07.06.2025

Taiwan Today

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Taiwans neue Generation Y

01.02.1997
Das ultimative Risiko. Aufmerksam­keitshungrige Teens haben eine gute Auswahl an Aktivitäten wie Extrem­sportarten, von denen viele zu ihrer Freude große Zuschauermengen anziehen.
Teenager leben in ihrer eigenen Welt. Kann die chinesische Kultur sie vor den Widrigkeiten des Erwachsenwerdens bewahren? Es gibt immer mehr Signale dafür, daß Taiwans Jugend sich für das aufregende Leben auf der Überholspur entscheidet.

Taiwans Teenager, häufig Generation Y genannt, um sich von der Generation X der inzwischen über Zwanzigjährigen abzusetzen, unterscheiden sich deutlich von ihren Vorgängern; nicht nur äußerlich, sondern auch in ihrem Verhalten und ihren Ansichten. Ein einfaches Beispiel: Früher mußten alle Oberschüler die Haare kurz tragen, das heißt mindesten einen Zentimeter über den Ohrläppchen für Mädchen und drei Zentimeter für die Jungen. Die Aufhebung dieser Vorschrift machte es endlich möglich, die Haare wachsen zu lassen und modernere Frisuren zu tragen. Zudem hat der unaufhaltsame Informationsfluß aus dem Ausland in Verbindung mit der fortschreitenden Internationalisierung der Gesellschaft dafür gesorgt, daß der westliche Lebensstil allgemein einen viel größeren Einfluß auf die Werte der neuen Teenagergeneration Taiwans ausübt als zuvor.

Zum Beispiel bei den Eßgewohnheiten. Die Teenies sind von der westlichen Küche natürlich viel mehr angetan als ihre Eltern. McDonald's, Burger King und andere Fast-food-Restaurants sind inzwischen ihre Lieblingslokale. Hamburger, Pommes frites, Apfeltaschen und Coca-Cola verdrängen die herkömmlichen Leibgerichte der Chinesen wie Nudeln mit Rindfleisch und gebratener Reis mit Ei. Chen Ssu-hsuan (陳思璇), eine l7jährige Oberschülerin, meint dazu: "Ich esse oft bei McDonald's. Westlicher Schnellimbiß schmeckt gut und ist billig."

Der Teenager von heute ist finanziell unabhängiger als die Generation vor ihm. Immer mehr verdienen ihr eigenes Geld. Die meisten der jungen Leute verdingen sich in den traditionellen Teilzeitjobs als Verkäufer oder Nachhilfelehrer.

Die westlichen Schnellimbißketten dienen auch einem anderen Zweck. Teenager kommen gerne mit ihren Mitschülern und Freunden hierher und bleiben oft stundenlang. "Bei McDonald's gibt es eine Klimaanlage, und ich glaube, es ist ein wunderbarer Ersatz für eine Bibliothek", findet Li Tsai-hua (李彩華), eine Collegestudentin aus Taipei. "Ich komme oft hierher, um zu lesen. Außerdem treffe ich auch gutaussehende Jungs!" 

Aber der Trend zu westlichem Schnellimbiß hat auch eine negative Seite. Fettleibigkeit ist im Begriff, das Teenagerproblem in Taiwan zu werden. Der Einfluß der Medien, die den Wert des Äußeren stark betonen, steigert die Befangenheit vieler Jugendlicher über das eigene Übergewicht. Und plötzlich stecken sie in einem Dilemma: Einerseits wollen sie gut aussehen, andererseits fällt es ihnen aber schwer, auf das so geliebte Fast food, Süßigkeiten und kohlensäurehaltige Erfrischungsgetränke mit hohem Zuckergehalt zu verzichten. Die Werbung in Funk und Fernsehen vermittelt ihnen das Gefühl, der Konsum westlicher Produkte ließe sie cool aussehen.

KTV ja - Oper nein. Die meisten Kids wollen nichts wie weg vom Druck des Schulalltags. Nur wenige finden Entspannung in kulturellen Aktivitäten.

