Rita Chang belebt die Eleganz alter Jade mit modernen Designkonzepten und Techniken.
Jade gilt als Symbol für Adel, Vollkommenheit und Unsterblichkeit und hat daher einen einzigartigen Platz in der chinesischen Kultur. Sie wurde zur Herstellung von Ritualgerät und anderen Utensilien benutzt, etwa Siegeln, Schnupftabaksfläschchen und Pinselablagen. Man betrachtete sie als Essenz von Himmel und Erde und symbolische Verbindung zwischen beiden, und in chinesischen Gesellschaften ist es seit alters her üblich, Verstorbenen Jadestückchen in Zikadenform in den Mund zu legen, um ihre Seelen zu trösten und ihre „Wiedergeburt“ zu erleichtern.
Die Menschen tragen außerdem gerne Jadeornamente, da man glaubt, sie hätten die Kraft, den Träger vor Ungemach zu schützen und Glück zu bringen, und nach allgemeiner Auffassung verbessert man durch das Tragen von Jade auch die Qualität und Farbe des Materials, weil die Jade Fett von der Haut aufnimmt. Man benutzt sie für Schmuckornamente, für Intarsien auf Schwertgriffen und –scheiden und schnitzt sie zu Haarnadeln und Anhängern. Die Schnitzerei solcher Jadeornamente kann so schlicht sein wie die Gestaltung einer glatten „Münze“ aus Jade oder so kompliziert, wie man es sich nur vorstellen kann. Die Methode, ein Jadestück an einer Mütze, einem Gürtel oder einer Halskette zu befestigen, ist jedoch normalerweise relativ simpel -- in der Regel verwendet man dazu chinesische Makramee oder einfach ein Stück Schnur. Der von Rita Chang aus Taipeh entworfene Jadeschmuck wiederum ist indes recht anders.
Anstelle der traditionellen Designs mit chinesischer Jade und Makramee bereichert Chang ihre Kreationen um andere Edel- und Halbedelsteine wie Diamanten, Rubine, schwarzen Onyx und roten Achat, und die Einzelteile werden mit Verbindungsstücken aus Edelmetallen wie Gold und Silber zusammengehalten. Das Endprodukt mag ein kleines Accessoire sein, mit dem das ursprüngliche Jadestück als Anstecknadel oder Brosche getragen werden kann, oder auch ein kompliziertes Objekt wie ein Schmetterling mit beweglichen Flügeln und Fühlern. In jedem Fall können die Betrachter den „Boss“, also die Jade, auf den ersten Blick wahrnehmen. „Jedes Jadestück hat seine eigene Persönlichkeit“, philosophiert Chang. „Ich benutze lediglich andere Materialien, um diese Persönlichkeit zur Geltung zu bringen.“
Glückseligkeit fällt vom Himmel. Weiße Qing-Jade (4,5 x 2,5 cm) mit Rubinen, grünem Jadeit, schwarzem Onyx, rotem Achat, Weißgold 750 und Diamanten. Die Flügel des Käfers sind beweglich.
Der Hauptstein in Changs Entwürfen ist in der Regel weiße Jade aus der Ming-Dynastie (1368-1644) oder Qing-Dynastie (1644-1911), gesammelt von Changs Ehemann Yang Ping-shih. Yang, Entomologieprofessor an der National Taiwan University (NTU) in Taipeh, begann vor fast 30 Jahren mit dem Sammeln von Jade, als er Lehrmaterial für einen Kurs über Insekten und Kunst vorbereitete und ihm die Idee kam, in seinem Unterricht zu Illustrationszwecken ein paar kleine Jadeschmetterlinge und –zikaden zu benutzen. „Ich dachte, es wäre sehr viel lustiger, wenn ich den Schülern was Handfestes zeigen könnte anstatt nur Bilder“, begründet Yang. Ob die Schüler den Unterricht lohnend fanden oder nicht, ist eine andere Geschichte, aber die Episode entfachte zweifellos Yangs Begeisterung dafür, Jadeobjekte zu sammeln.
