09.09.2025

Taiwan Today

Frühere Ausgaben

Sagen Sie ja zu Taiwan!

01.11.1994
Die im Jahr 1912 von Dr. Sun Yat-sen gegründete Republik China war eines der Gründungsmitglieder der Vereinten Nationen. Sie unterzeichnete am 26. Juni 1945 in San Francisco die UNO-Charta und wirkte über zwanzig Jahre lang als ein ständiges Mitglied des Sicherheitsrats.

Als die chinesischen Kommunisten im Jahr 1949 die Volksrepublik China auf dem Festland gründeten, verlegte die Regierung der Republik China ihren Sitz nach Taiwan. Zwischen 1950 und 1971 versuchte die UNO, den Streit um die Mitgliedschaft ganz Chinas, das in zwei verfeindete Entitäten mit jeweils eigenem Territorium, Volk und Regierung gespalten war, beizulegen. Im Oktober 1971 stimmte die 26. UNO-Hauptversammlung schließlich der Resolution 2758 zu, die der Volksrepublik China die Übernahme des Sitzes in der UNO zusagte und die Republik China ausschloß. Die Vereinten Nationen haben jedoch das Problem der Vertretung Chinas nie effektiv gelöst. Die Regierung und das Volk der Republik China auf Taiwan streben jetzt eine Teilnahme an der UNO an, so daß sie zur internationalen Gemeinschaft beitragen und in ihr vertreten sein können. Die chinesischen Kommunisten weigern sich indes strikt, eine parallele Vertretung beider Teile des geteilten Chinas zu erlauben.

Der Regierungssprecher und Generaldirektor des Regierungsinformationsamtes der Republik China, Dr. Jason C. Hu, richtete sich am 19. September mit seiner Rede "Sagen Sie ja zu Taiwan" an den Rat für außenpolitische Beziehungen der Vereinigten Staaten in New York. In seiner Rede umriß Dr. Hu die vielen Gründe, die für eine Mitgliedschaft der Republik China auf Taiwan in den Vereinten Nationen sprechen.

Der folgende Text ist der vollständige Wortlaut der von Dr. Hu gehaltenen Rede:

Herr Vorsitzender, werte Gäste, meine Damen und Herren!

Nicht jeder hat die Gelegenheit, die Wende eines Jahrhunderts mitzuerleben. Das Ende des kalten Krieges hat in diesem letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts bei den Menschen große Hoffnungen für das kommende Jahrhundert geweckt. Studenten der internationalen Beziehungen richten ihr Augenmerk nun auf Themen, die früher wenig Aufmerksamkeit erfuhren. Sind wir wirklich am Ende der Geschichte? Wird das 21. Jahrhundert eine Ära des Konfliktes zwischen Ost und West sein? Ungeachtet dessen, ob die Diskussion dieser Probleme in ist oder nicht, wird jeder Versuch, einfache Antworten darauf zu geben, wahrscheinlich töricht und unnötig sein. Ich würde aber trotzdem gerne die Gelegenheit dieses Treffens der werten Mitglieder des Rats für außenpolitische Beziehungen der Vereinigten Staaten nutzen, um Ihnen den von Taipei in diesen Punkten vertretenen Standpunkt mitzuteilen.

Das Ende der Geschichte oder der Anfang der Geschichte?

In dem Buch "Das Ende der Geschichte und der letzte Mensch" schreibt Franci Fukuyama1:

"... Die Entfaltung der durch Technologie angetriebenen wirtschaftlichen Modernisierung bringt starke Anreize für entwickelte Länder mit sich, die grundlegenden Bedingungen der universellen kapitalitischen Wirtschaftskultur zu akzeptieren, indem sie ein beträchtliches Maß an wirtschaftlichem Wettkampf zuläßt und den Marktmechanismus die Preise bestimmen läßt. Kein anderer Weg zu umfassender wirtschaftlicher Modernität hat sich als erfolgreich erwiesen."

Fukuyama glaubt, daß das Ende des kalten Krieges zwischen Ost und West sowie die Auflösung des kommunistischen Blocks den Sieg der Demokratie und freien Marktwirtschaft repräsentiert. In Zukunft wird es keine Konkurrenz zwischen Ideologien und Wirtschaftssystemen geben. Ohne diese Konkurrenz wird der geschichtliche Fortschritt aufhören. Dieser Standpunkt unterscheidet sich erheblich von der traditionellen Sichtweise der Chinesen.

