22.06.2025

Taiwan Today

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Forschung und Rettung

01.11.1994
150 Süßwasserfischarten sind endemisch in Taiwan. Taiwan ist eine kleine Insel, aber aufgrund ihrer geographischen Vielfalt weist sie unterschiedliche Ökosysteme und dadurch auch eine mannigfaltige Flora und Fauna auf.
Taiwan ist die Heimat von über 20 000 Wildtierspezies, von denen viele einer ungewissen Zukunft entgegensehen. Das Forschungsinstitut für endemische Arten (Endemic Species Research Institute) ist eine Regierungseinrichtung, die sich aktiv um den Schutz der Natur und die Aufklärung der Öffentlichkeit kümmert.

Im letzten Jahr kroch an einem ganz gewöhnlichen Sommerabend ein weibliches Exemplar des seltenen formosanischen Pangolins aus ihrem Bau, um die nächtliche Futtersuche zu beginnen. Wie alle Pangoline bzw. Schuppentiere war sie gemächlich, mußte jedoch keine größeren, für sie unangenehmen Säugetiere fürchten. Im Fall eines Angriffs brauchte sie sich nur zusammenzurollen und auf den Schutz ihres grauen, panzerartigen Rückens zu verlassen. Als sie jedoch umherging und nach Ameisen und Termiten suchte, traf sie plötzlich auf etwas, vor dem sie ihre Schuppen nicht zu schützen vermochten - eine im Gras versteckte Falle. Bevor sie reagieren konnte, hatten sich die scharfen Zacken schon tief in ihr Bein gebohrt. In ihrer Panik versuchte sie, sich freizustrampeln, aber die Falle zog sich dadurch nur noch enger zusammen. Der Blutverlust nahm ihr alle Kraft, und schon bald war sie so schwach, daß sie nur noch daliegen und auf den Tod warten konnte.

Doch dann hatte sie Glück - wenigstens für eine Weile. Ein vorbeikommender Bauer fand sie und brachte sie in die staatliche Tierklinik im nahen Hualien, Osttaiwan. Ein Veterinär konnte sie durch eine Amputation retten, war jedoch für die Pflege von Schuppentieren nicht ausgebildet. Das Tier verweigerte zwei Tage lang jegliche Nahrung und wurde immer schwächer. Schließlich entschlossen sich die Klinikangestellten, sie in die neu eingerichtete Notaufnahmestation für Wildtiere des Taiwan Forschungsinstituts für endemische Arten (Taiwan Endemic Species Research Institute - TESRI) in der Stadt Chichi im Distrikt Nantou, Zentraltaiwan, zu bringen. Doch die siebenstündige Fahrt erwies sich als zu anstrengend; kurz nach der Ankunft bei TESRI starb das Tier.

Aber die Forscher am Institut waren trotzdem froh über die Ankunft der Ameisenfresserin, die sie liebevoll "Pan" tauften. Sie gab ihnen die Chance, mehr über diese seltene, in Taiwan endemische Subspezies in Erfahrung zu bringen. Sie entschlossen sich dazu, sie zusammen mit ihrem ungeborenen Jungen, das man in ihrem Körper gefunden hatte, in eine Informationsausstellung einzubeziehen. Beide befinden sich jetzt im Ausstellungsraum des Instituts vor einem Poster, das ihre Geschichte erzählt. "Wir benutzen Pan und ihr Junges als Lehrmaterial", sagt Sheen Shyow-chiueh(沈秀雀), Direktorin der TESRI-Abteilung für Datenauswertung und Öffentlichkeitsarbeit. "Wir möchten die Besucher über die entscheidenden Tatsachen, wie der Mensch den Wildtieren Schaden zufügt, aufklären."

Pan war einer der tragischeren Fälle der Notaufnahmestation; andere hatten mehr Glück. Im ersten Jahr nach Aufnahme ihrer Arbeit hat die Station mehr als zwanzig verletzten oder kranken Wildtieren geholfen, darunter ein formosanischer Schwarzbär, einige Schlangenadler, Hühnerhabichte, formosanische Gemsen und andere seltene und gefährdete Tierarten. Die meisten von ihnen überlebten nach der Behandlung, und viele wurden in ihren natürlichen Lebensraum zurückgeführt. "Wenn irgend möglich, möchten wir sie nach Hause schicken", sagt TESRI-Direktor Yen Ren-teh(顏仁德). "Sie gehören in die Wildnis, nicht in einen Zoo oder eine Forschungsstation. "

Die Arbeit in der Notaufnahmestation für Wildtiere macht nur einen kleinen Teil der TESRI-Aufgaben aus. "Unsere Hauptaufgaben sind die Bestandsaufnahme, Erforschung, Erhaltung und Aufklärung hinsichtlich der Flora und Fauna", sagt Yen. "Die meisten unserer Bemühungen richten wir auf Taiwans endemische und gefährdete Arten". Das Institut wurde 1992 in Zentraltaiwan gegründet, wo sich auch die Notaufnahmestation befindet. Der Mann hinter dem Projekt war Paul Ming-hsien Sun(孫明賢), Vorsitzender des Landwirtschaftsrats (Council of Agriculture), der damals Ausschußmitglied in der Abteilung für Land- und Forstwirtschaft in der Provinzregierung war. Laut Sun ist TESRI ein wichtiger Versuch von seiten Taiwans, sich an den weltweiten Naturschutzbemühungen zu beteiligen. Der Hauptzweck des Instituts, sagt er, sei es, für die Konzeption zu werben, daß alle Wildtiere frei in ihren ursprünglichen Lebensräumen leben können sollten.

