09.09.2025

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Eine "Reise nach dem Westen"

01.09.1988
Tradition und Moderne sucht der experimentierfreudige Lai zu einem integralen Gesamtkunstwerk zu verbinden.
Das literarische Motiv der "Reise nach dem Westen" (西遊記) - auch als "Reise des Affen" bekannt - birgt seine stofflichen Wurzeln in jener längst vergangenen Epoche, als sich in Teehäusern und auf Marktplätzen des historischen China die traditionellen Geschichtenerzähler noch großer Beliebtheit erfreuten. Die auf uns gekommene Version dieses beliebten Erzählmotivs ist indessen als Roman verfaßt, wobei die Autorenschaft des im 16. Jahrhundert schaffenden Wu ch'eng-en (吳承恩: ca. 1506-1582) als wahrscheinlich gilt. Etwa zur gleichen Zeit schriftstellerisch tätig wie Shakespeare und Montaigne, nimmt Wu die berühmte Pilgerreise des buddhistischen Mönchs Hsüan-tsang (玄奘; 596-664) zum Ausgangspunkt seiner Geschichte, der sich in der ersten Hälfte des siebten nachchristlichen Jahrhunderts auf den langen, beschwerlichen Weg nach Indien machte, um in den sagenumwobenen "Westlanden" die heiligen Lehrtexte zu finden.

Der bis heute erhaltene Reisebericht Hsüan-tsangs bietet aus erster Hand eine eindrucksvolle Beschreibung Innerasiens und des mittelalterlichen Indien, und gehört zu den wichtigsten historischen Quellen jener Zeit. Auch die Biographie des Mönches von der Hand eines zeitgenössischen Gelehrten enthält weitere interessante Details zur Person des buddhistischen Pilgers und schildert ihn voll Begeisterung als einen Mann, der sich mutig und beherzt jedweder Gefahr entgegenstellt, um seine Mission zu erfüllen.

Auch in der literarischen Bearbeitung als Reise nach dem Westen wird der Mönch Hsüan-Tsang - hier "Tripitaka"* genannt - als ein solch heldenhafter Charakter vorgestellt. Allerdings wird bei Wu Ch'eng-en die historisch verifizierte Pilgerfahrt zu einer allegorischen Erzählung transformiert, deren Inhalt nach bestem chinesischen Muster mit Fabelwesen und übernatürlichen Figuren geradezu gespickt ist. Dies hat zur Folge, daß der wackere Tripitaka - zusätzlich zu den ohnehin enormen Reisestrapazen - auf dem in 81 Episoden** unterteilten Weg zu seinem Ziel manch harten Strauß mit Monstren und Dämonen ausfechten muß.

Doch nicht allein die dämonenhaften Gegner des Tripitaka sind Meister der Schwarzen Künste, sondern auch die im Roman dem Mönch als Wegbegleiter beigegebenen drei Fabelwesen besitzen übernatürliche Fähigkeiten: - Die herausragendste Figur unter den drei Gefährten ist mit Sicherheit der listenreiche Affe Sun Wu-k'ung (孫悟空) - eine Inkarnation des Affengottes Hanuman aus dem indischen Ramayana -, der seinem Herrn und Meister vermittels seiner magischen Eisenstange über manches Hindernis hinweghilft.

Während in der Romanbearbeitung die Kunstfigur "Tripitaka" - und mit ihm der historische Kern der Erzählung, mehr und mehr verblaßt, tritt die schillernde Gestalt des Sun Wu-k'ung - ab dem 14. Kapitel zum Wegführer des Mönchs geworden - zunehmend in den Vordergrund, so daß er in Roman wie Bühnenbearbeitung mit gutem Recht als Protagonist der Handlung bezeichnet werden kann. Zusammen mit dem Schwein Chu Pa-chie (豬八戒) und dem zum "Sandpriester" geläuterten Flußungeheuer Sha Wu-seng ( 沙悟僧) begleitet der Affe den auf einem "Weißen Drachenpferde" reitenden Tripitaka auf dem langen, gefährlichen Weg zu seinem Ziel, welches sich in der literarischen Überhöhung der Romanfassung zum "Westlichen Paradies" des Buddha Amitabha verklärt hat.

