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Für gute Gesundheit

28.04.2005

Taiwans Bemühungen, Beobachterstatus in der Weltgesundheitsversammlung (WHA) zu erlangen, haben beachtliche Fortschritte gemacht.

In einer Videokonferenz im März dieses Jahres mit Abgeordneten des Europaparlamentes begründete Präsident Chen Shui-bian(陳水扁) Taiwans Antrag auf Beobachterstatus in der Weltgesundheitsversammlung (World Health Assembly, WHA), der jährlichen Versammlung der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO). In seiner einleitenden Erklärung wies Chen auf den Preis hin, den die Taiwaner während der SARS-Epidemie dafür bezahlt hatten, von dem internationalen Gesundheitsnetz ausgeschlossen zu sein: über 70 Menschenleben. "Ich hoffe, dass unsere Freunde in der Europäischen Union (EU) sich in diesem Jahr für Taiwan in der WHA einsetzen und politische Einmischungen jeder Art beseitigen", appellierte er.

Taiwan bemüht sich um Beobachterstatus in der WHA, nachdem das Land infolge seines Ausscheidens aus den Vereinten Nationen im Oktober 1971 die Mitgliedschaft in der WHO aufgeben musste. Die WHA hat in der Vergangenheit mehreren Beobachtern die Teilnahme an den Veranstaltungen des höchsten Verwaltungsgremiums der WHO gestattet, darunter dem Malteserorden, dem Heiligen Stuhl und der PLO. Taiwan könnte sein Ziel durch eine Einladung des WHO-Generalsekretärs oder durch eine allgemeine Abstimmung der Mitgliedsstaaten erreichen. Beide Methoden blieben jedoch seit ihrer Anregung im Jahre 1997 aufgrund Beijings Widerstand erfolglos. Unterdessen reichen Taiwans Verbündete weiterhin Vorschläge ein, in denen sie die WHA zur internationalen Anerkennung des Landes als natürlicher und untrennbarer Bestandteil des globalen Gesundheitssystems aufrufen.

Jedes Jahr im Mai, wenn in Genf die WHA tagt, reisen medizinische Gruppen, Gelehrte und Politiker aus Taiwan in die Schweiz und werben dort für Taiwans Beobachterantrag. Der Gynäkologe und Gerontologe Wu Nan-her hatte schon früher mit solchen Versuchen zu tun gehabt. In diesem Jahr wird er als Direktor des Ärztebundes Taiwan während der Veranstaltungen eine noch aktivere Kampagne organisieren. Nach seiner Beobachtung weiß eine wachsende Zahl medizinischer Fachleute, dass Taiwan es sich nicht länger leisten kann, von der internationalen Gesundheitsgemeinschaft isoliert zu sein. "Das erkennen sie nicht nur für die ehrenwerte Sache des Landes und Volkes an, sondern auch für sich selbst", meint er. "Man muss sich nur mal die SARS-Epidemie anschauen, eine Krankheit, die auch Ärzte und Pflegepersonal das Leben gekostet hat."

Taiwans erster SARS-Fall war Anfang März 2003 gemeldet worden. Regierungsvertreter baten die WHO umgehend um Hilfe, doch die Organisation schickte erst zwei Monate später Vertreter auf die Insel, nachdem sich die erste Ansteckung innerhalb einer Klinik in Taipeh ereignet hatte. In der WHA 2003 behauptete Chinas Vertreter, sein Land habe Taiwan geholfen, alle relevanten Informationen und Hilfe von der WHO zu erlangen. Wu: "Diese große Lüge wurde durch die einfache Tatsache entlarvt, dass sie uns weiterhin die Chance verweigern, dem internationalen Gesundheitsnetz beizutreten."

Trotz der üblichen Beifallsbekundungen, mit denen Reden von Taiwans Verbündeten in der WHA zur Unterstützung der Aufnahme des Landes in die WHO bedacht werden, werden die Äußerungen von Beijings Vertreter gegen Taiwans Status mit einer entschiedeneren Resonanz quittiert. "Es ist ein Kampf zwischen Realpolitik und Moralpolitik", interpretiert Maysing Yang, Vorsitzende des Forschungs- und Planungskomitees im Außenministerium. "Außenpolitik entsteht aus den Bedürfnissen des Volkes, und die Gesundheitsbedürfnisse der Taiwaner haben die moralische Grundlage für unseren WHO-Antrag geschaffen."