Die Chinesen glauben, daß die Geschichte weitergeht, solange "die Erde sich dreht und die Jahreszeiten einander abwechseln". Dieses Konzept wird in dem traditionellen chinesischen Werk der Weissagungen, "Das Buch der Wandlungen" erklärt, in dem es heißt: "Da das Universum sich in ständigem Fluß befindet, muß der Überlegene sich ständig durch sein Handeln verbessern." Das ist in Wirklichkeit eine Aufforderung an die Menschen, hart zu arbeiten und sich selbst zu vervollkommnen. Und durch den Kampf, sich selbst durch sein Handeln zu verbessern, kann man ein neues Blatt in der Geschichte aufschlagen. Vielleicht würden einige von Ihnen hier mich in diesem Moment gerne höflich daran erinnern, daß der Westen auch ein Konzept "ein neues Blatt in der Geschichte schreiben" kennt, und daß dieser Standpunkt nicht wirklich Fukuyamas These widerspricht.

Es war eigentlich nie meine Absicht, eine Debatte über die Hegelsche Philosophie der Geschichte auszulösen oder mich daran zu beteiligen. Was ich eigentlich betonen möchte, ist, daß zumindest für die 21 Millionen Menschen auf Taiwan das "Ende der Geschichte" eine eher unwirkliche und ferne Vorstellung ist. Die folgenden Bemerkungen Präsident Lee Teng-hui's spiegeln die derzeitige Denkweise auf Taiwan wider: "Nach vierzig Jahren des zunehmenden Wohlstandes und Bildungsniveaus haben wir ein demokratisches System aufgebaut, dem menschliches Wissen ein großes Anliegen ist und das den freien Willen aller Menschen achtet. Wir haben die Ketten des feudalen Denkens und sozialer Systeme, die Jahrtausende überdauerten, zerissen... Wir in Taiwan haben erfolgreich die politische Regierungsphilosophie des Westens "für das Volk, vom Volk und durch das Volk" mit unserem eigenen System verbunden. Wir haben zum ersten Mal in der chinesischen Geschichte eine Gesellschaft mit einem demokratischen Mehrparteiensystem geschaffen. Das ist ein geschichtlicher Neubeginn."2

Und in der Tat haben die Einführung der Redefreiheit, die Aufhebung des Verbots neuer Medien, die Entwicklung der Parteienpolitik, die Anhebung des Bildungsniveaus sowie die Förderung und Liberalisierung der Wirtschafts- und Handelsaktionen Taiwan völlig transformiert. Darüber hinaus werden eine neue Legislative und die Änderungen der Verfassung den Bürgern ermöglichen, am 3. Dezember 1994 den Gouverneur Taiwans und die Bürgermeister der Städte Taipei und Kaohsiung sowie im Jahr 1995 den Präsidenten der Republik China direkt zu wählen. Besonders die Präsidentenwahl wird das erste Mal in der chinesischen Geschichte markieren, daß gewöhnliche Bürger ihren obersten Führer direkt wählen können. Einige Leute haben die Präsidentenwahl als "die erste Wahl in 5000 Jahren" bezeichnet. Wenn das nicht der Beginn eines neuen Blattes in der chinesischen Geschichte ist, was ist es dann?

Einige Leute haben auch die kürzlich erfolgten Reformen und den Fortschritt in Taiwan als "stille Revolution"3 beschrieben. Das kommt daher, daß Taiwans Errungenschaften revolutionär gewesen sind, ohne gewaltsam zu sein. Der Wandlungsprozeß war friedlich und von Vernunft geprägt, und es wurde kein Blut vergossen. Natürlich kann ich nicht leugnen, daß es noch Schwachstellen in unserer Gesellschaft gibt, welche wir versuchen müssen zu überkommen; der exzessive Gebrauch von "Körpersprache" während der Parlamentsdebatten beispielsweise muß mit Sicherheit aufhören. Dennoch ist die Republik China auf Taiwan unzweifelhaft dabei, eine auf der Essenz chinesischer Kultur basierende Demokratie zu schaffen, und es wird eine vollständige und absolute Demokratie sein. Wer könnte leugnen, daß dies ein geschichtlicher Neubeginn für die Chinesen ist?

