Was hat eine Punkrock-Band, die taiwanesische, chinesische und englische Texte kombiniert, mit einem Volksmusikgitarristen gemeinsam, der taiwanesische Opernlieder, Volksmusikklassiker und Popmelodien miteinander verknüpft? Was haben diese mit einer taiwanesisch singenden Rockband, Stammessängern der Ureinwohner, taoistischen Begräbnissängern und Barsängerinnen gemeinsam? Drei Antworten: Sie nehmen in der Musikszene eine Randstellung ein, sie sprechen eine Publikumsminderheit an, und sie werden alle von einem Label produziert: Crystal Records(水晶有聲出版社).
1986 beschloß Jen Chiang-ta(任將達), ein Taipeier koreanisch-chinesischer Abstammung, daß es viel Musik gibt, der nicht die ihr gebührende Aufmerksamkeit entgegengebracht wird. Er gründete Crystal Records mit der Intention, den hiesigen Hörern außergewöhnliche Klänge anzubieten. Zuerst konzentrierte er sich auf den Import von Schallplatten, die von weniger bekannten Labeln aus Europa und den Vereinigten Staaten produziert wurden.
Jen begann jedoch bald, auch in seiner Heimat etwas näher hinzuhören. Was ist mit der Musik, die Taiwan seinen besonderen Charakter verleiht? Was ist beispielsweise mit den Texten, die von taoistischen Sängern bei Beerdigungen rezitiert werden und der einzigartigen Musik, die sie begleitet? Wie sieht es mit den unterschiedlichen Stilen der klassischen taiwanesischen Volksmusik aus, die ihre Wurzeln auf dem Festland haben, aber heutzutage, wenn überhaupt, nur noch von älteren Mitbürgern gespielt werden? Und was ist mit der rauhen Musik und den Texten, die das taiwanesische Puppentheater begleiten? Damals konnte man solche Musik nur live hören. Wenn jemand sie auf Kassette oder CD hören wollte, hatte er normalerweise kein Glück. Es war entweder fast unmöglich, diese Klänge zu finden, oder - was viel wahrscheinlicher ist - sie waren nie aufgenommen worden.
Die Herausforderung war klar, und Jen begann mit der Suche nach geeigneten Künstlern. Unterdessen überlebte seine Firma durch die Produktion von Musik für Werbespots, Dokumentarfilme und taiwanesische Spielfilme, darunter auch die Streifen des berühmten Regisseurs Hou Hsiao-hsien. Tatsächlich gewann die Musik für Hou's gleichnamigen Film Dust in the Wind, die von Chen Ming-chang geschrieben und von Crystal Records aufgenommen wurde, 1987 den Preis für die beste Filmmusik bei den Filmfestspielen in Nantes.
1988 produzierte und veröffentlichte die Firma bereits die Platten eines überraschend breiten Spektrums von Künstlern, darunter die Punkband Double X, die Rockgruppe Black List Studio, der Volksmusiker Chen Ming-chang, der Kneipensänger Wu Chun-lin und die ehemalige taiwanesische Opernsängerin Pan Li-li, die sich auf das Schlagersingen verlegt hatte.
Das Bemühen um musikalische Vielfalt wurde zu einer Maxime für Crystal Records, und dies führte zu einem entscheidenden Kurswechsel. Die Hauptgeschäftsführerin Ho Yong-i(何穎怡)begann 1992 mit der Koordination eines Projekts, das vage als das "Sammeln der Klänge Taiwans" definiert wurde. Die Firma stellte ein Team von Anthropologen, Ethnologen, Soziologen, Volksmusikern, Fotografen und Journalisten zusammen, um nach traditioneller Musik zu suchen. Als dieses Konzept erst einmal Form angenommen hatte, überstiegen die Ergebnisse alle Erwartungen. Das Team besuchte Tempel, Nachtmärkte, Ureinwohnerdörfer und Bars. Schließlich stellten sie eine Auswahl zusammen, bearbeiteten sie, brachten sie auf eine Doppel-CD und verkauften sie als Set mit dem Titel Klänge Taiwans, das auch ein Beiheft im Stil eines Journals und ein Video mit Erklärungen zum Hintergrund der Musik und Bildern der Musiker und ihren Auftrittsorten umfaßte. Das Set kam 1992 auf den Markt. "Die positive Resonanz aus akademischen und kulturellen Kreisen gab uns den Mut, unser Projekt fortzuführen und auszubauen", sagt Ho.