Auf Taiwan haben sich viele nur hier zu findende Spezies entwickelt, wie der formosanische Binnengewässer-Lachs. Wenn er ausstirbt, ist er für immer von der Erde verschwunden.

Taiwan ist die Heimat einer riesigen Anzahl endemischer Spezies und Subspezies. TESRI zufolge sind 25 Prozent der mehr als 4000 Gefäßpflanzenarten und 60 Prozent der mehr als 18 400 Wildtierarten endemisch in Taiwan. Die Auflistung der Wildtiere enthält 60 Säugetier-, 500 Vogel-, 30 Amphibien-, 90 Reptilien-, 150 Süßwasserfisch- und 17 600 Insektenspezies. "Taiwan ist eine kleine Insel", sagt Yen Ren-teh, "aber es hat mehrere unterschiedliche Ökosysteme, die eine mannigfaltige Flora und Fauna versorgen."

Aber die Ausdehnung der Städte, Erschließung der Bergregionen, illegales Jagen und Umweltverschmutzung fordern ihren Tribut. Viele einheimische Spezies sehen einer ungewissen Zukunft entgegen. Einige von ihnen, wie der formosanische gefleckte Leopard, sind in der Wildnis nicht mehr zu finden. Andere wiederum, einschließlich des formosanischen Binnengewässer-Lachses und des formosanischen Schwarzbären, befinden sich am Rande des Aussterbens. "Sollte eine endemische Spezies oder Subspezies in Taiwan aussterben", sagt Yen, "so ist sie für immer von der Erde verschwunden".

Mit einem Personalaufgebot von mehr als hundert Forschungs- und technischen Angestellten gliedert TESRI seine Arbeit in fünf Bereiche. Die Abteilungen Zoologie und Botanik konzentrieren sich auf die Untersuchung von Populationen, Verteilung, Verhalten sowie biologischer Charakteristika der Flora und Fauna Taiwans. Die Abteilung für Lebensräume und Ökosysteme unternimmt auf der Insel Forschungen in den Ökosystemen Küstenregion, Feucht- und Flußgebiet, Wald und Grasland. Die Verwaltungsabteilung richtet ihr Augenmerk auf die Erhaltung und Wiederansiedlung ausgewählter Spezies und unterhält drei TESRI-Experimentierstationen: eine im Kreis Taichung für im Tiefland vorkommende Tiere und Pflanzen, eine im Landkreis Kaohsiung für in mittleren Lagen lebende und eine für in Höhenlagen lebende dort, wo die Landkreise Hualien, Nantou und Taichung zusammentreffen. Die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit gibt Forschungsberichte und Aufklärungsmaterial heraus, verwaltet Naturschutzdaten und organisiert Informations- und Werbeaktivitäten.

Eine der wichtigsten gegenwärtigen Forschungsaufgaben ist das Zusammenstellen grundlegender Informationen über endemische Arten. Obwohl auf diesem Gebiet während der japanischen Besatzung vor 1945 einige wertvolle Studien angelegt worden sind, waren diese unvollständig und deckten nur ausgesuchte Spezies ab. "Eine biologische Inventur ist der fundamentalste und wichtigste Schritt aller Forschung", sagt Yen. "Bisher gibt es jedoch noch keine systematische Bestandsaufnahme der Population, Verteilung, biologischen und ökologischen Charakteristika sowie der Überlebensprobleme von Taiwans Pflanzen und Tieren". Obwohl die Einrichtung einer solchen Datenbank lediglich das Erfassen der von Feldforschern gemachten Beobachtungen erfordert, ist dies eine zeitaufwendige Arbeit. Das Institut beendete im Juni nach zweijähriger Arbeit seine Inventur des Landkreises Nantou und begann kürzlich in den Landkreisen Yunlin und Changhua in West-Zentraltaiwan mit der Bestandsaufnahme. Eine inselweite Inventur aller wildlebenden Pflanzen- und Tierarten sollte bis zum Jahr 2002 vervollständigt sein, obwohl Folgestudien ständig Teil der Institutsarbeit bleiben werden.

