Schweizer Schokolade, Kona-Kaffee, guter französischer Rotwein... So mancher Ausflug ins Ausland bleibt durch kulinarische Erinnerungen besonders gut im Gedächtnis haften. Doch was könnte man sich denn als Mitbringsel wünschen, wenn ein Freund oder eine Bekannte nach Taiwan reist? Wenn die Reise auch nach Taichung führt, fällt die Antwort nicht schwer: Eine Schachtel flockiger "Sonnenkuchen"(太陽餅) mit viel Zucker. Man kann kaum nach Taichung fahren, ohne diese schmackhafte Teigzubereitung einmal zu probieren, denn an der Chungkang Road zwischen der Nord-Süd-Autobahn und der Innenstadt lauern ganze Horden von Verkäufern in ihren Läden. Viele Touristen erwerben dort diese Delikatesse, durch die sich ein Besuch in Zentraltaiwan erst richtig lohnt. Mit ihrer mürben Teighülle und der saftigen Malzzuckerfüllung sind Sonnenkuchen seit langem ein Synonym für Taichung und mittlerweile so beliebt geworden, dass sie auch in allen Fernzügen der Insel verkauft werden.
Ein anderes typisches Lokalgebäck ist der tsai-tao-Kuchen, mit dem sich Besucher der historischen Kleinstadt Lukang im Kreis Changhua bei Taichung stärken können. Es handelt sich dabei aber eigentlich gar nicht um einen Kuchen, sondern um eine fritierte Pastete mit feingehackten Rüben. Es gibt auch süße Variationen mit Taro-Brei und roten Bohnen, aber die werden ebenfalls tsai-tao-Kuchen genannt, weil dieses Wort im taiwanischen Dialekt auch die Bedeutung "Glück" hat.
Andere Backwaren haben keinen besonderen lokalen Bezug, dafür aber witzige Namen wie "Ehefrauen-Kuchen"(老婆餅) oder der (weniger beliebte) "Ehemann-Kuchen"(老公餅). Beide sind flach und mit klebrigem Reis gefüllt. Ehefrauen-Kuchen sind süß, wogegen die Ehemänner-Kuchen sowohl süß als auch würzig sind, weil Knoblauch ein wesentlicher Bestandteil ihrer Füllung ist.
Das vielleicht beliebteste Ganzjahresgebäck sind die kleinen Ananas-Kuchen(鳳梨酥). Nach Auskunft von Her Cheng-hsiung, einem 29-jährigen Konditor, der auch zwei Jahre in der festlandchinesischen Stadt Nanjing (Provinz Jiangsu) arbeitete, kann man die Ananas-Kuchen zu den wenigen traditionellen Backwaren zählen, die wahrhaftig in Taiwan erfunden wurden. "Das meiste in Taiwan verbreitete Backwerk stammt ursprünglich vom Festland, besonders die Zubereitungen mit flockiger Oberfläche", charakterisiert er. "Die Ananas-Kuchen mit ihrer weichen Teighülle findet man aber nur in Taiwan. Die waren auf dem Festland unbekannt, bis wir Taiwaner sie dort einführten und den Chinesen zeigten, wie man sie herstellt." Dass die Ananas-Kuchen in Taiwan erfunden wurden, ist nicht verwunderlich, denn der Südteil der Insel ist reich an tropischen Früchten. Laut Her wird die Ananasfüllung heute aber weitgehend durch feingehackte Wachskürbisse ersetzt, denn der Er satz ist nicht so grobfaserig wie Ananas und außerdem billiger. Der Name wurde jedoch aus Aberglauben beibehalten: Im taiwanischen Dialekt hat das Wort "Ananas" nämlich den gleichen Klang wie ein anderes Wort für "Glück"(旺來).

Her ist nicht nur praktizierender Konditor, sondern weiht auch an der Chinese Culture University überseechinesische Studenten in die hohe Kunst der Feinbäckerei ein. Nach seinen Worten sind die beliebtesten Backwaren der Insel heute Sonnen-Kuchen, Ehefrauen-Kuchen, Ananas-Kuchen und Eidotter-Kuchen. Letztere sind kleine Teilchen in der Form eines flachen Bällchens, ebenfalls typisch taiwanisch und mit pürierten Datteln oder roten Bohnen sowie einem ganzen, salzigen Eigelb gefüllt. Diese köstlichen Teigwaren verkaufen sich allerdings lange nicht so gut wie das außerordentlich lukrative Verlobungsgebäck(訂婚禮餅).
