Jay Fang vergleicht die wachsende Ansammlung von Müll auf Taiwan mit einem menschlichen Körper, der Fett ansetzt. "Das ist wie mit unserem Stoffwechsel", beschreibt er. "Wenn wir aktiv sind, stößt der Körper die Schlackenstoffe ab. Aber wenn wir die Abfallstoffe nicht loswerden, werden wir dick."
Früher war Taiwan in der Lage, einen Großteil seines Mülls zu absorbieren, erklärt Fang, Generalsekretär der Grünen Verbraucherstiftung (Green Consumer Foundation). "Vor 1980 war die Abfallverwertung ein großes Geschäft auf Taiwan. Wir haben fast alles recycelt, sogar Kabel und Computer."
Aber in den letzten zehn Jahren ist dieser Bereich zusammengebrochen. Zum einen sind die Preise für aus Abfällen gewonnene Wertstoffe in den Keller gegangen, als die Rohstoffpreise weltweit sanken und die einheimischen Hersteller veranlaßten, lieber Roh- als Altmaterialien zu kaufen. Zum anderen haben sich hiesige Verbrauchergewohnheiten mit der plötzlich wachsenden Kaufkraft verändert, und die Geschäfte beeilten sich, den geänderten Ansprüchen nachzukommen.
Unglücklicherweise führten viele der neuen Geschäftspraktiken zu Verschwendung durch die Konsumenten. Betreiber von Imbißständen führten als Eßutensilien hölzerne Stäbchen und Styroporgeschirr ein. Supermärkte versuchten, die Käufer durch ein auffälliges, in Plastik verpacktes Warenangebot anzulocken. Und statt seinen Gästen aufgebrühten Tee darzureichen, galt es plötzlich als schick, Erfrischungsgetränke in Dosen anzubieten.
Die Masse des städtischen Hausmülls, der täglich auf Taiwan anfällt, wächst jährlich um sechs Prozent, und es gibt keine Anzeichen einer Verlangsamung dieser Rate. Doch das Amt für Umweltschutz (Environmental Protection Administration, EPA) und Umweltschutzgruppen betonen, daß die Wiederverwertung Taiwans Abfallaufkommen erheblich reduzieren könnte. Rund 42 Prozent von Taiwans städtischem Müll sind recycelbar; Papier- und Plastikprodukte machen alleine schon ein Drittel der eingesammelten Haushaltsabfälle aus.
Zeichen einer aufstrebenden Industriegesellschaft – Auto-Wracks im Taipeier Vorort Mucha.
Im Rahmen des Abfallbeseitigungsgesetzes (Solid Waste Disposal Act) kümmern sich Hersteller zusammen mit Umweltämtern der Regierung um die Wiederverwertung von Getränkeflaschen aus Polyäthylen, Reifen, Dosen, landwirtschaftlichen Pestizidbehältern sowie blei- und quecksilberhaltigen Batterien. Derzeit arbeitet man an der Erstellung von Plänen, nach denen auch Papier, Glas, Autos, Motorräder, beschichtete Getränkepackungen und Plastik in die Liste mit aufgenommen werden sollen. Das umfassendste Wiederverwertungsprogramm gibt es für die Getränkeflaschen aus Plastik. Heutzutage können die Verbraucher die Flaschen gegen eine Erstattung von 2 NT$ (12 Pfennig) bei 13 500 Supermärkten zurückgeben. Laut Angaben des EPA wurden 40 Prozent der 1992 hergestellten Plastikflaschen wiederverwertet.
Doch bei den meisten anderen Artikeln ist die Wiederverwertung problematischer. Das erste hierzulande durchgeführte Recyclingprojekt mußte im vergangenen Dezember für gescheitert erklärt werden, als die einzigen öffentlichen Sammelstellen für Altstoffe - 1500 sogenannte Iglubehälter - nach einer dreijährigen Probephase in Taipei und Kaohsiung entfernt wurden. Die bunten kuppelförmigen Tonnen erfreuten sich keiner großen Beliebtheit bei Umweltschützergruppen, da sie sowohl teuer als auch unzweckmäßig waren und von einer Getränkeherstellervereinigung betrieben wurden, denen das Monopol zur Aufbereitung des eingesammelten Materials zugesprochen worden war. Andere Recycling-Sammelstellen waren nicht eingeführt worden.
