09.05.2025

Taiwan Today

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Eine deutsche Missionarin auf Taiwan

01.09.1993
Gerne erinnert sich Schwester Lilly (rechts im Bild) an die Ge­legenheit, als sie und die Schul­leiterin Ruth Chen bei Staats­präsident Lee Teng-hui (Mitte) und seiner Gattin Tseng Wen-fui (links) zu einem privaten Gottesdienst in deren Haus eingeladen waren.
In ihrem leuchtend blauen Kleid mit weißem Kragen und dem weißen, adretten Häubchen sieht die deutsche Missionarin Lilly Singer wie eine Krankenschwester aus - und das ist sie tatsächlich. Eigentlich wollte die 55jährige Sister Lilly, wie sie von allen in Huei-Ming gerufen wird, Medizin studieren, denn "ich habe ein Buch von Albert Schweitzer gelesen, das heißt 'Zwischen Wasser und Urwald' und das hat mich sehr bewegt", erzählt sie. Aber der Wunsch, Ärztin zu werden, war für die Älteste von fünf Geschwistern aus finanziellen Gründen nicht realisierbar. "Ich habe zwei Nächte lang in mein Kissen geheult, aber dann habe ich mir gesagt: 'Okay. dann werde ich Krankenschwester"', erinnert sie sich. Nach der Schule trat sie, weil sie Menschen nicht nur pflegen, sondern ihnen auch religiösen Beistand bieten wollte, dem protestantischen Mutterhaus Altvandsburg in Lemförde am Dümmer See bei. Gleichzeitig absolvierte sie eine dreijährige Ausbildung zur Krankenschwester und arbeitete nach dem Examen noch für zwei Jahre in einem Krankenhaus, bevor das Mutterhaus sie als Missionarin nach Taiwan sandte. Damals war sie 26 Jahre alt. Achtzehn Jahre lang arbeitete Schwester Lilly für verschiedene Institutionen, unter anderem auch für die Marburger Mission in Hualien, ehe sie nach Taichung in die Huei-Ming-Schule der Hildesheimer Blindenmission kam. Zur Erklärung führt Schwester Lilly an, daß das Mutterhaus Altvandsburg Mitglied des Deutschen Gemeinschafts-Diakonie-Verbands sei und früher seine Diakonissinnen an verschiedene international tätige Missionen sozusagen "ausgeliehen" habe.

Sie kann sich noch an die Ankunft in Taichung erinnern, vor beinahe elf Jahren. Die für sie vorgesehene Wohnung war in desolatem Zustand, und da es im Winter war, hätten die blinden, zu Besuch kommenden Kinder geklagt: "Sister Lilly, stell den Ventilator doch ab, es ist so kalt bei dir." "Dabei war das nur der Wind, der durch die Ritzen in Türen und Fenstern blies", erzählt sie lachend. Mit Hilfe von Freunden und Bekannten sowie Improvisationstalent habe sie sich häuslich einrichten können. Schwester Lilly spricht mit Begeisterung und Dankbarkeit von der Großzügigkeit der Menschen, die ihr geholfen haben und erklärt: "Da erlebt man Wunder über Wunder."

Ihre Funktion in Taichung bezeichnet Schwester Lilly als "beratend"; sie erklärt, daß die Hildesheimer Blindenmission die selbständige Arbeit der von ihr unterstützten Einrichtungen fördere und ihre Aufgaben als deutsche Missionarin darin bestünden, Anregungen zu machen, mit Sorge zu tragen, daß es den Kindern gut ginge, sowie den Kontakt zu den Förderern in Deutschland aufrechtzuerhalten. Daneben ist Schwester Lilly Initiatorin und Verantwortliche eines neuen Projekts in Huei-Ming, nämlich der Behindertenwerkstätte. Damit will man den Mehrfachbehinderten, die älter als 18 Jahre sind und das Sonderschulprogramm bereits abgeschlossen haben, die Möglichkeit geben, in Huei-Ming zu leben und einer sinnvollen Beschäftigung nachzugehen.

Alle zwei Jahre fliegt Schwester Lilly im Sommer für drei Monate nach Deutschland, obwohl das keinen reinen Urlaub darstelle, wie sie betont. Vier Wochen stehen ihr in dieser Zeit zur freien Verfügung, ein Monat ist für Fortbildungsveranstaltungen, Seminare oder Konferenzen vorgesehen und in der verbleibenden Zeit geht sie in Deutschland auf Reisedienst, um über die Arbeit der Mission auf Taiwan Bericht zu erstatten. "Das ist mit eine der Hauptaufgaben, daß du berichtest", stellt die Protestantin dar, denn "die Leute zu Hause, die opfern, müssen auch wissen, wo ihre Gelder hingehen." Darum spricht sie beispielsweise in Kirchen, Gemeinden und Frauenkreisen über ihre Tätigkeit, und "das regt natürlich auch die Opferbereitschaft an", erklärt Schwester Lilly. "In Deutschland haben wir auch viele unserer Paten", fügt sie hinzu. Die Arbeit der Schule wird nämlich unter anderem durch Privatpersonen, Organisationen und Kirchengemeinden in Taiwan und Deutschland finanziert, die für 500 NT$ bzw. 40 bis 160 DM im Monat die Patenschaft für eines der Kinder in Huei-Ming übernehmen. Bei ihren Aufenthalten in Deutschland informiert Schwester Lilly diese Paten persönlich durch Gespräche und Fotos über die Entwicklung der Schützlinge. Daneben werden jedes Jahr zu Weihnachten auch Berichte an die Paten verschickt, die Schwester Lilly bereits in den Sommerferien schreibt, wenn die meisten der Behinderten nach Hause gefahren sind und sie mehr Zeit und Ruhe hat. Während des Schulbetriebs bleibe für Arbeiten wie Berichte schreiben nur wenig Zeit, stellt sie fest.

Auf die langen Jahre zurückblickend, die sie nun schon auf Taiwan lebt und arbeitet, erklärt die deutsche Missionarin: "Ich fühle mich innerlich wirklich reich bei allem, denn auf dem Weg gibt dir Gott so viel Schönes..."

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