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Taiwan Today

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Ein unvergessener Dickhäuter

28.08.2006
Lin Wang, das Lieblingstier vieler Besucher im Zoo von Taipeh, wurde zu seinem 85. Geburtstag mit besonderen Leckerbissen verwöhnt.

Lin Wang(林旺), einst der weltweit älteste asiatische Elefant in Gefangenschaft, erstand durch die Arbeit eines Präparators von den Toten auf und wird mit einer bildlichen Retrospektive seines Lebensweges geehrt.

Beisetzungen von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens können bei den Bürgern eine seltene Solidarität erzeugen. Der Tod von Lin Wang, einer überdimensionalen Gestalt, welche die letzten 50 Jahre lang die Zuneigung der Taiwaner gewonnen hatte, wurde im Februar 2003 mit einer dreitägigen Trauer begangen, während der 180 000 Menschen dem Pachydermen die letzte Ehre erwiesen. Staatspräsident Chen Shui-bian(陳水扁) schickte ein Blumengebinde, und Taipehs Bürgermeister Ma Ying-jeou(馬英九) verlieh dem berühmten Einwohner Taipehs posthum die Ehrenbürgerschaft. “Lin Wang war Teil des gemeinsamen Gedächtnisses von vier Generationen auf Taiwan”, erklärte Ma. “Er sah uns aufwachsen, und wir sahen ihn alt werden.”

Tatsächlich war Lin Wang kein gewöhnliches Geschöpf. Der indische Elefant erlebte viele der Schicksalswendungen in der Geschichte der Republik China mit, von ihrem Kampf auf Leben und Tod gegen die Japaner während des Zweiten Weltkrieges und dem Rückzug der nationalistischen Truppen nach Taiwan bis zum zunehmenden Wohlstand der Taiwaner, von denen viele im Laufe der Jahre in den Zoo von Taipeh kamen, um Lin Wang in ihrer Freizeit zu besuchen.

Zum Gedenken an Taiwans beliebtesten Dickhäuter wurde seine sterbliche Hülle präpariert, und Taiwans größte Trickfilmfirma Wang Film Productions erstellt zur Zeit einen 3D-Trickfilm auf der Grundlage von Lin Wangs Leben. Die Firma investiert stattliche 100 Millionen NT$ (2,439 Millionen Euro) in die Produktion des Films, der im Jahre 2007 anlaufen soll. “In Lin Wangs Leben gab es viele Wendepunkte, etwa die Trauer über Trennung und die Freude über Zusammenführung, die Stoff für einen guten Film liefern”, versichert Ku Li-hung, Manager bei Wang Film Productions. “Wir hoffen, dass unser Film unterhaltsam und lehrreich sein wird und die Schmerzlichkeit von Lin Wangs Geschichte übermitteln kann.”

In der Tat ist Lin Wangs Leben eine außergewöhnliche Überlebensgeschichte. Im Alter von 26 Jahren wurde das in Burma geborene Tier von japanischen Truppen gefangen, die während des Zweiten Weltkrieges im südostasiatischen Dschungel kämpften. Er wurde zum Dienst als Lastentier gezwungen und schleppte Munition und Nachschub über Flüsse und Berge. Lin Wang und zwölf andere Elefanten wurden den Japanern schließlich von einem Expeditionstrupp der chinesischen Nationalisten unter dem Kommando von General Sun Li-jen(孫立人) abgenommen. Unter den neuen Befehlshabern leisteten die Jumbos weiterhin Soldatendienste.

Nach Kriegsende marschierte die Elefanten-Arbeitsgruppe mit Suns Männern in einer anderthalbjährigen Odyssee von Burma über die chinesischen Städte Kunming und Nanjing und gelangte schließlich nach Guangzhou. Unterwegs vertrieben sich die Soldaten die Freizeit, indem sie den Elefanten einfache Tricks beibrachten, etwa auf Kommando vorwärts und rückwärts schreiten, nach rechts und links abbiegen, niederkauern und wieder aufstehen. Die Übungen ähnelten dem Drill der Soldaten, und so gewannen die sanften Giganten die Zuneigung ihrer menschlichen Gefährten.