Das Aussehen ist natürlich von besonders großer Bedeutung. Viele Teenager achten genau darauf, was sie essen, um die Figur in Schach zu halten, aber ohne dabei zu bedenken, welche wichtigen Nährstoffe der Körper während dieser Entwicklungsphase braucht. "Schon seit Anfang der Mittelschule bin ich um meine Figur besorgt", gibt die 16jährige Hou I-ju (侯怡如) zu. "Oft sage ich mir: Iß nicht zuviel - keinen Reis, kein fettiges Essen - egal, wie hungrig ich bin." Einige Teenager sind sogar bereit, die Wucherpreise für Abmagerungskuren in entsprechenden Fitneßzentren oder für Schönheitsoperationen an Nase und Augen zu bezahlen. Solche Fälle kommen besonders oft in den Sommerferien vor, weil die Schüler ungehindert ihr Aussehen verändern können, da in der neuen Schule sowieso niemand weiß, wie sie vorher ausgesehen haben.

Kleidung ist eine andere Möglichkeit für Teenager, um sich auszudrücken, obwohl nur wenige beim Einkaufen viel Individualität an den Tag legen. Wie die Erwachsenen peilen sie gleich die Regale mit den bekanntesten Marken an. "Ich stehe auf gute Namen, weil sie etwas über meinen sozialen Status aussagen", meint Ho Fang-yu (何芳玉), eine Oberschülerin. "Sie drücken auch aus, daß ich Geld habe." Im übrigen haben ausländische Kleider mehr Stil. "Ich bin ein Nike-Fan", sagt Lu Yu-ta (呂昱達), 13, Mittelschüler. "Für mich muß Sportbekleidung einen berühmten Namen tragen. Die Sachen sehen viel besser aus als das in Taiwan hergestellte Zeug."

Teenager wählen natürlich ihre Kleidung mit der Absicht, damit die Blicke anderer auf sich zu ziehen. Früher wurde den Frauen aufgetragen, sich wie Damen anzuziehen und ihre Körper sittsam zu bedecken. Diese Ansichten haben sich geändert. Junge Leute haben heute keine Bedenken mehr, zu zeigen, was sie haben. "Sobald ich aus der Schuluniform rauskomme, trage ich eng anliegende Kleidung und kurze Röcke", sagt Chen Ssu-hsuan. "Ich glaube, ich habe eine gute Figur, und die will ich mit sexy Kleidung betonen." Auch Nachahmung spielt eine wichtige Rolle. "Ich möchte genau wie Lisa [eine populäre japanische Sängerin] aussehen, denn sie ist mein Idol", meint Hou I-ju. "Ich versuche mein Bestes, um mich wie sie anzuziehen."

Auch bestimmte Accessoires gehören zum Image. Immer mehr Teenager sehen Beeper als eine Notwendigkeit an, die sie überallhin mitnehmen müssen. Sie sind inzwischen ein so populäres Statussymbol geworden, daß viele Hersteller Modelle in leuchtenden Farben auf den Markt gebracht haben, um diese neue, "gutbetuchte" und vorwiegend junge Konsumentengruppe anzusprechen. "Ich besorge mir bald einen neuen Beeper", schwärmt Li Tsai-hua. "Ich will, daß meine Eltern, Mitschüler und Freunde mich jederzeit und überall erreichen können." Viele junge Leute teilen sich die Beeper-Nummer mit dem Freund oder der Freundin, um der Tiefe ihrer Beziehung Ausdruck zu verleihen.

Wie verbringt die neue Generation ihre Freizeit? Wie ihre Vorgänger gehen sie gern ins Kino, bevorzugen aber eher ausländische Filme, da ihrer Meinung nach die Produktion aufwendiger und der Inhalt überlegener sei. "Filme sind mein Lieblingshobby", sagt die Studentin Wang Wen-chin (王文瑾). "Ich bevorzuge jedoch ausländische Produktionen - Actionfilme, Liebesfilme -, weil sie weit besser als taiwanesische Filme sind."

YWCA-Mitglieder engagieren sich für einen guten Zweck - eines von mehreren ermunternden Anzeichen, daß sich die Jugend heute mit mehr Leidenschaft an Aktivitäten beteiligt, als ihre Eltern dies getan haben.

