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Von Midas berührt

28.08.2007
Zheng Ying-xie will bei der Goldschmiederei neues Terrain erkunden.

Der Goldschmied Zheng Ying-xie(鄭應譜) arbeitete sich aus der Armut heraus an die Spitze seines Handwerks.

Als Grundschüler wusste Zheng Ying-xie bereits, was er als Erwachsener machen wollte. Man könnte ihnen einen Frühentwickler nennen, doch während seine Schulkameraden noch schliefen, musste Zheng, das älteste von acht Kindern, schon um drei Uhr morgens aufstehen und mit seinem Vater arbeiten gehen. Sie schulterten die Pflugscharen, von deren Verkauf sie lebten, und marschierten auf der Suche nach Kundschaft barfuß zu den Bauernhöfen der Umgebung. Danach eilte er zur Schule, gewöhnlich ohne Frühstück.

Zheng wurde schnell klar, dass er, um für sich selbst ein Leben in Armut wie bei seiner Familie zu vermeiden, etwas lernen müsse, was Geld brachte. Der kleine Junge brauchte nicht in der Ferne zu suchen. Zufällig befand sich in der Nachbarschaft ein gut laufendes Goldschmuckgeschäft, und der Besitzer nahm ihn direkt nach Abschluss der Grundschule als Lehrling auf.

Bei der Arbeit in dem Geschäft in Lugang (Landkreis Changhua), tagaus tagein vom Morgengrauen bis spätabends, lernte er in drei Jahren die Grundlagen der Metallbearbeitung und beschloss, Goldschmied zu werden. Der plötzliche Tod seines Vaters bescherte ihm die nächste Veränderung in seinem Leben. "Wegen des Todes meines Vaters musste ich die Frage, Goldschmied zu werden, ernsthaft überdenken", erinnert sich Zheng. "Ich musste mein Können verbessern, um andere zu übertreffen und der Armut zu entkommen."

Auf eigene Faust

Eines späten Abends packte der 18-Jährige einen einzelnen Koffer und fuhr in die Hauptstadt Taipeh, ohne sich von seiner Mutter zu verabschieden. Durch die Vermittlung eines Verwandten wurde Zheng Lehrling bei einem eingewanderten Handwerksmeister aus Fuzhou (China).

Während er in Lugang gelernt hatte, wie man mit dem Hammer Muster in Metall treibt, lehrte ihn der Meister aus Fuzhou, wie man Figuren von Tieren oder Pflanzen aus Karat-Gold ziseliert, das härter als pures Gold ist und dem Muster einen lebhafteren und glatteren Glanz verleiht. Nach Ende der Lehre in Taipeh kehrte Zheng in seine Heimatstadt zurück. Er arbeitete 16 Stunden am Tag, und allmählich verbreitete sich der Ruf seiner feinen Handwerkskunst und Zuverlässigkeit. 1976, im Alter von 27 Jahren, machte er schließlich seinen eigenen Laden auf. "Ein eigenes Geschäft ist der Traum der meisten Goldschmiede", glaubt Zheng. "Am Eröffnungstag dachte ich, ich würde mein Lebtag kein größeres Erfolgsgefühl haben. Später wurde mir klar, dass die Sehnsucht eines Menschen keine Grenzen kennt."

Als Selbständiger konnte Zheng seine Familie aus der Armut herausholen, und er hatte auch mehr Zeit, seine Technik zu erforschen und zu entwickeln. Als Anfang der achtziger Jahre das Sammeln von Teekännchen in Mode kam und die Leute Keramikkännchen für bis zu 300 000 NT$ (6666 Euro) in China kauften, war Zheng erstaunt. Beim Plaudern mit einem Freund entfuhr ihm eines Tages, "Teekännchen sollten nicht so teuer sein, selbst wenn sie aus Gold wären". Der Freund entgegnete: "Warum machst du nicht einfach eins und lässt uns mal schauen?"

Von Midas berührt

Begrüßung von Matsu. 2002, reines Gold, 44 x 74 x 20 cm

Zheng erkundete die Struktur von Teekännchen eingehend und kam zu dem Schluss, dass Schnitzen die beste Methode sei, da die Oberfläche innen glatt sein muss. Das traditionelle Verfahren zur Herstellung eines Teekännchens bestand darin, Gold zu dünnem Blech zu hämmern, dann getrennt den Bauch, Henkel, Deckel und die Tülle zu machen und die Teile anschließend zusammenzuschweißen. Zheng hielt sich aber nicht an die überlieferte Prozedur, sondern schmolz das Metall und goss es in eine Form. Hinterher glättete er das Innere des Kännchens mit einem Meißel und schnitzte ein Muster auf die äußere Oberfläche.

Teekännchen aus Gold

Im Jahre 1983 verkaufte er goldene Teekännchen für 200 000 NT$ (4444 Euro) das Stück. Die Menschen waren überrascht, dass Gold, das sonst zu Barren gegossen in Tresoren verschwand oder zu Schmuck verarbeitet wurde, auch zu praktischen Kunstwerken geformt werden konnte.

Die Beliebtheit seiner goldenen Teekännchen machte Zheng nicht nur berühmt und reich, sondern brachte ihm auch die immensen Möglichkeiten der Goldschnitzerei zu Bewusstsein. Er begann damit, sein Können zu verfeinern und seine Produkte zu diversifizieren, um so anspruchsvolle Werke zu schaffen, die Taiwans Geschichte, Kultur und Gebräuche darstellten.