Was genau sind die Klänge Taiwans? "Einfach ausgedrückt versuchen wir, zwei Arten von Musik in unserer Gesellschaft zu dokumentieren", erläutert Ho. "Eine ist die traditionelle Volksmusik wie nankuam(南管) und peikuan(北管), die ausgefeilte Gesangstechnik mit traditionellen chinesischen Instrumenten kombiniert. Die andere ist Musik, die sich in einer Übergangsphase befindet, d.h. traditionelle Musik, die entweder nicht mit den herkömmlichen Instrumenten oder in einem neuen Stil gespielt wird. Wir wollen von diesen im Aussterben begriffenen Kunstformen der taiwanesischen Musik Aufzeichnungen hinterlassen, und wir wollen ebenso die sozialen und die kulturellen Veränderungen in dieser Gesellschaft festhalten, die durch diese Musik ausgedrückt werden."
Ho betont, daß man sich auch über die journalartigen Beihefte viele Gedanken mache. "Wir sammeln nicht einfach nur Klänge", sagt sie. "Wir versuchen, die Klänge von einer anthropologischen Perspektive aus zu entschlüsseln. Wir hoffen, daß wir ihre gesellschaftliche Bedeutung interpretieren." Bis heute hat die Firma drei Sets ihrer CD-Journal-Sammlungen herausgebracht. Diese enthalten eine beträchtliche Vielfalt. Die Musik der Ureinwohnerstämme Taiwans beinhaltet zum Beispiel zeremonielle Musik, Gruppengesang, Volkslieder, Arbeit und Spiel begleitende Musik und Lieder zum Kinderhüten. Der luantan-Stil(亂彈), eine Form der peikuan-Musik, läßt den Liebhaber an die vom Hauptsänger geforderte Stimmgymnastik denken, der von einem Ensemble aus Flöten, Gongs, Trommeln, Holzblas- und Saiteninstrumenten begleitet wird.
Einer der etwas ungewöhnlicheren Bestandteile der Sammlung ist die von taoistischen Ensembles aufgeführte chienwang chen(牽亡陣)-Musik, welche die Zeremonien vor, während und nach Begräbnissen begleiten. Diese Musik ist grob in drei Phasen unterteilt: Die Einladung an die Götter und Göttinnen, der Beerdigung beizuwohnen, das Führen der toten Seele durch die 36 Tore der Unterwelt zu dem Begräbnis, wobei auf dem Weg die Wächter bestochen werden, und schießlich das Zurückbegleiten der Seele in die Unterwelt und der Dank an die Götter und Göttinnen für ihre Hilfe. Die Musik setzt sich aus vielen taiwanesischen Stilen zusammen, angefangen von den Volksopern bis hin zu populären Melodien. Die Texte beinhalten Gedichte, philosophische Gedanken über das Leben, den Tod und die Wiedergeburt sowie stilisierte Grüße und Verabschiedungen.
Den umfangreichen Bemühungen des Projekts von Crystal Records liegt die Erhaltung der Kultur zugrunde. In Taiwan existiert beispielsweise nur noch eine luantan-Gruppe namens Hsin Mei Yuan, deren Mitglieder alle über siebzig Jahre alt sind. Wenn ihre Darbietungen jetzt nicht aufgenommen werden, gehen die traditionelle Musik, die Interpretationsweisen und der Stil vielleicht für immer verloren. Die taoistischen chienwang chen-Sänger und -Musiker gibt es seit mehr als 200 Jahren auf der Insel, und sie werden wahrscheinlich nicht so schnell von der Bildfläche verschwinden. Bis heute hat jedoch noch niemand eine sorgfältige Studie über ihre Musik durchgeführt. Die moderne chinkuang(金光)-Puppentheatermusik wird üblicherweise durch elektrische Instrumente und Popsongs bereichert und ist wie eine musikalische Amöbe, die ständig ihre Form verändert. Ihre kontinuierliche Dokumentation ist deshalb eine sinnvolle Methode der Bewahrung.
Ho erklärt, daß jede dieser Formen es wert sei, dokumentiert zu werden. "Luantan' ist eine dem Untergang geweihte traditionelle Volkskunst", sagt sie. "Und chienwang chen ist ein Tabu, an das sich nur wenige heranwagen, da es mit dem Tod verbunden ist. Die dazu existierende Literatur beschränkt sich auf wenige Zeitungs- und Zeitschriftenartikel und ein paar religiöse Forschungsarbeiten, in denen die Musik kaum erwähnt wird. Chinkuang-Puppentheater paßt in die Kategorie 'im Umbruch', ist also genau das, was wir festhalten wollen."