Doch auch jenseits der Ebene spannungsgeladener Prosa bietet die facettenreiche Erzählung einen weiteren Reiz, übt sie doch scharfe Kritik an den Zuständen der zeitgenössischen Gesellschaft und beinhaltet eine unterschwellige Satire auf den ausufernden Bürokratismus unter dem Ming-Kaiser Wu Tsung (武宗), der von 1506-1521 unter der programmatischen Devise "Cheng-Te" (正德: "Gerechtigkeit und Tugend") regierte.

Ganz im Sinne der literarischen Vorlage beinhaltet auch die als Oper bearbeitete Bühnenversion der Reise nach dem Westen viele sozial- und zeitkritische Elemente: - So standen der moderne Mensch und sein soziales Umfeld gleichermaßen im Kreuzfeuer der Kritik, als die postmoderne Adaption des altbekannten Romanstoffes anläßlich ihrer Erstaufführung im neuerbauten Nationaltheater ein wahres Feuerwerk der Sinneseindrücke entfachte und damit einmal mehr die Vitalität und Experimentierfreudigkeit der zeitgenössischen Kulturszene unter Beweis stellte.

Als vor Jahr und Tag eine örtliche Theatergruppe mit dem Namen The Performance Workshop vom Nationaltheater den Auftrag erhielt, eine Oper mit dem Titel Die Reise nach dem Westen zu produzieren, hätte die Mehrheit des theaterinteressierten Publikums prinzipiell nichts weiter erwartet, als Endprodukt dieser Bemühungen eine vereinfachte musikalische Version des bei Alt und Jung beliebten Bestseller-Kalassikers zu erleben, in welcher im altvertrauen Setting die abenteuerlichsten Monster und Fabelwesen zur Freude und Belustigung der Kinder auf der Bühne herumhüpfen würden. - Doch weit gefehlt!

Autor und Regisseur Stan Lai (LAI Sheng-chuan; 賴聲川) verstand es, dieser im Laufe der Jahrhunderte zu einer Art "mystisch-religiösem Comic-Strip" verflachten Romanvorlage eine weitaus komplexere und vor allem gegenwartsbezogenere Aussage zu geben. Hatte doch der um unorthodoxe Lösungen bemühte Künstler durchaus richtig erkannt, daß sich die Botschaft dieses von vielen als antiquiert abgetanen klassischen Romans ohne weiteres auf die Alltagswirklichkeit des 20. Jahrhunderts übertragen läßt.

"Auch im Laufe dieses Jahrhunderts hat sich die 'Story' der Reise nach dem Westen in den verschiedensten Formen wiederholt!" meint Lai im Brustton der Überzeugung. "Schauen Sie sich doch einmal um, - wie viele rastlos suchende Tripitakas, wie viele faul-behäbige Chu Pa-chies und freundlich-furchterregende Flußungeheuer lassen sich dann finden." - In seiner Opernversion hat Lai die ursprünglich 81 Episoden der Reise auf insgesamt sieben Akte reduziert oder besser "verdichtet". In Anlehnung an die "Sieben Friedhöfe" eines tibetischen Mandala*** stellen diese die Lebensstationen dreier wesensmäßig grundverschiedener und doch karmisch miteinander verbundener Charaktere dar.

Dabei ist im Falle der Oper der Affe Sun Wu-k'ung die einzige Gestalt, bei der die Romanfigur unmittelbar Pate stand. Seine Geschichte basiert auf den ersten sieben Kapiteln der Romanvorlage, in denen nach Art eines Vorspanns die ursprünglich unabhängige Geschichte geschildert wird, wie der Affe sein unverdorbenes Paradies am Berg der Blumen und Früchte verläßt, um die Unsterblichkeit zu erlangen. - Nach langer Reise erreicht er tatsächlich die ersehnte Transformation und fährt gen Himmel auf, wo er jedoch durch seine mutwilligen Streiche allgemeines Chaos herbeiführt. Letztendlich aber wird er vom Buddha bezämt und als Bestrafung für sein undiszipliniertes Verhalten im "Berg der fünf Elemente" - eine Allegorie auf dem menschlichen Körper - eingekerkert. Dort muß er nach dem Richtspruch Buddhas so lange verweilen, bis er dereinst seine Läuterung als Wegführer des Mönchs Tripitaka unter Beweis stellen kann, um auf diese Weise endgültig Erlösung zu finden.

