Abfallverwaltung im postindustriellen Taiwan wird eine immer umfangreichere und gescheiter behandelte Angelegenheit.
Viele Taiwaner mittleren Alters erinnern sich noch daran, wie in ihrer Kindheit große dreirädrige Lastenfahrräder mit geräumigen Ladeflächen durch die Wohngebiete quietschten, um Glas, Papier, Blechdosen und Schrottmetall zu sammeln. Die älteren Männer am Lenker gaben für den häuslichen Unrat Bonbons oder ein paar Cents. Solche Vehikel kann man selbst heute noch gelegentlich frühmorgens sehen, bedenklich hoch mit Stapeln zusammengeklappter Kartons beladen, doch der Umgang mit Abfall geht heute weit über die Dreiräder der guten alten Zeit hinaus.
Sorgen um die Umwelt und ökonomische Notwendigkeiten erzwangen eine gewisse Dringlichkeit bei den Anstrengungen der Regierung zur Behandlung des Müllproblems. Im Jahre 1988 änderte Taiwans Umweltschutzverwaltung (Environmental Protection Administration, EPA) das Abfallentsorgungsgesetz aus dem Jahre 1974, um den Schwerpunkt der Aufgabe auf Abfallverwaltung zu legen. "Die Gesetzesänderung war der Anfang des Verursacher-Prinzips", definiert Lin Chien-hui, geschäftsführender Sekretär des EPA-Komitees für Recycling-Finanzverwaltung. Gruppen aus dem Müllgewerbe arbeiteten mit der Regulierungsbehörde zusammen, um Strategien und Ziele für Recycling zu entwickeln, setzten diese um und berichteten der EPA über ihre Erfolge.
Kehrtwende
Da die EPA keine Möglichkeiten hatte, die gemeldeten Recyclingraten zu überprüfen, scheiterte das System. Im Jahre 1997 wurde mit einer weiteren Revision des Abfallentsorgungsgesetzes vorgeschrieben, dass Produzenten und Importeure von Abfall sich bei der EPA registrieren lassen und "Recyclinggebühren" in den Recycling-Verwaltungsfonds der Organisation einzahlen müssen. Dieser Fonds wird nach Lins Erklärungen dazu benutzt, das Sammeln und Entsorgen von Abfall sowie Bildungsprogramme und entsprechende Forschung und Entwicklung zu subventionieren. Momentan umfasst der Fonds insgesamt 6 Milliarden NT$ (139,5 Millionen Euro) und wird von einem Komitee verwaltet, das aus Regierungsbeamten, Akademikern und Branchenvertretern besteht.
Die EPA begann, Kampagnen zur Steigerung des öffentlichen Bewusstseins über die Notwendigkeit der Verminderung und Wiederverwertung von Hausmüll durchzuführen. Die erste dieser Kampagnen unter dem Motto "außerirdische Babys" fand 1990 statt. Container in vier Farben, die wie außerirdische Babys aussahen und auch so genannt wurden, wurden an bestimmten Stellen in Taipeh aufgestellt, um Papier, Glas, Metall und Kunststoffe zu "fressen". Viele Bürger warfen jedoch nicht nur die vorgesehenen Wertstoffe hinein, sondern missbrauchten die Tonnen als bequeme Behältnisse für Unrat aller Art, und nach nicht allzu langer Zeit endeten die außerirdischen Babys selbst als Recyclingmüll.
Ein wichtiges Umweltproblem jener Zeit war die Belastung durch weggeworfene Plastikflaschen aus Polyethylenterephthalat (PET). Die Wiederverwertungsrate solcher Behältnisse war vor 1992 gering, doch im gleichen Jahr kündigte die EPA an, dass es für jede beim Händler zurückgegebene leere Flasche 2 NT$ (0,04 Euro) Pfand vom Hersteller geben würde. Die Rückgabequote von PET-Flaschen stieg auf über 100 Prozent. Nach den Erläuterungen von Shen Chih-hsiu, Wissenschaftler am EPA-Labor für Umweltanalysen, war der Grund für die unmöglich hohe Rückgabequote der Umstand, dass die Hersteller zu geringe Produktionsmengen angaben, um weniger in den Recyclingfonds einzahlen zu müssen. Als der Fonds zusammenschmolz, sank der an Verbraucher erstattete Pfand zunächst auf einen NT$ (0,02 Euro), dann auf einen halben NT$ (0,01 Euro) und wurde 2002 schließlich komplett gestrichen. "Die Verwaltung des Fonds war fragwürdig, aber die Kampagne an sich war ein Erfolg", urteilt Shen. "Gemäß unseren Umfragen recyceln 80 Prozent der Verbraucher ihre PET-Flaschen auch ohne Pfand, was den Schluss zulässt, dass es der Kampagne gelang, Recycling zur Gewohnheit zu machen."