Das zweite Set der Klänge Taiwans von Crystal Records enthält drei CDs und ein Journal und erschien im Oktober 1994. Es umfaßt Volkslieder von fünf taiwanesischen Ureinwohnerstämmen: den Ami, Yami, Puyuma, Atayal und Saisiyat. Die Lieder waren 1978 von dem Musikprofessor Hsu Chang-hui(許常惠)während einer Feldforschung gesammelt worden. "Im Prinzip ist es eine Reproduktion bzw. Wiederentdeckung alten Materials", sagt Ho. "Aber wir haben zusätzliche Anstrengungen unternommen. Wir luden Stammesälteste und Wissenschaftler ein, um die Texte niederzuschreiben, mehrere Forschungsarbeiten zu kompilieren und redigieren und dem Begleitjournal beizufügen."
Ein drittes Set wurde im Januar 1995 gerade pünktlich zu chinesisch Neujahr herausgebracht. Unter dem Namen Han-Neujahrsmusik enthält es Festmusik der ethnisch chinesischen Minderheit der Hakka und die beiden berühmten peikuan-Weisen "Himmlischer Segen" und "Das Treffen der drei Feen". "Dieses Set kombiniert traditionelle und sich im Umbruch befindliche Kunst", sagt Produzent Fan Yang-kun(范揚坤). Das Hakka-Musikstück ist die Reproduktion einer fünfzehn Jahre alten Aufnahme des legendären sona(嗩吶)-Spielers Chen Ching-sung. Es beinhaltet auch vier instrumentale Festmusikstücke von seinem Enkel Cheng Rom-shing, der heute der Leiter zweier Musikgruppen ist, der Chen Family Pa-yin Troupe und der Rom-shing Hakka Drama Troupe.
"Himmlischer Segen", eines der schwierigsten Stücke, wird von luantan-Superstar Pan Yu-chiao gesungen und von erstklassigen peikuan-Musikern begleitet. "Das Treffen der drei Feen", ein Muß bei fast allen Volkskunstfestivals, wird von der "Ming-cheng Han"-Musiktruppe gespielt, die Teil eines bekannten Puppentheaterensembles ist. "Diese Arten von Musik wurden von Amateurgruppen gespielt, die in die Häuser kamen, um während besonderer Feierlichkeiten eine festliche Atmosphäre zu schaffen", berichtet Fan. "Nun ist dieser Brauch nicht mehr populär, und die Musik stirbt aus."
Crystal Records macht nicht das große Geld, aber die Firma erhält starke Unterstützung von den Liebhabern dieser Musikstile und von Bürgern, die sich für die Bewahrung der Kultur engagieren. Das Unternehmen rückte bei der letztjährigen Verleihung des "Goldenen Dreifuß", der hierzulande höchsten Auszeichnung für Buch- und Schallplattenverlage, groß ins Licht der Öffentlichkeit. Crystal Records bekam den Preis für das beste Album, einer ihrer Songschreiber wurde für den besten Text ausgezeichnet, und einer ihrer Komponisten gewann den Preis für das beste Musikstück. Die Hauptgeschäftsführerin Ho Ying-i war bei der Preisverleihung anwesend. Als sie die Auszeichnung für das beste Album zusammen mit einem Scheck in Höhe von 6000 US$ entgegennahm, witzelte sie, daß die an einem Nachmittag veranstaltete Zeremonie ihr ein bißchen zu lange dauern würde: Die Bank würde schließen, bevor sie den Scheck einlösen könne, und Crystal Records brauche das Geld so schnell wie möglich.
Ende letzten Jahres steckte Crystal Records tatsächlich in einer ernsten finanziellen Krise. Die Produkte der Firma verkauften sich einschließlich der Klänge-Taiwans-Sets nicht gut, und der Firmenchef Jen Chiang-ta verbrauchte den größten Teil seines Privatvermögens für Krankenhausrechnungen und Knochenmarktransplantationen im aussichtslosen Kampf um das Leben seiner fünfährigen Tochter. Das Unternehmen wandte sich schließlich mit einem Appell um Unterstützung an die Öffentlichkeit. Hilfsbereite Anhänger kauften ungefähr 2000 Sets der Klänge Taiwans, und die Ho-Chen-Stiftung für Kultur und Bildung spendete 30 000 US$, wodurch Crystal Records die Krise überstand. Kurz darauf war die Firma in der Lage, das dritte Set der Klänge Taiwans herauszubringen.