Der Zusammenprall der Zivilisationen oder die Harmonisierung der Zivilisationen

Aus seinen wirtschaftlichen Beobachtungen folgerte Fukuyama, daß die Geschichte beendet sei. Samuel P. Huntington jedoch hat Konflikte zwischen verschiedenen Zivilisationen im kommenden Jahrhundert vorausgesagt. Huntington sagt:

"Die fundamentale Konfliktquelle in dieser neuen Welt wird nicht vorrangig ideologischer oder wirtschaftlicher Natur sein. Die große Trennungslinie in der Menschheit und die größte Konfliktquelle wird kultureller Art sein... Der Zusammenstoß der Zivilisationen wird die globale Politik bestimmen. Die Linien der Verwerfung zwischen den Zivilisationen werden die Kampflinien der Zukunft sein."4

Diese Hypothese sagt voraus, daß verschiedene kulturelle Systeme enger interagieren werden, da die Welt näher zusammenrückt. Aus dem Beispiel der Konflikte zwischen der westlichen Zivilisation und der islamischen Kultur können wir erkennen, daß das Zeitalter globaler kultureller Konflikte angebrochen ist.5

Im Gegensatz dazu sind die Chinesen überaus stolz auf den friedlichen und toleranten Charakter ihrer Kultur. Es ist wahr, daß die Chinesen in der Vergangenheit oftmals ihre Nation als Zentrum der Welt verstanden, aber die chinesische Weltvorstellung ist auch von solchen Redensarten wie "alle Menschen zwischen den vier Meeren sind Brüder" und "das große Reich unter dem Himmel" durchdrungen, welche das Konzept der "universellen Verwandtschaft" und "globalen Brüderschaft" symbolisieren. China hat niemals aus religiösen Gründen einem anderen Land den Krieg erklärt. Es fällt auch schwer, Elemente der chinesischen Kultur zu finden, die sich nicht mit der westlichen Kultur vereinbaren lassen. Viele ausländische Besucher im heutigen Taiwan sind beeindruckt von der Gastfreundschaft und der menschlichen Wärme der Chinesen. In der Republik China verschmelzen und verbinden sich unterschiedliche kulturelle Systeme miteinander, gleichen die jeweiligen Schwächen aus und bilden eine neue und attraktive Alternative.

Huntington hat recht, wenn er behauptet, daß "nicht-westliche Zivilisationen in der Geschichte nicht länger als Zielscheibe westlichen Kolonialismus gelten (werden), sondern sich dem Westen als bewegende und formende Elemente der Geschichte anschließen (werden)."6 Jedoch muß "die Geschichte bewegen und formen" nicht unbedingt Konfrontationen und Konflikte bedeuten, sondern könnte durchaus absorbierend, integrativ, ergänzend und innovativ sein. Wir haben in Taiwan mit Erfolg Shakespeares Macbeth in die chinesische Oper Das Reich des Verlangens integriert. Das alte chinesische Märchen Die weiße Schlange wurde für ein modernes westliches Ballett adaptiert. Beide Adaptionen wurden von Menschen sowohl chinesischer als auch anderer Herkunft hochgelobt. In einigen chinesischen Familien ist der Vater Taoist, die Mutter Buddhistin, der Sohn Protestant und die Tochter Katholikin. Und gleichzeitig sind sie eine glückliche, traditionelle chinesische Familie. Einige Leute haben über das Kabinett der Republik China gewitzelt und gesagt, daß es mehr Doktoren als irgendein anderes Kabinett auf der Welt habe. Aber im Ernst. Viele Regierungs- und Staatsbeamte, Geschäftsleute und Akademiker in der Republik China haben eine weiterführende akademische Ausbildung im Westen erhalten, während sie die Essenz des konfuzianischen Denkens bewahrten. Zusammen haben diese Menschen für das weltweit gelobte "Taiwan-Wunder" und die "stille Revolution" gearbeitet. Kein anderer Ort auf der Welt als Taiwan hat mit soviel Erfolg den östlichen und westlichen Kulturen gestattet, sich miteinander zu verbinden, und sich in einem äußerst toleranten und innovativen Geist gegenseitig zu ergänzen. Das ist die Republik China auf Taiwan von heute.

Ein Weltbild der Zuversicht und Kooperation

Weil wir fühlen, daß wir an einem neuen Anfang in der Geschichte stehen, sehen wir optimistisch in die Zukunft. Weil wir mutig nach kultureller Integration und Harmonie streben, betonen wir die Bedeutung von Frieden und Kooperation in der internationalen Gemeinschaft. Meine Damen und Herren, von solch einem Weltbild der Zuversicht und Kooperation ausgehend, strebt die Republik China danach, ein Partner für den Fortschritt von Ländern auf der ganzen Welt zu werden. Wir glauben, daß die Idee einer Bewegung "von Konfrontation zu Verhandlung" nicht länger unseren Bedürfnissen entspricht. Wir sollten eine neue Welt aufbauen, die sich von "Verhandlung zur Kooperation" bewegt.