In der internationalen medizinischen Gemeinschaft zum Beispiel ist die Unterstützung beinahe absolut. Unter den größeren internationalen medizinischen Gruppen wie dem Weltärztebund (World Medical Association, WMA), dem Weltverband der Krankenschwestern und -pfleger (International Council of Nurses, ICN) und der Internationalen Pharmazeutischen Föderation (Fédération Internationale Pharmaceutique, FIP) gibt es wenig Uneinigkeit über Taiwans Aufnahme in die WHO. Vertreter dieser Gruppen haben entweder Briefe an die WHO geschickt oder Pressemitteilungen veröffentlicht, in denen sie Taiwans Antrag auf Beobachterstatus in der WHA unterstützen. "Der medizinische Sektor hat fast alle zur Verfügung stehenden Mittel ausgeschöpft, um in dieser Angelegenheit zu helfen", versichert Deng Jou-fang, Direktor der 2001 gegründeten Taiwan International Medical Alliance. "Nun ist es an der Zeit, aktiv in den politischen und diplomatischen Bereichen zu arbeiten."

Teilweise aufgrund des überwältigenden moralischen Tenors ist sogar die realpolitische Situation in den letzten Jahren deutlich positiv gewesen. Vergangenes Jahr verabschiedeten der US-Senat und das amerikanische Repräsentantenhaus Gesetze, die später von Präsident George W. Bush unterzeichnet wurden und in denen Taiwans Beteiligung in der WHO gefordert wird. Der Außenminister der USA wird dadurch verpflichtet, jedes Jahr dem Kongress einen Bericht über die Bemühungen der Exekutive vorzulegen, Taiwans Beteiligung in internationalen Organisationen zu unterstützen, namentlich in der WHO. Außerdem haben der Leiter des US-amerikanischen Gesundheitsministeriums (Department of Health and Human Services) und der japanische Gesundheitsminister offizielle Stellungnahmen zur Unterstützung Taiwans abgegeben.

"Unsere oberste Priorität besteht nun darin, uns klar formulierte Unterstützung von der EU zu sichern", kolportiert Deng. Der Giftkontrollspezialist gehörte zu den ersten Aktivisten, die für Taiwans Beteiligung in der WHA trommelten. Heute beschäftigt er sich mit Lobbyarbeit in den Heimatländern von WHO-Mitgliedern, was er als fundamentalere Aufgabe ansieht als jedes Jahr im Mai in Genf vorstellig zu werden. "Alle wichtigen Entscheidungen werden in Diskussionen und Verhandlungen vor Beginn der Versammlung gefällt", enthüllt er. Während der meisten seiner Europareisen wendet er sich bevorzugt an Politiker, Offizielle mit Zuständigkeit in Gesundheits- und Auslandsangelegenheiten, Parlamentarier und medizinische Gruppen. "Es ist ein langsamer und akkumulativer Vorgang, bei dem wir versuchen müssen, mit jedem einzelnen Mitgliedsstaat der EU zu sprechen."

Für gute Gesundheit

Taiwans Gesundheitssystem gehört zu den besten der Welt.

Die Lobbyarbeit scheint sich auszuzahlen. Im Februar dieses Jahres überarbeitete die regierungsübergreifende Arbeitsgruppe der WHO mit Unterstützung der USA, Japans und mehrerer EU-Staaten die internationalen Gesundheitsbestimmungen -- den grundlegenden rechtlichen Rahmen der WHO -- für globale Kontrolle ansteckender Krankheiten. Trotz des heftigen Protests der chinesischen Delegation wurden die Bestimmungen abgeändert, so dass sie mit voller Anerkennung für "alle Personen" unter dem Prinzip der "allgemeinen Anwendung" umgesetzt werden. Zwar wurde in der Neufassung kein Name eines einzelnen Landes genannt, doch es wurde damit eindeutig die legale Grundlage für Taiwans Platz im Weltgesundheitssystem gelegt. "Das war vielleicht der bislang größte Durchbruch bei unseren Bemühungen", kommentiert Jieh Wen-chieh, stellvertretender Direktor der Abteilung Internationale Organisationen des Außenministeriums. "Solcher Fortschritt ist ein entscheidender Wendepunkt."