Der ewige Favorit, Musikhören, gehört immer noch zu einem wichtigen Teil der Freizeitunterhaltung, was in jedem mit jungen Leuten gefüllten CD-Geschäft zu beobachten ist. Die Jugend hatte immer ihre Popidole, und auch diese Generation bildet keine Ausnahme. Viele Stars wie Andy Lau aus Hongkong dienen den Jugendlichen als Vorbilder, und dementsprechend werden Kleidung, Sprache und Ansichten nachgeahmt. Fans kommen aus allen Richtungen angereist, um bei einem Konzert berühmter "Namen", wie etwa Michael Jackson, dabeizusein. Sobald der Auftritt beginnt, lassen sie sich gehen und singen und schreien mit bis zum Ende der Zugaben. Sie verfolgen das Leben ihrer Vorbilder über die Medien; einige gehen sogar soweit, über Nacht vor deren Wohnungen auszuharren, unvorstellbar für die Teens der vorigen Generationen.

Liu Shu-i (劉淑儀), Schülerberaterin an der Hung Tao-Oberschule in Taipei, sieht darin die Herausbildung eines Verhaltensmusters. Demnach gibt es keine allzu großen Unterschiede zwischen den Teenagern von heute und dem, was deren Eltern trieben, als sie jung waren. "Es gibt dennoch einen Unterschied", behauptet sie. "Im allgemeinen betreiben die Jugendlichen heute ihre Aktivitäten mit viel mehr Leidenschaft. Sie sind engagierter."

Bummeln gehen ist eine weitere beliebte Freizeitbeschäftigung, besonders für weibliche Teens wie Hou I-yu. "Einkaufen ist mein liebstes Hobby", meint sie. "Jedesmal kaufe ich etwas, auch wenn ich es nicht wirklich brauche. Manchmal gebe ich zuviel aus, dann muß ich mir Geld von meinen Klassenkameraden leihen." Die Kaufhäuser Taipeis sind an Wochenenden und Feiertagen ein unwiderstehlicher Magnet für unzählige junge Kunden, die besonders scharf auf Kleidung und Accessoires sind.

Winnie Lan (籃雅寧), Leiterin der Abteilung für Marketing und Forschung bei der internationalen Werbeagentur Ogilvy & Mather Advertising, stellte in den letzten Jahren eine beträchtliche Steigerung der Kaufkraft bei Taiwans Jugendlichen fest. Der Grund? "Der Durchschnittsfamilie geht es besser", betont sie, "und vielbeschäftigte Eltern ersetzen Zeit und Zuwendung durch Geld. Man will auch, daß die eigenen Kinder finanziell den Nachbarskindern in nichts nachstehen. Die jüngeren Oberschüler verbrauchen ihr Taschengeld hauptsächlich für tägliche Notwendigkeiten. Weil aber die Schüler in den höheren Klassen nach der Schule schon arbeiten dürfen, haben sie auch mehr Geld zur Verfügung. Aus diesem Grund ist das Kaufverhalten auch sehr unterschiedlich."

Liu Shu-i hat ebenfalls beobachtet, daß immer mehr Schüler nach dem Unterricht Teilzeitjobs annehmen. "Was sie verdienen, wird sofort verbraucht", stellt sie fest. "Auf einmal siehst du sie von Kopf bis Fuß neu gekleidet. Sie sparen nur, wenn ihre Eltern sie dazu zwingen. Sie sind auf der ständigen Suche nach sofortiger Befriedigung ihrer materiellen Bedürfnisse."

Neben den schon traditionellen Freizeitbeschäftigungen übernehmen die Teenager auch schnell neue und aufregende Importe wie Bungee-Jumping, Skateboardfahren und Inline-Skating. Leider sind die öffentlichen Freiflächen in Taipei stark begrenzt, deshalb ist es nur auf wenigen Plätzen wie etwa auf dem geräumigen Gelände der Sun Yat-sen- oder der Chiang Kai-shek-Gedächtnishalle möglich, sich beim Skateboardfahren oder Inline-Skating zu verausgaben. Zudem befinden sich auf diesen Plätzen auch immer viele Touristen, ein weiterer Grund für die Aufmerksamkeit suchenden Teens, hier ihre Fähigkeiten zur Schau zu stellen und zu verbessern.

