30.09.2025

Taiwan Today

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Deutscher Wirtschaftsminister wirbt auf Taiwan für Investitionen in den neuen Bundesländern

01.01.1993
Der erste Besuch des inzwischen zurückgetretenen Wirtschaftsministers Jürgen W. Möllemann auf Taiwan war gleichzeitig auch der erste offizielle Besuch eines deutschen Regierungsmitglieds hierzulande. Möllemann reiste in Begleitung des thüringischen Wirtschaftsministers Dr. Jürgen Bohn sowie einer 77köpfigen Delegation bestehend aus deutschen Wirtschaftskräften, Beamten und Vertretern der Presse nach Taipei, um die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zu fördern und der Geschäftswelt Taiwans Investitionen in den neuen Bundesländern schmackhaft zu machen. Das dichtgedrängte Programm des knapp zweitägigen Besuches begann mit einem Arbeitsfrühstück am 18. November, bei dem Möllemann im Beisein von hiesigen Geschäftsleuten mit seinem chinesischen Amtskollegen Vincent Siew und mit Verkehrsminister Eugene Chien Gespräche führte.

Am Vorminag desselben Tages hielt er ein Symposium, welches den Titel "Investitionsgelegenheiten in den neuen deutschen Bundesländern" trug. Er wies auf die großen weltweiten Veränderungen in den vergangenen Jahren hin, die schließlich auch die Wiedervereinigung Deutschlands möglich gemacht hätten. Der deutsche Wirtschaftsminister wollte vor allem Taiwans Geschäftsleute auffordern, einen genauen Blick auf die neuen deutschen Bundesländer zu werfen und die Chancen jetzt zu nutzen. Er zeigte auf, daß die wiedervereinigte Bundesrepublik nach Beendigung der Reformen ein wellvoller Markt für Investoren sein werde. Ostdeutschland mit circa 100 000 km2 und einer Bevölkerung von 16 Millionen habe eine große industrielle Tradition, aber die 40jährige Phase der Planwirtschaft habe das Land heruntergewirtschaftet, sagte Möllemann. Er gab zu, daß die Bundesregierung die Situation in den neuen Bundesländern völlig verkannt habe, die wirtschaftliche Lage tatsächlich schlimmer als erwartet gewesen sei und der Aufhau sehr viel länger dauern werde. Die großen Bereiche des Aufbaus liegen bei Handel, Dienstleistungen, Handwerk, Infrastruktur. Die Bundesregierung habe umfassende Hilfen für die Entwicklung der neuen Bundesländer vorgesehen, die unter anderem in Form von staatlichen Subventionen, niedrigen Zinssätzen und Steuervergünstigungen erfolgen. Der Minister hob besonders hervor, daß diese Maßnahmen für alle gelten, ausländische wie deutsche Investoren. Weitere Vorteile in den neuen deutschen Bundesländern seien außerdem die motivierten, hochqualifizierten und sofort verfügbaren Arbeitskräfte.

Eine Investition in Ostdeutschland sichere eine erstklassige Brücke zum europäischen Binnenmarkt sowie auch nach Skandinavien und Osteuropa. Von den über 10 000 Firmen, die die Treuhand bislang verkauft habe, seien 500 Firmen an ausländische Investoren, vornehmlich aus Europa und den USA, gegangen, aber auch die Koreaner hätten sich mit dem Kauf des ehemals größten Fernsehherstellers in Ostdeutschland beteiligt, berichtete Möllemann. Taiwans Computerkonzern Aquarius könnte mit seinem Joint-venture in Thüringen ein Trendsetter für andere hiesige Firmen sein, meinte er. Der deutsche Minister ging auch auf die Meldungen über Ausschreitungen gegen Ausländer in Deutschland ein. Er sagte ausdrücklich, daß die Bundesregierung die Vorfälle verurteilt und strenge Maßnahmen dagegen ergreifen wird. Es handle sich bei den Urhebern um militante Minderheiten, die in keinster Weise die deutsche Gesellschaft repräsentierten. Die großen Kundgebungen in Bonn und Berlin, wo Tausende von Deutschen gegen Rassismus und Neo-Nazis protestierten, seien ein gutes Beispiel dafür. Daß es dabei zu Krawallen gekommen war, sei auf kleine Gruppen von Hooligans zurückzuführen gewesen. Deutschland als liberales Land verhalte sich der Welt gegenüber offen, und die Deutschen blieben nach wie vor freundlich gegenüber Ausländern.

Anschließend sagte Minister Vincent Siew, daß er eine verstärkte Kooperation zwischen Deutschland und der Republik China erwarte und daß Deutschland für Taiwans Geschäftsleute als Tor zum EG-Markt dienen könne. Siew lobte die herausragenden technischen Leistungen der Bundesrepublik und begrüßte eine deutsche Beteiligung an Projekten des Sechsjahres-Entwicklungsplans. Daraufhin stellte Dr. Jürgen Bohn sein Bundesland Thüringen vor, welches, wie er sagte, das "grüne Hertz" Deutschlands genannt wird und im Zentrum von Europa liegt. Er lud die hiesigen Geschäftsleute ein, Thüringens Vorteile zu nutzen und in dem neuen Bundesland zu investieren.