Ohne diese Straßeniglus stehen die Verbraucher vor zwei Möglichkeiten: Familien mit schulpflichtigen Kindern können die wachsende Zahl der Schulen ausnutzen, die mit dem Sammeln von Papier, Dosen und einigen Plastikmaterialien begonnen haben. Die andere Möglichkeit besteht darin, verwertbare Abfälle mit dem übrigen Hausmüll zusammen vor die Tür zu stellen, in der Hoffnung, daß einer der vielen selbständigen Müllsammler, die mit Fahrrädern und Handwagen unterwegs sind, sie zwecks Verkauf an einen Verteiler aussortiert.
Aber diese privaten Sammler werden immer seltener. Der Hauptgrund dafür liegt bei den sinkenden Preisen für Altstoffe. Nach Abzug von Sammel- und Transportkosten bleiben beispielsweise pro Kilogramm Glasflaschen nur 1 NT$ (6 Pfennig) Gewinn übrig. Eine weitere Schwierigkeit liegt darin, daß das Müllsammeln kein anerkannter Beruf ist und weder überwacht noch besteuert werden kann. Aus diesem Grund werden die Straßensammler nicht von der Regierung unterstützt. Die Angaben über ihre derzeitige Zahl sind ungenau und schwanken zwischen 100 und 30 000, je nachdem wen man fragt. Doch Beamte und Umweltschützer stimmen überein, daß die Zahl der unabhängigen Altmaterialsammler schnell sinkt.
Was können die Bürger mit ihren verwertbaren Abfällen machen, wenn die Müllsammler verschwinden? Die Lösung des EPA sieht Nachbarschaftssammelprojekte vor, die von den Städten und Kommunen finanziert werden sollen. Im April 1992 begann ein Pilotprojekt in dem Taipeier Vorort Neihu, wo die Abteilung für Umweltschutz (Department of Environmental Protection, DEP) der Taipeier Stadtverwaltung Sammelstellen für bestimmte wiederverwertbare Materialien einrichtete, wo die Bürger an einem Tag in der Woche bestimmte Altstoffe hintragen können. Nach einem festgelegten Monatsplan werden dort Papier, Flaschen, Plastik und Altkleider eingesammelt.
Eine zwei Monate nach Beginn der Aktion durchgeführte Umfrage zeigte, daß von Neihus 1800 Anwohnern 97 Prozent von der Möglichkeit wußten, und 50 Prozent erklärten, sie würden sie regelmäßig nutzen. Bis heute ist das Projekt auf weitere 24 kleinere Bezirke in Taipei ausgeweitet worden, und die DEP fährt an jedem der Sammeltage hundert Tonnen wiederverwertbaren Abfall ab. Für diesen Sommer plant die Abteilung, das Programm in weiteren 170 von Taipeis 440 Bezirken einzuführen, und bis ins Jahr 2000 beabsichtigt man, die Sammlungen stadtweit durchzuführen. Das Ziel des Projektes ist eine Senkung der bei zehn Prozent liegenden jährlichen Müllwachstumsrate der Stadt auf null Prozent bis zum Jahr 2006.
Die Kosten für das Programm lagen bei 10 Millionen NT$ (400 000 US$) im ersten Jahr und werden sich voraussichtlich nach der Erweiterung in diesem Jahr verdoppeln. Die DEP hat 140 Abfallsortierer und Sammler in Ganztagsbeschäftigung eingestellt und setzt sich nun für den Erwerb einer US-amerikanischen Müllsortiermaschine sowie von 16 neuen Müllwagen im Gesamtwert von 32,5 Millionen NT$ (1,3 Millionen US$) ein.
Aber Umweltschützer und Straßensammler geben zu bedenken, daß das Projekt zu teuer und ineffektiv sei; die Stadt solle besser die Straßensammler unterstützen, dann könnten wiederverwertbare Materialien zu erheblich geringeren Kosten zusammengetragen werden. So aber haben die privaten Altstoffsammler, die zuvor in Neihu arbeiteten, keine Beschäftigung mehr.