Das Experiment mit den "Alien Baby"-Recyclingcontainern Anfang der neunziger Jahre scheiterte an mangelnder Unterstützung der Öffentlichkeit. (Foto: Chung Yung-ho)
Bei anderen Wertstoffen hat Geld indes keine solchen wundervollen Gewohnheiten geschaffen. Für jedes Auto, das zu entsprechenden Annahmestellen gebracht wird, erhält der Besitzer 3000 NT$ (69 Euro), für Motorräder 1000 NT$ (23 Euro). Zwar steigt die Recyclingrate um 20 Prozent im Jahr, doch die Rate betrug im Jahre 2005 bei Autos 37 Prozent und bei Mopeds 30 Prozent. "Die Belohnung ist zu gering, um attraktiv zu sein", seufzt Lin Chien-hui. Die EPA erwägt zur Förderung von Recycling eine rückzahlbare Zusatzgebühr von 20 000 NT$ (465 Euro) auf Autopreisen. "Offenbar ist das ein viel stärkerer Anreiz, vor allem wenn das Geld aus der eigenen Tasche kommt", kommentiert er.
Abgesehen von Pfand für Wertstoffe hat die EPA festgestellt, dass die Öffentlichkeit bei anderen Materialien nicht so enthusiastisch ist. Ein typischer Haushaltsmüllbeutel kann alles Mögliche enthalten, von Bambus-Essstäbchen und Styropor-Lunchpackungen bis zu Glas- und Plastikprodukten. Seit 1997 wirbt die EPA deswegen für das Ressourcenrecycling "Vier-in-einem" und ruft zu einer gemeinsamen Anstrengung durch die Öffentlichkeit, Lokalverwaltungen, Recyclingfirmen und das Komitee für Recycling-Finanzverwaltung auf. Die Mülltrennung wurde über einen bestimmten Zeitraum schrittweise eingeführt und von Lokalverwaltungen und privaten Gruppen wie der Homemakers Union and Foundation sehr unterstützt. Im Jahre 2006 wurde das System im ganzen Land obligatorisch.
Wenn der Kreis sich schließt
Die Vielfalt der Dinge, die wiederverwendet werden, hat sich stark erhöht. Seit 1998 kann man beispielsweise Computer recyceln, und allein in jenem Jahr wurden 238 Tonnen recycelt, 2005 waren es dann 9198 Tonnen. Für gebrauchte Möbel gibt es nun ebenfalls ein Leben nach dem Tode. Lokalverwaltungen bieten kostenlosen Abholservice, die Möbel werden dann repariert, gründlich gesäubert und landen schließlich in Verkaufsstellen der Lokalverwaltungen oder als Angebot auf ihren Websites. 2006 wurden außerdem CDs und Mobiltelefone ins Recyclingprogramm aufgenommen.
Die Anwendung von Herstellerhaftung und verbindliche Klassifizierung des Abfalls scheinen sich als Müllverwaltungsstrategien der EPA bewährt zu haben, und Statistiken deuten darauf hin, dass das "Vier-in-einem"-Projekt ebenfalls gut läuft. Das Gesamtgewicht aller inländischen Wertstoffe stieg von 129 155 Tonnen im Jahre 1998 auf über 1,75 Millionen Tonnen im Jahre 2005, ein Sprung von 5,87 Prozent auf 22,91 Prozent bei der Wiederverwendungsquote von Abfall. Laut EPA könnten über 40 Prozent des Hausmülls in Taiwan recycelt werden, was bedeutet, dass derzeit nur die Hälfte des Potenzials ausgeschöpft wird.
Im Vergleich mit Haushaltsrecycling war der industrielle Bereich viel dynamischer. Von 1998 bis 2005 erhöhte sich wiederverwerteter Industriemüll von 4,8 Millionen Tonnen auf 7,8 Millionen Tonnen, ein Anteil von 70 Prozent aller industriellen Abfälle. "Dass die Industrie sich um ihren eigenen Müll kümmern musste, erzwang wesentliche Veränderungen bei der Verminderung von Umweltschäden", freut sich Lin Chih-sen, Präsident der Taiwan Green Productivity Foundation. "Dies alles vollzog sich in nur 15 Jahren."
