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Ein Karneval aus Bild und Ton

28.04.2004
Zum ersten eigens für Kinder konzipierten Filmfest in Taiwan kamen über 30 000 Besucher, weit mehr als von den Organisatoren erwartet. (Foto: Huang Chung-hsin)

Auf dem Internationalen Kinderfernseh- & -filmfestival Taiwan, das im Januar dieses Jahres in Taipeh stattfand, erforschten über 30 000 Kinder und Erwachsene die Welt der Kinderfilme und -Fernsehprogramme.

"Kinder sind die Hoffnung der gesamten Menschheit, und hochwertiges Fernsehen und Filme können sie positiv beeinflussen", erklärte Huang Hwei-chen(黃輝珍), Generaldirektor des Regierungsinformationsamtes (Government Information Office, GIO) der Republik China und Ehrenvorsitzender des Internationalen Kinderfernseh- & -filmfestivals Taiwan, in seiner Ansprache bei der Eröffnungszeremonie des Festivals, das im Januar stattfand. "Die Vorführungen der kommenden fünf Tage werden sehr vielfältig sein und für Kinder wie Erwachsene eine Bereicherung darstellen", versicherte der Festivalsvorsitzende Wu Feng-shan. Wu ist außerdem Vorsitzender der öffentlichen Fernsehstiftung PTS (Public Television Service Foundation), die ungefähr ein Jahr lang mit dem GIO, den privaten Kultur- und Bildungsstiftungen Fubon Cultural and Educational Foundation und TSMC Education and Culture Foundation sowie der Fu Sheng-Gruppe zusammengearbeitet hatte, um das Festival fristgerecht ausrichten zu können.

Zwischen dem 9. und dem 13. Januar ging es den Veranstaltern darum, die Produktionen herausragender Fernsehprogramme und Filme für Kinder zu würdigen und zu belohnen und außerdem kreative, interessante Arbeiten zu fördern, welche den Horizont der Kinder erweitern und ihnen andere kulturelle Perspektiven zeigen. Alle 2002 und 2003 für Kinder produzierten Fernsehprogramme und Filme waren zur Teilnahme zugelassen. Den Regisseuren oder Produzenten, die in den Kategorien Beste dramatische Vorstellung, Bester Dokumentarfilm, Bester Zeichentrickfilm, Bestes Fernsehprogramm und Sonderpreis der Jury zum Sieger gekürt werden sollten, winkten eine Trophäe und ein Geldpreis in Höhe von 4000 US$.

Auf dem im Jugendzentrum Taipeh veranstalteten Festival wurden 94 Spiel- und Kurzfilme aus 30 Ländern gezeigt, darunter Deutschland, Israel, Irak, Neuseeland und Russland sowie viele andere Länder in Westeuropa, Nordamerika und Asien. Der Eröffnungsfilm war der Film 4 Freunde & 4 Pfoten, eine deutsche Produktion unter der Regie von Gabriele Heberling (* 1957), gefolgt von Bibi Blocksberg, ein thematisch an Harry Potter erinnernder deutscher Film unter der Regie von Hermine Huntgeburth (* 1957).

In den folgenden vier Tagen konnten Filmfreunde aus einer Vielzahl von Filmen auswählen, die in den beiden Filmtheatern im Jugendzentrum gezeigt wurden. Zur Überbrückung der Sprachbarriere wurden die ausländischen Filme mit chinesischen Untertiteln versehen, und manche der Filme und Programme wurden später im Fernsehkanal der PTS ausgestrahlt und erreichten damit ein noch größeres Publikum.

Zur Ergänzung der Vorführungen in den Kinosälen wurden im Jugendzentrum noch drei Pavillons für interaktive Veranstaltungen aufgebaut, wo sich die Kinder zwischen den Vorstellungen die Zeit vertreiben konnten. "Wir wollten, dass die Besucher Spaß wie bei einem Karneval haben", meint Angelika Wang, eine der Hauptplanerinnen des Festivals. In den Pavillons konnten die Kinder Filmproduktion, Schauspielerei, Filmbearbeitung und TV-Produktion in dem von der Ifkids Theatre Company angebotenen Kinostudio erleben. Auch konnten sie sich durch Zeichnen oder Spielen mit Knetmasse am Animationspunkt, den das Ecole Amusant aufgebaut hatte, an eigenen Trickfilmen versuchen. In einem anderen Pavillon forderte man die Kinder auf, mit ausländischen Kindern im "Deutschen Park" Spiele zu spielen und zu singen und dadurch andere Kinderkulturen zu erleben. Bei dem Filmfestival war Deutschland wegen der vielen eingereichten Beiträge und der Beteiligung an der Planung im Laufe des vergangenen Jahres ein besonderer Schwerpunkt, und mehrere Regisseure und Schauspieler aus Deutschland waren eigens zu dem Festival nach Taiwan gereist.