Als General Sun 1947 nach Taiwan beordert wurde, brach er mit drei seiner Elefanten auf, zwei Elefantenkühen und dem Elefantenbullen Lin Wang. Nach 48 Stunden auf See gingen sie in der südtaiwanischen Hafenstadt Kaohsiung an Land. Die erschöpften Tiere wurden bald mit der Eisenbahn zum Militärlager Fengshan transportiert. Ein Elefant starb kurz danach, doch die anderen beiden leisteten weiterhin Dienst, indem sie Versorgungsgüter für den Eisenbahnbau schleppten. 1951 wurde das zweite Weibchen krank und starb, so dass Lin Wang als einziger Überlebender des alten Elefantenkorps in Taiwan zurückblieb.

Am 30. Oktober 1954 wurde Lin Wang zum Yuanshan-Zoo in Taipeh gebracht, um dort mit der vierjährigen Ma Lan(馬蘭), einem aus Japan eingeführten Elefanten, den Bund fürs Leben zu schließen. Fortan wurde Lin Wangs Geburtstag jedes Jahr am 30. Oktober im Zoo gefeiert. In dem Tiergarten führte Lin Wang ein Leben im Ruhestand. Manchmal zeigte er unter dem Kommando seines Wärters die kleinen Tricks, die man ihm während seiner Dienstzeit beigebracht hatte, doch meistens erfreute er sich einfach seines Lebens mit Ma Lan und stolzierte vor den Zoobesuchern herum.

Als der Zoo in Yuanshan für die Unterbringung der zunehmenden Zahl von Tieren zu klein wurde, wurde 1986 nach 13 Jahren Planung und Bauarbeiten im Bezirk Muzha im Osten von Taipeh ein weit größerer Tierpark eröffnet. Eine Menagerie wilder Tiere durch Taipeh zu transportieren bedeutete eine große Herausforderung für den Zoo, und Lin Wang zur Kooperation zu bewegen erwies sich dabei als besonders schwierig. Zwei riesige Container wurden gebaut und einen Tag vor dem Umzug vor dem Elefantengehege aufgestellt. Um die Tiere hineinzulocken, wurde dort Futter ausgelegt, und das Konzept schien aufzugehen, da beide Elefanten mehrmals hinein und wieder hinaus schlenderten.

Am Morgen des Umzugstages hatte das Personal alles vorbereitet und versuchte Lin Wang ein letztes Mal in seinen Container zu locken, um dann den kühlen Morgen für den Transfer zu nutzen. Als die Arbeiter jedoch gerade die Türe von Lin Wangs Container schließen wollten, huschte er hinaus und weigerte sich, wieder hineinzugehen, da er offenbar spürte, dass etwas Seltsames im Gange war. Wie schon zuvor versuchten die Wärter ihn mit Leckereien in die Box zu locken, doch der Koloss hielt mit seinen Hinterbeinen die Türe offen und schnappte sich gleichzeitig mit dem Rüssel den Köder. Nach stundenlangen vergeblichen Versuchen blieb den Wärtern nichts anderes übrig, als Lin Wang mit dicken Seilen in den Container zu zerren. Das Unterfangen zehrte fast alle ihre Kräfte auf, und als der Behälter mit dem störrischen Elefanten schließlich im neuen Zoo eintraf, war die Sonne bereits untergegangen.

Beim Entladen ereilte Lin Wang dann seine wohlverdiente Strafe. Unweit des neuen Elefantengeheges hatte man eine besondere Telefonzelle in Elefantenform installiert, und beim Öffnen des Containers fiel Lin Wangs Blick darauf. Er hielt die Telefonzelle für Ma Lan und rannte im Galopp darauf zu, stolperte dann jedoch in den Graben, den man am Rand des Geheges als Begrenzung ausgehoben hatte. Lin Wang blieb grollend in dem Graben, bis die Wärter Ma Lan aus ihrem Container ließen. Bei ihrem Anblick rappelte Lin Wang sich auf und kletterte aus dem Graben, und die beiden nahmen ihre neue Heimstätte in Besitz, welche die Wärter “Weißes Haus” nannten.