Zunehmende Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft ist ein naheliegender Schritt, denn gute Gesundheit ist laut Gesundheitsminister Hou Sheng-mou(侯勝茂) ein grundlegendes Menschenrecht. Ohne direkten Zugang zu den Informationen und Ressourcen des globalen Gesundheitsnetzes muss Taiwan mit Seuchen allein fertig werden. Neben der SARS-Tragödie trat im Jahre 1998 das 71-Darmvirus auf der Insel auf, das vor seinem Verschwinden über 1000 Kinder infizierte, 70 von ihnen starben. Aus dem Ausland wurde zwar Hilfe angeboten, doch erst mit Verspätung und nur indirekt durch private Kanäle. "Die WHO setzt in ihrer Satzung das Ziel fest, für alle Menschen das höchstmögliche Niveau der Gesundheitsfürsorge zu erreichen", bemerkt Hou, der auch Mitglied in einem 2001 gebildeten Komitee war, das sich für Taiwans Sache einsetzte. "Daher hat die WHO keinen Grund, die Gesundheit der 23 Millionen Taiwaner zu ignorieren -- drei Viertel der WHO-Mitgliedsstaaten haben sogar jeweils eine geringere Bevölkerung als Taiwan."

Darüber hinaus hat Taiwans Nichtmitgliedschaft in dem internationalen Gremium dazu geführt, dass die Welt nicht von den medizinischen Fortschritten des Landes profitieren konnte. Taiwan hat nicht nur eine der höchsten Lebenserwartungen in Asien, sondern konnte auch erfolgreich Krankheiten wie Beulenpest, Cholera, Pocken und Polio ausrotten. Taiwans Programm zur Kontrolle der Ausbreitung von Hepatitis B seit Mitte der achtziger Jahre gilt gleichfalls als wesentlicher Schritt. 1984 war Taiwan das erste Land der Welt, das ein Hepatitis B-Impfprogramm mit kostenlosen Impfungen für Kinder durchführte. Infolgedessen ist die Rate von Leberkrebsfällen deutlich gesunken.

Das Land ist besonders stolz auf sein 1995 gestartetes Krankenversicherungsprogramm. Dank der hohen Durchdringungsrate (über 95 Prozent der Gesamtbevölkerung sind in dem Programm erfasst) und niedrigen Gebühren wurde es von Anfang an von der Bevölkerung unterstützt. Jedes Jahr schicken Dutzende von Ländern Delegationen zur Einschätzung des Krankenversicherungssystems nach Taiwan. Die WHO wäre das perfekte Vehikel für Taiwan, um Wissen über dieses zentrale Programm zu teilen. Das Land möchte überdies seine Erfahrungen beim Aufbau eines elektronischen Gesundheitssystems durch seine international bewunderte Informationstechnologie teilen. "Wir versuchen, die bestehenden finanziellen Probleme des Programms zu lösen und dafür zu sorgen, dass das Programm weiterhin die internationalen Standards erfüllt", gelobt Hou.

Hou sprach auch einige Fragen bezüglich Taiwans WHO-Kampagne an. "Unser Fehlen in der WHO ist unfair nicht nur uns gegenüber, sondern auch der Welt gegenüber", argumentiert er. "In der modernen Welt reisen die Menschen ausgiebig, und jedes Loch im globalen Gesundheitsnetz untergräbt in eklatanter Weise die Gesundheit und Sicherheit." Nach seinen Worten sollte die Welt ihr Potenzial für die Krankheitsverhütung maximieren, indem unter medizinischen Fachleuten auf der ganzen Welt Daten gesammelt und Informationen ausgetauscht werden. Vergangenes Jahr gründete das Gesundheitsministerium ein Amt für internationale Zusammenarbeit. "Wir wollen ein aktiver Teilnehmer in der internationalen Gesundheitsgemeinschaft sein", verkündet Peter Chang, der Generaldirektor des Amtes.