Daneben wurde ein zweitägiges Seminar mit Gelehrten, Experten und Filmfachleuten aus dem In- und Ausland veranstaltet. Gesprochen wurde dabei über die Lage der internationalen Kinderfilm- oder -fernsehproduktion, wie man das Verständnis von Kindern für die Medien verbessern könne sowie über Blicke hinter die Kulissen bei Kinderfilm- und -fernsehproduktionen.

Ein Karneval aus Bild und Ton

Das Kinderfilmfestival im Jugendzentrum Taipeh umfasste Filmvorführungen, einen Wettbewerb, ein Kinderfilmseminar sowie interaktive Veranstaltungen in drei Pavillons. (Foto: Tilman Aretz)

Das Festival war nicht nur ein Ereignis für Kinder, und die Filme waren auch nicht ausschließlich für Kinder gedacht, zum Beispiel der französische Zeichentrickfilm Blues Stories über eine verrückte Welt, in der Kühe immer Menschen retten. Der Regisseur François Roux sagte, man hätte einfach versucht, Geschichten zu erzählen, die einem allgemeinen Publikum gefallen würden, und er war überrascht, zu einem Kinderfilmfestival eingeladen zu werden. Oder der israelische Film Miss Entebbe, Gewinner in der Festivalkategorie Bester Spielfilm: Kinder stehen zwar im Mittelpunkt, aber es geht um politische Konflikte der Erwachsenenwelt.

Die bei dem Festival vorgestellten Filme boten sowohl Kindern als auch Erwachsenen eine Gelegenheit, die Filmwelt in einer Weise zu sehen, die einen stärkeren Bezug von Filmen zu unserem Alltagsleben herstellt. Die PTS rechnete vor dem Festival mit etwa 20 000 Besuchern, doch es kamen über 30 000 Kinder, Eltern und Lehrer, so dass bei den Filmvorführungen oft sogar die Gänge und Stufen besetzt waren, weil die Sitzplätze nicht ausreichten.

Dieser Erfolg kam nicht von ungefähr. Angelika Wang hatte schon im März 2003 mit der Arbeit begonnen. Mit der Planung von Filmfestspielen hat sie viel Erfahrung, die sie unter anderem auch bei Taiwans größtem Filmfest, dem Golden Horse Film Festival, gesammelt hatte, doch für sie (und für Taiwan) war es das erste Kinderfilmfestival. "Wenn man das Golden Horse-Filmfest plant, gibt es nicht so viel Kopfzerbrechen, denn das hat schon viele Male stattgefunden, und wir brauchten uns nur an den gewohnten Ablauf zu halten", berichtet sie. "Das hier war jedoch etwas ganz Neues. Ich musste herausfinden, was Kinder gerne sehen und welche Filme einen pädagogischen Nutzen haben." Wang verbrachte viel Zeit mit der Erforschung ausländischer Kinderfilmfestivals, und so kam sie zu dem Schluss, dass das Festival "kreativ, lustig und multikulturell" sein sollte.

Die Planungsgruppe beschloss außerdem, das Festival als internationalen Wettbewerb auszurichten, und setzte Filmemacher in der ganzen Welt davon in Kenntnis. Innerhalb von zwei Monaten wurden über 200 Produktionen aus 30 Ländern eingereicht. Eine neunköpfige Jury mit Regisseuren, Akademikern, einem Lehrer, einer Journalistin und einem Cartoonzeichner nominierte 30 Produktionen für die internationalen Wettbewerbskategorien. Das Verfahren für die Auswahl der 30 Filme aus über 200 Bewerbungen war zwar voller langwieriger Diskussionen und Debatten, lohnte sich aber. "Durch das Anschauen und Besprechen so vieler Kinderfilme habe ich eine Menge über die Welt der Kinder gelernt", glaubt Tseng Wei-chen, taiwanische Drehbuchautorin und Mitglied der Jury. "Es hat meine Einstellung zum Leben erleuchtet und mir Einsichten für die Erziehung meiner Tochter gebracht, und ich glaube, dass Eltern und Lehrer die Filme nützlich finden werden."