Eine neue Weltordnung muß noch aufgebaut werden. Die Entscheidungsträger aller Länder sollten sich darauf vorbereiten, in das 21. Jahrhundert mit einer neuen Art des Denkens einzutreten. Stimmen Sie nicht mit mir überein, daß wir aufhören sollten, das alte Prinzip der Realpolitik, das Kräftegleichgewicht, zu betonen und statt dessen damit beginnen sollten, der internationalen Koordination und Zusammenarbeit mehr Aufmerksamkeit zu schenken? Wenn wir damit fortfahren, die Rechte und Interessen der kleinen Länder zu ignorieren und nur dem Diktat und Widerwillen der großen Mächte Beachtung zu schenken, werden wir die Saat für zukünftige regionale Instabilität ausstreuen.

Sich mit zwischenmenschlichen Beziehungen befassende Akademiker raten uns, nicht den Einzelnen zu ignorieren, denn jedermann hat Selbstachtung und grundlegende Rechte ungeachtet seiner Herkunft oder seines sozialen Stands. Jeder Mensch verdient Achtung. Sie werden möglicherweise eines Tages mit ihm zusammenarbeiten müssen, oder er mag sogar ihr Vorgesetzter werden. Dann wird es für die Reue zu spät sein. Wir alle wissen, daß, streng genommen, eine eigenständige Entität niemals der "Vorgesetzte" einer anderen eigenständigen Entität werden kann. Da überdies das internationale System allmählich pluralistischer wird, verlieren die Großmächte langsam ihre Fähigkeit, globale und regionale Situationen zu bestimmen. Wenn wir die Bedürfnisse der kleinen Länder heute ignorieren, ist es gut möglich, daß wir morgen einen hohen Preis dafür zahlen müssen. Das Blutvergießen im ehemaligen Jugoslawien, in Ruanda und Somalia sind Tragödien, über die wir nachdenken sollten.

Koordination und Zusammenarbeit sollten der grundlegende Code für gegenwärtige und zukünftige internationale Beziehungen sein. Es ist offensichtlich, daß die ehemaligen zwei deutschen Staaten einst zusammengearbeitet haben, um die gegenseitigen Beziehungen zu verbessern, und ein Beispiel für die gleichzeitige Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen gegeben haben, ehe sie das letztendliche Ziel der nationalen Vereinigung erreichten. Nach ausführlicher Beratung und Kooperation hat Südafrika erfolgreich ein demokratisches System eingerichtet und das notorische Apartheidssystem aufgegeben. Diese beiden weltbekannten Beispiele haben den 21 Millionen Bürgern Taiwans ein Gefühl der Isolierung von den anderen Menschen auf der Welt gegeben. In der Frage einer Teilnahme der Republik China an den Vereinten Nationen wurde das Beispiel Deutschlands mit Absicht nicht in Betracht gezogen. Die Welt klatscht dem Wunder in Südafrika Beifall, aber ohne zu bemerken, daß eine andere Art von Diskriminierung in Asien aufgetaucht ist. Sie unterscheidet sich von ihrem Vorgänger in Südafrika, da sie nicht rassistisch und inländisch, sondern politisch und international ist. Die neue Diskriminierung ist das Ergebnis von Festlandchinas Bemühungen, Taiwan in der internationalen Gemeinschaft zu isolieren und von ihr fernzuhalten. Das ist ein schwerwiegender Verstoß gegen die grundlegenden Menschenrechte der 21 Millionen Bewohner Taiwans.

Eine der von Peking regelmäßig vorgebrachten Entschuldigungen, um seine diskriminierende Politik gegen Taiwan zu rechtfertigen, ist die Behauptung, daß Taiwan Teil der "Volksrepublik China" sei. Tatsache jedoch ist, daß die Republik China 1912, die "Volksrepublik China" 1949 gegründet wurde, und letztere hat niemals, nicht einmal für einen Tag, über Taiwan regiert. Solange die Republik China auf Taiwan existiert, hat Peking keinen legitimen Anspruch auf und keine Souveränität über Taiwan.

