24.04.2025

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Chinesische Tuschmalerei

01.05.1996
Für den Laien ist es nicht leicht, die feinen Unterschiede zwischen den Bildern klassischer Tuschmaler zu erkennen. Was ist unter chinesicher Tuschmalerei überhaupt zu verstehen? Sie entwickelte sich aus der Kalligraphie, und diese beiden Kunstformen haben sich auch nie besonders weit voneinander entfernt. Tuschmaler benutzen wie die Kalligraphiekünstler Pinsel, die aus Reh-, Ziegen- oder Wolfshaar angefertigt sind. Die Tinte entsteht aus einer Mischung aus Ruß und Harz, die zuerst getrocknet und dann zu Tuschstäben geformt wird. Wenn der Künstler mit dem Malen beginnt, werden die Stäbe auf einem Tuschstein zerrieben und mit Wasser angerührt. Der Farbton hängt von der Qualität des Tuschsteins und der Wassermenge ab.

Die ältesten Werke datieren aus dem 3. Jh. v.Chr. So unterschiedliche menschliche Figuren wie Kurtisanen und Buddhas waren in der Zeit zwischen der Han- und der Tang-Dynastie das beliebteste Motiv, aber seit dem 9. Jh. n.Chr. konzentrierten sich die Künstler immer mehr auf Landschaftsmalerei, die bis heute das Leitmotiv geblieben ist.

Zum Ende des 8. Jh. begannen die Künstler, die zuvor von einer Vielfalt an grellen Farben Gebrauch gemacht hatten, einfarbig zu malen. Modern wurden auch sparsame und präzise Strichtechniken. Zur selben Zeit experimentierten die Maler in ihren Arbeiten mit Techniken wie zum Beispiel po mo ( 潑墨), was soviel wie "Tusche verspritzen" bedeutet, bei der dickere Tusche angewendet wurde, um bestimmte Aspekte hervortreten zu lassen, und tsun fa (皺法) oder "bersten" der Tusche. In der letztgenannten Technik, von der es einige Varianten gibt, wird der Pinsel horizontal zum Bild gehalten und über die Kontouren der Landschaft gerieben, bis die Berglandschaft den Anschein einer felsigen und unebenen Struktur gewonnen hat.

Vom 10. bis zum 13. Jh. führten die großen Meister der Sung-Dynastie, unter anderem Fan Kuan (范寬), Kuo Hsi ( 郭熙) und Li Tang (李唐 ), die chinesische Tuschmalerei in ihre goldene Ära. Imposante Landschaften, harmonische Atmosphären und geordnete Kompositionen sind die Eigenschaften, die die Werke Fan Kuan's und Li Tang's auszeichnen, während Kuo Hsi durch seine unausgewogene Komposition ein Gefühl für Raum enstehen ließ. In der Folgezeit wimmelte es nur so von professionellen Malern, und es dauerte bis Mitte des 16. Jh. bis sie ihren Rang an die Maler der Wu-Schule in Suzhou, die aus den Reihen der Gelehrten emporkamen, abtreten mußten.

Angeregt wurde der Aufstieg der Landschaftsmalerei durch den Taoismus, der durch sein Streben nach Einigkeit von Mensch und Natur die Künstler indirekt dazu führte, die Schönheiten der Natur um sie herum zu entdecken. Auf eine gewisse Art und Weise sahen die Künstler ihre Landschaften mehr als einen Ausdruck ihrer philosophischen Gedanken bzw. als eine Widerspiegelung ihres Gemütszustands denn als eine exakte Wiedergabe der Landschaft. Von den Malern der wen-jen hua ( 文人畫) oder Literatenbewegung wurde dieses Konzept zu seiner logischen Konsequenz, wenn nicht gar darüber hinaus, geführt. Diese Gruppe intellektueller Künstler vertrat die Meinung, daß Malen, ähnlich wie die Poesie, ihnen die Möglichkeit bot, ihre Persönlichkeit zu manifestieren und zu reinigen. Ihre Arbeit sollte allein aus ihrem tiefsten Inneren hervorgehen, um jegliche Beziehungen mit der äußeren Umgebung bis zur Bedeutungslosigkeit zu reduzieren. Die wen-jen hua-Bewegung hat solch einen tiefen und bleibenden Einfluß auf die chinesische Malkunst ausgeübt, daß selbst bis ins frühe 20. Jh. hinein viele große Maler, wie unter anderem Li Ke-ran ( 李可染 ), ihre Sorge über die Nachwirkungen der Literaten ausdrückten und für eine größere Würdigung der objektiven Schönheit der Natur argumentierten.

Natürlich gibt es unzählige Unterschiede zwischen der westlichen und der chinesischen Kunst, aber zwei sind hier von besonderer Bedeutung. "Der Strich ist der Anfang von allem", sagte Shih Tao ( 石濤 ), ein Meister des 17. Jh., und danach richten sich die traditionellen chinesischen Maler auch heute noch. Während ihre westlichen Kollegen versuchen, das Wechselspiel zwischen Licht und Schatten darzustellen oder die Voluminösität des Gemäldes zu erhöhen, indem sie die Konturen des Inhalts weicher gestalten, gelten in China die Lebhaftigkeit und der Rhythmus der Striche als Hauptkriterium für die Beurteilung eines Bildes.

Auch war in China die Kunst des Malens nie für die Vorführung gedacht, jedenfalls nicht für die Augen der allgemeinen Öffentlichkeit. Kunstliebhaber bewahrten ihre Gemälde - höchstwahrscheinlich in Form von Hand- oder Hängerollbildern, faltbaren Wandschirmen oder Fächern - in wunderschön dekorierten Holzkisten auf und nahmen sie nur zu bestimmten Zeiten heraus, um sie zu betrachten; vielleicht, weil es gerade die richtige Saison für bestimmte Werke war, oder auch nur, weil dem Besitzer gerade danach war.

Allen Unterschieden zum Trotz sind westliche Kunstkenner schon seit Jahrhunderten von der Schönheit und Anmut der chinesischen Tuschmalerei verzaubert, und es besteht auch nicht der geringste Zweifel daran, daß auch die nachfolgenden Generationen in ihren Bann gezogen werden.

(Deutsch von John B. Motzkuhn)

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