Als junger Professor konnte Yang sich mit seinem Gehalt damals nur kleine Stücke weißer Jade aus den Dynastien Ming und Qing leisten, denn diese waren billiger als größere Stücke aus früheren Dynastien. Um etwas zusätzliches „Jadegeld“ zu verdienen, wandte er viel Zeit auf, um über Insekten und die Umwelt Vorträge zu halten oder für Zeitungen und Zeitschriften zu schreiben. „Die meisten Sammler interessierten sich nicht für dieses billige Zeug“, erzählt Yang und fügt hinzu, dass ein anständiges weißes Jadestück aus den Dynastien Ming oder Qing damals schon für ein paar Tausend NT$ (aktueller Wert von 1000 NT$: 22,22 Euro) zu haben war und es viele Exemplare auf dem Markt gab. Inzwischen hat sich der Preis aber mindestens verzehnfacht, und Jade mit guter Qualität findet man nur noch schwer.
Von seiner Frau erhielt Yang in den ersten Jahren für sein Hobby allerdings keinerlei Untestützung. „Ich habe es einfach nicht verstanden“, gesteht Chang. „Ich war immer ungehalten, wenn er mit einer leeren Lohntüte heimkam und ein paar kleine Stücke nutzlosen weißen Steins in der Tasche hatte.“
Erbe. Weiße Qing-Jade (Durchmesser: 2,8 cm) mit grünem Jadeit, Rubinen, Weißgold 750, Gelbgold 750 und Diamanten.
Geheimnisvolle Kraft
Ob es nun die geheimnisvolle Kraft der Jade oder die Erkenntnis war, „wen man nicht besiegen kann, soll man sich zum Freunde machen“, jedenfalls gewöhnte sich Chang allmählich daran, dass diese kleinen weißen Jadestücke in der Wohnung herumlagen. Sie begann zuzuhören, wenn ihr Mann über Jade fachsimpelte, sie lernte, die Qualität des Gesteins zu bewerten, und schließlich fand sie auch Gefallen daran. Da das Paar einen großen Teil der Freizeit auf Jademärkten und in Antiquitätenläden verbrachte, gewann die Sammlung unvermeidlicherweise an Umfang. Yang und Chang sammelten Hunderte von Jadestücken, welche die meiste Zeit in Samtkästchen aufbewahrt wurden, außer wenn man sie hervorholte, um sie Mitgliedern eines Sammlerklubs zu zeigen. Schließlich begann Chang, die sich schon als Kind für Design interessiert hatte, mit dem Gedanken zu spielen, Veränderungen an einigen der Stücke vorzunehmen, die noch „Platz“ dafür hatten.
Ihr erster Versuch umfasste die Anwendung von chinesischer Makramee, doch sie gab diesen Ansatz schnell auf. „Fast jedes Stück, das man sieht, besteht aus Jade und Makrameeschnur, deswegen sehen sie sich oft ähnlich“, urteilt sie. „Es ist sehr Chinesisch und sieht auch toll aus, aber stilistisch fehlt es wohl an Vielfalt.“ Dann kam ihr der Gedanke, andere Edelsteine und Metall zu benutzen, um die Jade „in Schale zu werfen“. Die Kombination verschiedener Materialien und Farben, so dachte sie, würde der alten weißen Jade ein neues Gesicht bescheren. „Jedes Stück ist Jahrhunderte alt und repräsentiert ein Stück Geschichte“, doziert sie. „Daher ist für mich die wichtigste Regel, das Originalstück einzufassen, ohne es direkt zu modifizieren.“ Damit ist gemeint, dass sie keine neuen Löcher bohrt oder Werkzeuge und Klebstoff an dem Originalstück benutzt. Gemäß dieser Designphilosophie müssen alle Jadestücke in einem Design aus diesem entfernt werden können und werden deswegen an den ursprünglichen Löchern oder mit anderen Metallbearbeitungstechniken befestigt.