Ob es nicht ein wenig spät sei, erst jetzt nach Taiwan zu kommen, um für die neuen Bundesländer zu werben, fragte Exekutivdirektor Volker Charbonnier, der sich als der Botschafter von Treuhand-Präsidentin Birgit Breuel bezeichnete. Er würde immer wieder hören, "das Beste ist schon an die Deutschen verkauft" und "Ausländer werden nicht gewollt". Dazu wolle er ein klares Nein aussprechen, denn "Kronjuwelen seien immer noch zu haben", betonte Charbonnier. Die Aufgabe der Treuhandanstalt sei nicht allein, die ehemaligen Staatsbetriebe zu veräußern, sondern die Firmen zu restrukturieren und durch Verbesserung ihrer Produkte sowie Reduzierung auf eine konkurrenzfähige Größe die Betriebe wettbewerbsfähig zu machen, was Zeit in Anspruch nehme. Man schaue nicht nach den höchsten Preisen, sondern sei bestrebt, die Entwicklung in den neuen Bundesländern zu fördern und sie in die globale Wirtschaft zu integrieren. Diese Bemühungen der Treuhand zusammen mit einer hochqualifizierten, sorfort zur Verfügung stehenden Arbeiterschaft sowie niedrigeren Kosten als im Westen seien eine gute Ausgangsbasis, die sich Investoren aus Taiwan jetzt zunutze machen sollten, sagte Charbonnier.

Als letzter Redner berichtete dann der Vorsitzende von Aquarius Systems Inc., Paul Liu, über die Erfahrungen des Unternehmens, welches als erster Investor Taiwans sich in Sömmerda (Thüringen) etabliert hat. Im Juni 1990 schloß sich Aquarius mit der ehemaligen staatseigenen Elektronikfirma Robotron zusammen, gründete das Joint-venture-Unternehmen Aquarius Robotron Systems GmbH (ARS) und stellt seither in Thüringen Personalcomputer für den Verkauf in Ostdeutschland und Osteuropa her (Lesen Sie dazu auch bitte unseren Artikel "Vorreiter im Joint-venture-Bereich" in dieser Ausgabe).

In einer von den Ministern Siew und Möllemann gemeinsam gegebenen Pressekonferenz verlauteten die Gesprächspartner folgende Übereinkünfte für eine intensivere wirtschaftliche Zusammenarbeit:

- Zukünftig sollen die Kontakte durch mehr gegenseitige Besuche von Vertretern der Wirtschaft fortgeführt werden, während zwischen den Wirtschaftsministerien Möglichkeiten zu offiziellen Beratungstreffen eingerichtet werden.
- Die chinesische Seite garantiert faire Chancen für das deutsche Projekt beim Konkurrieren um den 18-Milliarden-US$-schweren Großauftrag zum Bau der geplanten Hochgeschwindigkeitsbahn.
- Einrichtung eines Komitees zur Wirtschaftskooperation, welches die Zusammenarbeit zwischen privaten Unternehmen beider Seiten und die Gründung von Joint-ventures fördern, die deutsche Beteiligung am Sechsjahresplan unterstützen und wlchem auch die Aufgabe der Förderung von Technologietransfer zukommen soll. Die Republik China und Deutschland wollen jeder die geographische Lage des anderen dazu nützen, feste Stützpunkte für das Operieren auf dem europäischen beziehungsweise dem asiatischen Markt einzurichten.
- Die deutsche Seite stellt zur Förderung der Zusammenarbeit im Bereich der Technik 40 Stipendienplätze für Trainingsprogramme der Carl-Duisberg-Gesellschaft zur Vergabe an Bewerber aus Taiwan frei, welche der beruflichen Fortbildung in verschiedenen Bereichen wie Industriedesign, Systemintegrierung, Qualitätssicherung und Umwelttechnik dienen.
- Förderung beiderseitiger Investitionen, wobei die Behörden der zwei Länder Investoren in administrativen Fragen großzügig unterstützen sollen.
- Im Hinblick auf die baldige Einrichtung einer direkten Flugverbindung zwischen den beiden Ländern begannen der chinesische Verkehrsminister Eugene Chien und der Parlamentarische Staatssekretär im Verkehrsministerium Deutschlands, Wolfgang Gröbel, die Diskussion der Details; beide Seiten sind sich über die wirtschaftlichen Vorteile einer solchen Verbindung einig. [Am 20. Dezember 1992 kam Hessens Minister für Wirtschaft, Wissenschaft und Verkehr, Ernst Welteke, zur Fortsetzung der Verhandlungen nach Taipei. Eventuell könne der Direktflug schon im März 1993 Wirklichkeit werden, meinte Verkehrsminister Chien und ließ wissen, daß Frankfurt, München und Berlin als Zielstädte im Gespräch seien; Welteke wies jedoch darauf hin, daß der Frankfurter Flughafen bereits in hohem Maße ausgelastet sei. Nach den Niederlanden und Österreich würde Deutschland somit das dritte europäische Land mit direkten Flugverbindungen nach Taiwan sein.]
- Die Vermeidung von Doppelbesteuerung sowie der Schutz von Urheberrechten - die Unterzeichnung einer Übereinkunft zum Copyright-Schutz zwischen der Republik China und der EG ist für die Zukunft nicht ausgeschlossen - sind Themen, die noch einer ausführlicheren Bearbeitung bedürfen.

Möllemann interessierte sich auch für die innenpolitische Situation auf Taiwan und hatte mit dem Vorsitzenden der oppositionellen Demokratischen Progressiven Partei (DPP), Hsu Hsin-liang, ein halbstündiges Gespräch. Des weiteren stattete Möllemann Premierminister Hau Pei-tsun einen Besuch ab und traf außerdem die Vorsitzende des Rates für wirtschaftliche Planung und Entwicklung, Frau Shirley W.Y. Kuo.

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