Es ist wahrlich bedauerlich, daß viele internationale Mächte diese Tatsachen und die Existenz der Republik China ignoriert und sich Pekings Politik der "Neo-Apartheid" gefügt haben. Die Natur dieser Politik kann durch die drei Prinzipien für die Behandlung Taiwans, welche auf einem 1993 in Amoy abgehaltenen nationalen Treffen aller Direktoren der festlandchinesischen "Büros für Taiwan-Angelegenheiten" beschlossen wurden, verdeutlicht werden: Erstens wird Peking entsprechend des Ein-China-Prinzips leugnen, daß Taiwan eine politische Entität ist. Zweitens wird Peking durch diplomatische Isolierung und Druckausübung alles nur mögliche tun, um zu verhindern, daß Taiwan internationalen Spielraum gewinnt. Drittens muß der militärische Druck und die Bedrohung gegen Taiwan aufrechterhalten werden, und Peking wird nicht den Einsatz von Gewalt widerrufen.7 Aus diesem Grund hat Festlandchina in den letzten Jahren gezeigt, daß seine Politik gegenüber Taiwan aus "Beibehaltung wirtschaftlicher Verbindungen", "Beibehaltung militärischen Drucks" und "Beibehaltung der diplomatischen Blockade" besteht.8

Die internationale Gemeinschaft sollte diese Politik der Neo-Apartheid, welche unseren grundlegenden Konzepten von Fairneß, Gerechtigkeit, Menschenrechten und Demokratie zuwiderläuft, verurteilen. Sie sollte außerdem den 21 Millionen Bewohnern Taiwans das Ansehen und die Rechte zugestehen, auf die sie in der internationalen Arena rechtmäßigen Anspruch haben. Taiwan mag zwar von seiner Fläche her gesehen nicht bedeutend sein, aber es hat ungefähr die gleiche Größe wie die Schweiz, Dänemark oder Belgien. Seine Bevölkerung ist ebenfalls nicht zahlreich, aber sie ist auch nicht kleiner als die von Peru, Venezuela oder Malaysia. Sie sind vielleicht mit der Tatsache vertraut, daß wir weltweit die 13.größte Handelsentität und im Besitz einer der reichsten Devisenreserven der Welt sind sowie mit unserem Bruttosozialprodukt die 20. Stelle in der Welt einnehmen.

Dennoch wurde einer solchen lebensfähigen, souveränen Entität die Teilnahme in den Vereinten Nationen und anderen globalen Organisationen einzig wegen der Opposition Festlandchinas versagt. Selbst unseren Reportern wird nicht gestattet, in den Vereinten Nationen ihrer Arbeit nachzugehen. Das muß für jeden Menschen mit einem Gewissen schwer zu verstehen und zu akzeptieren sein. Sollten wir wirklich unseren Leuten mitteilen müssen, daß wir von der Weltgemeinschaft dafür bestraft werden, daß wir auf Frieden und Demokratie bestehen und den Kommunismus ablehnen? Wenn wir ja gesagt und das kommunistische Regime angenommen hätten, wären wir schon seit langem in der UNO. Ist das fair?

Taiwans 21 Millionen Menschen streben aktiv nach einer Beteiligung in der internationalen Arena, und das nicht nur, weil wir fühlen, daß wir etwas für andere tun können. Im absoluten Vergleich sind unsere Möglichkeiten immer noch sehr beschränkt. Was wir haben, ist der ehrliche Wunsch, für die Weltgemeinschaft zu tun, was wir können. Zu diesem Zweck haben wir den Fonds zur Entwicklung internationaler wirtschaftlicher Zusammenarbeit (International Economic Cooperation and Development Fund) und den Internationalen humanitären Katastrophenhilfsfonds (International Humanitarian Disaster Relief Fund) gegründet. Auch wenn die Republik China nicht in der Lage war, offiziell an formellen Katastrophen-Hilfsprogrammen teilzunehmen, weil wir kein Mitglied der Vereinten Nationen sind, haben private Wohltätigkeitsorganisationen der Republik China, angeleitet vom konfuzianischen Geist der Empathie, ihren Beitrag in den Katastrophengebieten auf der ganzen Welt, darunter Ruanda, Somalia, die Ukraine, Äthiopien, das chinesische Festland u.a., geleistet. Kürzlich habe ich auch zufällig erfahren, daß die Menschen Taiwans durch die Stiftung World Vision Kinder in anderen Ländern adoptiert haben und daß die Gesamtzahl unserer Adoptionen an vierthöchster Stelle weltweit liegt und nur von den Vereinigten Staaten, Kanada und Australien übertroffen wird.