Elefanten werden selten älter als siebzig Jahre, doch mit über 70 war Lin Wang noch recht rege. Er fraß gut und marschierte in gesundem Tempo herum. Um Lin Wangs 80. Geburtstag zu feiern, baute der Zoo Taipeh 1997 eine neue Behausung im Stil eines tropischen Regenwaldes, die dem Lebensraum in seiner angestammten Heimat ähnelte. Trotz der glücklichen Umgebung begann Ma Lans Gesundheit sich zu verschlechtern. Im Jahr 2000 wurde sie am Fuß operiert, doch ging es ihr danach nicht besser. 2002 wurde ihr Fuß schlimmer, und man entdeckte einen bösartigen Tumor. Ma Lan starb am 14. Oktober 2002 im Alter von 54 Jahren und ließ Lin Wang mutlos zurück.

Mitte Februar 2003 stellte Lin Wangs Hüter fest, dass der alte Dickhäuter sich nur noch langsam bewegte und viel weniger fraß als früher, und er lag den ganzen Tag in seinem Teich, obwohl er früher Wasser nie gemocht hatte. Am Morgen des 26. Februar 2003 fand man ihn reglos auf der Seite liegend im Teich, wo er des Nachts im Alter von 86 Jahren gestorben war.

Einer von Lin Wangs Besuchern in den letzten Tagen war der Präparator Lin Wen-lung, der wie so viele andere Menschen mit Taipehs Lieblingselefant aufgewachsen war. “Als ich vor seinem Gehege stand, schritt Lin Wang auf mich zu und senkte seinen Kopf”, berichtet Lin. “Er starrte mich ein paar Augenblicke fast von Angesicht zu Angesicht an. Der Hüter meinte, das sei sehr ungewöhnlich, da Lin Wang selten einem Besucher so nahe kam. Ich glaube, dass er in dem Moment eine einzigartige Verbindung zwischen ihm und mir gespürt haben mag.”

Nach Lin Wangs Tod wurde Lin Wen-lung zum Zoo gerufen, um den Körper des Elefanten zu präparieren. Lin hatte schon seit über 20 Jahren Tiere ausgestopft und dabei Exemplare unterschiedlicher Größen bearbeitet, von Mäusen und Vögeln bis zu einem Tiger, doch er hatte sich noch nie an etwas versucht, das auch nur annähernd so groß war wie ein Elefant. “Die Aufgabe war eine Ehre, aber gleichzeitig auch eine große Herausforderung für mich, weil jeder Lin Wang gekannt hatte”, gesteht er. “Ich musste die Nachbildung wiedererkennbar machen.”

Anstelle der traditionellen Methode, den Körper des Tieres mit Polyurethanschaum -- der mit der Zeit in sich zusammenfallen kann -- auszustopfen, konstruierte Lin ein Gerüst aus Stahl und Holzplatten, formte den Körper mit Schaum und überzog ihn dann mit Acryl. Dadurch konnte die enorme Größe des Elefanen erhalten bleiben und seine Haltung natürlich aussehen. Nachdem er die Haut abgezogen hatte, schuf Lin mit Versalzungs- und Gerbungsverfahren die Oberfläche des Präparats. Dank dieser antiseptischen Methoden wird das Exemplar über 50 Jahre halten können, während Tierhäute, die in einem üblicheren Verfahren nur mit Arsen behandelt werden, lediglich 5 bis 10 Jahre haltbar sind. Anschließend nähte Lin die dicke Elefantenhaut auf den Rahmen und stellte mit Oberflächenbehandlung den Teint wieder her. Das ganze Verfahren war sehr arbeitsintensiv und erforderte anspruchsvolle Fertigkeiten. Doch für Lin war der schwierigste Teil nicht technischer Natur, sondern das Problem, Lin Wangs Gesichtsausdruck authentisch einzufangen. “In gewisser Weise war Lin Wang jedermanns Haustier, und das Bild von ihm war recht lebendig”, meint er. “Die Erwartungen der Öffentlichkeit setzten mich stark unter Druck. Wenn ich diese Arbeit nicht gut hinbekäme, dann wäre mein Name ruiniert und meine Laufbahn beendet, egal wie gut ich früher gearbeitet hatte.”

