Mehrere von Taiwans kulturellen, ökologischen und historischen Stätten sind seit langem der Stolz der taiwanischen Bevölkerung. Nun bemüht man sich um die Aufnahme dieser Schätze in die Liste der Welterbe-Stätten der UNESCO. Trotz vielfältiger Schwierigkeiten gewinnt die Kampagne an Schwung.
Der Reiz und die Beliebtheit erstklassiger internationaler Reiseziele ergibt sich häufig aus dem einzigartigen Charakter eines bestimmten Ortes, etwa der Tarokoschlucht(太魯閣) oder dem Berg Alishan(阿里山) in Taiwan, beide gern von in- und ausländischen Touristen besucht. Kaum jemand, der einmal auf Taiwan herumgereist ist und dabei die atemberaubende Tarokoschlucht sah oder mit der Bergeisenbahn am Alishan -- eine der drei schönsten Bergeisenbahnen der Welt -- fuhr, könnte auch nur im entferntesten mit dem Eindruck abreisen, Taiwan sei eine langweilige Insel ohne Attraktionen. Gerade diese beiden Stätten sind so außergewöhnlich, dass sie zur Aufnahme in die Liste der Welterbe-Stätten der UNESCO (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization) vorgeschlagen wurden. Zwar ist Taiwan allgemein eher für sein Wirtschaftswunder und seine blühende Demokratie bekannt, doch wird man in aller Welt immer mehr auf Taiwans Anstrengungen zur Erforschung seiner Kleinodien für die ganze Menschheit aufmerksam.
Das Projekt zur Benennung und zum Schutz von Welterbe-Stätten, die durch Kriege, Naturkatastrophen, Veränderungen der Umwelt oder industrielle Entwicklung gefährdet sind, reicht zurück bis ins Jahr 1972, als die Generalversammlung der UNESCO die "Konvention über den Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt" annahm. Bis zum heutigen Tage wurden weltweit 730 Stätten als Welterbe-Stätten anerkannt. Zu ihnen gehören allgemein bekannte Orte ebenso wie Plätze, die kaum jemand kennt, und ausgewählt wurden sie aufgrund von Kriterien, die in den Betriebsrichtlinien der UNESCO vom Welterbe -Komitee (in dem Vertreter aus 21 Ländern sitzen) festgelegt wurden.
Weil Taiwan nicht Mitglied der Vereinten Nationen ist, gilt es als nicht sehr wahrscheinlich, dass die UNESCO in nächster Zeit taiwanische Stätten für ihre Liste in Erwägung zieht. Trotzdem bereitet der Rat für Kulturangelegenheiten der Republik China (Council for Cultural Affairs , CCA) Taiwans bemerkenswerteste Stätten auf eine mögliche Prüfung durch die internationale Organisation vor. "Wir sollten uns darauf konzentrieren, was wir tun können, und kurzfristig für eine Inspektion bereit sein", begründet Tchen Yu-chiou(陳郁秀), die Vorsitzende des CCA und Mitglied des Ministerkabinetts der Republik China. "Über mögliche politische Barrieren nachzudenken wäre Zeitverschwendung, denn das entzieht sich unserer Kontrolle." Sie fügt hinzu, dass sich das politische Umfeld auch ändern kann, und wenn die Zeit reif ist, kann Taiwan die Aufnahme seiner wertvollen Attraktionen in die Liste der Welterbe-Stätten beantragen.
Der Rat begann im Jahre 2001 mit der Werbung für das Konzept des Welterbes durch die Veranstaltung der Taiwan -Welterbe-Tage, einer internationalen Kampagne zur Steigerung der öffentlichen Aufmerksamkeit, die in dieser Art erstmals 1984 in Frankreich stattgefunden hatte. Entsprechende Veranstaltungen zur Unterstützung der Kampagne wurden im Sep tember 2001 in der Huwei-Festung im nordtaiwanischen Tanshui durchgeführt, die 1985 vom Innenministerium der Republik China zur historischen Stätte erklärt worden war.
Darüber hinaus erklärte der CCA das Jahr 2002 zum "Jahr des kulturellen Umfeldes" mit Schwerpunkt auf dem Welterbe. Ein Gremium aus Historikern, Experten und Vertretern der Lokalverwaltungen und Gemeinden empfahl elf Stätten, die von der UNESCO als Kandidaten in Erwägung gezogen werden sollten. Zu diesen Stätten zählten sowohl international bekannte Attraktionen als auch Orte, die nur im Inland größere Bekanntheit erlangt haben, etwa die 23 Kilometer lange alte Bergeisenbahn(舊山線) in Zentraltaiwan. Die 1908 angelegte Strecke ist wegen ihres Verlaufs durch schwieriges Terrain bemerkenswert. Zwar wurde sie vor fünf Jahren stillgelegt, zieht aber weiterhin Touristen und die Aufmerksamkeit der Medien im Inland an. Bis sie das Interesse ausländischer Besucher erregt, kann indes noch einige Zeit vergehen.