Soweit bewegt sich die Oper auf vertrautem Grund, doch wird in Lais Inszenierung der ursprüngliche Tripitaka in zwei unabhängige Einzelcharaktere aufgespalten. Ersterer, der den Namen "Tripitaka" beibehält, tritt in Gestalt eines Examenskandidaten zur Zeit der Ching-Dynastie auf. Sich auf dem Weg in die Hauptstadt befindend, um dort die höchste Beamtenprüfung abzulegen, ändert er indessen seinen Kurs in Richtung Westen und macht sich auf die Suche nach den heiligen Schriften. Diese Episode ist - allerdings zeitversetzt - dem Vorbild der Originalerzählung entnommen und geht auf einen dort geschilderten Traum des berühmten Generals Wei Cheng (魏徵) zurück: - Bestürzt berichtet dieser eines Morgens, er habe im Traume einen Drachen getötet. Nun ist der Drache in China ein Symbol des Kaisers, und so faßt der Herrscher, der ja auf dem "Drachenthrone" sitzt, diesen Traum als böses Omen auf. Voll banger Befürchtungen appelliert er deshalb an die Entschlußkraft eines kühnen Mannes, der sich als Retter des Vaterlandes (und seiner selbst) bereit fände, eine Expedition in die mit Unsterblichkeitsmythen verbundenen "Westlande" zu unternehmen.

Im Sinne einer modernistischen Verfremdung wird in der Oper die zweite Inkarnation Tripitakas von einem (in Anspielung an den historischen Hsüan-Tsang) "A-tsang" genannten "Herrn Jedermann" aus Taipei gespielt. Der lernbegierige A-tsang (eine Remineszenz an das Amerika-Studium des Autors?) hat gerade eine Prüfung bestanden, die ihn zum Studium im Ausland qualifiziert und macht sich nun voller Hoffnung auf, um im - in China Hsi-yang (西洋) genannten - Okzident zu studieren.

Eine Ironie des Stückes liegt darin, daß sich in der modernen Variante der historischen Westlandsreise die Stoßrichtung des Suchens vom Westen gen Osten (dort liegt das Traumland "Amerika"!) verkehrt hat. Auch ist in Lai's Opernfassung das Ziel der sehnsuchtsvollen "Pilgerreise" nicht länger eine - wie auch immer geartete - spirituelle "Erlösung", sondern vielmehr die verlockende Aussicht auf Erlangung eines akademischen Grades im Ausland, - Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Karriere nach der eventuellen Rückkehr. Durch diese den Rahmen der klassischen Vorlage sprengende Wendung erhält das Stück den Charakter einer Satire, - ein Unterton, welcher durch das unglückliche Ende der drei Hauptakteure noch betont wird: - "Monkey" landet im Gefängnis, Tripitaka, des Wanderns müde, ist ein seniler alter Tattergreis und der desillusionierte A-tsang kommt schließlich ums Leben, - eine überraschende Wende, die das getreu der literarischen Vorlage innerlich auf ein "Happy End" vorbereitete Publikum sicher nicht wenig verunsichert hat.