Dieser Beinahe-Verlust für die Liebhaber außergewöhnlicher Musik und für die im Bereich der Kulturerhaltung Engagierten war kein Einzelfall. Vor Crystal Records hatten andere Schallplattenfirmen nicht zum Mainstream gehörende Musik produziert und gerieten dabei finanziell ins Straucheln. Vor einem Jahrzehnt war First Records der Originalproduzent von Kassetten der Payin-Truppe der Familie Chen. Nach der Veröffentlichung von zwanzig Schallplatten begann für das Unternehmen ein harter Kampf ums Überleben, und so wechselte es in eine gewinnträchtigere Branche über, dem Betrieb eines Aufnahmestudios.
Der tragischste Fall ist allerdings die Geschichte des in den siebziger Jahren aktiven Musikverlags Ling Ling Records. Der Besitzer fuhr mit seinem Motorrad um die ganze Insel, um nach traditioneller Volksmusik und Sängern zu suchen. Wenn er Künstler fand, die ihm gefielen, handelte er ein Geschäft aus, um Kassetten zu produzieren und zu vermarkten. Als der Produzent Fan Yang-kun endlich die Ehefrau des Eigentümers aufgespürt hatte, zeigte sie ihm eine Liste mit mehr als zweihundert Titeln, darunter Aufnahmen der berühmten Meister des Puppentheaters Lee Tien-lu und Hsu Wang, des Superstars der taiwanesischen Oper Liao Chiung-chih und des Hakka-Sängers Lai Pi-hsia. Die Aufnahmen waren jedoch verloren. Die Frau sagte, daß sie sie nach dem Tod ihres Mannes alle einschließlich der Originale in den Müll geworfen habe, da sie eine Quelle der Trauer waren, die sie an ihren verstorbenen Ehemann erinnerte.
Wird es Crystal Records besser ergehen? Die Zeit arbeitet gewissermaßen für das Unternehmen. Kultur ist mittlerweile breit genug definiert, um die Musikstile einzuschließen, die von der Firma aufgenommen und vermarktet werden. Auch die Regierung erhöhte den Bekanntheitsgrad in der Öffentlichkeit durch die Einrichtung einer Reihe von Auszeichnungen, die die Aufmerksamkeit auf die Volkskünste lenken und dazu beitragen, daß in jeder dieser Kunstformen ein hohes Niveau aufrechterhalten wird.
Seit 1985 werden die Preise für Kulturelles Erbe (Arts Heritage Awards) jährlich an herausragende Meister der traditionellen Volkskunst verliehen. Der höchste Preis der Republik China für Verdienste um die Volkskunst wird seit 1989 an Kunsthandwerker und Spitzenkünstler verliehen. Die Auszeichnung bietet auch finanzielle Unterstützung, so daß die Preisträger sich voll ihrer Kunst, dem Unterrichten und der Nachwuchsarbeit widmen können. Der Rat für kulturelle Planung und Entwicklung hat ebenso dazu beigetragen, diese Kunstformen durch Ton- und Videoaufnahmen und eine beschränkte Anzahl von Veröffentlichungen zu erhalten.
Wie die Hauptgeschäftsführerin von Crystal Records, Ho Ying-i, jedoch meint, sollte man nicht davon ausgehen, daß alles Nötige von der Regierung zu tun sei. Zum einen sei deren Definition von Volkskunst, sogar von Kunst im allgemeinen, viel strenger und inflexibler als die des privaten Sektors. "In der Vergangenheit förderten die Behörden in erster Linie die Pekingoper. Nun haben sie ihr Hauptaugenmerk auf darstellende Künste im Taiwan-Dialekt gelegt, was im Prinzip eine politisch korrekte Entscheidung ist", sagt sie. "Die Regierung definiert das chinkuang-Puppentheater oder die Begräbnismusik als 'Volkslärm'. Aber diese Musik ist ebenso Teil unserer Kultur und sollte nicht diskriminiert werden. Es sind die Klänge des einfachen Volkes. Von ihnen können wir etwas über die Wurzeln und die Entwicklung der Menschen hier erfahren."
Ho sagt, daß man bei Crystal Records Kultur aus einer anderen Perspektive betrachte. "Traditionell können diejenigen, die an der Macht sind, bestimmen, was als Kunst gilt und was nicht, und daher passen sich die Künste an, um zu überleben", sagt sie. "Was erhalten wird, ist völlig von der Auffassung von Kunst und Kultur der Machthaber abhängig, da sie die Politik bestimmen und ihre Kulturetats für das ausgeben, was sie für wichtig erachten. Wenn wir überhaupt ein übergeordnetes Ziel verfolgen, könnte man sagen, daß wir ganz einfach die Perspektive des einfachen Volkes vermitteln wollen."
