Laut Legenden der Bunun-Ureinwohner haben Formosa-Schwarzbären und Menschen gemeinsame Ahnen, doch heute stehen Forscher vor der schwierigen Aufgabe, Geldmittel aufzutreiben, damit sie das Überleben der zotteligen Tiere sichern können.
Im Jahre 2000 wurde der Formosa-Schwarzbär ( Ursus thibetanus formosanus oder Selenarctos thibetanus formosanus ) von Besuchern des Zoos von Taipeh zum beliebtesten Wildtier Taiwans gewählt. Im Jahr darauf wurde er zum Maskottchen für ein internationales Baseball-Turnier in Taiwan gekürt. Zwar sind die Taiwaner Baseball-Fans und kennen die Namen aller großen Spieler, doch über ihr eigenes Star-Tier wissen sie nur wenig. In den letzten Jahren wurde der Formosa-Schwarzbär in freier Wildbahn nur selten gesichtet, selbst Feldforscher finden dort nur vereinzelt Spuren ihrer Studienobjekte.
Als Unterart des asiatischen Schwarzbärs ( Ursus thibetanus ) ist der Formosa-Schwarzbär die einzige Bärenart, die in Taiwan heimisch ist, und er ist auch der größte Fleischfresser der Insel. Die großen Hundeartigen ( Canoidea ) sind 1,20 bis 1,90 Meter groß, wiegen 50 bis 200 Kilogramm und haben ein langes, dickes, schwarzbraunes Fell. Taiwans Ureinwohner kennen sie wegen der weißen mondsichelförmigen Markierung auf der Brust als Mondbären, und es wird vermutet, dass die Tiere früher Taiwans Wälder auf allen Höhenlagen bevölkert haben.
Aufgrund der zunehmenden Ausbeutung der natürlichen Umgebung durch den Menschen im Laufe der letzten Jahrhunderte sind die Bären nun vom Aussterben bedroht. 1989 wurden sie in die Liste gefährdeter Arten aufgenommen und erhielten den vollen Schutz des Wildtierschutzgesetzes. Asiatische Schwarzbären sind von der Internationalen Union für den Schutz der Natur und der Naturschätze ( International Union for the Conservation of Nature and Natural Ressources , IUCN) als gefährdete Art aufgelistet, und sie werden auch durch die Konvention über internationalen Handel mit gefährdeten Arten der Tier- und Pflanzenwelt ( Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora , CITES) vor Handel geschützt.
Über die Population der Formosa-Schwarzbären gibt es keine zuverlässigen Schätzungen. Hwang Mei-hsiu, Professorin am Institut für Wildtierschutz der National Pingtung University of Science and Technology, weist darauf hin, dass Taiwans grüne Wälder, die über die Hälfte der 36 000 Quadratkilometer großen Insel bedecken, rund 3000 bis 4000 Bären eine Heimstatt bieten können. "Als Land, das für seine industriellen und technologischen Leistungen bekannt ist, überrascht Taiwan häufig Ausländer, wenn sie Satellitenbilder der Waldlandschaften sehen", behauptet Hwang. Nach ihrer Schätzung würde bei größeren Fleischfressern wie den Schwarzbären eine Population von 2000 bis 3000 das Überleben der Art garantieren. "500 ist das Minimum, das erforderlich ist, um ein langsames Aussterben zu vermeiden", warnt sie. "Ich kann nicht genau sagen, wie viele Formosa-Schwarzbären jetzt hier leben, aber ich habe während meiner Expeditionen in die Bergwälder nur wenige Indizien für ihr Vorkommen wie Exkremente oder Klauenspuren an Baumstämmen gefunden."
Von Wilderern gejagt
Die 37-jährige Hwang, nebenbei stellvertretende Vorsitzende des Expertenteams für asiatische Schwarzbären in der IUCN, ist eine der wenigen Personen, die Forschung über die Formosa-Schwarzbären betreibt. Von 1998 bis 2000 war sie als Doktorandin im Fach Umweltschutz-Biologie an der University of Minnesota in den USA, und sie leitete dabei das erste größere Feldforschungsprojekt über die einheimischen Bären, finanziert von der Zentrale des Yushan-Nationalparks im zentraltaiwanischen Bergland. Mit Hilfe von Mitgliedern des Bunun-Stammes fing und betäubte Hwangs Team fünfzehn Bären und stattete sie mit je einem Sender am Halsband aus, um ihre Bewegungen über einen längeren Zeitraum verfolgen zu können. Acht der Bären fehlten Zehen oder Tatzen. "Das waren die, denen es gelungen war, sich aus den Fallen zu befreien, welche Jäger aufgestellt hatten", schnaubt sie. "Die Zahl umfasst nicht die Tiere, die es nicht geschafft hatten." Das lässt den Schluss zu, dass die Bären zwar vom Gesetz geschützt sind, aber Wilderer weiterhin eine Bedrohung für ihren Bestand darstellen.

Ein Schwarzbär-Männchen im Zoo von Taipeh.