Die formale Anlage des komplexen Werkes, dessen sieben Akte mit insgesamt dreieinhalb Stunden Spieldauer an Aufnahmefähigkeit und "Stehvermögen" der Theatergäste gleichermaßen hohe Anforderungen stellen, wird dem anderweitig leicht desorientierten Zuschauer in Form eines überdimensionalen Mandala vor Augen geführt, welches gleichsam als "Landkarte des dramaturgischen Mikrokosmos" die einzelnen Stationen des Stückes optisch verdeutlichen soll. Getreu der zyklischen Form des Mandala-Arrangements verläuft dabei die Handlungsentwicklung der Oper nicht etwa geradlinig in Richtung auf eine finale Klimax, sondern folgt statt dessen einem kontrapunktischen "1-7,2-6,3-5 Schema", in welchem die sechs "Außen-Akte" wie konzentrische Schalen um den zentralen vierten Akt gruppiert sind. - In diesem Sinne ist auch die in der Schlußszene als überraschende Wendung enthaltene letztendliche Errettung des Affen durch Tripitaka lediglich als eine Art formale Rückbindung zur Ausgangssituation des Stückes zu betrachten, vermittels deren angedeutet werden soll, daß auch mit dem Fallen des Vorhangs und dem Verklingen der Schlußakkorde des Orchesters die eigentliche Reise nach dem Westen keinen Abschluß gefunden hat.

"Wiederholung ist das Wesen des Universums, - variierend in den Inhalten, doch ähnlich in der Form. Für mich betrifft das immer wieder aufklingende Leitmotiv der Reise nicht allein den Affen Sun Wu-k'ung und die Person Tripitakas, sondern versinnbildlicht vielmehr die archetypische Reise des chinesischen Geistes", sucht Stan Lai das Wesen seines Werkes zu erläutern, das - vor allem wegen seiner übergroßen Komplexität - vom Publikum nicht unbedingt mit einhelliger Begeisterung aufgenommen wurde.

Ganz im Sinne vieler postmoderner Künstler hat der avantgardistische Tsai die verschiedenen Motive der literarischen Vorlage mit - teils recht willkürlich aus dem Zusammenhang gelösten - historischen Versatzstücken und Remineszenzen an eigenes Erleben zu einem Monumentalopus verbunden, welches wohl weit weniger als Neubearbeitung eines bereits existierenden Stoffes denn als Psychogramm des Autors interpretiert werden muß, will man dem Charakter des Werkes gerecht werden. - Ein Kernthema des um Bewahrung traditioneller Werte besorgten Künstlers, welches auch in seinen anderen Werken immer wieder anklingt, ist der unaufhaltsame Niedergang altüberlieferter Werte und Traditionen in der chinesischen Gesellschaft, die Orientierungslosigkeit des Modernen Menschen in der Masse und der schmerzvolle Prozeß einer Entfremdung von der eigenen Kultur.

Als Sohn chinesischer Auswanderer vom Festland im amerikanischen Georgetown geboren, hatte Lai während der ersten sieben Jahre seiner Kindheit die mittelbaren und unmittelbaren Auswirkungen all diese Phänomene schon früh am eigenen Leib erfahren. In der Folgezeit waren die Eltern in die Republik China übergesiedelt, wo Lai mit Absolvierung von High School und Universität eine Ausbildung nach chinesischem Muster erhalten hatte. - Nach einem "Intermezzo" von rund zwei Jahrzehnten in sein ihm fremd gewordenes Geburtsland zurückkehrt, vertiefte und intensivierte sich dieses anfangs recht unartikulierte Empfinden um schließlich anläßlich seines Studiums der Theaterwissenschaften an der kalifornischen Berkley Universität konkrete gedankliche Formen anzunehmen.

Was lag für den sich selbst als eine Art "Wanderer zwischen den Welten" begreifenden Lai also näher, als in seiner Bearbeitung der Reise nach dem Westen jenes "Thema seines Lebens" in den Mittelpunkt zu stellen und durch "Aufspaltung" des Tripitaka in zwei in unterschiedlichen Kultur- und Zeitebenen agierende Einzelcharaktere diese innere Zerrissenheit zum Ausdruck zu bringen. - Auf transpersonaler Ebene wird dieser "Zusammenbruch einer heilen Welt" durch jenes blutige Drachenhaupt versinnbildlicht, das im zweiten Akt der Oper mit donnerndem Getöse herniederstürzt, während durch ein überdimensionales Einfallstor im Hintergrund die "West-Barbaren" einmarschieren.