In bezug auf Kapitalanlagen im Ausland ist Taiwan der sechstgrößte Investor der Welt und arbeitet Hand in Hand mit anderen Nationen für die Entwicklung durch Kooperation und Reziprozität. Die Republik China auf Taiwan ist äußerst zuversichtlich, daß es in der Zukunft keinen Raum für Ausbeutung durch Imperialismus und Kolonialismus geben wird. Der einzige Weg hin zur Entwicklung wird sich auf Kooperation und gegenseitigen Gewinn gründen. Wir alle teilen ein gemeinsames Schicksal, und wenn die Länder rund um die Erde nicht gemeinsam eine leuchtende und verheißungsvolle Zukunft schaffen können, werden sie alle einem dunklen Zeitalter der Armut entgegengehen. Warum können die Vereinten Nationen kein freundliches und friedliebendes Mitglied der Weltgemeinschaft, welches den Willen, die Aufrichtigkeit und die Stärke zur Zusammenarbeit hat, akzeptieren?

Taiwan ist sicherlich ein Wegweiser, der Festlandchina den Weg zu Frieden, Demokratie und zum Schutz der Menschenrechte - Ideale, die in der UNO-Charta dargelegt sind - aufzeigen kann. Wir streben die Teilnahme in der UNO und anderen internationalen Organisationen an, um unseren Spielraum für Manöver und Entwicklung vor einer Vereinigung Chinas auszuweiten und nicht, um Festlandchina zu verärgern. Wir trachten nicht danach, Peking zu ersetzen, sondern die Stimmen und Interessen der 21 Millionen Menschen unter unserer wirksamen Jurisdiktion zu vertreten und die freundschaftlichen Kontakte mit der Nationengemeinschaft zu stärken, um gemeinsam nach Kooperation und gegenseitigem Gewinn zu streben. Dieses Ersuchen verletzt in keiner Weise die Interessen der einzelnen Mitglieder der Weltgemeinschaft. Statt dessen liefert es einen positiven Beitrag zu Frieden und Entwicklung auf der Welt.

Beziehungen über die Taiwanstraße und die internationale Lage

Die Teilnahme meines Landes an den Vereinten Nationen und ihren Veranstaltungen würde ebenfalls positive Auswirkungen auf die Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zwischen Taiwan und dem chinesischen Festland sowie auf eine zukünftige Vereinigung Chinas haben. Es ist schade, daß Peking sich diesen Punkt noch nicht bewußt gemacht hat. Peking hat sich dafür eingesetzt, seine Politik der Neo-Apartheid gegen Taiwan zu fördern in der irrtümlichen Annahme, daß es dadurch eine "Taiwan-Unabhängigkeit" verhindern werde. Festlandchina begreift nicht, daß seine Politik genau den entgegengesetzten Effekt hat. Derzeit beabsichtigen die Menschen auf Taiwan nicht, eine endgültige Teilung anzusteuern, vorausgesetzt sie werden nicht zutiefst entsetzt und enttäuscht durch Festlandchinas Verhalten. Nicht weniger als zwanzig Meinungsumfragen, die seit 1989 durchgeführt worden sind, haben gezeigt, daß der Anteil der Gegner einer Unabhängigkeit Taiwans im Vergleich zu den Befürwortern sehr hoch ist.9 Die einzige Ausnahme zeigte sich im April dieses Jahres, als der Anteil der Pro-Unabhängigkeitsstimmen enorm anstieg. Das reflektiert unsere tiefe Unzufriedenheit damit, wie die festlandchinesischen Behörden den Mord an taiwanesischen Touristen bei der Tragödie auf dem Qiandao-See handhabten.10

Der Rat für Festlandsangelegenheiten verkündete im August präzisere Umfrageergebnisse, welche zeigten, daß 12,4 Prozent der Bürger eine Unabhängigkeit unterstützten, während 27,4 Prozent eine Wiedervereinigung bevorzugten. Weitere 32,1 Prozent wollten lieber die jetzige Situation bewahren und später entsprechend der Situation über Vereinigung oder Unabhängigkeit entscheiden. Weitere 12,5 Prozent wollten den jetzigen Zustand auf unbestimmte Zeit beibehalten.11 Offensichtlich ist die Unterstützung für eine Unabhängigkeit unter normalen Umständen weiterhin ziemlich gering. Aber ich kann mit Sicherheit behaupten, daß Pekings unzumutbare Unterdrückung Taiwans in der internationalen Gemeinschaft einen Anstieg in der Unterstützung der Unabhängigkeitsargumente auslösen wird. Nach der vollständigen Demokratisierung Taiwans kann man in Taipei oft Leute hören, die sich darüber beschweren, daß "die chinesischen Kommunisten Taiwans Unabhängigkeit aus uns herauspressen."

