäische Länder vom Kommunismus abgewendet haben, bietet diese Region neues Terrain für Stipendienangebote von seiten der CCFK. Li argumentiert: "Wir sollten diese Gelegenheit ergreifen, um dort die Sinologie zu entwickeln und zu stärken."
[Von den im akademischen Jahr 1991/92 an die Stiftung gerichteten 288 Stipendienbewerbungen kamen 60 aus Europa; davon waren 17 Anträge aus Deutschland, zwei aus der Schweiz und zwei aus Österreich. CCFK gewährte den deutschsprachigen Ländern in diesem Jahr folgende Unterstützungen: Zur Förderung von Institutionen gingen an die Universität Heidelberg 80 769 US$ und an die Universität Wien 4000 US$. Als Beihilfe zu konkreten Forschungsvorhaben erhielt das Institut für Sinologie der Berliner Humboldt-Universität zur Durchführung seines Zweijahresprojekts "Deutschlandbilder chinesischer Intellektueller in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Studie und Dokumentation" 138 462 US$; der Universität Genf kamen 19 231 US$ zu. Eine Dissertation an der Universität Heidelberg wurde mit 14 400 US$ unterstützt, und schließlich gewährte man dem deutschen "Monumenta Serica Institute" eine Summe von 12 692 US$ für die Veröffentlichung eines Index zum "Journal of Oriental Studies".]
Nach Angaben von Liang Chao-ping, Professor für Sinologie an der Universität Leiden und Mitglied des Auswahlkomitees der Stiftung, hätten es die europäischen Universitäten in gewisser Hinsicht schwerer als jene in den USA, Forschungsgelder aufzutreiben. Er erklärt, daß akademische Institutionen in Europa die meisten ihrer Forschungsmittel von Verbänden erhalten, die von der Regierung finanziert würden, und diese Gelder würden für gewöhnlich in Vereinbarung mit den offiziellen Interessen und der Politik des Landes gewährt. Das mache es schwierig, die finanzielle Versorgung für die sinologische Forschung sicherzustellen.
Dr. Ho Peng Yoke, Generaldirektor des Needham-Forschungsinstituts (Needham Research Institute) im englischen Cambridge, verdeutlicht, warum die Finanzlage für Chinaprojekte im Vereinigten Königreich schlecht ist. "Großbritannien leidet unter einer wirtschaftlichen Rezession", sagt er. "Colleges und Universitäten hier bekommen das stark zu spüren, besonders im Bereich der Sinologie, da diese im Vergleich zu anderen akademischen Feldern als nicht so wichtig betrachtet wurde." Ho hat die Vorzüge von CCFK am Needham-Forschungsinstitut miterlebt. Im Jahre 1990 erhielt der Gründer des Instituts, der Sinologe Joseph Needham, ein drei Jahre laufendes Stipendium von 61 000 US$, um "The Shorter Science and Civilization in China" fertigzustellen. Außerdem hat Ho mitverfolgt, wie die Bestände der Insitutsbibliothek durch die finanzielle Hilfe der CCFK erweitert wurden. "In der Vergangenheit stammten die meisten Bücher in der Bibliothek aus Needhams eigener Sammlung", resümiert Ho.
Um die Sinologie in Europa zu fördern, organisierte CCFK im April eine internationale Konferenz über die Geschichte der europäischen Sinologie in Taipei [siehe "Freies China" Juli/August 1992]. Fünfundvierzig etablierte europäische Sinologen und fünfzig einheimische Akademiker hielten einen Rückblick auf die Forschung in der Vergangenheit und diskutierten Wege, um eine zukünftige Entwicklung zu verbessern.
[Im Gegensatz zur amerikanischen Forschung beschäftigt sich die europäische Sinologie traditionell besonders mit der chinesischen Klassik. Die Konferenz diente den teilnehmenden Sinologen als ein willkommenes Diskussionsforum, wobei länderorientierte sowie themenspezifische Referate die Geschichte der Chinaforschung Europas beleuchteten. Das Wissenschaftlertreffen half der chinesischen Seite, die europäischen Forschungsansätze zu erkennen und suchte den Europäern ein umfassenderes Verständnis von China zu vermitteln.]
In den drei Jahren ihrer Tätigkeit hat die "Chiang-Ching-kuo-Stiftung" wesentliche Schritte zur Stärkung der Sinologie in wissenschaftlichen Institutionen auf der ganzen Welt unternommen. Li betont, daß es sich dabei nur um den Anfang handelt, denn die wahren Leistungen der Stiftung könnten nicht in nur zwei oder drei Jahren erkannt werden. "Es kann acht oder zehn Jahre dauern, bevor etwas Greifbares erreicht wird", gibt Li zu bedenken. "Darin unterscheidet sich der akademische Bereich von der Politik: Erfolg ist nicht nur an zwei oder drei Fällen ablesbar. Doch zumindest erkennen viele Institutionen und Leute, die sich weltweit in der Chinawissenschaft engagieren, die Stiftung an."
Die Stiftung, die sich derzeit auf halbem Wege durch ihr drittes akademisches Jahr befindet, beabsichtigt, das Stipendienangebot eventuell auch auf die pazifische Region einschließlich Australiens, Neuseelands und möglicherweise auch auf Gebiete innerhalb Asiens auszuweiten. "Es ist wahrscheinlich, daß unsere Gelder in etwa drei Jahren akademischen Institutionen in asiatischen Ländern angeboten werden", sieht Li voraus. "Unser langfristiges Ziel ist es, Chinastudien überall auf der Welt zu unterstützen."
[Die Anschrift der Stiftung lautet: Chiang Ching-kuo Foundation for International Scolarly Exchange 14F/A, 106 Hoping East Rd, Section 2, Science of Technology Building, Taipei, Republic of China]
(Deutsch von Annette Wiedenbach)