02.11.2025

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Taiwanische Comics auf dem Vormarsch

01.02.2009
Yi Huans Göttliche Melodie wurde 2003 mit dem Graphic Novel Award geehrt. Es folgten Fortsetzungen, im April 2008 erschien das achte und letzte Buch der Serie. (Foto: Courtesy Tong Li Publishing Co.)

Die Regierung fördert das einheimische Comic-Gewerbe mit dem jährlich vergebenen Preis Graphic Novel Awards.

Im Jahre 2003 rief das Regierungsinformationsamt der Republik China (Government Information Office, GIO) den Comicpreis „Graphic Novel Awards“, zu deutsch Preis für grafische Romane, ins Leben, um einheimische Comicautoren zu ermutigen. Bei der jährlichen Veranstaltung werden bis zu zehn Comic-Geschichten, die lang genug für ein Buch sind, für den mit bis zu 700 000 NT$ (16 600 Euro) dotierten Preis ausgewählt. Es ist der einzige Preis des Landes, der längere Comicromane auszeichnet, wogegen es nach Auskunft der GIO-Abteilung für Publikationen, welche die Veranstaltung plant und organisiert, schon viele andere Preise für Comic-Kurzgeschichten, Comic-Strips und einzelne Zeichnungen gibt.

„Der Schwerpunkt des Preises liegt auf der Handlung und ihrem Potenzial, in anderen Medien adaptiert zu werden“, erläutert GIO-Abteilungsleiter Jason Jan-chun Cherng. Nach seinen Worten erkennt die Regierung Japans Erfolge bei der Entwicklung von Comic-Büchern zu Zeichentrickfilmen und einer breiten Palette von damit zusammenhängenden Produkten an, und sie kam zu dem Schluss, dass Comic-Bücher ein wichtiges Quellenmaterial für kulturschaffende Gewerbe und Gewerbe digitaler Inhalte geworden sind.

Trotz der derzeitigen Übersättigung durch japanische Titel auf dem inländischen Comicbuchmarkt waren von den vierziger bis zu den frühen sechziger Jahren im Inland geschaffene Comics hier der große Renner. Populäre Comicfiguren aus jenem „goldenen Zeitalter“, zum Beispiel Kleiner Held von Ye Hung-chia, Onkel Ochse von Niu Ke und Bruder Asan von Liu Hsing-chin, gehören heute zu den liebgewonnenen Erinnerungen vieler Taiwaner mittleren Alters. „Damals war Comics lesen ein beliebtes Freizeitvergnügen“, rekapituliert Vicky Su, Vorsitzende der Taiwan Animation and Comic Promoting Association. „Bekannte Zeichner hatten meist mehrere Assistenten und produzierten jeden Monat über 40 Seiten Comics. Die Vitalität des einheimischen Comic-Gewerbes zu jener Zeit stand Japan in keiner Weise nach.“

Diese glückliche Zeit endete im Jahre 1962, als die Regierung alle Comics-Neuerscheinungen einer obligatorischen Zensur unterwarf. Die peniblen Bestimmungen der Zensurbehörde untersagten alle Comics, die als im Widerspruch zu Regierungspolitik und —dekreten betrachtet wurden, die Ethik und Moral untergruben, möglicherweise soziale Unruhe schürten, die körperliche oder geistige Gesundheit von Minderjährigen schädigten, Aberglauben förderten oder sonstwie negative Auswirkungen auf die Gesellschaft haben könnten. Ein sprechender Hund zum Beispiel war unzulässig, da er „nicht dem wirklichen Leben entsprach“, und Figuren wie Hexen wurden gleichfalls verworfen, weil sie „den Geist der Menschen verwirrten“, enthüllt Su. „Wenn ein Verlagsgewerbe auf solche Weise unter Druck gesetzt wird, kann man es als tot ansehen“, kommentiert sie.

Viele Cartoon-Zeichner fühlten, dass ihre Kreativität durch diese Politik stranguliert wurde, und fuhren die Menge des von ihnen produzierten Materials drastisch zurück oder sattelten ganz auf eine andere Laufbahn um. Die Zahl der mit Bitte um Genehmigung an die staatlichen Zensoren geschickten Comic-Bücher sank von fast 3000 im Jahre 1967 auf etwas mehr als 400 Mitte der siebziger Jahre.