In der chinesischen Gesellschaft werden Verlobungen und die dazugehörigen Gebräuche seit alters her immer sehr ernst genommen. So muss beispielsweise der Bräutigam den Freunden und Verwandten seiner Zukünftigen teure Backwaren in Hülle und Fülle anbieten. "Früher war es Brauch, eine Verlobung durch die Gabe von Nahrungsmitteln an die Familie und Freunde anzukündigen", beschreibt Chen Mei-hui, Lehrerin an der Abteilung für Hauswirtschaft an der Chinese Culture University. Trotz vielfältiger moderner Kommunikationsmöglichkeiten wie Handy und E-Mail ist diese Sitte auch heute noch lebendig, nicht nur in ländlichen Gebieten, sondern auch in den Ballungsräumen.
Verlobungskuchen gibt es je nach Herstellungsort in verschiedenen Formen und Größen. Die südtaiwanischen Verlobungskuchen sind in der Regel eher groß und rechteckig, während die aus Nordtaiwan meist kleiner und rund sind. Eine ähnliche Vielfalt herrscht bei den Füllungen: manchmal süß, etwa mit pürierten Datteln oder roten Bohnen, manchmal würzig mit einer Mischung aus feingehacktem Schweinefleisch oder Wachskürbis. Laut Her Cheng-hsiung hacken die nordtaiwanischen Konditoren das Schweinefleisch und die Kürbisse sehr fein, während man im Süden die salzige Füllung traditionellerweise in etwas gröberer Konsistenz zubereitet. Das findet bei den jüngeren Kunden aber immer weniger Anklang, weil das angeblich einen Nachgeschmack von fettem Schweinefleisch hinterlässt.
Ein Verkaufsschlager sind auch die berühmten Mondkuchen, die gewöhnlich zu besonderen Anlässen gereicht werden. "Mondkuchen können unglaublich viel Geld einbringen", verrät Chen Mei-hui. In der Zeit des Mittherbstfestes (das auch Mondfest genannt wird und am 15. Tag des achten Mondkalendermonats stattfindet, im Jahr 2000 am 12. September) wetteifern die einheimischen Konditoreien bei der Werbung für ihre Spezialrezepte miteinander. "Wenn in einem Geschäft die Mondkuchen gut laufen, bedeutet das, dass der Laden ein gutes Jahr vor sich hat", erzählt Chen.

Hartholz-Kuchenformen wie diese werden heute kaum noch professionell verwendet, sondern zieren die Regale von Sammlern und Liebhabern. (Chang Su-ching)
Auch hier scheint der Vielfalt keine Grenze gesetzt zu sein. Die "guang-Stil"-Kuchen(廣式月餅) mit ihrer weichen Teighülle stammen ursprünglich aus den südchinesischen Provinzen Guangdong und Guangxi, während die Rezepte der "su-Stil"-Kuchen(蘇式月餅) mit ihrer flockigen Kruste in den Provinzen Jiangsu und Zhejiang erdacht wurden. Es gibt auch typisch taiwanische Mondkuchenvariationen, etwa der vor allem in Zentraltaiwan gebackene Grüne-Bohnen-Kuchen. Der nach seinem Herkunftsort in Südtaiwan benannte Fengyuan-Mondkuchen ist mit einer Mischung aus pürierten grünen Bohnen und Schweinefleisch gefüllt, manchmal auch nur mit pürierten grünen Bohnen. Dieses Produkt ist das ganze Jahr über im Handel.
Trotz der Verwestlichung verlieren Mondkuchen für die Menschen in Taiwan offenbar nie ihren Reiz. Für viele ältere Menschen sind manche der anderen früher beliebten Teig-Delikatessen heute aber nur noch eine verblassende Erinnerung. Backwaren mit den Namen "Rote Schildkröte"(紅龜糕) oder "Mehlschildkröte"(麵龜) findet man heute nur noch zu ganz besonderen Anlässen wie Zeremonien zu Ehren der Götter oder Ahnen, zu Geburtstagen, Hochzeitsbanketts oder anderen Festen, und dann auch fast nur auf dem Land. "Rote Schildkröten" sind aus klebrigem Reis, "Mehlschildkröten" auf Mehlgrundlage zubereitet.
Kuo Ching-yuan ist geschäftsführender Direktor der Lebensmittelfirma Kuo Yuan Ye Foods Co., die schon seit 1867 traditionelle chinesische und taiwanische Kuchen produziert und verkauft und angeblich auch den Eidotter-Kuchen erfand. Wegen der Familienerfahrung im Hintergrund weiß Kuo, wieso manche Backwaren beim Verbraucher in Ungnade fielen und warum manche Evergreens sind.