Die festlandchinesischen Verantwortlichen müssen sich bewußt machen, daß eine Vereinigung ohne Verständnis, guten Willen und Vertrauen zwischen den beiden Seiten der Taiwanstraße nicht möglich sein wird. Wenn beide Seiten in den Vereinten Nationen und anderen wichtigen Weltorganisationen vertreten sind, wird es viel mehr Gelegenheiten geben zu Kontakten, zur Stärkung des gegenseitigen Verständnisses, zur Demonstrierung des guten Willens gegenüber dem anderen und zur Entwicklung gegenseitigen Vertrauens. Wird dies nicht zur Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zwischen Taiwan und dem Festland sowie zu einer zukünftigen Vereinigung der Nation beitragen? Die zuletzt in Taiwan durchgeführte Meinungsumfrage zeigt, daß 73,4 Prozent der Bürger die energischen Bemühungen der Regierung, der UNO beizutreten, unterstützen.12 Peking mag nicht daran gewöhnt sein, Umfragen zu respektieren, aber wenn es weiterhin hartnäckig den Wunsch der Menschen auf Taiwan nach einer Teilnahme in der UNO ignoriert, wird es die nationale Vereinigung nur behindern.

In seinem administrativen Bericht, den Premierminister Lien Chan am 6. September der Legislative vorlegte, erklärt er:

"Wir müssen die falsche Annahme, daß die chinesischen Kommunisten ganz China repräsentieren, korrigieren, und wir müssen eine aktive Rolle in der Nationengemeinschaft spielen und unsere außenpolitischen Beziehungen entwickeln, damit die beiden ebenwertigen politischen Entitäten auf den beiden Seiten der Taiwanstraße gleichwertigen Raum für internationale Manöver haben... Wir müssen außerdem die chinesischen Kommunisten daran erinnern, der Tatsache, daß die Nation geteilt ist und von zwei verschiedenen Entitäten regiert wird, ins Gesicht zu sehen und die Strategie der internationalen Isolierung aufzugeben. Nur dann wird es möglich sein, daß sich die beiderseitigen Taiwanstraßen-Beziehungen weiter entwickeln und die nationale Vereinigung realisiert wird. Nur wenn beide Seiten an internationalen Veranstaltungen teilnehmen und den informativen, kulturellen und wirtschaftlichen Austausch fördern, kann eine für beide Seiten gewinnbringende Situation geschaffen werden."13

Selbst gegenüber den festlandchinesischen Autoritäten werden wir uns freundschaftlich und kooperativ verhalten, solange sie nicht versuchen, uns in der internationalen Gemeinschaft zu isolieren und auszuschalten.

Schlußfolgerung

Wie Heng Lien in seinem monumentalen Werk "A General History of Taiwan" beschreibt, ist Taiwan eine "wunderschöne Insel an einem gnädigen Ozean". Ja, die Insel Taiwan ist immer klein genug gewesen, um schön zu sein! Doch nach 45 Jahren der Veränderungen beschrieb die New York Times unser Heimatland, welches sowohl hinsichtlich der Bevölkerung als auch der Fläche viel kleiner als das chinesische Festland ist, als "zu groß, um ignoriert zu werden" was die wirtschaftliche und politische Entwicklung betrifft.14 Der amerikanische Asien-Experte Harry Harding beschrieb vor kurzem die Asien-Politik der Regierung Clintons als "auf der Kippe" und wies darauf hin, daß Clinton "keine politische Linie gegenüber Taiwan hat, welche die wachsende wirtschaftliche Bedeutung der Insel und ihren Wandel hin zu vollständiger Demokratisierung ädequat widerspiegeln würde."15 Wirklich sollte Taiwans Entwicklung nicht länger ignoriert werden. Überhaupt sollte keine Veränderung auf der Welt ignoriert werden. Wenn am Vorabend des 21. Jahrhunderts die Vereinten Nationen nicht in der Lage sind, wichtige Veränderungen zu erkennen und darauf zu reagieren, werden sie ihre funktionelle Rolle im kommenden Jahrhundert nicht voll wahrnehmen können.