Tatsächlich sah der Vertrag zwischen dem Zoo Taipeh und Lin vor, dass das fertige Präparat Lin Wang ähneln musste, oder das Geschäft wäre vom Tisch. Infolgedessen hatte Lin den Elefanten Tag und Nacht im Kopf, träumte sogar davon, und jeden Tag arbeitete er gemeinsam mit einem 5-köpfigen Team 14 bis 15 Stunden, um den Elefanten nachzubilden, den die Menschen so gut kannten.

Nach acht Monaten Arbeit ähnelte Lin Wangs Figur dem verblichenen Original. Ein vom Zoo eingesetzter Bewertungsausschuss aus Kunstkritikern, Museumsleitern, Tierärzten und Zoowärtern führte danach eine umfassende Überprüfung durch und bescheinigte Lin gute Arbeit.

Die Finanzierung dieser gigantischen Präparierung kam vom taiwanischen Fahrzeughersteller Yulon Motor Co., der 5 Millionen NT$ (121 950 Euro) spendete. “Wir sind dankbar für die grenzenlose Freude, die Lin Wang den Taiwanern gegeben hat, und wir hoffen, sie verlängern zu können, indem wir es den Menschen ermöglichen, ihn wieder zu sehen”, verkündet Yulons Vizepräsident Han Cheng-ping. “Wir wollen Lin Wangs starken Geist ehren, der dem Geist unseres Unternehmens ähnlich ist.” Han hofft, dass die Großzügigkeit seiner Firma mehr Unternehmen anregen möge, Beiträge zum Tierschutz und zu anderen Aktivitäten des öffentlichen Interesses zu leisten.

Heute ist der präparierte Körper von Lin Wang das Kernstück einer Lin Wang-Dauerausstellung im Bildungszentrum des Zoos von Taipeh, die auch Fotos, Dokumente, Filme und interaktive Spiele enthält. Zoodirektor Chen Pao-chung erläutert, dass der Ausstellungsbereich den Besuchern Informationen über Lin Wangs Leben, die Präparierung eines Tierkörpers, die natürlichen Lebensräume von Elefanten und die ihnen drohenden Gefahren bieten soll. Die Lin Wang-Ausstellung hat nach Chens Worten bei der Umwandlung des Zoos von einem Vergnügungspark zu einem Zentrum für Bildung und Tierschutz eine wichtige Rolle gespielt.

Laut Chen verschlechtern sich die Lebensbedingungen für asiatische Elefanten in freier Wildbahn. Da Elefanten viel Futter verbrauchen, geraten sie oft in Konflikt mit Bauern, welche die Elefanten zum Schutz ihrer Anbaupflanzen jagen. “Asiatische Elefanten gelten als Schlüsseltierart im Ökosystem, von der viele andere Arten abhängen”, enthüllt Chen. “Ihr Schutz trägt zur Aufrechterhaltung der Biovielfalt und ökologischen Integrität bei.”

Um zum Schutz der asiatischen Elefanten beizutragen, arbeitet der Zoo Taipeh mit dem Wildlife Fund Thailand zusammen und schickt Mitarbeiter hin, damit sie mehr über Elefantenzucht und medizinische Pflege der gefährdeten Tiere lernen. Im Gegenzug versorgt der Zoo Taipeh die Organisation in Thailand mit Geldmitteln für die Beobachtung der Wanderungen von Elefanten in freier Wildbahn, für den Bau von Einfriedungen, damit sie nicht in Ackerland eindringen, und für die Informa tion von Anwohnern, wie man bei unerwarteten Begegnungen mit diesen Geschöpfen umgeht. Die Inspiration zu liefern, andere Elefanten zu schützen, könnte der letzte Akt im außergewöhnlichen Leben des unvergessenen Elefanten Lin Wang sein.

(Deutsch von Tilman Aretz)

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