TESRIs Projekte zur Wiederherstellung von Lebensräumen sind zur Zeit auf einige Pflanzenarten beschränkt, einschließlich des Rhododendron kanehirai, einer Azaleenart, die nur in einem sehr kleinen Gebiet im Norden der Insel wuchs. Nach der Fertigstellung des Feitsui-Reservoirs 1984, das die Großstadt Taipei mit Wasser versorgt, wurde der einzige bekannte Lebensraum der Pflanze überschwemmt. Seither ist sie in der Wildnis nicht mehr gefunden worden. Im Rahmen eines dreijährigen TESRl-Projekts, das 1992 begonnen wurde, fanden Forscher einige in Gärten gezogene Exemplare des Rhododendron kanehirai. Die Pflanzenart wird jetzt in einem Gewächshaus auf einer der Versuchsstationen des Instituts gezüchtet und bis Mitte 1995 in ausgewählten Gegenden wieder angesiedelt werden.

Das Institut hat noch nicht versucht, seltene Tierarten in die Freiheit zurückzuführen, was ein weitaus schwierigeres Unterfangen ist. Nur ein derartiges Projekt ist in Taiwan unternommen worden; ein langfristiges Unternehmen des Kenting Nationalparks zur Wiederansiedlung einer Population des formosanischen Sika-Rehs, das bereits 1969 aus der Wildnis verschwunden war. Im Januar entließ der Park die erste Gruppe von zehn auf einer Farm aufgezogenen Rehen, aber es braucht Zeit, um herauszufinden, ob sie sich an einen natürlichen Lebensraum anpassen können.

Nur noch rund vierhundert Exemplare des schwarzgesichtigen Löffelreihers gibt es auf der ganzen Welt; auf seiner jährlichen Route macht der Zugvogel auch einen Stop-over auf Taiwan.

Ein wichtiger Bereich der TESRI-Arbeit ist die Werbung für den Naturschutz in der Öffentlichkeit. Das Institut veranstaltet Dia- und Videovorträge, Vorlesungen und Ausflüge für Kinder, Eltern und Lehrer und besucht die Gebiete von Ureinwohnerstämmen, um die dortigen Bewohner zu ermutigen, keine seltenen Tiere zu jagen oder Touristen bei Jagdexpeditionen zu führen. Einzelbesucher sind im Institut ebenfalls willkommen. Sheen Shyow-chiueh schätzt, daß mehrere tausend Menschen an TESRI-Aktivitäten teilgenommen oder das Institut besucht haben und sie ist optimistisch, was den Einfluß dieser Programme angeht. "Viele Eltern bringen ihre Kinder mit, oder Kinder bringen ihre Eltern mit", sagt sie. "Hinterher haben sie das Gefühl, etwas gelernt zu haben und wollen zur nächsten Veranstaltung mehr Leute mitbringen." Direktor Yen ist auch der Meinung, daß solche Programme ein erhöhtes Naturschutzbewußtsein schaffen. "Eine verschärfte Rechtssprechung ist ein bedeutender Faktor", sagt er. "Aber Aufklärung spielt mit Sicherheit eine ebenso große Rolle."

TESRI hat darüber hinaus mit einem Trainingsprogramm für Polizeibeamte begonnen, die für die Einhaltung des Naturschutzgesetzes eingesetzt werden, zum Beispiel für solche, die gegen illegales Jagen und den Verkauf gefährdeter Tierarten vorgehen. Nahezu 350 Beamte nahmen am ersten solcher Kurse des Instituts teil. Das zweitägige Trainingslager beinhaltete Unterricht über Naturschutzvorschriften und grundlegendes Wissen über die Natur, u.a. wie man die einzelnen Wildtierarten unterscheidet. Darüber hinaus trafen sich Mitglieder der Nationalpark-Polizei mit den Kursteilnehmern und berichteten aus erster Hand von ihren Erfahrungen im Umgang mit wilden Tieren.

Fortgesetzte Ausbildung am Arbeitsplatz des eigenen Personals genießt ebenfalls Priorität, und TESRI lädt oft Professoren ein, die Vorlesungen halten oder bei verschiedenen Projekten beraten. Es ist jedoch nicht einfach, sich einen qualifizierten oder auch nur zahlenmäßig ausreichenden Personalstamm zu erhalten. "Was wir hier machen, ist zeitaufwendige Arbeit, die viele Mitarbeiter erfordert", sagt Yen.

Um den Arbeitskräftemangel zu überwinden, arbeitet TESRI oft mit privaten Naturschutzgruppen zusammen. Für ein Projekt zur Inventarisierung des schwarzgesichtigen Löffelreihers, einer seltenen Zugvogelart, kooperierte das Institut mit der Wildvogelgesellschaft (Wild Bird Society) in Tainan. Während sich die TESRI-Forscher auf das Ökosystem des Lebensraums dieser Vogelart konzentrierten, sammelte die Wildvogelgesellschaft Informationen über deren Verhalten und Populationsverteilung. Im Anschluß daran produzierte TESRI für den naturwissenschaftlichen Unterricht an Grund- und Mittelschulen ein 22minütiges Dokumentationsvideo über den Löffelreiher.

Mit kleinen Schritten wie diesen trägt TESRI zum sich neu entwickelnden ökologischen Bewußtsein in Taiwan bei. "Es ist wahr, daß wir spät mit dem Naturschutz begonnen haben", sagt Yen, "aber wir sind dabei, Probleme zu überwinden und kommen stetig voran."

(Deutsch von Christiane Gesell)

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