Da die Inselgruppe Kinmen(金門) unmittelbar vor der festlandchinesischen Küste lange Zeit militärisches Sperrgebiet war, blieb die besondere traditionelle Architektur dort größtenteils unberührt. (Huang Chung-hsin)
Zur Begutachtung der von Taiwans Gremium ausgewählten 11 Stätten wurden im Oktober 2002 drei internationale Experten nach Taiwan eingeladen, unter ihnen Yukio Nishimura, Vizepräsident des Internationalen Rates für Denkmalpflege (International Council on Monuments and Sites , ICOMOS), einer 1965 in Warschau gegründeten nichtstaatlichen Organisa tion, die das Welterbe-Komitee der UNESCO unterstützt. Nach dem Rat der drei Fachleute kategorisierte der CCA die Stätten gemäß ihrer Einzigartigkeit und ihrem Vorbereitungsgrad für eine UNESCO-Inspektion. Der Schwerpunkt wird auf die vier Stätten gelegt, die in der ersten der drei Kategorien aufgelistet sind: die Tarokoschlucht, der Berg Alishan, die Peinan-Kulturstätte(卑南遺址) und der Chilan-Wald(棲蘭檜木). Die Peinan-Kulturstätte enthält das größte prähistorische Gräberfeld am Rande des Pazifiks, während der Chilan-Wald für seine uralten Zypressen bekannt ist. Der Bericht der Fachleute bewog den CCA auch zur Aufnahme des Nationalparks Yushan(玉山) wegen seiner schönen Naturlandschaft und reichen Biovielfalt auf die Liste.
Da Taiwans Kampagne zur Anerkennung seiner Stätten durch die UNESCO erst vor relativ kurzer Zeit begann, wird der Weg bis zum Ziel noch lang sein. "Uns fehlen nach wie vor vollständige Daten für die Bewahrung der Stätten, etwa genaue Verkehrsstatistiken und Umweltindikatoren", bemerkt Tchen. Außerdem müssen viele andere Stätten, besonders die in den Kategorien zwei und drei, noch weiter erforscht werden. "Vergleichende Analysen mit Welterbe-Stätten, die den in Frage kommenden taiwanischen Stätten ähneln, sind ebenfalls bislang unzureichend."
Nicht weniger wichtig ist die Aufgabe, diese Stätten in der Öffentlichkeit bekannter zu machen. "Man muss unbedingt die Identifikation der Menschen mit diesen Stätten fördern, denn sonst sind die Bestimmungen zu ihrem Schutz sinnlos", glaubt Wang Shin, Professor an der Geografie-Abteilung der National Taiwan University (NTU). Weniger bekannte Stätten brauchen mehr Publicity, etwa die ehemalige Bergbaustadt Chinkuashih(金瓜石) in Nordtaiwan, die wegen ihrer Geografie und kolonialen Geschichte bemerkenswert ist. "Die meisten Menschen wissen nur wenig über die Geschichten hinter diesen Orten, doch diese enthalten ganz klar die Botschaft, dass sie die Aufmerksamkeit der Welt verdienen", ergänzt Wang.
Eine Schlüsselrolle bei der Förderung der taiwanischen Stätten durch den CCA wird die Unterstützung der Anwohner der betreffenden Welterbe-Kandidaten spielen. Beispielsweise hat der erfolgreiche Widerstand der Bewohner der Orchideeninsel Lanyu(蘭嶼) gegen den Versuch, die Insel zum Nationalpark zu erklären, den Bemühungen zum Schutz der Insel mit ihrer besonderen Ureinwohnerkultur als Welterbe-Stätte einen schweren Rückschlag versetzt. Beim Chilan-Wald ist es ähnlich, denn die dort lebenden Ureinwohner lehnen die Einrichtung eines Nationalparks auf ihrem traditionellen Stammesgebiet ab.
Nationalparks unterliegen strengen Schutzbestimmungen. Kinmen, Yangmingshan(陽明山), die Tarokoschlucht und Yushan sind sowohl Nationalparks als auch Kandidaten für die Auflistung als Welterbe-Stätten. Kinmen, eine Inselgruppe direkt vor der südostchinesischen Küstenprovinz Fujian und ein wichtiger militärischer Vorposten der Republik China, ist bedeutend als historischer Transitort für die han-chinesische Auswanderung vom Festland nach Taiwan. Der Yangmingshan-Nationalpark ist ein vulkanisches, geothermisch aktives Gebiet mit Geysiren und heißen Quellen.
Während noch viel getan werden muss, um die Stätten vor dem Verfall zu bewahren, besteht auch die Notwendigkeit der aktiven Restaurierung. Laut Monica Kuo, der Präsidentin des Chinesischen Instituts der Landschaftsarchitekten in Taiwan, sind beispielsweise auf Lanyu in den letzten Jahren überall moderne Wohnblocks in großer Zahl entstanden, die einen unangenehmen Kontrast zu den für die Insel einzigartigen traditionellen Wohnstätten bilden, die der Taifune wegen halb unterirdisch errichtet wurden. Dieses Phänomen ist für Taiwan nicht ungewöhnlich, da es nur wenige integrierte Häuserbauprojekte gibt. Kuo glaubt, dass Taiwan in dieser Hinsicht etwas von China lernen kann, weil die Regierung dort mit dem Abriss von Gebäuden Ernst macht, welche nicht in ihre Umgebung passen, damit diese Gegend die Bedingungen einer Welterbe-Stätte erfüllt. In einem demokratischen Land wie Taiwan wären solche drastischen Maßnahmen dagegen kaum durchsetzbar.