Unter solchen Bedingungen suchten manche Verleger nach Wegen, Kosten zu senken, aus Sorge, ein vollendetes Werk könnte der Prüfung durch die Zensoren nicht standhalten. In den zahlreichen in Japan geschaffenen Comics fanden sie eine Lösung, zumal Gesetze zum Urheberrecht damals in Taiwan nicht streng umgesetzt wurden. Man begann, Raubversionen japanischer Comics einzureichen, die man neu gezeichnet und ins Chinesische übersetzt hatte, denn die Kosten dafür waren erheblich niedriger, als wenn man einen einheimischen Cartoonisten beauftragte, ein komplett neues Werk zu schaffen. Nun begannen japanische Comic-Bücher in großer Zahl auf den Markt zu strömen, und seitdem dominieren sie den Verkauf im Inland.


 

Schatten des Traumes von Sheau-giun erhielt im Jahre 2004 den Graphic Novel Award. Die Serie wurde mit dem Erscheinen ihres fünften Buches im Jahre 2007 abgeschlossen. (Foto: Courtesy Tong Li Publishing Co.)

Szenenwechsel

Trotz der anhaltenden Beliebtheit japanischer Comics seit den siebziger Jahren gab und gibt es für taiwanische Comic-Künstler Erfolgsnischen, die sich aus Veränderungen im lokalen Milieu ergaben. Die Zensur für Comic-Bücher wurde 1987 mehrere Monate nach der Aufhebung des Kriegsrechts abgeschafft, und 1992 wurden durch Änderungen im Urheberrechtsgesetz Klauseln für übersetzte Werke hinzugefügt, ebenso höhere Strafen für Gesetzesbrecher. Diese Veränderungen und Druck aus den USA, die Taiwan im Jahre 1993 auf die Beobachtungsliste „Special 301 Priority Watch List“ für Urheberrechtsverletzungen setzten, bewogen die Regierung, gegen illegale Raubkopien japanischer Titel vorzugehen. Ebenfalls im Jahre 1993 wurde das Verbot für neue Zeitungen aufgehoben, was den Raum für die Veröffentlichung von Comic-Kunst erweiterte.

Es war eine interessante Wendung, dass japanische Verleger, als einheimische Verleger sich um Lizenzen von Werken aus Japan bemühten, sich zunächst weigerten, die Rechte zu gewähren. Nach dem Erfolg der abgekupferten japanischen Geschichten wurden die Comics in Teilen der taiwanischen Gesellschaft als Form „kultureller Invasion“ betrachtet, obwohl die japanischen Verleger keine Kontrolle über die schwarz produzierten Werke hatten. Verleger in Japan befürchteten, einen weiteren Rückschlag zu riskieren, wenn sie die Verwendung japanischer Comics genehmigten, doch am Ende wurde eine Einigung erzielt – die Japaner beharrten darauf, dass die japanischen Geschichten mit einheimischen Cartoon-Werken ergänzt werden sollten, und zwar im Verhältnis eine taiwanische Geschichte zu drei Geschichten aus Japan. Taiwanische Comics erwachten wieder zum Leben und erfreuten sich von Anfang bis Mitte der neunziger Jahre einer kurzen Renaissance, bekannte Werke jener Zeit waren Young Guns (Titel im Original Englisch) von Lin Cheng-de und Rosa Damen von Zhu De-yong.

Vicky Su meint, zwar hätten einheimische Cartoonisten damals einige beeindruckende Werke vorgelegt, doch gab es nicht genug neuen Nachwuchs, um die Erfolgsphase weiterzuführen. Die Folge war, dass die importierten japanischen Comics sich weiterhin besser verkauften als die im Inland geschaffenen Werke. Heute sind rund 95 Prozent der von Taiwans größtem Comic-Verlag Tong Li Publishing Co. vermarkteten Bücher aus Japan importiert, und bei den Titeln eines anderen großen Comic-Verlages, Sharp Point Press, verhält es sich ebenso. Die Menschen haben sich an die japanische Präsentation und ihre Stile beim Zeichnen gewöhnt, interpretiert Su, und man verlangt sogar von einheimischen Zeichnern ähnliche Entwürfe.