Unmittelbar nach Erhalt des Auftrags zur Erstellung der Oper flog der nach einem passenden Komponisten für die Opernmusik suchende Lai nach Washington, um dort mit dem Musiker Chen Chien-tai (陳建台) Kontakt aufzunehmen. Chen, einer der führenden Komponisten auf dem Gebiet der traditionellen Chinesischen Musik und auch mit westlichen Kompositionsstechniken wohl vertraut, erschien Lai für das ihm vorschwebende "Ineinanderweben der Traditionen und Stile" geradezu prädestiniert. In nächtelanger Diskussion konferierten die beiden über das komplexe Problem, das zu jener Zeit erst im Rohentwurf fertige Bühnenskript für die musikalische Bearbeitung zu adaptieren. Schließlich jedoch gelang es, die anfangs recht unterschiedlichen Vorstellungen einander anzugleichen, und während im fernen Paris der zuvor von Lai kontaktierte Kunstgraphiker Chen Cao-pao (陳朝寶) bereits die ersten Entwürfe des Bühnenbilds skizzierte, machten sich Autor und Komponist voll Enthusiasmus an die Arbeit.

Da normalerweise für die Komposition einer Oper ein Zeitraum von mindestens zwei Jahren veranschlagt wird, stand Komponist Chen Chien-tai gehörig unter Zeitdruck, innerhalb der für die Produktion der Oper gesetzten Frist von knapp einem Jahr eine aufführungsreife Partitur zu erstellen. Auch stellte das komplexe Manuskript, welches eine Vielzahl von Charakteren simultan auf verschiedenen Handlungsebenen agieren ließ, überaus hohe Anforderungen an das kompositorische Talent des Künstlers.

"Es gab eine Krisenphase, in welcher ich nahe daran war, das unrealisierbar erscheinende Projekt aufzugeben!", erinnert sich Chen mit ernstem Blick. - "In meiner kompositorischen Arbeit hatte ich bis dato das Ziel verfolgt, die wahre Musik des Chinesischen Volkes wiedererstehen zu lassen. Nun aber erforderte es der multimediale Charakter der Oper, die wesensmäßig grundverschiedenen Musiktraditionen Chinas und des Okzidents einander zu amalgamieren: - Alle mir bekannten Musikstile flossen letztlich in die Partitur mit ein und fügten sich zu einem Klanggebäude ungeheurer Komplexität und Dichte."

"Orchester und Solisten arbeiten mit klassischen und nichtklassischen Melodienläufen. Manchmal ist der Stil romantisierend und verwestlicht, - ein andermal wieder wirkt er mit seinen strengen, klassisch-chinesischen Formen geradezu archaisch. - So wird zum Beispiel der Affe Sun Wu-k'ung von gebrochenen, rustikalen Akkorden untermalt, welche die Atmosphäre von Tun-Huang (敦煌), der alten Seidenstraßenstadt, anklingen lassen. Tripitaka wiederum rezitiert im Soochow T'an-tz'u (蘇州彈詞), dem rhythmisierenden Sprechgesang der Barden und Geschichtenerzähler, während sein "Alter ego" A-tsang von poppigen Gitarrenklängen begleiter wird."

In den letzten Monaten, die nach Fertigstellung von Partitur und Opernskript für die Proben verblieben, war jedes Ensemblemitglied mit Arbeit geradezu überhäuft, - allen voran Bühnenbildner Nieh Kuang-yen (聶光炎): - Sollte doch laut Regieanweisung in fünf der insgesamt sieben Szenen ein überdimensionales, dreistöckiges Haus in voller Größe auf der Bühne stehen, in dessen zweitem und dritten Stockwerk die Schauspieler agierten. Doch auch die bühnenbildnerische Gestaltung der übrigen Akte barg für den geplagten Nieh noch viele Tücken: - So überstieg zum Beispiel die ursprüngliche Konzeption Lai's, den oben erwähnten Drachenkopf auf die Bühne herabrollen zu lassen, auch im großzügig ausgestatteten Nationaltheater die Grenzen des technisch Mögligchen..!