Reisen hat sich dank des Wirtschaftsbooms der letzten Jahre zu einem weiteren populären Hobby entwickelt. Mehr junge Leute als je zuvor nützen die Möglichkeit, mit ihren Eltern ins Ausland zu fahren. Zumindest für weibliche Teenager ist es durchaus üblich, schon vor dem Hochschulstudium mehrere Länder besucht zu haben. Jungen müssen bis auf wenige Ausnahmen zuerst den Militärdienst absolvieren, bevor sie das Land verlassen dürfen. Immer mehr Schulen motivieren die Jugendlichen, während der unterrichtsfreien Sommermonate im Ausland einen Sprachkurs zu besuchen. Eine wachsende Anzahl von Collegestudenten melden sich für you-hsueh, ein "Reisestudium" an, das es ihnen ermöglicht, sechs bis zwölf Monate im Ausland zu studieren.

Auf der anderen Seite hat das Interesse an künstlerischen oder lehrreichen Aktivitäten, wie zum Beispiel Rhetorikkurse, Malerei, Kalligraphie oder der Besuch von Kunstausstellungen, stark nachgelassen. "Bei so etwas mache ich eigentlich nie mit, dazu habe ich auch überhaupt keinen Bezug", meint Lu Yu-tao Und warum? Die Hauptschuld daran trägt wahrscheinlich die mangelnde Kunsterziehung in der Schule. Chen Ssu-hsuan spricht zweifelsohne für viele, wenn sie sagt: "Derartige Veranstaltungen besuche ich nie, weil ich sie einfach todlangweilig finde."

Außer den Lehrbüchern lesen Teenager kaum seriöse Literatur, dafür bevorzugen sie Comichefte sowie Mode-, Sport- und Automagazine. "Comicbücher sind das einzige, das wirklich mein Interesse erweckt", gibt Hou I-ju zu. "Japanische Comics finde ich besonders gut. Sie sind lustig und einfach zu verstehen." Der hohe Leistungsdruck und das prüfungsorientierte Erziehungssystem machen eine solche Einstellung schon verständlich, sie ist aber auch besorgniserregend. "Nach der Schule gibt es für mich nur noch Schundliteratur", meint Chang Chi-hui (張琪惠), eine Oberschülerin. "Sie ist ein guter Zeitvertreib und hilft mir beim Entspannen."

Winnie Lan von Ogilvy & Mather sieht eine Verbindung zwischen der ständig schrumpfenden Aufmerksamkeitsspanne und bestimmten Vermarktungsstrategien. "Teenager wollen kein 'langwieriges Zeug'", behauptet sie. "Lange Geschichten und komplizierte Graphiken sind out. In den heutigen Comics und Computerspielen sieht man fast nur noch einfache Schaubilder und Diagramme. Ein Bild ist gleichbedeutend mit einer Aktion. Es werden keine Möglichkeiten mehr angeboten, sich selbst etwas auszudenken. Da ist es kaum verwunderlich, daß die auf junge Verbraucher abgezielte Fernsehwerbung eher zu einer starken Betonung der Graphiken und Schaubilder als zu vielen Worten tendiert. Übertreibung ist der einzige Weg, an Teenager heranzukommen. Und Übertreibung ist wie Morphium: Je mehr man konsumiert, desto höher wird die Dosis."

Seit den sechziger Jahren nimmt die Geburtenrate ständig ab. Viele der heutigen Teenager sind mit nur einem Geschwisterteil oder als Einzelkind aufgewachsen, was zu einer sehr egozentrischen Generation geführt hat. Sie haben keine Angst, direkt zu sagen, was sie denken. Sie verlangen von Eltern und Lehrern denselben Respekt, den sie den Erwachsenen gegenüber zeigen. Sie schenken der jahrhundertealten chinesischen Ermahnung - tsun shih chung tao, die man etwa mit "Respektiere den Lehrer und füge dich ein" übersetzen könnte, kaum Beachtung. Ho Fang-yu gesteht, daß sie zu ihren Eltern ein schlechtes Verhältnis habe. "Wir können uns nicht verständigen", klagt sie. "Ich wünschte, sie wären wie die Eltern meiner Freunde und würden zuhören, wenn ich etwas sage." Lu Shang-chieh (呂尚潔), 18, eine Oberschülerin, teilt diese Meinung: "Ich möchte meine eigenen Entscheidungen treffen", sagt sie. "Meine Eltern sollten mich wie eine Erwachsene behandeln. Das Wichtigste ist doch, daß ich meine eigenen Entscheidungen nicht bereuen sollte."

