Durch die Gebote wohlhabender Taiwaner bei lokalen Auktionen erreichen Kunstverkäufe neue Höchstzahlen.
Am Nachmittag des 3. Juni 2003 glich das Taipei Fubon International Conference Center in Taipeh einem Bienenstock. Der Anlass war keine Technologiemesse oder ein Comics-Festival, sondern geschäftige Erregung über eine Kunstauktion. Bei der 20th & 21st Century Chinese Art Auction, organisiert von der Ravenel Art Group, einem der führenden Auktionshäuser Taiwans, musterten Käufer die angebotenen Stücke, und das Bieten war turbulent. Die Gesamtverkäufe summierten sich auf 562 Millionen NT$ (11,95 Millionen Euro), ein neuer Rekord für eine Kunstauktion in Taiwan.
Ein Werk von Zao Wou-ki(趙無極), einem bekannten chinesischen Maler, der seit 1948 in Frankreich lebt, fand für 118 Millionen NT$ (2,51 Millionen Euro) einen Käufer, der höchste Betrag, der jemals in Taiwan bei einer Versteigerung für ein Gemälde bezahlt worden war. Das Ölbild, das einst dem New Yorker Kunsthändler Pierre Matisse gehört hatte, dem Sohn des berühmten Malers Henri Matisse (1869-1954), war auf einen Wert zwischen 58 und 90 Millionen NT$ (1,23--1,91 Millionen Euro) geschätzt worden. Gleichzeitig ging ein Werk des namhaften taiwanischen Bildhauers Ju Ming(朱銘) für 17,4 Millionen NT$ (370 200 Euro) weg, deutlich mehr als der zuvor veranschlagte Wert von 11 Millionen NT$ (234 000 Euro). Daneben erzielten drei Bronzeskulpturen gleichfalls höhere Preise als erwartet.
Während der asiatische Kunstmarkt reifer wird, erlebt Taiwan beim Kunstsammeln seine eigene Renaissance. Käufer werden immer anspruchsvoller und ihre Sammlungen immer wertvoller. "In den 25 Jahren unseres Geschäftes in Taiwan haben wir erlebt, dass die Zahl taiwanischer Kunstsammler und ihre Anschaffungen stetig zugenommen haben", berichtet Winnie Chang, geschäftsführende Direktorin von Sotheby's Taiwan. "Ihre Brieftaschen sind dicker, als wir uns das hätten träumen lassen. Ihren amerikanischen und europäischen Konkurrenten stehen sie bereits in nichts nach."
Das Auktionshaus Sotheby's, das derzeit keine Versteigerungen in Taiwan durchführt, erlebte bei Auktionen an Orten wie Hongkong oder Shanghai, wie taiwanische Kenner Sammlungen einsackten. Chang bemerkt, dass taiwanische Kenner in Bereichen wie chinesische Keramik auf dem globalen Kunstmarkt schon einen beachtlichen Ruf erworben haben.
Taiwanische Käufer interessieren sich zudem für unterschiedliche Kunstsparten. Es gibt Sammler klassischer Werke von berühmten taiwanischen Malern wie Yang San-lang(楊三郎), Liao Chi-chun(廖繼春) und Chen Cheng-po(陳澄波). Chinesische Künstler wie Zao Wou-ki, San Yu(常玉) und Lin Fengmian(林風眠) sind ebenfalls gefragt. Überdies haben taiwanische Investoren Werke berühmter westlicher Künstler wie Pablo Picasso (1881-1973), Claude Monet (1840-1926) und Henry Moore (1898-1986) erworben.
Chang glaubt, dass der Markt den taiwanischen Sammlern im Großen und Ganzen Recht gegeben hat. "Der Verlauf der Dinge beweist, dass ihre Sichtweisen größtenteils zutreffend sind", urteilt sie. "Ich bewundere ihren Scharfsinn."
Da die Brieftaschen der einheimischen Sammler dicker geworden sind und ihr Interesse gedeiht, begegnen Auktionshäuser in Taiwan der Nachfrage mit einheimischen Versteigerungen. Den Anfang machte 1999 die Ravenel Art Group mit der Unterstützung von Drouot, einem Auktionshaus in Frankreich mit 400-jähriger Geschichte. Ravenel mit seinem Schwerpunkt auf Ölgemälden erfreute sich in den letzten drei Jahren eines jährlichen Wachstums von 20 bis 30 Prozent und eröffnete dieses Jahr eine Zweigstelle in Beijing.
"Meine Ziele bei Ravenel bestehen darin, kulturelle Traditionen aus Europa einzuführen, Kunst und Investitionen zusammenzubringen und zeitgenössische Kunst zu fördern", zählt Clara Kuo, Präsidentin von Ravenel, auf. "Ich lenke Sammler gerne zu Stücken, die ihnen ästhetisch gefallen, aber auch den Wert ihrer Sammlung im Laufe der Zeit stützen oder sogar steigern."