Mit technischer Hilfe lokaler Organisationen wie dem Forschungsinstitut für industrielle Technologie (Industrial Technology Research Institute, ITRI) waren Staatsunternehmen die Ersten beim Großreinemachen. 1991 wurde etwa die China HiMent Corporation gegründet. Mit gemeinsamen Investitionen aus der Stahl- und Zementindustrie verarbeitet das Unternehmen Hochofenschlacke aus der Stahlindustrie zu Zement oder Schlackenpulver weiter. Die Stromgesellschaft Tai wan Power Co. wiederum verarbeitet die Flugasche aus ihren Kraftwerken, damit diese in Beton für öffentliche Bauprojekte verwendet werden kann. "Sie sind wie die weißen Blutkörperchen im Blut der Industrie", vergleicht Lin. "In aller Stille machen sie den Dreck weg, führen ihn einer sinnvollen Verwendung zu und sorgen dafür, dass die Industrie überlebt."

Das Recyceln von PET-Flaschen ist den Taiwanern in Fleisch und Blut übergegangen.
Steuervorteile als Anreiz
Das als aufstrebende Industrie gekennzeichnete Müllgewerbe, das staatliche Anreize wie Steuer- und Einfuhrzollnachlässe erhält, lockt nun allmählich auch Investoren aus dem In- und Ausland an. "Die Recyclingindustrie ist jedes Jahr um 10 Prozent gewachsen", berichtet Lin. "Während viele Gewerbe ins Ausland abgewandert sind oder das vorhaben, gibt es in dieser Branche noch viel Potenzial."
Super Dragon Technology Co. Ltd. wurde 1996 gegründet und ist eines der erfolgreichsten Unternehmen in dem Bereich. Mit technischer Hilfe vom ITRI und Gerät aus Deutschland und Japan gewinnt Super Dragon Edelmetalle aus integrierten Schaltkreisen und Leiterplatten, und zu den Kunden zählen taiwanische Spitzenhersteller der Informationsindustrie. Firmengründer Wu Yao-hsun erläutert, dass man aus rund sechs Tonnen "Rohmaterial" ein Kilo Gold gewinnen kann, und sein Unternehmen kann jeden Monat 180 Kilo pures Gold produzieren, außerdem geringere Mengen anderer Metalle wie Silber und Kupfer. Wu ist sehr stolz darauf, dass seine Firma eines von 13 Unternehmen der Welt ist, die dazu in der Lage sind. "Sie machen diesen Kram immer kleiner, daher werden die in diesem Gewerbe gestellten technischen Anforderungen immer höher", bemerkt er. "Taiwan ist einer der Haupthersteller von Computern, daher sollte es als Mitglied der Weltgemeinschaft natürlich die Fähigkeit besitzen, sie zu recyceln."
Die Großindustrie hat gleichfalls Interesse an dem Geschäft bekundet. Die Formosa Environmental Technology Corporation, in welche die Formosa Plastics Group investiert, hat die Wiederverwertung von Küchenabfällen ins Visier genommen. Die Stätte der Firma in Yangmei (Landkreis Taoyuan) verarbeitet Küchenabfälle zu organischem Kompost, der zum Anbau von biologischem Gemüse in der firmeneigenen Farm verwendet wird. Formosa begann im August vergangenen Jahres mit dem Verkauf seines biologischen Gemüses, und obwohl die Produktionsmenge nicht groß ist, besteht nach Ansicht des Unternehmens ein Markt für biologischen Kompost mit einem Umfang von 50 Milliarden NT$ (1,16 Milliarden Euro) im Jahr, und der Aufbau von sieben weiteren Verarbeitungsanlagen an anderen Stellen der Insel ist geplant.
Bis Ende 2005 waren im Bereich Abfallverwaltung und Recycling bereits über 1500 Firmen aktiv. Gemeinsam erzeugten sie 2005 einen Produktionswert von 36 Milliarden NT$ (837 Millionen Euro). Nicht alle von ihnen können indes mit weiterem Wachstum rechnen, kleinere Betreiber stehen vor ernsten Herausforderungen. "Die technologischen Anforderungen werden immer höher", begründet Lin Chih-sen. "Kleine Firmen, die sich Forschung und Entwicklung nicht leisten können oder zu Verbesserungen nicht in der Lage sind, werden letzten Endes ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren."
Der Umfang von Abfallentsorgung ist längst über das dreirädrige Lastenfahrrad und die Erträge über ein paar Cents und Bonbons hinausgewachsen, doch das Wesen des Gewerbes hat sich nicht verändert -- mit dem Müll von gestern den Lebensunterhalt von heute zu bestreiten.
(Deutsch von Tilman Aretz)