Hwang glaubt nicht, dass die Schuld allein bei Ureinwohner-Jägern zu suchen ist. Für die Bunun, die auf den hohen Bergen Zentraltaiwans leben, gilt das Töten von Bären als Unglück verheißend, da sie Allesfresser sind, auf den fünfzehigen Füßen ihrer Hinterbeine stehen, wenn sie nach Futter greifen oder kämpfen, und gewöhnlich ein oder zwei Junge zur Welt bringen. Dies verleiht ihnen eine fast menschliche Aura, und sie haben eine legendäre Verbindung zu den Ahnen der Ureinwohner. Trotz dieses Tabus gilt das Töten eines Bären wegen seiner Seltenheit und der großen Schwierigkeit -- was erklärt, warum Bären nie zur bevorzugten Beute lokaler Jäger wurden -- als Heldentat und wurde zum Schwerpunkt traditioneller Jagdrituale, bei denen die erlegten Bären von den Stammesmitgliedern bei einem zeremoniellen Bankett gemeinsam verspeist wurden.
Das Ritual der Bärenjagd mit seiner sozialen und kulturellen Bedeutung unterscheidet sich sehr von der kommerziellen Ausbeutung des Tieres durch die Han-Chinesen. Ein chinesisches Sprichwort besagt, dass man sich zwischen Fischen und Bärentatzen entscheiden muss, zwei wertvollen Dingen, die man nicht gleichzeitig besitzen kann. In der Han-Kultur wird allen wichtigeren Bärenteilen wie Gallenblase, Fleisch und Tatzen ein hoher Wert beigemessen, da sie medizinische Eigenschaften haben oder als Wildfleisch-Delikatessen geschätzt werden. "Der zunehmende Austausch der Ureinwohner mit den Han veränderte ihre Jagdkultur", enthüllt Wang Ying, Biologieprofessor an der Pädagogischen Hochschule Taiwan in Taipeh und einer der Pioniere einer Studie Anfang der neunziger Jahre über Formosa-Schwarzbären in Gefangenschaft und in freier Wildbahn. Laut Hwang Mei-hsiu konnte wirtschaftliche Not manche Leute dazu treiben, gegen das Gesetz zu verstoßen: "Wenn kein Geld da war, um für das Mittagessen der Kinder in der Schule zu zahlen, dann entschieden manche sich dafür, die Bären mit ihrem hohen Wert zu jagen und sie auf dem schwarzen Markt zu verhökern, was sich größtenteils der staatlichen Kontrolle entzieht."
Bedrohter Lebensraum
Nach Wangs Überzeugung ist das genaue Ausmaß menschlicher Eingriffe für die Bedrohung der Art nur schwer festzulegen. Sehr oft gehen Bären in Fallen, die für andere Tiere aufgestellt wurden. Zwar wurde das Fällen von Bäumen in allen Naturwäldern 1992 von der Regierung verboten, aber der Bau von Straßen in Primärwäldern stellt eine erhebliche Bedrohung für den Lebensraum von Bären dar, indem ihr Futter-Territorium auf 30 bis 40 Kilometer begrenzt wird. "Mit den Straßen kommen Haushalte mit Wachhunden", sagt Wang. "Bären überqueren keine Straße, wenn auf der anderen Seite Hunde sind." Straßen machen Waldgebiete auch zugänglicher für menschliches Treiben wie illegales Jagen, was sich abträglich auf das Überleben von Bären auswirkt.
Hwang weist darauf hin, dass glücklicherweise Taiwans labile geologische Formationen und die schroffe Topografie Tieren in freier Wildbahn eine reelle Chance bieten, eine ungestörte Zuflucht zu finden. Jüngste Studien ergaben Beweise für ein vermehrtes Vorkommen von Schwarzbären in Zonen über 2000 Meter über dem Meeresspiegel in geschützten Gebieten wie dem Yushan-Nationalpark, anderen Nationalparks und Naturschutzgebieten. Das ist die Folge davon, dass Bären in Lebensräume mit weniger menschlicher Aktivität und mehr Nahrungsmittelquellen ziehen. Zwar sind die Bären Allesfresser, doch Formosa-Schwarzbären ernähren sich überwiegend vegetarisch von Nüssen, Samenkörnern und Obst, ein auffallender Kontrast gegenüber dem wilden und durch Implikation fleischfressenden Image dieser robusten Art.
Die zunehmend abgelegenen Lebensräume von Bären mit ihrem rauen Terrain, dichter Vegetation und wenigen Wegen machen es Feldforschern wie Hwang außerordentlich schwer. Mit einem jährlichen Budget von weniger als 1 Million NT$ (21 700 Euro) kann Hwang es sich normalerweise nicht leisten, ihr Team mit Hubschraubern in abgelegene Gebiete fliegen zu lassen, und die Beschäftigung von lokalen Trägern zum Schleppen der schweren Ausrüstung des Teams ist gleichfalls zu teuer. "Mit 20 bis 30 Kilo Gepäck pro Person brauchen wir manchmal fünf Tage, nur um zu den Forschungsgebieten hin- und wieder zurückzuwandern", seufzt Hwang. "Diese Art von Arbeitsumfeld ist für Studierende oder ihre Eltern kaum eine Ermutigung." Vor ein paar Jahren wäre Hwang beinahe in eine Schlucht gestürzt. Und die Verletzungsgefahr ist nicht alles. Die Seltenheit, mit der man Schwarzbären zu Gesicht bekommt, bedeutet, dass die Forscher nur wenige Rohdaten besitzen, auf deren Grundlage wissenschaftliche Arbeiten verfasst werden können, und daher schauen sie einer düsteren akademischen Zukunft entgegen.