Um das einheimische Comic-Gewerbe wieder auf Vordermann zu bringen, hält Jason Cherng es für wichtig, dass die Regierung sich einschaltet. Laut Cherng unterstützt seine Abteilung das Gewerbe mit Preisen für neue Comic-Talente, etwa beim jährlichen Graphic Novel Awards, außerdem gibt es Zuschüsse für Comic-Kongresse und für Comic-Zeitschriften, die im Inland geschaffene Comics in Serie abdrucken, und überdies wird auf internationalen Buchmessen für einheimische Comic-Bücher geworben. Dieses Jahr waren unter diesen Finanzspritzen monatliche Überweisungen in Höhe von 300 000 NT$ (7142 Euro) an die zwei Comic-Monatszeitschriften Dragon Youth Comic und Bingo Comic Monthly.

Sowohl Cherng als auch Vicky Su, die mehrere Male als Jurorin beim Graphic Novel Awards fungierte, sehen den Kern eines guten Comicbuches in einer guten Handlung und wie die Handlung erzählt wird. Su lobt die Versuche der Regierung, das einheimische Comicgewerbe zu stärken, und auch den Schwerpunkt der Preisveranstaltungen, gute Geschichten zu entdecken, und nach ihren Worten ist eine starke Geschichte viel wichtiger als gutes Können beim Zeichnen. „Eine tief bewegende Handlung ist bei einem Comic-Werk das Wichtigste“, definiert sie. „Dann kann sie in verschiedenen Formen ausgedrückt werden und in unterschiedlichen Bereichen Erfolg haben.“

Su beglückwünscht die Organisatoren auch zu ihrer „offenen Einstellung“, weil mit dem Preis nicht versucht wird, den starken japanischen Einfluss auf die einheimische Comic-Kunst zu eliminieren. Vielmehr erlaubt man den Cartoonisten, sich ihren erwünschten Stil auszuwählen, um ihre Geschichte zu erzählen. „Bei den Preisen geht es wirklich um das Potenzial der Geschichte und ob sie so viele Leser wie möglich ansprechen kann“, findet sie. Die meisten Zeichner in der aktuellen Cartoonisten-Generation sind mit dem Lesen und Nachahmen japanischer Comics aufgewachsen, weiß Su, doch sie ist nicht besorgt, dass unter solchen Voraussetzungen produzierte Werke eventuell ihre „taiwanische“ Identität verlieren könnten. Solange ein einheimischer Cartoonist den Comic zeichnet, ist das Werk „taiwanisch“, auch wenn der Illustrationsstil sehr japanisch ausschauen mag, so Su. Sie ergänzt, aufgrund der Hintergrundgeschichte, den Dialogen zwischen den Figuren und der Verwendung lokaler Phrasen wären die Leser in der Lage zu erkennen, ob ein Comic im Inland geschaffen worden sei.

 

Die Comic-Zeitschrift Dragon Youth Comic, die in Taiwan geschaffene Comics in Serie abdruckt, erhält jeden Monat einen Zuschuss vom Staat. (Foto: Chang Su-ching)

Blumige Worte

Unter den ausgezeichneten Werken, die Su bei früheren Wettbewerben durchgesehen hat, war sie am meisten beeindruckt von dem von Yeh Nai-tzu gezeichneten Comic-Roman Geschichte der Blumenstadt, dessen Handlung in der Gemeinde Puli im Landkreis Nantou nach dem verheerenden Erdbeben stattfindet, das die Region am 21. September 1999 heimsuchte. Es geht darin um die Geschichte zwei junger Leute, die nach dem Erdbeben die Schnittblumenfarm ihrer jeweiligen Familie übernehmen; einer wandelt seinen Besitz in eine Erholungsfarm um, die andere bleibt beim traditionellen Anbau und Verkauf von frischen Blumen. „Die Geschichte thematisiert einen Konflikt, als das alte Gewerbe mit einem modernen Trend kollidiert, hat aber auch eine romantische Seite, welche die Leser gern bei den beiden Hauptgestalten sehen“, beschreibt Su.