Zwar sind Taiwans Chancen, in naher Zukunft eine Anerkennung der ausgewählten Stätten als Welterbe zu gewinnen, relativ gering, trotzdem sollte die Werbung für das Konzept fortgesetzt werden. "Je weniger der Rest der Welt sie akzeptieren will, desto mehr sollten wir uns darum kümmern", fordert Wang Shin. Außerdem werden nach Monica Kuos Beobachtung Versuche, von der internationalen Gemeinschaft anerkannte Kriterien zu erfüllen, allgemein jene Standards verbessern, mit denen man die Anstrengungen zum Schutz von Stätten bewertet.

Die archäologische Stätte der neolithischen Peinan-Kultur im Osten Taiwans birgt das größte prähistorische Gräberfeld am Rande des Pazifiks.
Im Verlauf der Erforschung potenzieller Welterbe-Stätten in Taiwan wird die Öffentlichkeit mehr auf die Attraktionen der Insel aufmerksam, und zwar auch auf jene, die nicht auf der Liste des CCA stehen. Diese Attraktionen machen Taiwan auf der Weltbühne unverwechselbar und tragen dazu bei, dass die Bewohner sich mit ihrer Heimat identifizieren. Die Betonung von Schutz und Bewahrung hilft der Gesellschaft außerdem dabei, den Wert kultureller Rituale und mündlicher Traditionen zu erkennen, etwa von den Pilgerfahrten der volkstümlichen Meeresgöttin Matsu(媽祖), die im dritten Monat des Mondkalenderjahres stattfinden.
Nach den Worten von Tchen Yu-chiou vom CCA sind Taiwans Lokalverwaltungen für die Frage der potenziellen Welterbe -Stätten der Insel überraschend aufgeschlossen. Viele haben Informationen über die Stätten in ihrem Verwaltungsbereich veröffentlicht und in Formularen über ihre Vorzüge und Schwachpunkte Auskunft erteilt. Der CCA ist im Hinblick auf den Schutz potenzieller Welterbe-Stätten daher guten Mutes.
Gleichzeitig erkennt man allmählich auch im privaten Sektor, dass die Anerkennung von Welterbe-Stätten in Taiwan ihren Wert hat. Ein Beispiel dafür ist das "World Monuments Watch Project" (zu Deutsch etwa Beobachtungsprojekt für Welt-Denkmäler) vom World Monuments Fund in New York, finanziert von der American Express-Stiftung. Zwei historische Stätten -- ein Dorf in Wang'an(望安) auf der Inselgruppe Penghu und eine Gruppe privater Häuser in Anping(安平) nahe der südtaiwanischen Stadt Tainan -- wurden zur Aufnahme in ein Buch nominiert, das 100 kulturelle Stätten auf der ganzen Welt dokumentiert und kommendes Jahr erscheinen soll. Das World Monuments Watch Project listet seit 1996 alle zwei Jahre jeweils 100 wertvolle, aber gefährdete historische Stätten der Welt auf und ist zu einem hoch angesehenen Projekt geworden. Die Juroren des Projekts unterliegen anders als die UNESCO auch keinen politischen Beschränkungen, wenn sie ihre Auswahl treffen. Tchen Yu-chiou ist überzeugt, dass ähnliche private Projekte Taiwan beim Schutz seines Kulturerbes helfen können, da das Bewusstsein in der Öffentlichkeit für die Dringlichkeit des Schutzes wertvoller lokaler Stätten zunimmt.
Taiwan wird sich nicht mehr nur auf die Kraft seiner dynamischen Wirtschaft verlassen, sondern will auch die Schönheit seiner Kultur und der Naturlandschaft hervorheben, um mehr Aufmerksamkeit von der Welt zu bekommen. Das mag einen Boom beim Fremdenverkehr zur Folge haben, doch dem CCA geht es um mehr. "Das Ziel des CCA besteht im Schutz des Kulturerbes", verkündet Tchen. "Wenn wir unsere Sache gut machen und Bestimmungen für die Regulierung des Tourismus aufstellen, dann kann Taiwan problemlos mehr Touristen herlocken." In der Tat kann der Fremdenverkehr nur dann ein stabiles Gewerbe sein, wenn die kulturellen und natürlichen Güter mit Bedacht genutzt werden. Tourismus, bei dem die Ressourcen rücksichtslos ausgebeutet werden, wird am Schluss platzen wie eine Seifenblase. Glücklicherweise ist man in Taiwan bei der Tourismusentwicklung nicht mehr so kurzsichtig, was sich auch an den Anstrengungen der Regierung zeigt, die lokalen Schätze auf die UNESCO-Liste der Welterbe-Stätten zu bringen. Denn letzten Endes gehören diese Stätten nicht allein den Taiwanern, sondern sollten mit allen Menschen der Welt geteilt werden.
(Deutsch von Tilman Aretz)