Kuo versucht, sowohl eine Investitionsgelegenheit als auch eine praktische Kulisse zu schaffen, damit Kunst im täglichen Leben ihrer Kunden eine Rolle spielt. Sie vermittelt beispielsweise Innenarchitekten, welche die Häuser ihrer Kunden besuchen, um für Beleuchtung zu sorgen, welche das neu erworbene Kunstwerk optimal zur Geltung bringt. "Es ist mein Ideal, dass meine Kunden Freude an ihren Sammelgegenständen haben und damit ihr Leben bereichern", versichert Kuo. "Und wenn sie verkaufen wollen, dann fädeln wir den Verkauf ein. Auf diese Weise schaffen wir eine für das Auktionshaus und die Sammler gleichermaßen gewinnbringende Situation."
Kuo hat einige innovative Strategien genutzt, um das Sammeln von Kunst in Taiwan zu fördern. Beispielsweise richtete sie einen Fonds für kooperative Erwerbungen ein, in den jeder Kunde 10 Millionen NT$ (212 700 Euro) pro Jahr einzahlen muss. Dieser Modus ähnelt einem traditionellen taiwanischen Klub für kollektive Investitionen, auf chinesisch "hui" (會)genannt, der bei den Sammlern Leidenschaft erweckt und es ihnen gestattet, Dinge zu erwerben, die für sie normalerweise unerschwinglich wären.
Kuo ist sich sehr wohl bewusst, dass das Gedeihen des Kunstmarktes von Wissen und Erfahrung abhängig ist. Sie bemüht sich, als Brücke zwischen dem Inlandsmarkt und Sammlern aus dem Ausland zu fungieren und taiwanischen Sammlern Einkäufe im Ausland zu erleichtern. Ravenel gibt außerdem die Zeitschrift Ravenel Art & Investment (Ravenel Kunst und Investition) heraus, um Investoren und Sammler über internationale Trends und Märkte zu informieren. "Käufer sollten nicht nur den Geldwert der zur Auktion stehenden Kunstgegenstände prüfen", warnt sie. "Sie müssen auch den Hintergrund und den Zusammenhang erkunden, und sie müssen sich darüber klar werden, was sie selbst über das Stück denken. Nur dann kann der Markt reifen und die Spekulation abnehmen."

Ching Shiun veranstaltet Vorschauen in Taipeh, aber auch in Beijing, Shanghai und Hongkong, um ein größeres Publikum für seine Auktionsobjekte zu gewinnen.
Ein reifender Markt
Laut Chen Pi-chen, der Vorsitzenden von Ching Shiun International Auctions, Taiwans ältestem Auktionshaus, wird Taiwans Kunstmarkt immer dynamischer. Sie schreibt das zum Teil der Entstehung eines offenen und fairen Transaktionsumfeldes zu, das von einheimischen Auktionshäusern genutzt wird und Investoren und Verkäufern Sicherheit gibt. "Die einheimischen Sammler sind nun wegen der Anwendung der Auktionsmechanismen und transparenter Marktpreise eher bereit, ihre Sammelstücke zu versteigern", weiß sie.
Die vermehrte Geschäftigkeit lässt sich auch an den steigenden Verkaufsraten des Unternehmens ablesen. Der Anteil der verkauften Artikel betrug im Jahre 2007 insgesamt 94 Prozent. 2006 hatte die Rate 90 Prozent betragen, davor 87 Prozent (2005) und 76 Prozent (2004).
Die Gesamtverkäufe nehmen gleichfalls zu und spiegeln die wachsende Nachfrage nach dem Kauf von Kunstwerken bei privaten Sammlern und ihre Bereitschaft wider, mehr für asiatische Kunst auszugeben. Die Frühlings-Versteigerung des Auktionshauses am 6. Juni wies einen Gesamtumsatz von 250 Millionen NT$ (5,31 Millionen Euro) auf, ein Höhepunkt für das Auktionshaus.
Auf jener Auktion erwiesen sich die Skulpturen von Ju Ming wieder einmal als besonders gefragt. Ein Bronzestück mit dem Titel Einzelner Peitschenhieb aus seiner Taichi-Serie ging für 38 Millionen NT$ (808 500 Euro) weg, deutlich höher als der zuvor veranschlagte Wert von 18 Millionen NT$ (382 900 Euro). Ein Aquarell mit dem Titel La Vie en Roses von San Yu kletterte vom Mindestgebot in Höhe von 330 000 NT$ (7021 Euro) auf ein Abschlussgebot von 1,3 Millionen NT$ (27 659 Euro).
Chen glaubt, dass das wachsende Interesse zum Teil auf das Auftreten junger taiwanischer Käufer zurückgeht, von denen viele im Ausland ausgebildet wurden und die dann nach Taiwan zurückkehrten, um das Familiengeschäft zu übernehmen. Sie hat zudem festgestellt, dass die Vorlieben vielfältig sind, sie reichen von traditioneller bis zeitgenössischer Kunst und umfassen auch Arbeiten mit Zeichentrick und digitalen Bildern.