Chang versuchte bald, einigen ihrer Designs Leben einzuhauchen, musste aber feststellen, dass die praktische Ausführung über ihr Können hinausging. Nachdem sie 1976 an der National Chung Hsing University in der zentraltaiwanischen Stadt Taichung im Fach Statistik Examen gemacht hatte, arbeitete sie 28 Jahre für die Reederei Yang Ming Marine Transport Corp. und hatte nie Zeit für eine formale künstlerische Ausbildung. Als junges Mädchen hatte sie ihre eigenen Kleider entworfen, doch die eigentliche Herstellung der Gewänder wurde von professionellen Schneidern ausgeführt. Nach dem gleichen Strickmuster wurden ihre Innenarchitektur-Entwürfe für ihre Wohnung und das Café ihres Sohnes von Handwerkern praktisch umgesetzt. Um jemanden zu finden, der ihre Designs realisieren konnte, begab Chang sich mit ihren Zeichnungen zu einem Juweliergeschäft in der Nachbarschaft, wo sie bereits früher Kundin gewesen war.
Frei. Weiße Qing-Jade (Durchmesser: 5,5 cm) mit Weißgold 750, Rotgold 750 und Diamanten. Der Phönix ist beweglich.
Schwer zu überzeugen
Es erwies sich als nicht gerade einfach, die Schmuckschmiede zu überzeugen, ihren Auftrag anzunehmen. „Als ich ihr Design zum ersten Mal zu Gesicht bekam, hatte ich wirklich kein Interesse daran“, bekennt der Ladeninhaber Qiu Qing-xiang. „Es kostet sehr viel Zeit, solche Dinge zu machen, daher verdient der Goldschmied daran kein Geld.“ Qiu erklärt, dass Schmuckschmiede nach der Quantität der bearbeiteten Stücke bezahlt werden und nicht nach Arbeitszeit. Einen Diamanten auf einen Ring zu fassen bringt pro Stein 50 NT$ (1,10 Euro), egal wie groß der Stein ist oder wieviel Zeit der Handwerker benötigt. Für das Schmieden des Ringes selbst erhält der Goldschmied 2000 NT$ (44 Euro). Erfahrene Schmuckschmiede schaffen an einem durchschnittlichen Arbeitstag einen bis zwei Ringe, doch Qiu erkannte, er würde einen Monat oder sogar zwei brauchen, um Changs Design zu vollenden. Die Herausforderung wurde noch dadurch vergrößert, dass Chang vollkommen von Qiu und seinen Schmieden abhängig wäre, um einen Weg zu finden, verschiedene Teile zusammenzusetzen. Anders als einfach einen Stein in eine Einfassung auf einem Ring zu setzen, war Qiu klar, dass er sich vollkommen neue Befestigungsmethoden ausdenken und schaffen müsse, um Changs Ideen zu verwirklichen. „Das technische Niveau für Changs Designs ist anspruchsvoll“, behauptet Qiu. „Ich musste zuerst herausfinden, wie ich vorgehen sollte, und dann während des gesamten Bearbeitungsverfahrens mit ihr in Verbindung bleiben, damit auch wirklich alle Einzelheiten so würden, wie sie das wollte.“ Aufgrund ihrer Erfahrung als Managerin für Öffentlichkeitsarbeit gelang es Chang jedoch schließlich, Qiu dazu zu überreden, diesen ersten Auftrag anzunehmen.