Da seine Arbeiten immer komplizierter wurden, benötigte Zheng bald eine Lupe und brauchte für die Vollendung einiger seiner Stücke viel Zeit. "Für Gold-Bildhauerei braucht man gute Sehkraft, feines handwerkliches Können, Ausdauer und körperliche Stärke, außerdem finanzielle Kapazität", zählt er auf. "Die Eigenschaften von Gold lernt man nur durch Ausprobieren genau kennen. Es ist ein einsamer Ablauf und kann oft frustrierend sein."

Seine Anstrengungen haben sich jedoch ausgezahlt. Im Jahre 1999 erhielt er vom staatlichen Zentrum für traditionelle Kunst (National Center for Traditional Arts, NCTA) den Preis für traditionelles Kunsthandwerk "Traditional Craft Award". Seine Arbeit im Wert von 10 Millionen NT$ (222 000 Euro) zeigt eine Feier des Geburtstages der Meerresgöttin Matsu, buddhistische Gottheiten und -- anlässlich der Jahrtausendwende -- ein Schatzkästchen mit 81 Drachen darauf.

In den letzten Jahren hat Zheng sich mit dem Buddhismus befasst und wurde Vegetarier. Bei der Arbeit lässt er gern buddhistische Musik laufen, weil ihm das, wie er sagt, geistigen Frieden verleiht und ihn inspiriert. In der Tat reflektieren manche seiner Werke buddhistische Schriften und Philosophie.

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Lugang in dreihundert Jahren. 2001, reines Gold und reines Silber, 37 x 53 x 26 cm

Die vergoldete Galerie

Von Januar bis März dieses Jahres veranstaltete das NCTA eine große Ausstellung mit den Werken von 30 bekannten taiwanischen Kunsthandwerkern, bei der auch Zheng dabei war. Nach den Worten von Wu Hua-tsung, einem Sektionsleiter im NCTA, sollte die Ausstellung hervorheben, wie Tradition und Innovation ineinandergreifen, was Zheng mit sowohl seiner Technik als auch seiner Themenauswahl gelungen ist.

"Zhengs Kunst zeigt die Formbarkeit von Gold und vermittelt ein Gefühl von Kultiviertheit und Adel", lobt Wu. "Außerdem arbeitet er aus seiner eigenen Erfahrung heraus, so dass wir uns alle damit identifizieren können." Zhengs Stücke stellen Taiwans Feste, Volkskunst und Religion dar. Drei wichtige einheimische Ereignisse -- das Laternenfest, das Drachenbootfest und das Mondfest -- und außerdem Tempelfeste und das Landleben sind voller interessanter, zeitgenössischer Szenen, die sie bedeutend machen.

Laut Chuang Po-ho, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Stiftung für chinesische Volkskunst, stehen in den sich wandelnden Zeiten die traditionellen Künste und die Volkskunst Schwierigkeiten gegenüber oder sind gar vom Aussterben bedroht. Zheng ist dagegen ein gutes Beispiel für einen Handwerkskünstler, der sich behaupten kann. Chuang schreibt Zhengs Erfolg seinem Werden sowie der Innovation traditioneller Techniken und Themen zu. "Goldschmiederei ist ein altes Gewerbe, das mit taiwanischen Volksgebräuchen zusammenhängt, da Goldschmuck bei verschiedenen Anlässen wie Geburtstagen, Hochzeiten und Beerdigungen benutzt wird", enthüllt er. "Zheng ist lobenswert, weil er die Anwendung und den Wert von Gold mit seiner Kunst erweitert hat."

Entsprechend bemerkt Lu Chun-hsiung, CEO von der Kulturstiftung des Landkreises Taipeh, dass Gold seit langem von den Taiwanern benutzt wird, doch Ornamente mit Drachen- und Phönixmotiven verschwinden allmählich gemeinsam mit erfahrenen Handwerkern. "Zheng ist der einzige verbliebene Handwerker, der solide konventionelle Techniken kennt, sich aber unablässig um Verbesserungen bemüht", sagt Lu. "Die meisten erfahrenen Handwerker haben keinen Ehrgeiz zur Aufwertung ihres Handwerks." Lu findet es jedoch schade, dass das moderne Leben schnelle Arbeit und Massenproduktion betont.

Nach der Überzeugung von Chen Kuo-jen, Assistenzprofessorin an der Abteilung für Angewandte Kunst der Fu Jen Catholic University im Landkreis Taipeh, sind bei Zhengs Arbeiten die kulturellen Implikationen einzigartig. "Gegenwärtig neigen die meisten Künstler dazu, Werke in einem individualistischen Stil zu schaffen, wobei sie ihre eigenen Emotionen und Ideale zum Ausdruck bringen", analysiert sie. "Da ist nichts Falsches dran. Es ist nur so, dass etwas Tieferes fehlt. Zhengs Kunstwerke umfassen Geschichte, Kultur und Gebräuche. Sie sind außergewöhnlich, weil sie sein Interesse an der ganzen Gesellschaft zeigen."

Mit 61 Jahren, seinem Wohlstand und Ruhm könnte Zheng sich leicht zur Ruhe setzen, doch er will lieber weiter arbeiten. "Die Grenzen der Goldschmiederei auszudehnen ist mein Ehrgeiz und mein Interesse", erklärt er. "Wenn Sie mich fragen, welches Stück ich am meisten mag, dann muss ich sagen, 'jenes, das ich noch herstellen muss'."

(Deutsch von Tilman Aretz)

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