10.10.2025

Taiwan Today

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Die Formen des Chu-i

01.11.1996
Der Einfachheit halber teilen wir die Vielfalt des chu-i in sechs Formen der traditionellen darstellenden Kunst auf: hsiang sheng, shuang huang, ching yun ta ku, shu lai pao, chu pan kuai shu, und tieh pan kuai shu. Die Gemeinsamkeit besteht darin, daß die Schauspieler das Geschehen auf der Bühne bestimmen und eine Geschichte erzählen oder das Publikum anderweitig, zum Beispiel durch Dialoge und Gesang, unterhalten, reichlich gespickt mit Wortspielereien.


Hsiang Sheng ist eine der am häufigsten verwendeten Versionen und ist vielleicht die am leichtesten verständliche Einführung in die geheimnisvolle Welt des chu-i, weil sie in gewisser Weise einem typischen westlichen Wechselspiel zwischen einem komischen und einem ernsten Charakter ähnelt. Es gibt keine nennenswerten Requisiten. Zu den Themen gehören Politik, Familienprobleme, Sex, Geld, Arbeit - alles, was das Leben ausmacht, so wie es das Filmidol Clara Bow einst nannte: "Ein bißchen lächeln, ein bißchen weinen." Aber hier haben die Ähnlichkeiten mit dem westlichen Humor ein Ende. Hsiang sheng verlangt von den Schauspielern, viel über die Kunst des Sprechens, seien es Gedichte, Zungenbrecher oder Witze, zu wissen. Sie müssen in der Lage sein, regionale Dialekte, Geräusche von Insekten und Vogelgezwitscher nachzuahmen, genauso wie Volksballaden, regionale Opern und moderne Lieder zu singen, ohne zu vergessen, dies möglichst lustig vorzutragen. Das Wichtigste: Die Künstler brauchen eine solide Ausbildung in der Kunst der Pekingoper; das verleiht ihrer Sprache den rhythmischen Schwung, die musikalische Stimmung - eben das gewisse Etwas. Hsiang sheng wird traditionell im Peking-Dialekt vorgeführt, obwohl es auch Formen im Schanghai-Dialekt, ja sogar auf taiwanesisch gibt. Das Ein-Mann-hsiang sheng und das Gruppen-hsiang sheng sind Varianten des üblichen Formats für zwei Personen.

Satire ist die Seele des hsiang sheng, sollte aber immer eher lustig sein als bösartig. "Es gibt kein einziges Thema, das außerhalb der Reichweite des hsiang sheng liegt", sagt der Direktor des Musiktheaterensembles, Liu Tseng-kai(劉增鍇). "Schauspieler verwenden es öfter, wenn sie etwas Nettes über eine Person sagen möchten. Sie verwenden Spott als Ersatz für Lob."


Shuang huang ist eine ungeschliffene Variation des hsiang hseng, die von zwei Künstlern vorgeführt wird. Der eine muß auf alles reagieren, was ein Gegenüber gerade sagt oder tut. Wenn einer zum Beispiel singt, öffnet der andere seinen Mund und gibt vor, auch gerade zu singen. "Warum shuang huang lustig ist?" Liu überlegt. "Weil dauernd ein Konflikt zwischen den zwei Schauspielern entsteht: Einer bringt den anderen absichtlich in Verlegenheit, er befiehlt ihm zum Beispiel, sich selbst ins Gesicht zu schlagen. Shuang huang ist keine hochklassige Kunstform, und es hat auch keinen so weitreichenden Themenumfang wie hsiang sheng."

Shuang huang wird im Peking-Dialekt gespielt.


• Beim ching yun ta ku singt der Künstler eine Geschichte im Peking-Dialekt, während er gleichzeitig eine Trommel schlägt. Als besonderes Merkmal gilt die musikalische Begleitung mit zwei chinesischen Saiteninstrumenten - einer pipa, eine Art Laute, und einer zweisaitigen Violine namens erhu.


Shu lai pao, auch eine in Mandarin gesprochene Form, ist in Taiwan sehr bekannt und hochgeschätzt. Sie hat ihren Ursprung in den Anstrengungen der Bettler, die versuchen, durch Geschwätz die Aufmerksamkeit und Sympathie der Vorbeigehenden zu gewinnen. Sie singen und erzählen Geschichten, begleitet vom rhythmischen Schlagen auf ein Bambusbrett. Einige Regeln kamen später hinzu, zum Beispiel die, daß sich das Geplappere des Bettlers reimen muß.

Die Themen im shu lai pao variieren sehr stark, werden aber hauptsächlich aktuellen Begebenheiten entnommen, es können also keine langfristigen Vorbereitungen vorgenommen werden. Liu Tseng-kai meint: "Ein guter shu lai pao-Künstler braucht eine schnelle Reaktion. Er muß in der Lage sein, augenblicklich die Gedanken des Publikums umzusetzen."

Ein interessantes Merkmal ist mau-tzu, zu dt. "Hut" - ein Slangausdruck für die Art, wie der shu lai pao-Schauspieler mit einer witzigen Bemerkung in der Lage ist, die Aufmerksamkeit des Publikums an sich zu reißen, indem er sich oft auf einen vorher im Programm angesprochenen Punkt bezieht. Die an­dere Funktion dieser Variante ist, dem Künstler bei der Bestimmung des Durchschnittsalters seines Publikums zu helfen. Der Schauspieler erwähnt zum Beispiel die Namen berühmter Sänger, einige alt, einige neu. Teenager werden nicht auf die Namen der älteren Sänger reagieren, wogegen das reifere Publikum bei den Stars von heute ratlos mit den Achseln zuckt. Danach weiß der Schauspieler, wie er seine Darbietung maßgeschneidert anbringen kann.


Chu pan kuai shu ist eine Entwicklung des shu lai pao, in der die Harmonie von Sprache, Takt und Koordination der Worte mit der Handlung hervorgehoben wird. Auch hier erzählt der Schauspieler eine Geschichte, während er auf einem Bambusbrett den Rhythmus dazu schlägt. Es gibt allerdings signifikante Unterschiede. "Ein shu lai pao-Künstler verwendet Reime, er hat aber auch die Freiheit, das Reimschema etwas zu variieren; ein chu pan kuai shu-Künstler kann wählen, ob er einen Reim verwendet oder nicht, aber wenn er einen verwendet, darf er ihn nicht verändern", sagt Liu. "Im Gegensatz zu shu lai pao läßt sich chu pan kuai shu sehr gut für längere Geschichten verwenden. Chu pan kuai shu wird ausschließlich in Mandarin gesprochen, die Verwendung von Dialekten ist nicht erlaubt.


Tieh pan kuai shu stammt aus Shandong, einer nordöstlichen Provinz Festlandchinas. Es ähnelt chu pan kuai shu, aber statt der Bambusplatte verwendet der Schauspieler eine Eisenplatte (tieh pan) als Begleitinstrument. Während die Bambusplatte in dauerndem Rhythmus geschlagen wird, muß der Rhythmus beim tieh pan kuai shu nicht kontinuierlich angegeben werden. Mandarin ist die Sprache des chu pan kuai shu, wobei tieh pan kuai shu immer im Shandong-Dialekt vorgeführt wird. Diese Form läßt sich gut für Erzählungen über legendäre Helden verwenden.

(Deutsch von Herbert Salvenmoser)

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