Yeh selbst sagt, sie fühlte sich bestärkt, als ihre Arbeit zu einem der Sieger des Graphic Novel Awards 2005 erklärt wurde, doch was einheimische Cartoonisten am meisten bräuchten, wären Wege, ihre Werke laufend zu präsentieren. Zu diesem Zweck werden Preisträger verpflichtet, einen Teil ihres Preisgeldes dazu zu benutzen, einen Druck der ausgezeichneten Werke zu finanzieren. Obwohl laut Yeh das Preisgeld mehr als ausreichend dafür ist, die Druckkosten zu tragen, ist der Vertrieb für die Künstler eine viel größere Herausforderung. „Im Allgemeinen ist es recht schwierig für einen neuen Cartoonisten, einen Verleger zu finden, der bereit ist, seine Werke zu drucken und zu vertreiben“, enthüllt sie.

Luke Chen ist der Chefredakteur der Comicabteilung von Sharp Point Press, und er bestätigt Yehs Argument, dass neue Künstler mehr Unterstützung brauchen als nur Geld. Laut Chen, der bei früheren Wettbewerben gleichfalls Preisrichter war, werden zum Graphic Novel Awards manche atemberaubenden Beiträge eingereicht, doch auf lange Sicht leistet die Veranstaltung nur wenig, Comic-Künstler heranzubilden. Konstruktive Kritik ist ebenfalls eine wertvolle Form der Unterstützung. „Ein Verleger gibt den Cartoonisten Resonanz und arbeitet mit ihnen zusammen, um dabei zu helfen, dass ihre Werke auf dem Markt besser akzeptiert werden“, legt Chen dar. Im Kontrast dazu beschränken sich die Kommentare der Juroren beim Graphic Novel Awards auf wenige Worte, wenn die Sieger verkündet werden, so Chen.

Jason Cherng räumt ein, es gebe für die Organisatoren bei der Veranstaltung noch Spielraum für Verbesserungen, doch er hofft, dass der Preis sich zu einem einflussreichen Ereignis in dem Gewerbe entwickeln möge. Er fügt hinzu, die Organisatoren haben vor, die Bekanntheit der siegreichen Comic-Bücher durch Werbung bei internationalen Buchmessen und anderen Veranstaltungen zu erhöhen, und es gibt auch den Vorschlag, das Werk des Gewinners als Serie in Comic-Zeitschriften zu veröffentlichen. Wenn ausreichende Finanzierung verfügbar ist, könnte man in Zukunft unter anderem Kurse zur Bildung und Schulung für jene planen, die sich dafür interessieren, Comic-Künstler zu werden.

Der wichtigste Ansatz – einen großen Geldpreis zu bieten, um Cartoonisten zu ermutigen und die Kosten zum Veröffentlichen ihrer Werke zu decken – könnte in Vicky Sus Augen ein wenig zu stark vereinfachend erscheinen, doch sie lobt die Regierung für ihre Versuche, das einheimische Comic-Gewerbe zu stärken. Hinweisend auf die Zeit der Zensur, welche indirekt die Flut japanischer Comics in Taiwan zur Folge hatte, meint Su, das einheimische Comic-Gewerbe verpasste eine Gelegenheit, einen eigenen Stil und eine eigene Identität zu entwickeln, deswegen ist die Unterstützung durch den Staat heute dringend nötig. „Die Preise sind eine Gelegenheit für einen neuen Cartoonisten“, glaubt sie. „Wenn er oder sie Talent hat, werden Verleger willens sein, ihre zukünftigen Arbeiten zu unterstützen.“ Vielleicht haben die Preise bislang noch nicht die wesentlichen Auswirkungen gezeitigt wie erhofft, doch Jason Cherng, der selbst gern Comics liest, hält es für lohnenswert, dass die Regierung in Comics investiert. Cherng: „Es ist wichtig für uns, jungen Leuten, die davon träumen, Comicbuch-Künstler zu werden, und die auf den Tag warten, an dem ihr Traum Wirklichkeit werden kann, weiter Anreize zu bieten.“

(Deutsch von Tilman Aretz)

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