Die Tsunami-Katastrophe Ende 2004 in Südasien gab Taiwan die Gelegenheit, Bedürftigen zu helfen. Die Zentralregierung und die Lokalverwaltungen des Landes schickten mehrere Teams und Spezialisten in die Katastrophengebiete des Indischen Ozeans, um bei Hygiene, medizinischer Versorgung und Krankheitskontrolle Beistand zu leisten. Viele nichtstaatliche Organisationen (NGOs) wie Taiwan Rescue, die buddhistische Wohlfahrtsstiftung Tzu Chi und das Taiwan Root Medical Peace Corps reagierten ebenfalls rasch im In- und Ausland, um für eine Verteilung der Ressourcen in geeigneter Weise zu sorgen. Taiwans Medizinisches Beistandsteam für Katastrophen schickte außerdem ein Team nach Indonesien. Das Team, das eng mit dem Gesundheitsministerium zusammenarbeitet, umfasst medizinische Fachleute aus mehreren Krankenhäusern und hat seinen Stützpunkt in der Universitätsklinik der National Taiwan University (National Taiwan University Hospital, NTUH), einem der renommiertesten medizinischen Zentren Taiwans. "Der öffentliche und der private Sektor haben viel von der Reaktion und den Hilfsmaßnahmen nach dem Tsunami in Südasien gelernt", lobt Chang.

Nach Dengs Ansicht sollte die Regierung den NGOs dabei helfen, ihre Kontakte und Verbindungsnetze in die Inselstaaten des Süd- und Westpazifiks auszudehnen. Erstens arbeitet Dengs medizinische Allianz jetzt an einem vom Gesundheitsministerium unterstützten Tabak-Kontrollprogramm in Kambodscha. Außerdem sind sich Deng und Minister Hou einig, dass Taiwans größere medizinische Zentren wie die NTUH und Dengs Taipei Veterans General Hospital (TVGH) dazu ermuntert werden sollten, internationalen Schulungsaustausch durchzuführen und im Ausland Wohlfahrtsdienste zu leisten. "Wir müssen auf der internationalen Bühne aktiv sein und dort von Bedeutung bleiben", fordert Deng. "Eine aktivere Präsenz in der internationalen Gesundheitsgemeinschaft würde unserem medizinischen Sektor neue Impulse für Entwicklung geben."

Momentan hat der Status Quo zwischen Taiwan und China verhindert, dass die Insel die ihr zustehende Rolle auf der Weltbühne spielen kann, weil China weiterhin unerbittlich an seiner "Ein China"-Politik festhält. "Ein Beobachterstatus in der WHA hat mit nationaler Souveränität nichts zu tun", unterstreicht Deng. "Das Grundrecht auf Zugang zur besten verfügbaren Gesundheitsfürsorge sollte ohne Berücksichtigung politischer Faktoren behandelt werden." Der ausgebildete Osteopath Hou weist darauf hin, dass ein Arzt allen Menschen zu dienen gelobt, ohne Rücksicht auf Rasse oder Status. Hou: "Die Situation über die Taiwanstraße darf diese Prinzipien nicht einschränken."

Taiwans Ziel, Beobachterstatus in der WHA zu erlangen, ist ein mittel- bis langfristiges Ziel, das ständiger Anstrengungen bedarf. "China hat vorgeschlagen, dass wir uns seinem Team anschließen", berichtet Yang vom Außenministerium. "Wir wollen aber nicht mit einer undemokratischen Gesellschaft zusammenarbeiten." Angesichts der sich schnell ändernden geopolitischen Lage meint sie, man könne über Taiwans letztendliche Beteiligung in der WHO optimistisch bleiben.

(Deutsch von Tilman Aretz)

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