Beispiel bito(必桃) und moho(毛ㄏㄛ). Diese aus Mehl zubereiteten Kuchen werden nur zu den Zeremonien am 15. Tag des siebenten Mondkalendermonats kredenzt, also in der Mitte des Geistermonats, wenn der Legende zufolge die Geister der Verstorbenen vier Wochen lang Urlaub im Diesseits machen dürfen. Natürlich müssen die Toten bewirtet werden, und dem Volksglauben nach finden sie Gefallen an einer breiten Auswahl von Speisen, darunter Huhn, Fisch und selbstverständlich Kuchen. Dieser Feiertag wird heute noch überall in Taiwan begangen, aber bito- und moho-Kuchen sieht man kaum mehr, außer bei der alljährlich in der nordtaiwanischen Hafenstadt Keelung veranstalteten öffentlichen Zeremonie zur Ehrung und Besänftigung der Toten.

Turmkuchen(餅塔) gehören ebenfalls zu den mittlerweile fast völlig verschwundenen Traditionen. Die zylindrischen, aus klebrigem Reis zubereiteten Teigwaren durften früher zu keiner Beerdigung fehlen und wurden zu übermannshohen pyramidenartigen Stapeln aufgeschichtet. Heute türmt man statt dessen Konservendosen, die sich länger halten als die Turmkuchen und außerdem leichter beschafft werden können.
Doch nicht nur die Nahrungsmittel schweben in der Gefahr, der Vergessenheit anheim zu fallen. Im Zeitalter der Automatisierung werden auch die hölzernen Formen bei der Kuchenherstellung immer seltener verwendet und schmücken allenfalls die Regale von Liebhabern und Antiquitätensammlern. Die Firma Kuo Yuan Ye Foods Co. hat sogar ein kleines Museum mit alten Formen und anderem Krimskrams zur Herstellung traditioneller Kuchen eingerichtet. Nach Auskunft von Kuo Ching-yuan schnitzte man diese Formen überwiegend aus beständigem Hartholz, da sie in einer geschäftigen Küche stets stark beansprucht wurden. Bei vielen Formen sind als Muster chinesische Schriftzeichen oder komplizierte Motive ins Holz eingraviert, die dann die Oberseite des fertigen Kuchens zierten. Das Schriftzeichen für "Doppelte Glückseligkeit"(囍) erscheint sehr häufig, ebenso Drachen-und-Phönix-Muster auf Verlobungskuchen.
Wie viele andere Nahrungsmittel sind auch Kuchen ein Spielball der Schwankungen des vorherrschenden Geschmackes und gesundheitlicher Erwägungen. "Änderungen im gesellschaftlichen Umfeld haben zweifellos Auswirkungen auf die Essgewohnheiten", glaubt Chen Mei-hui. Aufgrund des Bedeutungsverlusts von Traditionen wird bei Riten und Zeremonien verwendetes Gebäck zunehmend von maschinell produzierten Keksen und anderen Ersatzprodukten verdrängt. Gleichzeitig gibt es in der reicheren und pluralistischeren Gesellschaft auch eine größere Auswahl von Nahrungsmitteln, darunter Hamburger, Vollkornbrot, cremige Nachspeisen und andere Neuerungen aus dem Westen. Im heutigen Taiwan beschränken nur noch wenige Geschäfte sich auf den Verkauf traditionellen Gebäcks, und selbst die Firma Kuo Yuan Ye Foods mit über vierzig Filialen auf der ganzen Insel bietet unter anderem auch eine breite Palette westlicher Delikatessen an.
Typisch für den gegenwärtigen Trend ist Chiang Min-tzu, Inhaber einer vor achtzig Jahren gegründeten Konditorei in Taichung. Der Laden verkaufte zuerst nur traditionelle Waren wie Grüne-Bohnen-Kuchen, nahm aber später auch westliche Nahrungsmittel wie Brot und Kekse in sein Sortiment auf. Bei einer Verlobung oder vor dem Mittherbstfest kommt aber wieder die chinesische Backkunst voll zum Zuge.

Aus Sorge vor zu hohem Cholesteringehalt verwenden viele Konditoren statt eines ganzen Eidotters lieber Kumquat. Trotzdem sind und bleiben Mondkuchen wahre Kalorienbomben.
"Traditionelle Kuchen sind oft fettig und sehr süß", beschreibt Chiang und bemerkt, dass Speisen mit viel Zucker wegen ihrer guten Haltbarkeit sehr beliebt waren. Heute kommt es nicht mehr jedem darauf an, deshalb werden die Teige mit weniger Zucker angerührt. In manchen Fällen wie etwa den Sonnenkuchen wird das früher allseits verwendete Schweineschmalz zunehmend durch drei Mal teurere Butter ersetzt. In westlichen Augen ist der Unterschied zwischen den beiden Substanzen nicht sonderlich groß, aber im "traditionelleren" Süden kann sich Schweineschmalz besser behaupten als in gesundheitsbewussteren nordtaiwanischen Städten wie Taipeh.