Hwang Mei-hsiu (hockend) und ihre Partner bei der Feldforschung. (Foto: Courtesy Hwang Mei-hsiu)
Hwang glaubt, dass das Studium von Bären einnehmender und lohnender ist, als es durch die vereinzelten staatlichen Zuwendungen für ihre Forschung den Anschein haben mag: "Das Studium von Insekten wie Ameisen, Kakerlaken oder Heuschrecken ist natürlich auf seine eigene Art wertvoll, aber die Menschen neigen dazu, eine stärkere emotionale Bindung an ein großes, pelziges Säugetier zu zeigen." Von größerer Bedeutung ist, dass die allesfressenden Schwarzbären, die in ihrem weit reichenden Lebensraum an der Spitze der Nahrungskette stehen, als Regenschirmart in Wäldern leben. Das bedeutet laut Yang Chieh-chung, Chefsekretär des staatlichen Forschungsinstituts für endemische Arten, dass ihre Gesund heit und Lebensbedingungen entscheidende Umweltindikatoren für natürliche Lebensräume sind. "Wenn die Bären geschützt werden können, dann werden auch alle anderen Arten, sowohl in der Tier-als auch in der Pflanzenwelt, adäquaten Schutz bekommen", glaubt Yang.
Umweltschutz-Bewusstsein
Yang ist der Ansicht, dass die Formosa-Schwarzbären eine führende Rolle bei der Förderung des Umweltbewusstseins unter den Taiwanern spielen könnten, indem sie gleichzeitig auch Aufmerksamkeit auf ähnliche Anstrengungen für andere Arten lenken. Sein Institut im zentraltaiwanischen Landkreis Nantou hat soeben ein Stadium eines Programms zur Rückführung zweier Bärenjungen, die in Gefangenschaft geboren worden waren, in einen natürlichen Lebensraum abgeschlossen. Das Programm soll Tiere mit der Fähigkeit ausstatten, in ihren natürlichen Lebensraum zurückzukehren, während es gleichzeitig ihre Bewegungen im Auge behält und helfen kann, wenn Probleme auftreten. Yang empfiehlt die Einrichtung eines Naturparks, wo Besucher die Bären in einem relativ ungestörten Umfeld sehen könnten. "Die Menschen sind in der Regel von schnuckeligen Bärenbabys fasziniert, haben aber Angst vor ihnen, wenn die Bären größer sind", bemerkt er. "Ein natürlicherer Umgang zwischen Menschen und Bären würde viel zu Bildungsprogrammen über Umweltschutz beitragen."
Die acht Formosa-Schwarzbären, die in Yangs Institut gehalten werden, und mehrere andere Exemplare im Zoo von Taipeh und in Hwangs Schule ermöglichen es Forschern, grundlegende Verhaltensdaten in einem bequemen und kontrollierten Umfeld zu sammeln, wo die Bären im Gegensatz zu den Artgenossen in Feldstudien nicht betäubt werden müssen. "Dadurch wird jeder mögliche körperliche Schaden vermieden", freut sich Yang Jian-ren, stellvertretender Direktor des Zoos von Taipeh. "Anstatt den Tieren Blut abzuzapfen, sammeln wir für biologische Untersuchungen die Bärenexkremente." Unter anderem könnte die stabile Datenbank im Zoo dabei helfen, die genetischen Verbindungen des Formosa-Schwarzbären mit anderen Unterarten des asiatischen Schwarzbären zu ermitteln. Der Zoo hat eine Forschungsgruppe gebildet, welche die Aufgabe hat, die einzigartigen einheimischen Arten zu schützen. "Wildlebende Tiere sind nationale Schätze", definiert Yang. "Bären haben für uns alle einen ästhetischen, pädagogischen, unterhaltenden, medizinischen, wissenschaftlichen und ökologischen Wert."
Auf einer grundsätzlichen Ebene steht das Überleben des Formosa-Schwarzbären in freier Wildbahn für die Integrität von Taiwans natürlicher Umgebung. "Im Kontrast zu beliebten eingeführten Tieren wie Pinguinen oder Koala-Bären sind Schwarzbären ein Beispiel für eine einzigartige einheimische Erfahrung", rühmt Hwang. Wang Ying ist der Ansicht, dass man Kindern nicht das Vorurteil der wilden Bären beibringen, sondern ihre Rolle als Schutzgötter der Berge und Wälder betonen sollte, damit sie die Bunun-Legenden lernen können, die Menschen und Schwarzbären gemeinsame Ahnen bescheinigen.
(Deutsch von Tilman Aretz)