Wie reagiert die Öffentlichkeit? Ho sagt, daß der Musikmarkt ein hartes Geschäft sei. "In Taiwan werden monatlich grob geschätzt dreißig Schallplatten veröffentlicht", sagt Ho, "und die großen Firmen können bis zu 400 000 US$ ausgeben, um für eine einzige Neuerscheinung zu werben. Während des letzten chinesischen Neujahrs wurden 150 Alben herausgegeben. Für unsere Produktionen ist es da nicht leicht, herauszuragen." Crystal Records verläßt sich vor allem auf Zeitungsanzeigen und Artikel, um Informationen über Neuveröffentlichungen unter die Leute zu bringen. Die Firma geht auch direkt in Parks, Schulen und Gemeindezentren auf der ganzen Insel, um die Klänge Taiwans zu verkaufen.
Der Musikkritiker Lin Ku-fang(林谷芳)sagt, daß auf die Aufnahmen nur eine mäßige Reaktion erwartet werden könne. "Das ist kein marktorientiertes Produkt", erläutert er. "Es gibt nur drei Käufergruppen: Forscher, Volksmusikliebhaber und für die Kulturerhaltung Engagierte." Dennoch empfiehlt er die Aufnahmen sehr. "Nicht weil sie mir so gut gefallen, sondern weil ich finde, daß man Crystal Records unterstützen sollte", sagt er. "Die Bemühungen der Firma haben dazu beigetragen, unsere Vorstellungen von Musik zu verändern, indem sie die üblichen, engstirnigen Definitionen durchbrochen haben." Lin meint, daß die Journale, die die CDs begleiten, ebenso eine wichtige Informationsquelle seien. "Sie sorgen für ein Verständnis, das man durch bloßes Zuhören nicht erlangen kann", sagt er.
Aber Lin warnt ebenfalls, daß die Musikauswahl sorgfältig getroffen werden müsse. "Die Prioritäten, die man beim Aufbau setzt, sind für eine kleine Firma ohne große finanzielle Rücklagen entscheidend", sagt er. Er war zum Beispiel von der Crystal-Records-Serie Klänge aus der Unterschicht, einer Sammlung pornographischer Lieder aus Kneipen, Karaoke-Bars und anderen Etablissements, nicht sehr begeistert. Die populärsten Lieder - was hier bedeutet, daß sie den Barsängerinnen saftige Trinkgelder einbringen können - werden als die "Achtzehn Flirtmelodien" bezeichnet. Die Sängerinnen müssen dabei Texte improvisieren, in denen es primär um lebhafte Beschreibungen von Genitalien geht.
Lin hebt ebenfalls hervor, daß "eingeborene" oder "heimatliche" Kultur zum Trend geworden sei. In der Vergangenheit, erklärt er, war der Mythos folgender: Die Musik, die bei der Obrigkeit und den Reichen beliebt war, war besser als die, die bei durchschnittlichen oder armen Leuten populär war. Später wurde alles Westliche als dem heimischen Angebot überlegen erachtet. "Jetzt hat eine Wendung um 180 Grad stattgefunden: Die Musik der Einheimischen, der einfachen Leute, ist zum Mainstream geworden", sagt er. "Die Musik der Durchschnittsbürger abzuwerten ist ein Extrem, aber sie als das Beste zu preisen ebenso." Lin warnt, daß Crystal Records vermeiden sollte, zu groß in Mode zu kommen.
Ho verteidigt die Auswahl der Firma: "Der Grund, weshalb wir uns sowohl traditioneller als auch sich im Übergang befindlicher Musik annehmen ist, daß wir unserem Publikum zu einem Verständnis darüber verhelfen wollen, wie die Musik sich verändert." Sie fügt hinzu: "Ich weiß nicht, ob durch elektronische Instrumente erweiterte peikuan die ursprüngliche Form ersetzen wird, aber das Publikum im Ausland war völlig begeistert, als es Aufführungen von chinkuang-Puppentheater mit elektronischer peikuan sah. Sollten sich hiesige Kritiker aus diesem Grund nicht ebenfalls ernsthaft damit beschäftigen?" Dieser Standpunkt faßt das Ziel der Firma zusammen: Crystal Records tut sein Bestes, um sicherzustellen, daß taiwanesische Musik, die eine Randstellung außerhalb des Mainstreams einnimmt, nicht von der Bildfläche verschwindet und in Vergessenheit gerät.
(Deutsch von Annabella Weisl)