Übergewicht und andere Gesundheitsfragen sind in Taiwan ebenso aktuell geworden wie im Westen. Die Folge ist eine erhöhte Nachfrage nach kalorienarmen Nahrungsmitteln und organischen Produkten. Das Schönheitsideal ist ein schlanker, harmonischer Körper, und viele Menschen streben nach einer gesunderen Lebensweise. Es gibt immer mehr Vegetarier, was sicher nicht schlecht ist; weniger gut ist die schnell wachsende Zahl von Diabetikern.
Her Cheng-hsiung schenkte diesem aktuellen Thema immer viel Aufmerksamkeit und begann vergangenes Jahr, bei Mondkuchen den normalerweise verwendeten Zucker gegen ein Proteinprodukt auszutauschen, das zwar viel weniger Su crose enthält, dafür aber acht Mal so teuer ist wie raffinierter Zucker. Am Anfang blieb das neue, aber teure Produkt in den Regalen liegen, und Her zerbrach sich den Kopf über die geringere Haltbarkeit von Gebäck mit niedrigerem Zuckergehalt. Doch dank Flüsterpropaganda wendete sich das Blatt, und Her konnte schließlich alle seine "gesunden" Mondkuchen locker an den Mann bringen.
Her beschloss auch die Vermarktung eines Mondkuchens mit einer Füllung aus pürierten roten Bohnen mit Kräutersaft. Manche Konditoren fügen der Füllung heute auch Ginseng hinzu, eine Reaktion auf die Beliebtheit dieses Allheilmittels, andere veredeln die Füllung mit grünem Tee, der Krebs verhüten helfen soll. Viele Verbraucher machen sich auch Gedanken über den Cholesteringehalt von Eigelb, denn manche Mondkuchen enthalten einen ganzen Eidotter. Einige Konditoreien verwenden statt dessen Kumquat, die in Farbe und Größe dem Eigelb ähnelt.
Eine weitere Änderung ergab sich aus der Tatsache, dass die Menschen einfach nicht mehr so viel essen wie früher: Die Mondkuchen werden kleiner. "Das reflektiert Taiwans sozialen Wandel", deutet Chen Mei-hui. "Die Familien sind heutzutage kleiner, also braucht man keine so großen Mondkuchen mehr."
Die Unternehmen geben bereitwillig viel Geld für die Entwicklung neuer Mond- und Verlobungskuchen aus, weil diese einen so großen Marktanteil haben. Bei manchen neuen Mondkuchen-Produkten treibt die Experimentierfreude jedoch seltsame Blüten -- beigefügt werden Importstoffe wie Rotwein, Kaffee, Schokolade, Ahornsirup und sogar die beliebte, aber wenig appetitlich riechende Durian-Frucht. Auch die äußere Erscheinung ändert sich: Manche Leute kündigen ihre Verlobung immer noch mit großen, runden Verlobungskuchen an, aber immer mehr Menschen bevorzugen einen Geschenkkarton mit hübsch verpackten westlichen Keksen und Leckereien. Wer sich nicht zwischen östlichem und westlichem Verlobungsgebäck entscheiden kann, darf beides auch zu einer geschmackvollen und köstlichen Anordnung kombinieren.
"Wir müssen uns anpassen", konstatiert Her Cheng-hsiung. "Es ist ja nicht so leicht, ein Produkt über einen langen Zeitraum mit gleichbleibendem Erfolg zu verkaufen." Sogar die Firma Kuo Yuan Ye Foods hat sich dem Motto "30 Prozent traditionell, 70 Prozent modern" verschrieben. Das scheint die richtige Richtung zu sein, denn viele der Renner sind Variationen alter Themen, zum Beispiel "Ananas-Kuchen" mit einer Füllung aus püriertem Obst und Gemüse. "Wandel ist unvermeidlich, und die Variationen von heute werden die Traditionen von morgen", philosophiert Chen Mei-hui achselzuckend. Bito und moho sind bei den meisten Menschen schon in Vergessenheit geraten, aber der Sonnen-Kuchen, Mond-Kuchen und Ananas-Kuchen dürfen hoffen -- zumindest, wenn Taiwans Zuckerbäcker neue Wege finden, die immer wählerischer werdenden Gaumen der Insel zu verwöhnen.