Anläßlich der Premiere, die trotz aller Hindernisse schließlich am 18. Dezember 1987 mit leichten Pannen über die Bühne ging, wurde die Oper vom erwartungsfreudigen Publikum mit enttäuschter Zurückhaltung aufgenommen. - "Vom Ansatz her recht interessant und auch sehr spektakulär in den Effekten. Aber es passieren zu viele Dinge gleichzeitig auf der Bühne. - Man fühlt sich einfach überfordert!" - Dieses wenig schmeichelhafte Resümee eines konsternierten Zuschauers mag als durchaus exemplarisch für die Reaktion des breiten Publikums gelten.

Aber auch von Seiten der Berufskollegen erhoben sich zahlreiche kritische Stimmen. So wurde vor allem das Argument vorgebracht, daß in einer Oper der Musik die erste Priorität eingeräumt werden müsse, während Lai's Dreieinhalb-Stunden-Opus ebensogut völlig ohne Musikbegleitung auskommen könne. - "Natürlich kann und darf eine herausragende Oper philosophische Elemente enthalten, - sich aber einzig und allein auf philosophische Inhalte stützen zu wollen, halte ich bei der Opernkomposition für verfehlt!", brachte der bekannte Komponist Hsu Chang-hui die Vorwürfe der Professionellen auf eine schlüssige Formel. - "Allein der zweite Akt könnte gut und gerne als eigenständiges Drama inszeniert werden. Doch selbst wenn das Stück als Schauspiel produziert worden wäre, bliebe Die Reise nach dem Westen in dieser effekthascherischen, konfusen Form nach wie vor umstritten."

Mag dieses negative Verdikt von Kritik und Publikum für die mit soviel Enthusiasmus am Entstehungsprozeß der Oper Beteiligten auch schmerzlich - und vielleicht ein bißchen peinlich - sein, doch ist die Uraufführung eines Werkes nun einmal "die Stunde der Wahrheit" und im Theater - wie in allen Sparten des "Showbusiness" ist und bleibt letztendes der Kunde König. Wenn nun ein ambitionierter Stückeschreiber und Arrangeur wie Stan Lai bei der Premiere seiner Oper "ins Wasser fällt", so bedeutet dies für die Macher des Stückes nicht unbedingt eine Katastrophe. Doch sollte man sich hüten, nach Art einer beleidigten Diva dies "der intellektuellen Unreife des provinziellen Publikums" zum Vorwurf zu machen und statt dessen die Ursache für die negative Rezeption des Stückes in erster Linie bei sich selber suchen.

Kunst hat auch in der heutigen Zeit immer noch etwas mit Können zu tun. Wie groß dieses Können sein kann und auf welch mühevolle Weise solch technische Perfektion und Ausdrucksstärke Schritt für Schritt erworben werden muß, beweist zum Beispiel die langjährige Ausbildung der Darsteller im traditionellen Chinesischen Theater. - Zwar ist es durchaus legitim, alte, überlebte Formen durch neue Wege der Darstellung ersetzen zu wollen, doch soll und muß dabei die Form im Dienste des Inhalts stehen. Verschweigen und Andeutung war seit jeher das "Stilmittel" jeder wahren Kunst, jenen geheiligten Bereich des Unaussprechlichen voll Ehrfurcht und Zurückhaltung zu umreißen. Wer derart verfährt - und lauscht, bevor er spricht - gewinnt in aller Stille die Herzen des Publikums, doch ist es ein Zeichen charakterlicher Reife, auf formale Fülle zu Gunsten von Einfachheit und Schlichtheit zu verzichten.

(Deutsch von Rita Loewenthal)

* "Tripitaka" oder "Dreikorb" ist die Bezeichnug für den Kanon des Pali-Buddhismus.
** "Die "81" symbolisiert ein Schachbrettmuster mit 9 x 9 Quadraten und damit - gemäß chinesischer Kosmographie - die Welt!
*** Die "Sieben Friedhöfe" des Mandala versinnbildlichen die "Sieben Bereiche Sinnlicher Verstrickung" - Samsara, in welchen die noch unerlösten Lebewesen als Opfer ihrer aus Unwissenheit geborenen Begierden gefangen sind.

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