Ein verlockender Teil des Festivals umfasst Filme, die von Kindern unter dem Motto "Kinder als Regisseure" selbst gemacht wurden. Aus dem Ausland wurden sechs Projekte von dem belgischen Filmemacher Jean-Luc Slock präsentiert. Bei einem solchen Projekt reisen Slock und sein belgisches Team Camera Enfants Admis um die Welt, suchen sich eine Gruppe Kinder und wählen ein Thema für einen Film. Un monde pour Tom (Eine Welt für Tom) ist ein Papier-Knetmasse-Trickfilm, geschaffen von 18 Kindern aus aller Welt, und den Trickfilm L'eau, c'est la vie (Das Wasser ist das Leben) schuf Slock mit 40 Kindern aus Burkina Faso. Zusätzlich zu den Filmen, die Kinder aus anderen Ländern gemacht hatten, wollte Angelika Wang aber vor allem etwas sehen, das taiwanische Kinder geschaffen hatten. "Ich wollte unseren Kindern nicht nur Schweinshaxe, Hamburger und Sushi vorsetzen", vergleicht Wang. "Das schmeckt vielleicht gut, aber wir hätten doch gerne eine 'ausgewogene Ernährung', oder nicht?"

Im August letzten Jahres wurden daher mehrere Grundschullehrer zur Teilnahme an einem Schulungskurs aufgefordert, wo sie von mehreren bekannten einheimischen Regisseuren die Grundlagen des Filmemachens erklärt bekamen. Die teilnehmenden Lehrer reichten dann Vorschläge ein und kehrten zu ihren Schulen zurück. Mit Unterstützung professioneller Regisseure ließen die Lehrer ihre Schüler eine Reihe zehnminütiger Kurzfilme drehen und vorführen. Diese Filme nahmen zwar nicht an dem Wettbewerb teil, wurden aber bei dem Festival gezeigt.

Die Resultate waren ermutigend. Die Grundschullehrer und ihre Schüler drehten zehn Heim-Spielfilme, Puppentrickfilme und Dokumentarfilme. Die Schüler hatten alle möglichen interessanten Ideen, Tu Chia-hsien und seine Schüler von der Chung Ho-Grundschule in Keelung machten beispielsweise einen Film mit dem Titel Die Nationalhymne(國歌). Für die Erwachsenen ist die Nationalhymne mehr oder weniger ein Symbol des Nationalstolzes, doch die Kinder filmten ihre Mitschüler beim Singen der Nationalhymne und hielten fest, wie sie sich dabei fühlten. Die Kinder des Ozeans(大海的孩子) unter der Regie von Chang Wen-han mit Schülern von der Yeh Yu-Grundschule auf der Orchideeninsel (Lanyu蘭嶼) zeichnete auf, wie die Schüler dem wasserscheuen Nichtschwimmer Chang beibrachten, das Meer kennen zu lernen, darin einzutauchen und es zu mögen. Am Ende war es hier der Lehrer, der etwas lernte.

Als Planerin des Festivals besichtigte Wang mehrere der Filmprojekte. Als sie Schüler von der Cheng Fu-Grundschule in Taipeh besuchte, während diese den Film Ökologie, Erforschung, mein Traum(生態,探尋,少年夢) drehten, war sie sehr überrascht, wie still die Kinder sein konnten, als sie einen Baumfrosch beobachteten und warteten, dass er hüpfte, oder einem Vogel beim Nestbauen zuschauten. Wang glaubt, dass die Lektion und die Erfahrung, Zeit zu opfern, um einer interessanten Tätigkeit nachzugehen, den Kindern schließlich irgendwann später im Leben von Nutzen sein wird.

Bei der Abschlusszeremonie teilte Staatspräsident Chen Shui-bian(陳水扁) seine eigenen Kindheits-Filmerfahrungen mit dem Publikum und erzählte, er habe erst als Fünftklässler das erste Mal ein Kino von innen gesehen, als er bei einer Prüfung hervorragend abschnitt und der Lehrer ihn zur Belohnung mit ins Kino nahm. Auf der Leinwand lief Ben Hur, doch Chen schlief schon nach nicht einmal fünf Minuten ein. Dieser epische, für ein erwachsenes Publikum gedrehte Film war zwar 1960 mit nicht weniger als elf Oscars ausgezeichnet worden, vermag aber die Aufmerksamkeit von Kindern offenbar nicht ausreichend zu fesseln. Beim Internationalen Kinderfernseh- & -filmfestival Taiwan wurden jedoch genau die richtigen Streifen abgespult, bei denen die Kinder vor Behagen nicht mehr still sitzen konnten, wie gebannt auf die Leinwand starrten und das Geschehen mit Gelächter, Traurigkeit und vielleicht auch Vorfreude auf den nächsten Karneval aus Bild und Ton verfolgten.

(Deutsch von Tilman Aretz)

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