Bei Diskussionen über Taiwans Entwicklung hat sich die Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die Wirtschaft und die Politik gerichtet. Ja, von unserem Standpunkt aus messen wir der wirtschaftlichen Leistung große Bedeutung bei. Wir müssen uns bei der Weltgemeinschaft und vor allem bei den USA bedanken für die Gelegenheiten und die Unterstützung, die sie uns in der Vergangenheit gewährt haben. Wenn uns in schlechten Zeiten nicht die großzügige amerikanische Hilfe zur Verfügung gestanden hätte, könnten wir heute nicht unseren Erfolg feiern. Und während wir dem Pfad der politischen Demokratie folgen, genießen wir um so mehr die Früchte unserer politischen Reformen. Wir haben die erste Demokratie in der chinesischen Geschichte geschaffen und Hoffnungen auf umfassenden Frieden und Demokratie für das chinesische Volk geweckt.

Taiwans 21 Millionen Bewohner haben auf demokratische Weise ihren ernsthaften Wunsch, eine aktive Rolle in der Weltgemeinschaft zu übernehmen, zum Ausdruck gebracht. Wir verlangen nicht viel. Wir hoffen nur, daß entsprechend den Prinzipien von Fairneß und Gerechtigkeit alle, die für Frieden und Demokratie eintreten, an unserer Seite stehen und gemeinsam mit uns Pekings Ruf nach Diskriminierung Taiwans zurückweisen.

Im Juni 1966 brachte der damalige US-Senator Robert Kennedy während eines Besuchs in Südafrika seine starke Ablehnung der Apartheidspolitik zum Ausdruck:

"Wir müssen die absolute Gleichheit aller Menschen anerkennen - vor Gott, vor dem Gesetz und in den Regierungsräten. Wir müssen dies tun; nicht, weil es wirtschaftlich vorteilhaft ist - obwohl es das ist; nicht, weil die Gesetze Gottes und der Menschen es befehlen - obwohl sie dies tun; und auch nicht, weil die Menschen in unserem Land es sich wünschen. Wir müssen es aus dem einen und fundamentalen Grund heraus tun, weil es das Richtige ist."16

Zwei Jahre später wurde Robert Kennedy ermordet; weitere 26 Jahre später wurde schließlich die Apartheid in Südafrika abgeschafft. Vielleicht ist es heute für die Weltgemeinschaft der Nationen "das Richtige", die Würde und die Rechte der 21 Millionen guten und aufrichtigen Menschen in Taiwan zu unterstützen, damit sie eine faire und gleiche Behandlung in allen Weltforen erfahren. Nur dann wird es Hoffnung auf Frieden und Demokratie für das gesamte chinesische Volk geben. Nur dann wird es Hoffnung auf eine neue Welt des 21. Jahrhunderts geben.

Fürwahr, nicht jeder hat die Gelegenheit, eine Jahrhundertwende in seinem Leben mitzumachen. Und da wir dem neuen Jahrhundert entgegenschreiten, ist es ohne Zweifel an der Zeit, ja zu Taiwan zu sagen!

(Deutsch von Jessika Steckenborn)

1 Francis Fukuyama, The End of History and the Last Man, New York: The Free Press, ein Zweig von Macmillan Inc., 1992, S. 96f.

2 Lee Teng-hui, "The Beginning of a New Era", in Quiet Revolutions, Taipei: Govemment Information Office, Mai 1994, S. 4.

3 "Taiwan's Quiet Revolution", The Asian Wall Street Journal, 11. November 1992, S. 8 .

4 Samuel P. Hunlington, "The Clash of Civilizations", Foreign Affairs, Vol. 72, Nr. 3 (Sommer 1993), S. 22.

5 ebenda, S. 25f.

6 ebenda, S. 23.

7 Orginalquelle nicht zitiert, siehe Bernard T. K. Joei, "The Chinese Mainland's Neo-Apartheid", The Independence Evening News (in chinesischer Sprache), 5. Mai 1994, S. 3.

8 ebenda

9 Mainland Policy and Relations Across the Taiwan Straits, Taipei: Mainland Affairs Council, 1994, S. 31f.

10 ebenda, S. 31.

11 ebenda, S. 16f.

12 ebenda, S. 18.

13 Lien Chan, Administrative Report, viertes Plenum des Zweiten Legislativ-Yüan, 6. September 1994.

14 "Taiwan: Too Big to Ignore", The New York Times, 10. November 1990, S. 22.

15 Harry Harding, "Asia Policy to the Brink", Foreign Policy, Nr. 96 (Herbst 1994), S. 62.

16 Robert Kennedy "A Tiny Ripple of Hope", in Brian MacArthur, ed., The Penguin Book of Twentieth-Century Speeches, Harmondsworth, Middlesex, England: Penguin Books Ltd., 1992, S. 369.

Meistgelesen

Aktuell