Shih Shuo-jen, stellvertretender Generalmanager der Taiwan Abfallsammlung, -transport und -vertriebsgenossenschaft (Taiwan Waste Material Collection, Tranport and Marketing Cooperative), einer Vereinigung privater Müllsammler, steht dem Regierungsprojekt besonders kritisch gegenüber. Er behauptet, bei dem Recyclingprojekt in Neihu würden nur 60 Tonnen Abfall monatlich eingesammelt werden, während gleichzeitig ein bereits bestehendes und funktionierendes Sammelsystem ausgeschaltet würde. "Selbst wenn die Zahl der privaten Einsammler langsam sinkt, haben wir trotzdem immer noch das effektivste System", erklärt Shih. Er gibt zu bedenken, daß die Mitglieder seiner Vereinigung täglich 500 bis 800 Tonnen Altpapier in Taipei einsammeln.
Shih äußert sich außerdem kritisch über andere Recyclingprogramme der Regierung wie die Sammlung von Polyäthylenflaschen. Laut seinen Angaben machen die Plastikflaschen weniger als ein Prozent der gesamten wiederaufbereiteten Materialien aus, während Altpapier, um welches sich hauptsächlich die Straßensammler kümmern, 40 Prozent der gesamten Altstoffe ausmacht. Dennoch hat die Regierung mit ihrem Flaschenprojekt viel Beachtung in den Medien erfahren.
Als Antwort auf die Kritik haben Beamte der Taipeier Stadtverwaltung verlauten lassen, daß sie die privaten Müllsammler in das Neihu-Projekt integrieren wollen. Und weiterhin gibt es Anzeichen, daß die Straßensammlung legalisiert werden könnte.
Laut Erklärung von Umweltschützern sei es zur Einrichtung eines fähigen Sammel- und Wiederverwertungssystems am wichtigsten, geschäftliche Anreize zu geben. Nach Meinung von Jay Fang gibt es einen Bedarf an Altstoffen, doch das Geschäft damit ist hierzulande finanziellunattraktiv. Ein Problem ist, daß die Aufbereiter eine Reihe von Altmaterialien billiger über ausländische Lieferanten beziehen können.
"Wir importieren eine Menge Altmaterial zu niedrigen Preisen", beschreibt Ho Soon-ching, leitende Expertin im Abfallbeseitigungsbüro im EPA. "Mit dem ausländischen Müll können wir nicht mithalten." Taiwan führt Altpapier, Blech, Aluminium, Zink und Kupfer vornehmlich aus den Vereinigten Staaten und Europa ein. Einige Umweltschützer nehmen sogar an, daß die ausländischen Lieferanten Taiwans Wiederverwerter für die Abnahme ihrer Materialien bezahlen. Laut EPA sei eine Einfuhrbeschränkung die beste Lösung. "In der Zukunft werden wir die aus dem Ausland kommenden Altstoffe beschränken", sagt Ho.
Shih Shuo-jen ist der Ansicht, daß die hiesige Regierung von den Recyclingprogrammen westlicher Länder lernen sollte. "Ausländische Regierungen bezahlen Firmen, damit sie den Abfall übernehmen, aber die hiesige Regierung vertritt genau die entgegengesetzte Meinung. Sie wollen, daß die Abnehmer bezahlen", beschreibt er. Derzeit ist selbst der Markt für Altmaterialien, die keine Konkurrenz aus dem Ausland haben, schlecht. Shih erklärt, daß es zwar eine Reihe von Anlagen zur Altglasaufbereitung in der im Norden gelegenen Stadt Hsinchu gibt, jedoch die Betreiber außer kostenlosen und bis zum Werk gelieferten Flaschen selten Altglas annehmen würden. In diesem Sinne überrascht es nicht, daß wenige aus Hausmüll stammende Glasflaschen wiederverwertet werden.
Laut Fang und Shih muß Taiwans System der Wiederaufbereitung angepaßt werden, damit es für alle Betroffenen - Hersteller, Verbraucher, Sammler und Wiederverwerter - finanzielle Anreize bietet. Darin sehen sie die beste Möglichkeit, Recycling zu fördern. "Die Wiederverwertung ist ein Geschäft", befindet Fang. "Ich bin der Überzeugung, daß wirtschaftliche Anreize von ausschlaggebender Bedeutung sind." Die Alternativen zur Förderung von Recyclingplänen sehen traurig aus. Fang weist darauf hin, daß, wenn Taipeis Bürger weiterhin in gleichem Ausmaß Müll produzieren, "sich der Umfang alle zehn Jahre verdoppeln wird."
(Deutsch von Jessika Steckenborn)