Ein fruchtbarer Boden
Taiwans Kunstsammler haben sich zusammen mit der Wirtschaft ihres Landes entwickelt. Nach jahrzehntelangem Wachstum schuf neuer Reichtum die Mittel, das Prestige des Kunstsammelns zu erreichen. Die taiwanischen Sammler hatten indes nicht nur ein fruchtbares Wirtschaftsumfeld, sondern auch eine Tradition des Kunstgenusses und Kontakt mit der Außenwelt.
Winnie Chang von Sotheby's Taiwan weist darauf hin, dass das Nationale Palastmuseum in Taipeh den Bewohnern Taiwans die Möglichkeit bot, sich an der besten Sammlung chinesischer Kunst in der Welt zu erfreuen. Die Schätze des Nationalen Palastmuseums, zu denen auch die persönlichen Kunstsammlungen der chinesischen Kaiser gehören, bieten eine reiche Quelle an Bezugsmaterial für Sammler, die feinsten Beispiele alter chinesischer Kunst in Augenschein zu nehmen. Neben dieser einzigartigen Fundgrube sind in ganz Taiwan Museen für moderne Kunst und Galerien entstanden. "Taiwans Sammler haben das Wissen und die Kenntnisse, um die besten Kunstwerke zu erwerben", glaubt Chang. "Sie unternehmen ausgedehnte Reisen, um Museen in der ganzen Welt zu besuchen, und sie unterhalten enge Beziehungen zu internationalen Sammlern. Diese Faktoren haben ihren ästhetischen Geschmack beeinflusst und die Gelegenheiten für sie vermehrt, sich hervorragende Stücke zu sichern."
Sotheby's Taiwan war 1981 gegründet worden und kümmert sich heute in erster Linie darum, Kunsteinkäufe zu erleichtern sowie Sammlern in Taiwan und ausländischen Sammlern zu helfen, die auf dem taiwanischen Markt einkaufen möchten. "Wir helfen taiwanischen Käufern, Informationen über die Gegenstände zu finden, bei denen sie vielleicht mitbieten wollen, und wir vermitteln ihnen Expertenrat zu allen Fragen, die sie haben könnten", erläutert Chang. "Wir arrangieren außerdem Mitbieten per Telefon oder Teilnahme vor Ort in Hongkong oder bei anderen Auktionen. Daneben versuchen wir herauszufinden, wem welche Objekte gehören, und wir helfen ausländischen Spezialisten dabei, nach Taiwan zu kommen und Sachen zu finden."
Sotheby's Taiwan sucht auch Artikel wie wertvollen Schmuck, feinen Wein und Sammelinstrumente, die in Taiwan zu finden sind. Das blaublütige Auktionshaus stellt eine unschätzbare Schatztruhe mit Rat und Erfahrung dar. In Taiwan machen die Experten die internationalen Käufer überdies mit der Einzigartigkeit von Taiwans eigenen Künstlern bekannt, etwa Chen Cheng-po, Yang San-lang und Shi De-jin(席德進), und man trägt dazu bei, die Aufmerksamkeit des Weltmarktes auf jüngere Künstler zu lenken. Sie verweist auf das Beispiel von Lin Ming-hung(林明宏), einem jungen Künstler, der traditionelle Blumenmuster verwendet, die früher für Bettbezüge benutzt wurden.
Chen Pi-chen von Ching Shiun hat beobachtet, dass die Werke zahlreicher chinesischer Künstler wie Zao Wou-ki, Chu Teh-chun(朱德群), Zhang Xiaogang(張曉剛) und Wang Guangyi(王廣義) in den letzten Jahren bei internationalen Sammlern weggingen wie geschnitten Brot. Sie sieht die Zukunft für Taiwans Maler darin, größeren Zugang zu internationalen Märkten zu erlangen, wo asiatische Kunst im Allgemeinen und chinesische Kunst im Besonderen erstaunliche Preise erzielen. Chen weist darauf hin, dass das zum Teil an der Liberalisierung von Chinas Kunstmarkt und dem zunehmenden Reichtum chinesischer Sammler liegt, und natürlich auch an dem größeren Interesse unter westlichen Sammlern.
Ching Shiun organisiert Vorschauen für ihre Auktionen in Beijing, Shanghai und Hongkong, und es wurden Büros in Beijing und New York eingerichtet, um die dortige Nachfrage zu nutzen. Chen: "Wir expandieren ins Ausland, damit unsere Auktionsstücke mehr Aufmerksamkeit gewinnen. Hoffentlich können unsere Bemühungen Taiwans Kunstmarkt weiter beleben."
(Deutsch von Tilman Aretz)