Einige Eltern können sich damit abfinden, aber die meisten tun dies nur widerwillig. "Die Jugendlichen reden einfach drauflos, ohne nachzudenken, mit wem sie überhaupt sprechen", sagt Lin Hsi-chuan (林西全), Vater dreier Kinder. "Sie sind nicht so wie wir waren; Respekt vor dem Alter bedeutet ihnen nichts. Sie reden mit ihren Eltern auf die gleiche Art wie mit ihren Freunden. Zuerst konnte ich das kaum akzeptieren. Aber ich mußte mich dann daran gewöhnen; die Zeiten ändern sich und ich weiß, daß die Freundinnen meiner Tochter sich gleich verhalten."

Schülerberaterin Liu Shu-i glaubt, daß die Schüler den Lehrern gegenüber heutzutage allgemein weniger Respekt zeigten. "Das hängt von vielen Faktoren ab", sagt sie. "Unterrichtet der Lehrer ein Hauptfach? Mögen die Schüler den Lehrer? Wie sind sie heute gelaunt? Lehrer müssen im Klassenzimmer unbedingt die Ruhe bewahren, wenn sie schwerwiegende Konflikte verhindern wollen. Und sie müssen zuhören, um einen ernsten Meinungsaustausch zu ermöglichen. Mit anderen Worten, eine gute Kommunikation!"

Der Teenager von heute ist finanziell unabhängiger als die Generation vor ihm. Winnie Lan erzählt von einem Mädchen aus ihrem Bekanntenkreis, das im Monat ein Taschengeld von 12 000 NT$, umgerechnet rund 650 DM, bekommt. Immer mehr verdienen ihr eigenes Geld oder profitieren von der Großzügigkeit ihrer Eltern. Doch hier verändert sich das Bild sehr schnell. Früher - vor fünf oder sechs Jahren - galten Jobs bei McDonald's, an Tankstellen und als Nachhilfelehrer als erste Wahl. Heutzutage ist es viel wahrscheinlicher, daß die Jugendlichen sich in Diskos, Karaoke-Bars (sogenannte KTVs), Nachtklubs und ähnlichen Amüsierbetrieben ihr Taschengeld verdienen.

Einige der angebotenen Jobs sind äußerst suspekt. Es gibt eine starke Nachfrage nach "KTV-Prinzessinnen", die die Kunden unterhalten und mit ihnen trinken. Was danach passiert, wenn denn etwas passiert, ist den beiden Parteien in persönlicher Absprache überlassen. "Mitternachtscowboys" bieten einen ähnlichen Service für Frauen auf der Suche nach Begleitung. Solche Betätigungen waren früher ein absolutes Tabu für junge Leute. "Ist doch nichts besonderes", meint Lu Shang-chieh achselzuckend. "Solange es legal bleibt!" Dann betont sie, was für so viele den bedeutendsten Faktor darstellt: "Mit solchen Jobs machst du eine ungeheure Menge Geld!"

Liu Shiu-i macht das große Angebot an Teilzeitjobs dieser Art mit verantwortlich für die Zunahme der Fälle von sexueller Belästigung auf dem Universitätscampus. "Die Gesellschaft, die Medien, Eltern, Schulen - alle sind mitverantwortlich", sagt sie. "Vieles in den Medien kann die Gedanken der Jugend sehr negativ beeinflussen. Viele Eltern verbringen kaum Zeit mit ihren Kindern, und oft sind die Ansichten der beiden Elternteile grundverschieden, was sich für die Kinder als äußerst nachteilig herausstellen kann. Sobald sie die Schule verlassen, sind die jungen Leute mit einer bunten, vielfältigen Umwelt konfrontiert, die keine Grenzen zu haben scheint. Erwachsenen gefällt das, warum also nicht auch den Kids?"