Als ihr erstes Design -- eine Brosche mit einem Ring aus weißer Qing-Jade und einem kleinen grünen Jadeit-Schmetterling -- um 1996 herum fertig wurde, trug Chang sie ständig. „Schmuck ist vermutlich das beliebteste Gesprächsthema unter Frauen“, glaubt sie. „Mein Schmuck ist verglichen mit den Geschmeiden von anderen Frauen in der Regel am billigsten, doch mein Schmuck ist einzigartig und wird daher häufig das Hauptgesprächsthema.“
Ermutigender Erfolg
Ermutigt von dem Erfolg der Brosche dachte Chang sich weitere Designs aus. Sie hatte immer Jadestücke bei sich, denn als Karrierefrau hatte sie nur auf dem Weg zur Arbeit und auf dem Heimweg im Bus Zeit, ihre Designs zu entwickeln. Zehn Jahre nach der ersten Brosche hatte sie 140 Stücke vollendet. Der häufigste Kommentar, den sie zu ihren Entwürfen zu hören bekommt, ist eine chinesische Redensart, dass sie „wie ein himmlisches Ross“ seien, das „über den Himmel galoppiert“, womit gemeint ist, die Stile in ihren Entwürfen seien vollkommen ungebunden. Chang glaubt, der Grund für ihren unbeschränkten Ansatz ist der Umstand, dass sie nie eine formale Kunstausbildung erhalten hat, wodurch sie sich Freiheit von Eingrenzungen durch Designprinzipien bewahrte. Und weil Design ihr Hobby ist, bleibt Chang vom Druck des Marktes verschont, dem professionelle Schmuckdesigner ausgesetzt sind.
Wundervolles Leben. Weiße Qing-Jade (3,6 x 6,0 cm) mit grünem Jadeit, schwarzem Onyx, Rubinen, Weißgold 750 und Diamanten.
Rund zehn Jahre lang bestand der Kreis von Changs Bewunderern überwiegend aus ihren Freunden und anderen Sammlern in Jadeklubs, da sie keine ihrer Designs öffentlich verkaufte. Erst im Jahre 2006 wurde Changs Schmuck einem größeren Publikum bekannt, als Huang Yung-chuan, Direktor des Nationalen Geschichtsmuseums in Taipeh, ihre Arbeiten zu Gesicht bekam und sie sofort bat, eine Ausstellung in dem Museum abzuhalten. „Indem sie moderne Designkonzepte und –techniken mit unterschiedlichen Materialien kombinierte, verlieh sie alten Jadestücken ein neues Antlitz und stellte ihre Eleganz wieder her“, rühmt Huang.
Nach der Ausstellung sagte der Museumsdirektor der Schmuckdesignerin, ihre Ausstellung „Alte Jade mit neuem Aussehen“ sei eine der populärsten Ausstellungen gewesen, die das Museum in Jahren gehabt habe, und das, obwohl Changs Stücke lediglich in einem schmalen Korridor im ersten Obergeschoss des Museums ausgelegt worden waren. Chang wurde dann gebeten, ihre Arbeiten in Kaohsiung, Taichung und jüngst in der Chiang Kai-shek-Gedächtnishalle in Taipeh zu zeigen. Jede dieser Ausstellungen kam sowohl bei Jadesammlern als auch bei der allgemeinen Öffentlichkeit sehr gut an.
Der Schmuckschmied Qiu Qing-xiang und seine Handwerker, welche mit Chang zusammengearbeitet hatten, wurden ebenfalls zu den Ausstellungen eingeladen. „Sie ist immer noch eine der wählerischsten Kundinnen, die ich je hatte, und mit der Arbeit an ihren Designs verdiene ich nach wie vor kein Geld“, verrät Qiu. „Aber wissen Sie was? Das Gefühl, etwas geleistet zu haben, lässt sich einfach nicht übertreffen, wenn man die eigenen Werke in einem nationalen Museum ausgestellt sieht.“
Im Firmenbus der Yang Ming Marine Transport Corp. vom Büro in Keelung heim nach Taipeh spielt Chang weiter mit ihrer weißen Jade und versucht, sich mögliche Entwürfe vorzustellen. Es gibt lange Zeitabschnitte, in denen ihr nichts einfällt, aber Chang hat es nicht eilig. Wie alle Sammler wissen, spielt das „Schicksal“ eine Schlüsselrolle dabei, das vollkommene neue Stück für ihre Kollektion zu finden. Entsprechend begnügt Chang sich mit der Gewissheit, dass die Inspiration für die perfekte neue Einfassung eines alten Jadestücks sich einstellen wird, sobald das Schicksal es will.
(Deutsch von Tilman Aretz)