Diese selbständige Haltung offenbart sich auch in der Art, wie die Jugend ihr selbstverdientes oder von den Eltern bekommenes Geld ausgibt. Chang Chi-hui ist ein typisches Beispiel. "Mein Taschengeld brauche ich zum Essengehen, für Unterhaltung und Kleider", sagt sie. "Wenn es knapp wird, verlange ich einfach noch mehr von meinen Eltern." Schweren Herzens bestätigt Lin Hsi-chuan, Vater von drei Töchtern im Alter von 21, 20 und 16 Jahren, diese Situation. "Die Kinder geben zu viel aus, und immer wenn ihnen das Geld ausgeht, kommen sie mit der Bitte nach mehr", beschwert er sich. "Sie begreifen nicht, daß ihre Eltern schwer arbeiten müssen, um eine Familie zu erhalten. Sie passen nicht auf ihre eigenen Sachen auf und empfinden keine Dankbarkeit." Und wenn es an Kleingeld fehlt, sind es nicht nur ihre Eltern, an die sie sich wenden. Lin behauptet, es sei gang und gäbe, sich von anderen Teenagern stattliche Summen auszuleihen. "Sie sind eben ganz anders als wir", klagt er.

Immer mehr Eltern beantragen Kreditkarten für ihren jugendlichen Nachwuchs. Winnie Lan nennt sie "Ehrenplaketten". "Eine steigende Anzahl namhafter Firmen entdecken die Teens als potentielle Kunden", stellt sie fest. "Und jetzt wittern sogar die Kreditkartenfirmen einen Profit. Sie wollen die Jugendlichen an der Leine haben, bevor sie in die Arbeitswelt einsteigen."

Das Unglück besteht darin, daß die meisten Kids vom Umgang mit Krediten nicht die geringste Ahnung haben und deshalb völlig gedankenlos das Konto überziehen. Konservative Eltern sind strikt gegen eine Kreditkarte für ihre Sprößlinge. "Ich hätte auch gerne meine eigene Karte, weil es doch so praktisch ist", sagt Lu Yu-ta. "Leider sind meine Eltern dagegen. Sie glauben, ich sei noch zu jung, meine Ausgaben selbständig zu kontrollieren."

Obwohl die Teenager Taiwans viel mehr über ihr Leben bestimmen, als ihre Eltern es in ihrer Jugend konnten, und im allgemeinen mehr Freiheit genießen, scheinen sie doch nicht wesentlich glücklicher zu sein. Nur wenige haben konkrete Ziele. "Mein Leben ist unausgeglichen und voller Belastungen, und ich weiß nicht einmal, woher das kommt", sagt Lu Yu-ta. Chang Chi-hui steht denselben Problemen gegenüber. "Ich bin jeden Tag unglücklich und weiß einfach nicht, wonach ich in meinem Leben streben soll", klagt sie. "Ich quäle mich mit der Schule herum in der Hoffnung, eines Tages einen guten Job zu finden. Und alles nur, um den Erwartungen anderer Leute zu entsprechen. Ich habe nicht die geringste Ahnung, welche Richtung ich einschlagen soll." Um sich von dem Druck zu lösen, rauchen einige Teenager, trinken Alkohol oder nehmen an gefährlichen und illegalen "Sportarten" wie Verfolgungsrennen mit Motorrädern auf der Autobahn teil. "Rauchen finde ich 'cool'", sagt Chen Ssu-hsuan. "Aber wenn ich schlechte Laune habe, trinke ich Alkohol."

Winnie Lan von Ogilvy & Mather hat trotz allem viel Verständnis für die Generation Y. "Sie fragen sich nie, was sie denn für ihre Familien oder ihr Land tun könnten", sagt sie. "Doch der Gedanke an die Zukunft verursacht auch bei ihnen ein Gefühl der Hilfosigkeit - die schwankenden Beziehungen zu Festlandchina, die unbeschreiblichen von den vorigen Generationen verursachten Umweltzustände. Sie spüren, daß sie nicht viel zu einer Änderung beitragen können. Ohne ein wirkliches Lebensziel zu verfolgen, wenden sie sich der sofortigen Befriedigung und einem Leben im Jetzt zu. Die kurzen Glücksmomente halten aber nicht lange an!" Wer kann denn auch wirklich von sich behaupten zu verstehen, was sich im Kopf eines Teenagers alles abspielt?

(Deutsch von Herbert Salvenmoser)

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